Großbritannien

Blairs Außenpolitik: Von der "Brücke" zum "Brückenkopf"

In der vergangenen Woche hielt der britische Premierminister Tony Blair seine jährliche Rede zur Außenpolitik seines Landes. Der Tenor des Gesagten war dabei vollkommen vorhersehbar.

Seit sieben Jahren bekennt sich Blair unerschütterlich zur Überzeugung, dass Großbritannien eine Brücke zwischen den Vereinigten Staaten und Europa bilden müsse, um die britischen nationalen Interessen zu verteidigen. Dieses Jahr stellte keine Ausnahme dar. Allerdings sprach der Premierminister diesmal kurz nach der Bestätigung von George W. Bush in seinem Amt als amerikanischer Präsident. Er spürte frischen Wind in den Segeln, sah seine unerschütterliche Loyalität zu Washington in der Irakfrage bestätigt und zeigte sich entschlossen, es mit seinen Kritikern im Inland und in Europa aufzunehmen.

Erstaunlich war nicht die rede, sondern die Reaktion von Teilen der britischen Medien, die versuchten, den Amerikafreundlichen Charakter von Blairs Rede herunterzuspielen und sie als Warnung vor den Gefahren des Unilateralismus darzustellen.

Blairs Ansprache bestand zum größten Teil aus einer umfangreichen Rechtfertigung für seine Unterstützung des Krieges und für die britische Beteiligung an der Besetzung Iraks und Afghanistans. Blair behauptete, die Demokratie sei in Afghanistan Realität geworden und werde im Irak derzeit durchgesetzt, und wandte sich dann direkt an seine Kritiker.

"Der Irak", sagte er, "hat auf dramatische Weise Differenzen zwischen Europa und Amerika und Großbritanniens Rolle in beiden Allianzen zum Vorschein gebracht. Die Beziehung ist nie zuvor so sehr in Frage gestellt worden. Daher ist es nun an der Zeit, sie zu verteidigen."

Und wie sah seine Verteidigung aus? Er erklärte, es gebe keine Alternative zu einer Allianz mit Amerika und keinen Widerspruch zwischen dieser und einer Orientierung in Richtung Europa. "Es gibt in der heutigen Welt nur eine einzige Supermacht und wir sind ihr stärkster Allliierter. Der stärkste politische Zusammenschluss, der den größten Wirtschaftsmarkt der Welt geschaffen hat, ist die Europäische Union - und wir sind ein führendes Mitglied darin. Das ist eine großartige Stellung."

Den Kritikern des einen wie des anderen Aspekts seiner Politik sagte Blair, wir lebten in einer Welt der gegenseitigen Abhängigkeiten. Allianzen seien notwendig, "um unser nationales Interesse zu vertreten".

Er konzentrierte sich dann allerdings auf die Verteidigung der "besonderen Beziehung" zu den Vereinigten Staaten. Durch sie sei der Zweite Weltkrieg gewonnen und der Westen vor der Sowjetunion geschützt worden. Heute sei sie unerlässlich, um den Handel und Investitionen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa aufrechtzuerhalten. Nicht zu vergessen die internationale Sicherheit: "Wenn Amerika die Zugbrücke hochziehen und sich von den Verpflichtungen und Allianzen im Ausland zurückziehen würde, dann würden die Terroristen uns Übriggebliebene angreifen...

Was wäre passiert, wenn sich Amerika zurückgezogen hätte? Wenn es, als die Kosovo-Frage aufkam, Nein gesagt hätte? Wenn es uns gesagt hätte, um Al Qaida in Afghanistan müssten wir uns selber kümmern? Wenn es uns gesagt hätte, mit der Verbreitung von Atomwaffen müssten wir selbst fertig werden? Wo ständen wir dann jetzt?"

In dem Stil ging es lange weiter, bis Blair schließlich auf Europa zu sprechen kam. Zunächst äußerte er seine Überzeugung, Europa müsse sich darüber im Klaren sein, dass sich die amerikanische Außenpolitik noch "entwickle" und man bei entsprechender Anstrengung Einfluss darauf nehmen könne.

