Labour-Parteitag in Großbritannien:

Stehende Ovationen für Blair

Vergangene Woche fand in Großbritannien der Parteitag der Labour Party statt. Nach Blairs Rede fragte die Presse: Hat er genug getan, um die Partei zu einen und die Differenzen zu bereinigen, die durch den Irakkrieg entstanden sind?

Die meisten Zeitungen bejahten das, besonders diejenigen, die Blair unterstützen. Rupert Murdochs Sun schrieb: "Die Mission, Frieden mit seiner Partei in der Irakfrage zu machen... ist weitgehend erfüllt." Sie schloss daraus: "Blair kann stolz sein."

Der Daily Mirror beschrieb Blairs Darstellung, warum "er immer noch glaubt, in der Irakfrage richtig gehandelt zu haben", als "mutig, selbst wenn wir nicht mit ihm übereinstimmen". Das Blatt kam zum Schluss: "Labour hat viele Versprechen aus den letzten beiden Wahlkämpfen erfüllt. Mit der Entschlossenheit, die Tony Blair gestern gezeigt hat, kann er es noch mal schaffen."

Der Guardian schrieb, die "lange erwartete Entschuldigung des Premierministers zum Irak" sei "ein zu Recht positiv aufgenommener Meilenstein bei der behutsamen Annäherung an seine Kritiker". Die Zeitung fuhr fort: "Mr. Blair hätte die Konfrontation suchen können, wie er es in der Vergangenheit oft getan hat. Stattdessen ging er auf seine Kritiker zu. Er hätte die Stirn bieten können. Stattdessen bot er einen Dialog an."

Der Kolumnist Jonathan Friedland übertrumpfte das noch, indem er behauptete, "überschäumende Selbstgewissheit" habe "schmerzhafter Demut" Platz gemacht.

Ein Gewerkschaftsführer nach dem anderen überhäufte den Premierminister mit Lob und versprach, für Labours dritten Wahlsieg zu kämpfen. Derek Simpson von der Metallarbeitergewerkschaft Amicus sagte: "Er hat seinen Job gemacht." Dave Prentis von der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, Unison, erklärte: "Er hat die entscheidenden Fragen, mit denen die Partei konfrontiert ist, bei den Hörnern gepackt. Das Eingeständnis, bei den Massenvernichtungswaffen falsch gelegen zu haben, zeigt, dass er ein starker Führer ist."

Tony Woodley von der Transportarbeitergewerkschaft beklagte sogar, Blair habe "zu viel Zeit darauf verschwendet, den Irakkrieg zu rechtfertigen".

Niemand, der Zeuge von Blairs einstündigem Wortschwall war, kann seine Rede in diesen Beschreibungen wiedererkennen.

Schmerzhafte Demut? Vor Blairs Einmarsch in den Parteitag wurden die Lichter abgedunkelt und ein Hintergrundfilm in einem delikaten Hauch von Purpur begann Labours "Erfolge" zu besingen. Über die Lautsprecheranlage erscholl Fatboy Slims dramatischer Anfang von "Right here! Right now!", und die versammelten Delegierten klatschten in Erwartung des Einmarschs des "großen Führers" rhythmisch in die Hände. Blairs Ehefrau Cherie hüpfte in Ekstase buchstäblich von einem Fuß auf den anderen. Sie war nicht die einzige. Eine geradezu religiöse Verzückung griff im Saal um sich. Und als Blair endlich kam, geriet die Menge aus dem Häuschen.

Blair musste seine Partei nicht erst für sich einnehmen. Er hatte sie schon hinter sich, bevor er ein einziges Wort gesagt hatte. Der Kolumnist des Guardian, Simon Hoggart, bemerkte dazu zynisch: "Er bekam eine siebenminütige stehende Ovation - nicht für das, was er sagte oder vielleicht sagen würde, sondern einfach weil er war. Weil er Tony Blair war."

Und hätte seine bloße Existenz vielleicht doch nicht gereicht, dann hätte Blair seine Rede nach dem ersten Absatz getrost beenden können, in dem Bewusstsein, dass er leichtes Spiel haben würde. Denn er ließ seine Anhänger wissen: "Wir haben die in unserer 100-jährigen Geschichte einzigartige Chance, Großbritannien drei aufeinander folgende Amtszeiten lang zu regieren. Das hat es noch nicht gegeben. Das haben wir bisher noch nicht mal in Betracht gezogen. Davon haben wir bisher nicht einmal zu träumen gewagt."

Nichts anders war für die große Mehrheit der Delegierten von Bedeutung. Blair versprach ihnen "vier weitere Jahre" - wie es viele vor seinem Einmarsch skandiert hatten.

In seiner einstündigen Rede wurde jede einzelne Äußerung beklatscht. Ein einsamer Delegierter erhob Protest wegen des Irakkriegs und wurde kurzer Hand unter den Buh-Rufen der Delegierten vor die Tür gesetzt, während Blair predigte, wie dankbar dieser Mann doch sein sollte, in einer Demokratie zu leben, die es ihm ermögliche, seine Ansichten bekannt zu machen.

