Die Sackgasse des Nationalismus

PKK-Nachfolgeorganisation biedert sich bei den USA an

Die Nachfolgeorganisation der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, die in den achtziger und neunziger Jahre mit Waffengewalt für einen kurdischen Staat im Osten der Türkei kämpfte, unterstützt im Irak die amerikanische Besatzungsmacht.

Einem Bericht der Jungen Welt zufolge soll der stellvertretende Vorsitzende der PKK-Nachfolgeorganisation Kongra-Gel, Osman Öcalan, Ende Februar das Lager der Organisation im Nordirak verlassen und sich unter die Obhut der US-Besatzungstruppen begeben haben. Osman ist der Bruder des langjährigen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan, der seit 1999 in einem türkischen Gefängnis sitzt.

Osman Öcalan sei dabei von den Exekutivkomiteemitgliedern Nizamettin Tas und Hidir Sarikaya, dem ehemaligen PKK-Europasprecher Kani Yilmaz sowie rund hundert weiteren Mitgliedern der Organisation begleitet worden, die für eine enge Allianz mit den USA einträten, berichtet die Junge Welt. Sie hätten sich bereit erklärt, zukünftig beispielsweise Grenzschutzaufgaben an der irakisch-iranischen Grenze zu übernehmen, um das Einsickern islamischer Widerstandskräfte zu verhindern.

Der Vorsitzende von Kongra-Gel, Zübeyir Aydar, soll diese Gruppe verurteilt haben, und Abdullah Öcalan hat dem Vernehmen nach seinen Bruder von der Gefängnisinsel Imrali aus als Vertreter einer "gefährlichen rechten, nationalistischen Linie" kritisiert. Doch ungeachtet taktischer Differenzen ist die direkte Anbiederung an die imperialistische Besatzungsmacht eine logische Konsequenz aus der bisherigen Politik der PKK.

Bereits die Gründung der Kongra-Gel im November 2003 war eine Reaktion auf die amerikanische Eroberung des Irak, in dessen kurdischen Norden sich die PKK-Guerillas nach der Inhaftierung ihres Führers zurückgezogen hatten. Im Gründungsmanifest wurde die US-Intervention ausdrücklich begrüßt. Es heißt dort: "Mit der Intervention gegen das Saddam-Regime, durch das die Kurden und das ganze Volk des Irak soviel Unterdrückung erlitten haben, haben die USA eine wichtige Rolle beim Beginn einer neuen Ära gespielt. Kongra-Gel begrüßt dieses Eingreifen der USA, möchte aber darauf hinweisen, dass konstruktive Ergebnisse nur gefunden werden können, wenn die Kurdenfrage dauerhaft gelöst wird."

In den folgenden Wochen erschienen dann in parteinahen Zeitungen Artikel, die bis hin zur Wortwahl die amerikanische Propaganda nachäfften. So verurteilte Cemal Uçar in der Tageszeitung Yeniden Özgür Gündem vom 28. Dezember den irakischen Widerstand mit den Worten: "Ich bin dagegen, die Angriffe auf amerikanische Soldaten als ‚Widerstand' zu bezeichnen."

Uçar, der sich, wie er schreibt, im Irak ein Bild von dem so genannten "sunnitischen Dreieck" gemacht hat, lehnt es ab, die USA als imperialistische Besatzungsmacht zu bezeichnen, da der Widerstand des irakischen Volkes die dafür erforderlichen Kriterien nicht erfülle: "Denn jeder Widerstand hat ein Manifest, das die bezweckten Ziele beinhaltet. Der Widerstand gegen die Amerikaner hat nicht nur kein Manifest, sondern verfügt auch über keine Kapazität und Basis." In Formulierungen, die von G. W. Bush persönlich stammen könnten, fährt er fort: "Washington bemüht sich, im Irak das Böse zu bekämpfen, und hat dabei das Problem, das Gute zu transferieren. Dies führt dazu, dass das Volk leidet."

Uçar vermag keinen Zusammenhang zwischen der Besetzung und Ausplünderung des Iraks und dem Leiden des irakischen Volkes zu erkennen. Dieses Leiden sei vielmehr eine Folge von Widerstandsaktionen gegen die US-Besatzung: "Aber diese fast alltäglichen Angriffe führen dazu, die Probleme nicht zu lösen, sondern weiter zu vertiefen." Schuld daran sei die geschlagene Saddam-Clique, die alle Gelder mitgenommen habe und somit in der Lage sei, Waffen zu kaufen und aus den arabischen Ländern Krieger zu importieren.

Würde man diejenigen, schreibt Uçar mit kaum verhülltem rassistischem Unterton, die "auf Kosten des Saddam Regimes" leben und nach dem Krieg "deklassiert" wurden, mit Haftentlassenen und mit "Stämmen zusammen tun, die (geistig) in der neolitischen Epoche leben", käme eine "ziellose Bombe zustande", von der man nicht wüsste, "wann sie explodiert, wie viele Zivilisten sie tötet, wie viele Menschen sie erschreckt. Der wissenschaftliche Name dafür ist Terrorismus."

