Arbeitsteilung zwischen Aufständischen und ziviler Opposition in Haiti

Die US-Regierung zieht eine verlogene Show ab, um sich von den ultrarechten Terroristen und Killerbanden zu distanzieren, die am letzten Februarwochenende in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince einmarschierten und Präsident Jean-Bertrand Aristide zum Rücktritt und zum Verlassen des Landes zwangen.

Nach außen zeigen die Vertreter der Regierung Bush den so genannten "Aufständischen" die kalte Schulter und erklären, für solche Subjekte gebe es keinen Platz in der neuen Regierung, die sie mit Hilfe Frankreichs und dem Segen der Vereinten Nationen in dem verarmten Karibikstaat zu installieren beabsichtigen.

Washington, so heißt es, werde sich nur mit der so genannten politischen Opposition abgeben, d. h. mit der Gruppe der 184 und der Demokratischen Plattform - Organisationen, die ausschließlich von der winzigen Elite der Wohlhabenden dominiert werden. Hinzu kommen höchstens noch diejenigen Teile von Aristides Lavalas-Bewegung, die sich bereit erklären, einer von den USA gesponserten Koalitionsregierung beizutreten.

Die Unterscheidung zwischen der rechtsgerichteten politischen Opposition auf der einen Seite und den "Aufständischen", d. h. den Schlächtern der ehemaligen Armee, der Polizei und der Todesschwadronen Haitis beruht auf einer Fiktion. Die haitianische Finanzelite hatte die Duvalier-Diktatur und die nachfolgenden Militärregime unterstützt, weil sie nur so ihren Reichtum und ihre privilegierte Stellung gegenüber der verarmten Bevölkerungsmasse verteidigen konnte.

Die "politische Opposition" gegen Aristide arbeitete auf engste mit den "Aufständischen" zusammen, um den jüngsten Staatsstreich zu organisieren. Sie bildeten eine gemeinsame Front, und nachdem die USA am 1. März Aristide außer Landes geschafft hatten, trafen sich die Führer der Demokratischen Plattform sofort mit den Führern der "Aufständischen" in Port-au-Prince. Evans Paul, ein früherer Bürgermeister der Hauptstadt und prominenter Sprecher der Opposition, überschüttete die "Aufständischen", insbesondere ihren wichtigsten Befehlshaber Guy Philippe, mit überschwänglichem Lob.

Die Bush-Regierung ließ Philippes Killerkommandos mehrere Tage lang freie Hand, damit sie die Stadt besetzen und die Elendsviertel terrorisieren konnten, in denen der abgesetzte Präsident über die meiste Unterstützung verfügte. Eine bislang unbekannte Anzahl Aristide-Anhänger wurde unter den Augen der US-Marineinfanteristen, die nach Port-au-Prince entsandt wurden waren, von Philippes Killern ermordet.

Das Haiti Press Network berichtete am 3. März, "ausländische Journalisten, die Zugang zu den Leichenhallen [in Port-au-Prince] erhielten, berichteten von Hunderten Toten, die übereinander gestapelt seien. Bei vielen handele es sich augenscheinlich um Opfer der gewaltsamen Unruhen, die das Land erschüttert hatten..."

Mehrere US-Marineinfanteristen wurden abkommandiert, um den Amtssitz des Premierministers Yvon Neptune zu bewachen, doch die übrigen Mitglieder seines Kabinetts sahen sich gezwungen, entweder aus dem Land zu fliehen oder sich im Untergrund zu verstecken.

Eine der ersten Aktionen, welche die bewaffneten Killerkommandos nach ihrem Einzug in Port-au-Prince unter dem Schutz der US-Marineinfanteristen in Angriff nahmen, war die Erstürmung des Gefängnisses. Sie befreiten sechs hochrangige Offiziere der aufgelösten haitianischen Armee, unter ihnen der ehemalige Militärdiktator Posper Avril, der 1988 in einem Putsch die Macht an sich gerissen hatte. Viele dieser Individuen waren wegen Mord und Folter zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Mindestens drei waren damals von den USA an Haiti ausgeliefert worden.