Tatsächlich zeigte Blair keinerlei Reue in der Irakfrage. Das Wort "Sorry" wurde noch vor seiner Rede aus dem Text gestrichen, und seine ausführlichen Darlegungen zur Frage konzentrierten sich darauf, seine Entscheidung zur Kriegsteilnahme zu rechtfertigen und seine Absicht zu bekräftigen, britische Truppen das Land weiter besetzt halten zu lassen.

Blairs einziges Zugeständnis war das halbherzige Eingeständnis, dass seine Begründung für den Krieg völlig widerlegt worden ist. Aber selbst die Nicht-Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen wurde als ein zu vernachlässigendes Detail hingestellt: "Die Beweise, dass Saddam tatsächlich über biologische und chemische Waffen verfügte, haben sich als unzutreffend herausgestellt. Er hatte aber die Fähigkeit, welche zu entwickeln. Ich anerkenne das und akzeptiere das."

Iraks Fähigkeit, Massenvernichtungswaffen herzustellen, entspricht in etwa der Fähigkeit Blairs, die Wahrheit zu sagen. Es ist eine theoretische Möglichkeit, die noch nie in der Praxis ausprobiert wurde. Aber selbst dafür erhielt er einigen Applaus.

Blair beharrte weiter: "Das Problem ist, ich kann mich für die Informationen entschuldigen, die sich als falsch herausstellten, aber ich kann mich nicht ernsthaft für die Beseitigung Saddams entschuldigen. Die Welt ist eine bessere mit Saddam im Gefängnis statt an der Macht."

Sodann wiederholte er sämtliche Lügen, die er zur Rechtfertigung für seinen kriminellen Aggressionskrieg vorgebracht hatte - mit der einzigen Ausnahme der Massenvernichtungswaffen. In erster Linie stellte er den Irakkrieg als Teil eines internationalen Kampfs gegen den Terrorismus hin - als ob es Beweise für Verbindungen Saddam Husseins zu den Verantwortlichen für die Gräueltaten des 11. September gäbe.

Gleichzeitig kündigte er Schlimmeres für die Zukunft an. In Blairs Weltsicht ist der Irak nur Teil eines Netzwerks des "globalen Terrorismus", "mit tiefen Wurzeln in den Madrassen Pakistans, in den extremen Formen des Wahabismus in Saudi-Arabien, in den ehemaligen Ausbildungslagern von al-Qaida in Afghanistan, im Hexenkessel von Tschetschenien, in Teilen der Politik der meisten Länder des Mittleren Ostens und vieler in Asien und in der extremistischen Minderheit, die in jeder europäischen Stadt Hass auf den Westen und unsere Lebensweise predigt".

"Wenn man die Dinge so sieht, dann versteht man, dass der 11. September die Welt verändert hat; dass Bali, Beslan, Madrid und Dutzende andere Gräueltaten, die es nicht in die Nachrichten geschafft haben, Teil der selben Bedrohung sind, und dass der einzige Weg, ihr zu begegnen, darin besteht, die Herausforderung des Terrorismus anzunehmen, ihn mit Stumpf und Stiel auszureißen und unter allen Umständen zu verhindern, dass er Waffen in die Hand bekommt, mit denen er Massen töten kann, weil diese Terroristen nicht zögern würden, sie einzusetzen."

In der Woche vor dem Parteitag gab Blair mehrere Interviews, in denen er sich darüber ausließ, was künftig erforderlich sein könnte, um die terroristische Bedrohung "mit Stumpf und Stiel" auszurotten. Auf direktes Nachfragen weigerte er sich, eine Konfrontation mit dem Iran an der Seite seiner Washingtoner Verbündeten auszuschließen. Aber als Blair dann auf dem Parteitag verkündete, dass "Rettung nicht allein durch Kanonenboote", sondern letztlich nur "durch eine progressive Politik" kommen werde, erhielt er wiederum lang anhaltenden Beifall.

Und falls ihm jemand seine Lügen vorhalten sollte? Blair gab die Antwort: "Weiß ich, ob ich recht habe? Urteile sind nicht gleich Tatsachen. Instinkt ist nicht Wissenschaft. Ich bin wie jeder andere Mensch fehlbar und kann Unrecht haben. Ich weiß nur, was ich für richtig halte."

Also: wenn Blair glaubt, dass Krieg richtig ist, selbst wenn er nicht den Schatten eines Beweises für eine tatsächliche Bedrohung des britischen Volkes hat, dann wird es Krieg geben.

Irak war keineswegs das einzige Thema, zu dem Blair sein rechtes Programm klar machte, das er zu verfolgen beabsichtigt. Er betonte, dass die Angriffe seiner Regierung auf den Sozialstaat und die Privatisierungen verschärft werden sollen. Seine Schlüsselbegriffe waren: "Wir müssen modernisieren", die "traditionellen Finanzierungsmethoden" seien unzureichend, und "wir können den Herausforderungen nicht ohne den Umbau des Sozialstaats gerecht werden". Er schloss. "Mit dem Mut unserer Überzeugung können wir eine dritte Amtszeit schaffen" - und die Delegierten fügten der Gesamtzeit an stehenden Ovationen beflissen vier weitere Minuten hinzu.