Auch der Rest des Artikels ist eine Ansammlung von Argumenten, die belegen sollen, dass im Irak Chaos und Anarchie herrschen und Ruhe und Ordnung um so schneller wiederhergestellt werden können, je schneller sich die irakische Bevölkerung den USA unterwirft.

In einem weiteren Artikel in Yeniden Özgür Gündem vom 4. Januar 2004 schreibt derselbe Autor: "Wer mit Widerstand der Besatzung ein Ende zu bereiten glaubt, wird dazu beitragen, dass die Besatzung noch weiter anhält."

Auch die DEHAP, die innerhalb der Türkei auf legalem Wege für den kurdischen Nationalismus eintritt, begrüßt die amerikanische Besetzung des Nachbarlandes, wenn auch in etwas verhalteneren Tönen.

So schrieb ihr stellvertretender Vorsitzender Dr. Naci Kutlay am 29. Dezember 2003 in der linken türkischen Tageszeitung Evrensel : "Zweifellos ist die USA ein imperialistischer Staat. Jedoch wird die Invasion der USA im Irak und die Ergreifung von Saddam im Nahen Osten viele Dinge verändern. Der Irak wird demokratischer, das ist zwingend. Die Kurden werden zum ersten Mal einen Status bekommen. Danach werden alle Staaten in der Region sich verändern müssen. Diese Veränderungen vollziehen sich nicht aufgrund der inneren Dynamik, sondern mit Hilfe des größten imperialistischen Staates der Welt. Ob uns das gefällt, oder ob wir dagegen sind, ändert nichts an dieser Situation. Anstelle der Unterdrückung der Kurden werden neuen Strukturen die Türen geöffnet, die demokratisch sind und auf Menschenrechten beruhen."

Sackgasse des Nationalismus

Wie kommt es zu dieser Unterstützung der mächtigsten imperialistischen Macht durch kurdische Nationalisten, die einst Wert darauf gelegt hatten, als links und antiimperialistisch zu gelten?

Als die PKK Ende der siebziger Jahre entstand, wurde die Türkei von heftigen Klassenkämpfen erschüttert. Doch für die PKK lag die Antwort auf die barbarische Unterdrückung der kurdischen Minderheit nicht im gemeinsamen Kampf der kurdischen und türkischen Arbeiterklasse, sondern in der Errichtung eines selbständigen kurdischen Staats. Trotz ihres Namens bestand sie darauf, dass der soziale Kampf der Arbeiterklasse so lange zurückstehen müsse, bis die nationale Frage gelöst sei.

Nachdem die türkischen Militärs 1980 geputscht und eine brutale Diktatur errichtet hatten, ging die PKK 1984 zum bewaffneten Kampf über. Der Terror der Militärs sorgte dafür, dass die anfangs nur schwach in der Bevölkerung verankerte Organisation Zulauf bekam. Ziel des bewaffneten Kampfs blieb die Errichtung eines kurdischen Staats, und diese Perspektive war stets damit verbunden, die Unterstützung regionaler Mächte und einzelner Großmächte zu gewinnen. Die PKK erhielt über viele Jahre Unterschlupf in Syrien. Aber aufgrund der entscheidenden Rolle, welche die Türkei als Ostflanke der Nato spielte, gelang es ihr nie, in Europa oder den USA nennenswerte Unterstützung zu erhalten.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem ersten Golfkrieg von 1991 brach auch die syrische Basis weg. Das syrische Regime stellte sich gegen den Irak auf die Seite der USA. Die PKK suchte eine neue Orientierung und bot sich den Großmächten, aber auch der türkischen Bourgeoisie, immer unverhohlener als Partner an, der ihre Vorherrschaft akzeptiert, wenn er dafür einen Zipfel der Macht erhält. Noch während des Golfkriegs traf sich Öcalan mit dem irakischen Kurdenführer Celal Talabani, der enge Beziehungen zu Washington unterhielt. Er bot der türkischen Regierung Verhandlungen über einen Waffenstillstand an - aber ohne Erfolg. 1993 verkündete er einen einseitigen Waffenstillstand und erklärte sich bereit, auf die Forderung nach einem eigenen Staat zu verzichten - erneut ohne Resonanz.

Die Appelle an die amerikanische und besonders an die europäische Bourgeoisie wurden immer lauter. Doch 1999 weigerte sich Italien, Öcalan Asyl zu gewähren, und kurz danach wurde er mit Unterstützung der amerikanischen Geheimdienste gewaltsam aus Nairobi entführt. Das machte unmissverständlich deutlich, dass es weder in Europa noch in den USA Interesse an einer Zusammenarbeit mit der PKK gab.