Vertreter der amerikanischen Regierung geben offen zu, dass es sich bei den wichtigsten Führern der "Aufständischen" um Killer und Drogenhändler handelt, die an dem Terror der haitianischen Armee unter der dreijährigen Herrschaft der Militärjunta Anfang der 1990er Jahre beteiligt waren. Ungeachtet ihres vielbeschworenen "Kriegs gegen den Terrorismus" lag ihnen der Gedanke fern, diese überführten Verbrecher zu verhaften oder vor Gericht zu stellen.

Unter der Regie des US-Imperialismus kam es zu einer zynischen Arbeitsteilung zwischen dem amerikanischen Militär, diplomatischen Vertretern, der "politischen Opposition" und den "Aufständischen" in Haiti. Die bewaffneten Banden wurden insgeheim von Washington unterstützt und ausgerüstet, damit sie ihr blutiges Werk verrichten konnten, und dann in den Hintergrund geschoben, während Washington ein Marionettenregime zusammenstellt, das von der haitianischen Elite dominiert wird. Ob die Führer der "Aufständischen" nun in der neuen Regierung eine offizielle Funktion erhalten oder nicht, jedenfalls werden sie beschützt und in Reserve gehalten, damit man sie bei Bedarf wieder hervorholen und eine neue Terrorwelle gegen die Massen entfesseln kann.

Philippe - ein ehemaliger Polizeichef, der des Drogenhandels verdächtigt wird - gab am Mittwoch bekannt, dass seine Truppen ihre Waffen niederlegen und die im Stadtzentrum von Port-au-Prince eroberten Stellungen aufgeben würden.

Zuvor hatten Sprecher der USA betont, sie hätten Philippe und anderen Führern der "Aufständischen" deutlich zu verstehen gegeben, dass man keine Machtübernahme ihrerseits dulden werde. "Tatsache ist, dass sie sich verpflichteten, ihre Waffen niederzulegen, sobald Präsident Aristide zurücktreten würde, und wir nehmen sie nun beim Wort", erklärte der US-Botschafter in Haiti, James Foley.

"In Haiti ist ein ordentlicher Verfassungsprozess in Gang", erklärte der Sprecher des US-Außenministeriums, Richard Boucher. "Dieser Prozess muss von allen Haitianern respektiert werden, und wir freuen uns, dass die Gewalttätigkeiten abnehmen. Die Aufständischen werden an diesem Prozess allerdings nicht beteiligt, sie müsse ihre Waffen niederlegen und nach Hause gehen."

Der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, äußerte sich am 3. März noch deutlicher: "Unsere Botschaft an die Aufständischen, bzw. die so genannten Aufständischen, ist ganz klar: die Aufständischen müssen ihre Waffen niederlegen und nach Hause zurückkehren. Es gibt im politischen System Haitis keinen Platz für Schurken, Kriminelle und die so genannten Aufständischen."

Ungeachtet dessen bezeichnete der Befehlshaber der US-Truppen in Haiti, Marineoberst Charles Gurganis, Philippe nach einem Treffen mit ihm in der US-Botschaft als "Ehrenmann". Ähnlich äußerte sich der haitianische Übergangspräsident Boniface Alexandre in seiner ersten Ansprache an die Nation, nach seiner Amtseinführung im Rahmen einer von der US-Botschaft organisierten Zeremonie: Philippe und seine Leute seien "patriotische Ehrenmänner".

Man vergleiche dieses Verhalten mit dem Vorgehen der USA im Irak. In Bezug auf das frühere irakische Baath-Regime hat die Regierung Bush immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen verwiesen, um ihre Militärintervention zu rechtfertigen. Sie ließ an ihre Soldaten Spielkarten verteilen, auf denen die Fotos der führenden Regierungsmitglieder abgebildet waren, die gefasst werden sollten. Einige dieser Leute mögen Verbrechen begangen haben, im Gegensatz zu ihren haitianischen Gegenstücken aus der Zeit der Militärdiktaturen Duvlier, Avril und Cédras waren sie aber zumindest nicht rechtskräftig verurteilt worden.