Dann kam die einzige Bemerkung, die eventuell als Kritik an Amerika ausgelegt werden könnte: "Nichts wird erfolgreich sein", sagte er, "solange Amerika nicht auch die Hand ausstreckt. Ein funktionierender Multilateralismus sollte sein Ziel sein. Ich habe nichts übrig für einen Unilaterlismus um seiner selbst willen."

Diese Bemerkung ist kaum bahnbrechend. Schließlich hat Blair seine Allianz mit Washington stets mit dem Argument begründet, sie halte Amerika davon ab, eine unilateralistische Haltung in der Außenpolitik einzunehmen.

Dann skizzierte er eine Rolle für Großbritannien, die weniger mit einer Brücke über den Atlantik, als mit einem Brückenkopf in Europa gemein hat, von dem aus für eine Politik und eine freie Marktwirtschaft im Interesse der USA gekämpft werden kann.

Blair bemerkte, es gebe innerhalb der erweiterten Europäischen Union mit ihren 25 Mitgliedsländern geteilte Auffassungen über das "Ausmaß der Wirtschaftsreformen". Auch die Begeisterung über die transatlantische Allianz sei nicht überall gleich groß. Großbritannien müsse seine Position benutzen und darauf bestehen, dass "Europa den Weg der Reform seiner Wirtschaft und der Erneuerung seiner Allianz mit Amerika einschlägt". Es gebe eine Auseinandersetzung "über die zukünftige Ausrichtung [Europas]. Diese Auseinandersetzung kann gewonnen werden."

Blair hätte seine Prioritäten nicht deutlicher herausstellen können. Dennoch strichen am folgenden Tag zahlreiche Zeitungen seine an die USA gerichteten Warnungen vor einem Alleingang heraus.

Die Financial Times sagte, der Premierminister habe "der US-Regierung eine ungewöhnlich strenge Botschaft übermittelt, dass auch sie die Hand ausstrecken müsse".

Der Daily Mirror überschrieb seinen Bericht mit der den Worten "Blair warnt Bush", und im Guardian hieß es, Blair dränge "die Vereinigten Staaten und die EU, sich nicht länger gegenseitig von oben herab zu behandeln, sondern zusammenzuarbeiten".

Selbst die Sun des Medienmogul Rupert Murdoch, die sowohl starke Sympathien für Bush als auch für Blair hegt, brachte die Schlagzeile: "Haltet die Klappe, sagt der Premierminister Europa und den Vereinigten Staaten."

Das alles ist natürlich absoluter Schwachsinn. Blair ist der letzte Mensch auf der Welt, der Bush sagen würde, er soll die Klappe halten! Wieso versucht trotzdem ein großer Teil der britischen Medien, Blairs angebliche Unparteilichkeit hervorzuheben, obwohl seine Ansprache kaum etwas anderes als eine Lobrede auf Amerika war?

Erstens reift in den herrschenden Kreisen die Erkenntnis, dass Blairs Unterstützung für das amerikanische Kriegsstreben zutiefst unpopulär ist. Alle seine Verbündeten und insbesondere seine Kritiker wissen, wie schädlich es ist, wenn Blair als "Bushs Pudel" wahrgenommen wird. Diese Frage kam sogar während der zwei gemeinsamen Pressekonferenzen in Washington Mitte November auf. Daher ist es wichtig, im Innern den Eindruck zu vermitteln, Blair sei unabhängig - insbesondere in Hinblick auf seine Aussichten bei den anstehenden Wahlen im kommenden Jahr.

Der Economist bemerkte in der Ausgabe vom 13. November: "Eine derzeit in Mode gekommene Theorie lautet, dass der Präsident sich schmerzlich darüber im Klaren ist, wie sehr seine Freundschaft dem Ansehen des Premierministers in den Augen der Briten geschadet hat, und nicht beleidigt wäre, wenn Mr. Blair einen Streit mit ihm inszenieren würde."

Wie dem auch sei, wird Washington Blairs Warnung vor dem Unilaterialismus nicht all zu ernst nehmen.