Die Organisation reagierte, indem sie ihre Kämpfer in den Nordirak zurückzog und den "bewaffneten Kampf" gegen die Türkei offiziell beendete. In einer Presse-Erklärung vom August 1999 begründet dies das Zentralkomitees der PKK unter anderem damit, dass man sich der Hegemonie der USA und der von ihr angestrebten Neuordnung des Mittleren Ostens anpassen müsse.

Nur wenige Monate, nachdem die US-Regierung den weltweiten "Krieg gegen den Terrorismus" im Gefolge des 11. September ausgerufen hatte, änderte die PKK ihren Namen in "Kongress für Freiheit und Demokratie in Kurdistan" (KADEK). Mit dem neuen Namen sollte der Bruch mit der militanten Vergangenheit unterstrichen werden. Doch dieses Signal reichte nicht aus, um "einen Dialog zwischen den Schlüsselfiguren der kurdischen Frage im Mittleren Osten zu entwickeln", wie die Führer der Organisation zwei Jahre später enttäuscht feststellen mussten.

Die USA hatten begonnen, die Region gewaltsam neu zu ordnen, und benötigten die Dienste der KADEK nicht. Und die türkische Regierung zeigte keine Neigung, mit dem stark diskreditierten Bürgerkriegsgegner von gestern in Verhandlungen einzutreten. Die türkischen Militärs drohten sogar, in eigener Regie in den Nordirak einzumarschieren, falls die USA nicht gegen die PKK/KADEK vorgehe. Washington versicherte Ankara, die PKK nicht im Nordirak zu dulden, und stufte die KADEK offiziell als "terroristische Organisation" ein.

Die KADEK reagierte darauf, indem sie sich im November 2003 selbst auflöste und den "Volkskongress Kurdistan" (Kongra-Gel) gründete. Programm und organisatorische Struktur des KADEK seien "den Anforderungen des politischen Kampfes für eine pluralistische und demokratische Gesellschaft nicht gerecht" geworden, heißt es in der Begründung selbstkritisch. "Reste des leninistischen Parteimodells sowie traditionelle dogmatische Denkstrukturen des Mittleren Ostens formten eine eingeengte und hierarchische Struktur, der das Einbeziehen neuer sozialer Gruppen und demokratischer Elemente nicht gelang." Die personelle Kontinuität auf der Führungsebene habe zudem die Auffassung begünstigt, "der KADEK sei lediglich die Fortsetzung der PKK. Dies wiederum verdarb die internationale Anerkennung und beeinflusste den anvisierten Demokratisierungsprozess negativ."

Mit Zübeyir Aydar wurde nun ein Mann zum Kongra-Gel-Vorsitzenden gewählt, der keine Vergangenheit als Guerillakämpfer hat. Er arbeitete seit 1986 als Rechtsanwalt und war im Menschenrechtsverein IHD tätig, Vorsitzender der sozialdemokratischen SHP in seiner Heimatstadt Siirt und 1991 für die legale Kurdenpartei HEP ins Parlament gewählt worden. Nach Angaben des Kongra-Gel wurde er 1993 Ziel von zwei Anschlägen. 1994 wurde seine Immunität als Abgeordneter aufgehoben und die HEP verboten. Aydar verließ die Türkei und betätigte sich für das kurdische Exilparlament und den Kurdischen Nationalkongress.

Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der Kongra-Gel im November 2003 antwortete Aydar auf die Frage eines Journalisten, ob es einen Vermittlungsversuch seitens der USA gebe: "Wir wünschen uns, dass die USA eine diplomatische Vermittlung unternimmt." Auf die Entgegnung des Journalisten, es gebe ein Abkommen zwischen der Türkei und den USA, die Guerilla zu entwaffnen, antwortete Aydar laut Kongra-Gel-online, die USA hätten diesbezüglich keinerlei Bemühungen unternommen. Die USA sollten Druck auf die Türkei, statt auf die kurdische Bewegung ausüben.

Die Perspektive von Kongra-Gel bleibt also darauf ausgerichtet, zu einer Übereinkunft mit der türkischen Bourgeoisie zu kommen - durch die tätige Mithilfe der USA. Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt, sich der amerikanische Besatzungsmacht im Irak als Ordnungshüter anzubieten, wie dies die Gruppe um Osman Öcalan nun anscheinend getan hat.

Die Logik des Nationalismus hat die PKK in eine auswegslose Sackgasse geführt. Den verarmten kurdischen Bauern und Arbeitern, von denen ohnehin viele in türkischen und europäischen Städten wohnen und arbeiten, hat diese nationalistische Perspektive keine Zukunft zu bieten. Die Überwindung von Unterdrückung, Armut und Rechtlosigkeit ist nur auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive möglich, die die Arbeiter des gesamten Mittleren Ostens, Europas und der USA vereint.

Siehe auch:
Die Politik der PKK - eine Bilanz
(3. März 1999)
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