Die USA haben in Haiti deshalb kein Interesse daran, überführte Massenmörder zu verfolgen, weil sie eng mit diesen zusammenarbeiten.

Die Regierung Bush hat seit ihrem Amtsantritt auf den Sturz Aristides hingearbeitet. Die republikanische Rechte hasst den ehemaligen Priester seit langem, weil er mit der Massenbewegung in Verbindung stand, die zum Sturz der Duvalier-Diktatur führte, und weil er volkstümliche und anti-imperialistische Reden hielt. Mag Aristide auch später vor Washington zu Kreuze gekrochen sein und die Diktate des Internationalen Währungsfonds erfüllt haben - die alte Feindschaft der Republikaner blieb bestehen.

Mit Unterstützung Washingtons, das über die Stiftung National Endowment for Democracy finanzielle Hilfestellung leistete, organisierte die rechte politische Opposition in Haiti eine Provokation nach der anderen. Beispielsweise spielte sie eine Auseinandersetzung über technische Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen im Jahr 2000 zu einem internationalen Skandal hoch, der dann als Vorwand benutzt wurde, um Haiti von internationalen Hilfsgeldern abzuschneiden und die politische und ökonomische Krise des Landes zu verschärfen.

Trotz dieser Krise und der schwindenden Unterstützung für Aristide konnte die Bush-Regierung auch mit noch so viel Unterstützung nicht erreichen, dass sich die Bevölkerung hinter die reichen Ausbeuter und Unternehmer stellte, die in der Gruppe der 184 und der Demokratischen Plattform organisiert sind. Also bedurfte es anderer Maßnahmen.

Das ist der Grund, weshalb Philippe, Louis-Jodel Chamberlain und die übrigen rechtskräftig verurteilten Killer und Folterer der sogenannten "Aufständischen" - vom US-Militär ausgebildet und von der CIA bezahlt - auf das haitische Volk losgelassen wurden.

Während der drei Wochen vor Aristides Sturz lehnte die Bush-Regierung jede militärische Intervention ab und unternahm nichts gegen die Killerkommandos. Sie verhandelte über Einzelheiten eines Abkommens zwischen Aristide und der so genannten politischen Opposition, um den "Aufständischen" die nötige Zeit zur Eroberung der Hauptstadt zu verschaffen. Als die von den USA unterstützten "Demokraten" jeden Kompromiss stur ablehnten, bestand Washington auf Aristides Abritt.

Der stellvertretende US-Außenminister Roger Noriega - einer der Architekten des Staatsstreichs - behauptete vor einem Ausschuss des Kongresses am 3. März zynisch, dass die USA vor Aristides Absetzung deshalb nicht eingegriffen hätten, weil dies zu gefährlich gewesen wäre. Man habe "keine amerikanischen Leben aufs Spiel setzen wollen". Denn Aristide - der in Wirklichkeit jeder Forderung der USA nachgegeben hatte - habe sich "erratisch und verantwortungslos" verhalten. Kaum befand sich der gewählte Präsident außer Landes, rückten jedoch bereit stehende US-Marineinfanteristen in Haiti ein.

Man muss davon ausgehen, dass die Arbeitsteilung zwischen US-Armee, den so genannten Demokraten und den "Aufständischen" weitergehen wird, auch wenn die Regierung Bush über die Entwaffnung Philippes und seiner Verbündeten spricht. Der ehemalige Offizier und Polizeichef beschränkte sich auf die Erklärung, dass sich seine Männer an einen geheimen Ort zurückgezogen hätten. Bisher wurden keine Waffen abgeliefert.

Ob Philippe und seine Henker ihren Traum von einer Wiedererrichtung der verhassten haitianischen Armee unter ihrem Kommando wahr machen werden, bleibt abzuwarten. Vorerst werden die "Aufständischen" dafür eingesetzt, Aristide-Anhänger zu ermorden und die Haitianer zu terrorisieren, damit Washington ein den USA genehmes Regime einsetzen kann, ohne dass sich die Bevölkerung einmischt.

Siehe auch:
Staatsstreich in Haiti
(3. März 2004)
Aristide beschuldigt die USA ihn entführt zu haben
( 3. März 2004)