Bochum: 25.000 demonstrieren gegen Massenentlassungen und Lohnkürzungen bei Opel

Die Protestkundgebung der Bochumer Opel-Mitarbeiter gegen die vom Mutterkonzern General Motors geplanten Massenentlastungen und Lohnkürzungen wurde zu einer der größten Demonstrationen der Stadt seit Jahren. Neben den annähernd 10.000 Arbeitern der drei Bochumer Opel-Werke versammelten sich noch Tausende weitere Arbeiter von Thyssen-Krupp-Stahl in Bochum, der Ruhrkohle AG und anderen Betrieben des Ruhrgebietes. Fast 15.000 marschierten dann vom Werkstor in die Bochumer Innenstadt zum Schauspielhaus, wo sie bereits von weiteren Tausenden zur Abschlusskundgebung erwartet wurden. Die Protestveranstaltung zählte doppelt so viele Teilnehmer wie die Organisatoren von IG Metall und Europäischem Metallergewerkschaftsbund erwartet hatten.

Viele Bochumer Bürger und Mitarbeiter der städtischen Verkehrsbetriebe Bogestra schlossen sich dem Protestzug an, Solidaritätstransparente von Einzelhändlern und kleinen Kaufleuten, "Wenn Opel-Bochum stirbt, stirbt der ganze Stadtteil", säumten die Demonstration. Neben den Gewerkschaftsfahnen waren viele Plakate gegen Hartz IV und die damit verbundenen drastischen Sozialkürzungen der rot-grünen Bundesregierung zu sehen. Auf dem Platz vor dem Schauspielhaus spielten die Blechbläser der Bochumer Symphoniker für die Demonstrierenden, das Schauspielhaus zeigte am Abend den Film "Roger & Me" von Michael Moore über die desaströsen Auswirkungen der Werkschließungen von General Motors in der amerikanischen Kleinstadt Flint.

Diese breiten Solidaritätskundgebungen mit dem spontanen Streik und der Besetzung der Werkstore durch die Opel-Arbeiter standen im krassen Gegensatz zu der von den Gewerkschaften ausgegebenen Richtung. Falls jemand erwartet hatte, dass sich die Gewerkschaftsfunktionäre auf der Kundgebung mit dem spontanen Streik im Opel-Werk identifizieren würden, sah er sich bitter enttäuscht. Mit dem Aktionstag verfolgten die Gewerkschafter nur den Zweck, Arbeiter ruhig zu stellen, um hinter den Kulissen mit den Konzernchefs über die angekündigten Sparpläne verhandeln zu können. Die IG Metall hat sich von Anfang an geweigert, die Streikaktion der Belegschaft zu unterstützen.

So sagte der IG Metall Bevollmächtigte Ludger Hinse, dass er das "ganze Gerede vom wilden Streik nicht mehr hören könne und die Gewerkschaften hier die Ordnung halten würden".

Statt einer Unterstützung für ihren Ausstand, sahen sich die Opel-Arbeiter von "ihren" Vertretern Forderungen ausgesetzt, die Arbeit in den Werken wieder aufzunehmen. Unisono erklärten der Bochumer Opel-Betriebsratsvorsitzende Dietmar Hahn, Klaus Hemmerling vom Europäischen Metallergewerkschaftsbund und Detlef Wetzel von der IG Metall Nordrhein-Westfalen, dass es besser sei zu verhandeln als auf Konfrontationskurs zu gehen und dass die Arbeiter "kühlen Kopf bewahren und wieder gute Autos bauen sollten".

Sie bezeichneten es als Erfolg, dass der Konzern nun zu Verhandlungen mit den Gewerkschaften bereit sei, und erklärten, dass die Arbeiter "unabhängig vom Ergebnis der Verhandlungen erhobenen Hauptes wieder an die Arbeit gehen könnten".

Als der Ruhrbischof Franz Grawe, der ebenso wie der Präses der evangelischen Kirche sprechen durfte und wohl geistigen Beistand leisten sollte, schließlich auch noch anmahnte, die Arbeiter sollten ihre Verweigerungshaltung aufgeben, entlud sich deren Zorn in einem gellenden Pfeifkonzert.

Das hatte zuvor auch Harald Schartau, Vorsitzender der SPD in Nordrhein-Westfalen und Wirtschaftsminister in der rot-grünen Landesregierung, über sich ergehen lassen müssen. Er verzichtete daraufhin ebenso wie die ebenfalls auf dem Podium anwesende nordrhein-westfälische Sozialministerin Birgit Fischer, ebenfalls SPD, selbst zu sprechen, so dass als einzige Politikerin die Bochumer Bürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) wenige Worte an die Arbeiter richtete.