Der Empfang, der Blair bereitet wurde, sagt mehr über die Labour Party aus als über den Premierminister. Wenn jemals eine Partei die Führung hatte, die sie verdient, dann ist das die britische Labour Party.

Würden die üblichen Kriterien gelten, dann hielte man Blair für eine Belastung für den Wahlkampf. Seit seiner Amtsübernahme 1997 hat sich Labours Mitgliedschaft auf ein 70-Jahre Tief von etwa 200.000 halbiert. Die Partei hat einige ihrer schlimmsten Wahlergebnisse in städtischen Zentren hinnehmen müssen, und selbst die kleinbürgerlichen Schichten, die Blair vor sieben Jahren nach 10 Downing Street wählten, haben sich seither wieder von der Partei abgewendet.

Die Unzufriedenheit ist so stark, dass Labour kaum in der Lage ist, überhaupt einen richtigen Wahlkampf vor Ort auf die Beine zu stellen. Die Mehrheit der Bevölkerung war gegen den Irakkrieg und will, dass die britischen Truppen nach Hause geholt werden. Labours Sozialpolitik hat keine Unterstützung in der Bevölkerung, und die Partei steht in jeder wichtigen Frage im Gegensatz zu ihrer traditionellen Basis, sei es in der Frage des öffentlichen Gesundheitswesens, der Bildung oder des öffentlichen Diensts.

Zudem hat sich der Premierminister als unverfrorener Lügner erwiesen, der bereit ist, sich über den Willen der Mehrheit hinwegzusetzen, um seine eigenen Ziele zu verfolgen. Aber Blair hat die Unterstützung der Wirtschaft, und das reicht in den Augen des Labour-Apparats völlig aus.

Seine Verbrechen sind auch die seiner Partei. Blairs Empfang auf dem Parteitag demonstrierte, in welchem Ausmaß Labour zu einem rechten Torso ohne Verbindung zur Arbeiterklasse, geworden ist. Die Partei regiert im Namen einer Finanzoligarchie, deren Interessen denen der großen Mehrheit der Bevölkerung diametral entgegen stehen. Der Kern ihrer Mitgliedschaft rekrutiert sich aus einer Schicht aufstrebender kleinbürgerlicher Karrierepolitiker, Apparatschiks und Gewerkschaftsfunktionäre, die alles schlucken, wenn es ihrer privilegierten Stellung nützt.

Wenn Blair von den achtzehn Jahren im politischen Abseits vor 1997 spricht und ihnen die Früchte einer weiteren Amtszeit verspricht, dann kann man förmlich sehen, wie in den Köpfen der Delegierten die Summen addiert werden. Viele liegen mit ihrem Einkommen im Bereich der oberen zwanzig Prozent der Bevölkerung, während Blairs unmittelbare Umgebung zu denen gehört, die mehr als 100.000 Pfund (145.000 Euro) verdienen.

In klassisch Orwell’schem Doppelsprech wandte sich der Premierminister direkt an die treuen Parteigänger. "Das Problem besteht selbst jetzt, nach achtzehn Jahren Opposition, gefolgt von zwei Amtszeiten an der Regierung, immer noch darin, dass wir glauben, sie [die Konservativen] seien die natürliche Regierungspartei, sie seien die herrschende Klasse und wir gehörten nicht dazu. Und das sollten wir auch nicht. Aber der Punkt ist: Großbritannien braucht heute keine herrschende Klasse mehr. Das Volk ist der Herrscher."

Übersetzt in normales Englisch soll das wohl heißen: "Wir sind an der Regierung. Wir wollen an der Regierung bleiben. Und das bedeutet, dass wir das tun, was die herrschende Klasse will, und es gleichzeitig ‚Volksherrschaft’ nennen."

Es gibt nur noch erbärmlich wenige in den ausgedünnten Reihen der Labour Party, die eine solche Aufforderung ignorieren werden.

Die nominelle "Linke" ist zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken; ihre butterweiche Opposition in Fragen wie dem Irakkrieg und der Privatisierung des öffentlichen Dienstes ist ihrer Loyalität gegenüber dem Apparat der Labour Party untergeordnet. In den kommenden Wochen und Monaten werden sie im Kampf um den Wahlsieg für Labour wie ein Mann hinter Blair stehen - und verkünden, dass das der beste Weg sei, die Interessen der arbeitenden Menschen zu verteidigen, dabei aber in Wirklichkeit ihre eigenen Interessen auf Kosten derer sichern, die von ihnen politische Führung erwarten.

Siehe auch:
Großbritannien: Gewerkschaften gründen Aktionsgruppe gegen Blair
(27. Juli 2004)
Butler-Untersuchung entlastet Blair-Regierung hinsichtlich ihrer Irakkriegslügen
( 20. Juli 2004)
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