Zweitens sind die Pressekommentare zu einem gewissen Maß von Wunschdenken beeinflusst. Obwohl einflussreiche Teile der herrschenden Elite Großbritanniens Blairs Ansicht teilen, dass die transatlantische Allianz die einzig denkbare Grundlage für eine tragfähige Außenpolitik sei, finden sie es doch bedenklich, wie weit Blair geht, und schrecken vor den Konsequenzen einer solchen Strategie zurück. Sie wissen nur allzu gut, dass Bitten, auf die Interessen Europas Rücksicht zu nehmen, in Washington auf taube Ohren stoßen, und dass sie in einer Allianz mit einem kriegslüsternen und aggressiven Partner gefangen sind.

Blairs Glauben, seine Stellung gegenüber Frankreich und Deutschland sei gestärkt worden, ist lediglich ein schwacher Abglanz dessen, was im Weißen Haus und im Pentagon gedacht wird. Wenn Bush im nächsten Jahr Europa besucht, wird er seinen europäischen Alliierten sagen, wo’s lang geht, und wenig Interesse daran zeigen, Blair bei seinem Brückenbauprojekt zu helfen.

An einer Stelle seiner Rede gab er zu erkennen, vor welchen Schwierigkeiten er steht. Er sagte über Großbritanniens "einzigartige" transatlantische Rolle: "Nennen Sie es eine Brücke, eine zweispurige Autobahn, eine Drehscheibe oder nennen Sie es ein verdammtes Hochseil, denn so fühlt es sich oftmals an."

Selbst Blairs loyalste Anhänger beim Guardian sahen sich gezwungen, seine Rede und die möglichen Erfolgsaussichten seiner Strategie negativ zu bewerten. Blair "schien überzeugter von der Notwendigkeit, Amerika bei Laune zu halten, als sich dem Kontinent anzunähern", klagten sie.

"Im Wesentlichen wiederholte der Premierminister die klassische Annahme aller Regierungen der letzten Zeit, dass Großbritannien weiterhin als Brücke über den Atlantik dienen kann, und vermied damit eine Entscheidung zwischen der alten und der neuen Welt. Es überrascht nicht, dass er nach dem Irak die Notwendigkeit sieht, ein ‚unermüdlicher Verfechter einer starken Verbindung zwischen den beiden’ zu sein. Aber es überrascht auch nicht, dass dies große Schwierigkeiten bereitet."

Die Antagonismen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa lassen nicht einfach beiseite wischen. Die Vereinigten Staaten glauben nicht an Erfolg, wenn sie mit dem allgemeinen Strom schwimmen. Sie stützen ihren Erfolg auf den Kampf um die globale Vorherrschaft gegenüber ihren Rivalen im wirtschaftlichen, militärischen und politischen Bereich. Das heißt allerdings nicht, dass ein vereinigtes Europa als Alternative zu Washington Chancen hat, wie einige in der Bourgeoisie hoffen. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass Blairs Reaktion auf Bushs Wahlsieg einen Widerhall in den Hauptstädten Europas finden wird.

Schon jetzt gibt es zahlreiche Berichte darüber, dass sich Spannungen zwischen Paris und Berlin entwickeln - unter anderem weil der deutsche Kanzler Gerhard Schröder weiter gehen will, um die freundschaftlichen Beziehungen zu Washington wieder herzustellen. In jedem Fall wird es viele Versuche geben, Washington zu besänftigen und sich wieder anzunähern, in Verbindung mit Bemühungen Frankreichs und anderer Ländern, Europas Gewicht an der ökonomischen und militärischen Front zu stärken. Und an jedem kritischen Punkt wird die Bush-Regierung versuchen, mit Hilfe ihrer Alliierten in Europa eine solche Entwicklung zu sabotieren.

All dies verheißt nichts Gutes für Blair.

Die Regierung steht aber einer noch größeren Gefahr gegenüber - sie verfügt über keine bedeutende gesellschaftliche Basis für ihre Politik, und in großen Teilen der Arbeiterklasse wächst die aktive Opposition gegen ihre Außen- und Innenpolitik. Blair mag in der Lage sein, seine Kritiker mit einigen gewählten Phrasen zu umgarnen und zu beruhigen und sich im Schein der Macht seiner Allianz mit Bush zu sonnen. Aber er wird auf keinen Fall in der Lage sein, die Unterstützung der Bevölkerung für eine Politik zu gewinnen, die auf einer entfesselten Militäraggression und auf Wirtschaftsreformen beruht, die Millionen Menschen in Schulden und Elend stürzen.

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