Wie während der Demonstration bekannt wurde, haben die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Konzernleitung bereits zu ersten Ergebnissen geführt, die den Interessen der Arbeiter aufs Schärfste zuwiderlaufen. So wurde zwar vereinbart, dass es vorerst zu keinen Betriebsschließungen kommen soll und betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden sollen, dennoch haben die offiziellen Arbeitnehmervertreter "sozialverträglichen Personalanpassungen" zugestimmt. Die Gewerkschaften haben, wie auch den Redebeiträgen zu entnehmen war, dabei die Haltung der Konzernleitung übernommen, dass die Betriebe nicht wettbewerbsfähig sind. Sie setzen nun auf dem Rücken der Arbeiter alles daran, um die Opel-Werke wieder "zukunftsfähig" zu machen.

Doch den Arbeitern ist sehr wohl bewusst, was das heißt. Ehemalige Mitarbeiter von Nokia, denen gegenüber ebenfalls betriebsbedingte Kündigungen nach Verhandlungen ausgeschlossen und die dann dennoch "sozialverträglich" abgebaut wurden, sprachen unter Beifall an einem offenen Mikrofon davon, "dass das Betrug ist, auf den man sich nicht einlassen darf". Ein anderer sagte während des Protestmarsches, dass das bedeutet, sich auf massive Lohnkürzungen einzulassen. "Warum sollen wir uns überhaupt auf solch einen Kurs der Gewerkschaftsspitze einlassen, wo nur ein Standort gegen einen anderen ausgespielt wird? Den Arbeitern in Deutschland sagt man, ihr seid teurer als die Arbeiter in Südafrika und in Südafrika wird gesagt, die Deutschen sind viel produktiver und streiken viel weniger".

Darüber hinaus wurde bekannt, dass die Wortführer des Streiks bei Opel von der Konzernleitung fristlos entlassen werden sollen. Doch auch dazu hörte man kein Wort von den Gewerkschaftsfunktionären. So war es einem Arbeiter an einem offenem Mikrofon überlassen, die weit verbreitete Stimmung unter den Arbeitern auszudrücken: "Ich finde es eine Unverschämtheit, dass die Wortführer des Streiks entlassen werden sollen. Wir sollten für diese Mitarbeiter auf die Barrikaden gehen und sie unterstützen. Das darf gar nicht erst einreißen, denn jeder Mensch hat das Recht sich politisch zu äußern." Es wurde einstimmig gefordert, dass es zu keinen Maßregelungen für die Streikenden kommen darf.

In Bochum sprach die WSWS mit zwei Opel-Arbeitern aus der Auspufffertigung im Werk I. Klaus Hamm, 41 Jahre, ist dort seit 14 Jahren als Schweißer beschäftigt. Er wohnt in der Nachbarstadt Gelsenkirchen.

"Was wissen Sie über die GM-Pläne in ihrer Abteilung?

Am Donnerstag haben wir erfahren, dass auch unsere Abteilung geschlossen wird und die Aufträge an Fremdfirmen vergeben werden. Die Arbeitsplätze würden somit wegfallen. Eventuell sollen die Arbeitsplätze noch drei Jahre erhalten bleiben.

Was würde das für Sie und ihre Familie bedeuten?

Die erste Konsequenz wäre, dass wir unser Haus verkaufen müssten. Meine Kinder haben auch schon gefragt, was nun passiert. Deshalb sind sie auch hier. Unsere Existenz wäre ruiniert, wenn ich den Arbeitsplatz verlieren würde. Aber auch wenn ich meinen Arbeitsplatz behalten würde und eine Lohnkürzung in Höhe von 30 Prozent hinnehmen müsste, (wie dies von den Gewerkschaften und Betriebsräten diskutiert wird) würde mir dies nicht weiterhelfen. Das Ergebnis wäre das Gleiche: Wir würden untergehen.

Wir müssen jetzt zusehen, dass wir unsere Interessen vertreten und uns nicht spalten lassen. Letztlich entscheiden wir, die Belegschaft, ob wir die Arbeit wieder aufnehmen und wie es weiter gehen soll. Wir haben es in unserer Hand und müssen darüber abstimmen. Ich denke, wir haben alle die gleichen Interessen.

Die Gewerkschaften sprachen davon, erhobenen Hauptes zurück ins Werk zu gehen und den Streik zu beenden. Arbeiter und Unternehmer sollten "nicht gegeneinander schießen". Was halten Sie davon?

Wie gesagt: Wir entscheiden darüber selbst.

Wie ist ihre Meinung zur Haltung der Gewerkschaft und der Betriebsräte?

Die Betriebsräte vertreten noch unsere Interessen, aber von den Gewerkschaften hört man im Prinzip wenig. Das finde ich ein bisschen schwach. Es sind ja eigentlich diejenigen, die unsere Interessen zu vertreten haben. Doch darauf warte ich schon lange, dass die Gewerkschaften einmal unsere Interessen vertreten und nicht nur gegen uns handeln."

Sein Arbeitskollege Karl-Heinz Wittmann, 44 Jahre, arbeitet in der gleichen Abteilung. Er ist schon seit 25 Jahren bei Opel.

"Was denken Sie über die Aufforderungen von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement oder dem nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten Peer Steinbrück (beide SPD), die Arbeit wieder aufzunehmen und den Streik zu beenden?

Clement sagt bei jedem Interview, wir sollen wieder arbeiten. Der meint, er kennt unsere Situation, doch er kennt sie eben nicht! Er geht davon aus, wie viele andere auch, dass Opel Verluste macht. Aber das stimmt einfach nicht. Die Verluste, die Opel macht, sind die, dass GM in Detroit eine Zielvorgabe für Gewinne macht, und wir liegen im Moment ein bisschen unter der Gewinnerwartung. Und dies ist das Defizit, das wir haben. In Wirklichkeit machen wir Gewinne, nur nicht die, die GM uns vorschreibt. In Zürich (Opels Europa-Zentrale) versuchen sie dies auszugleichen, indem sie die Leute rausschmeißen. Es kann ja nicht richtig sein, dass wir für die Gewinne der Aktionäre bluten sollen.

Welche Folgen befürchten Sie im Falle eines Arbeitsplatzverlustes?

Ich befürchte für mich den Abstieg in die Arbeitslosigkeit. Dann bin ich einer von den 4,5 Millionen Arbeitslosen, die in den öffentlichen Medien genannt werden. Aber in Wirklichkeit haben wir ja mehr Arbeitslose. Und das mit 44 Jahren, wo soll ich da eine neue Arbeit finden? Es sieht schlecht aus.

Die Spirale der Arbeitslosigkeit dreht sich weiter. Wenn hier in Bochum 4.000 Leute rausgeschmissen werden, dann hängen an jedem Arbeitsplatz zwei bis drei Arbeitsplätze in der Autozuliefererindustrie. Und im Einzelhandel wird es auch weitere Arbeitslose geben. Das ist eine Spirale nach unten. Wo soll das nur enden? Da habe ich keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt. Was mache ich dann mit meiner Familie, den drei Kindern und meiner Frau? Vielleicht Schulden bis über beide Ohren?

Was halten Sie von der Politik der Gewerkschaften und Betriebsräte?

Wenig. Die weinen ja immer nur. Und ich bin da sehr misstrauisch, was die Verhandlungen angeht. Ich kenne das aus Gelsenkirchen. In den Verhandlungen bei TRW (Autozulieferer) und anderen Unternehmen sind immer faule Kompromisse ausgehandelt worden. Die Verhandlungen der Gewerkschaften und Betriebsräte sind für mich keine Perspektive. Auch der sogenannte sozialverträgliche Abbau von Arbeitsplätzen ist keine Alternative, denn meine Kinder brauchen ja auch noch Arbeitsplätze. Jeder abgebaute Arbeitsplatz fehlt der Region, dem Einzelhandel als Kaufkraft, dem Staat in Bezug auf die Steuern und meinen Kindern als Einkommen.

Wie schätzen Sie die Stimmung und die Haltung unter ihren Kollegen ein?

Die Stimmung bei den Kollegen ist gut. Die wissen auch alle, dass wir das Ding hier jetzt durchziehen müssen, bis wir eine verlässliche Garantie bis 2010 und darüber hinaus haben, und dass wir aufpassen müssen, dass uns die Betriebsräte keine faulen Kompromisse vorlegen und über unsere Köpfe hinweg entscheiden. Das wissen wir hier alle. Wir, die Belegschaft, werden darüber abstimmen, wie es weitergeht, nicht der Betriebsrat

Siehe auch:
Wütende Arbeiter, kompromissbereite Gewerkschaften - Europaweiter Aktionstag der GM-Beschäftigten
(20. Oktober 2004)
Der Kampf bei Opel wirft grundlegende politische Fragen auf
( 19. Oktober 2004)
Opel baut über 10.000 Arbeitsplätze ab
( 16. Oktober 2004)
Opel erpresst Belegschaft mit drohender Werksschließung
( 25. September 2004)
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