Große Unzufriedenheit bei US-Soldaten

Nur wenige Wochen vor den amerikanischen Wahlen verschaffen Berichte in amerikanischen Medien einen Einblick in die Unzufriedenheit, die sich unter amerikanischen Soldaten im Irak ausbreitet. Junge Soldaten, von denen viele gerade erst die Schule verlassen haben, sind äußerst empört, weil sie gegen den Willen der irakischen und amerikanischen Bevölkerung zur zeitlich unbegrenzten Unterdrückung des Landes einsetzt.

Am 10. Oktober brachte die Washington Post einen ungewöhnlichen Bericht mit der Überschrift: "Ein frustrierender Kampf für die Marines". Darin zitierte sie eine Gruppe von Soldaten aus dem ersten Bataillon des zweiten Marineregiments, das in Iskanderia stationiert ist, einer überwiegend schiitischen Stadt fünfzig Kilometer südwestlich von Bagdad. In dieser Gegend genießen der Geistliche Moqtada Al-Sadr und seine gegen die Besatzung kämpfende Mahdi-Armee und auch andere Widerstandsgruppen beträchtliche Unterstützung. Seit der Invasion haben die Kämpfe so gut wie nie aufgehört.

Die Marinesoldaten äußerten sich gegenüber der Washington Post freimütig, was es bedeutet, gegen eine irakische Guerilla zu kämpfen, die von der Bevölkerung unterstützt wird. Sie waren verärgert darüber, wie in den USA über den Krieg berichtet wird, und über die Lügen, mit denen die Invasion gerechtfertigt worden war.

Eine Lüge der Bush-Regierung hat sich auf die Moral der Soldaten besonders verheerend ausgewirkt: die Behauptung, sie würden im Irak als "Befreier" begrüßt werden. Stattdessen sind sie mit einer Zivilbevölkerung konfrontiert, die sie als Invasoren verachtet und dem bewaffneten Widerstand ständig neue Rekruten zuführt.

Artilleriekorporal Carlos Perez, 20 Jahre alt, sagte: "Manchmal sehe ich keinen Grund, warum wir hier sind... Angeblich sollen wir nach Al-Qaida suchen. Angeblich sind sie für die Angriffe vom 11. September verantwortlich. Das hier hat aber nicht das Geringste mit dem 11. September zu tun, denn dieser Krieg wurde damit begonnen, dass man uns von nuklearen Sprengköpfen erzählte, die hier lagern sollen... Ich bin erst seit zwei Monaten hier, aber jedes Mal wenn man auf die Straße geht, wird man von den Menschen schief angeschaut, und man hat das Gefühl, jeder einzelne möchte einen am liebsten erschießen."

Artilleriekorporal Edward Elston, 22 Jahre alt, sagte: "Es kommt mir so vor, als müssten wir noch jahre-, jahre-, jahrelang hier bleiben.... Ich glaube, es wird noch viel schlimmer werden. Es kommt zu so einem Zustand wie mit den Palästinensern. Unsere Anwesenheit dient dann nicht mehr dazu, für Ordnung zu sorgen, sondern wir werden eine Besatzung... Wir werden hier gar nicht mehr wegkommen."

Artilleriekorporal Jonathon Snyder, 22 Jahre alt, erklärte: "In den Staaten liest man jeden Tag die Artikel, nach denen es ‚immer besser und besser’ wird, aber wenn man hier ist, weiß man, es wird jeden Tag schlimmer."

Soldat Kyle Maio, 19 Jahre alt, sagte der Zeitung: "Hier ist wirklich die Hölle los, aber sie [die Regierung und die Medien] wollen darüber nicht offen sprechen. Sie können es nicht zugeben."

Ein wichtiger Grund für den Zorn ist die ständig wachsende Zahl von Toten und Verletzten. Es ist keineswegs so, dass mit der Zeit die Opferzahlen abnehmen; im Gegenteil wurden im August und September mehr Amerikaner getötet als während der eigentlichen Invasion. Von den 1.100 Marinesoldaten dieses Bataillons wurden seit ihrer Ankunft im Irak am 28. Juli vier Soldaten getötet und 102 verletzt, das sind zehn Prozent der Mannschaft. Seit März 2003 wurden im Irak mindestens 1.084 US-Soldaten getötet und 7.532 verletzt. Mindestens 160 von ihnen wurden Gliedmaße amputiert, während mindestens 200 ihr Augenlicht ganz oder teilweise verloren. Man geht davon aus, dass neben den im Gefecht Verletzten weitere 15.000 amerikanische Soldaten aus Gründen, die nicht direkt mit Kampfhandlungen zu tun haben, aus dem Irak evakuiert wurden, unter ihnen 1.500 mit psychischen Problemen. Außerdem gibt es bestätigte Berichte, dass Soldaten an den Nebenwirkungen des Kontakts mit abgereichertem Uran leiden.

Einer der Soldaten, die tagtäglich Tod, Verletzung und Verstrahlung ins Auge blicken, beantwortete die Frage der Washington Post, ob sie nicht fürchteten, für ihre offenen Worte bestraft zu werden, voller Verachtung: "Das ist uns scheißegal. Was sollen sie denn mit uns tun? Uns in den Irak schicken?"

Weitere Marines und Armeeangehörige schilderten der Zeitung Christian Science Monitor in einem Artikel vom 21. September die schreckliche Situation im Irak.

Ein Soldat, der in Nadschaf kämpft, berichtete: "Neun von zehn Leuten, die ich kenne, würden jedem ihre Stimme geben, der gegen Bush kandidiert, egal wer es ist. Die Leute haben dermaßen die Schnauze voll vom Irak und von Bush." Ein anderer sagte: "Keiner, den ich kenne, will Bush. Dieser ganze Krieg war auf Lügen aufgebaut."

Ein Marinesoldat erklärte: "Wir dürften hier gar nicht sein. Es gab von Anfang an keinen Grund dafür, dieses Land zu überfallen. Wir sind einfach hergekommen und haben viele Unschuldige getötet. Ich habe wirklich keine Lust, Frauen und Kinder zu töten. Das ist nichts für mich."

Viele Soldaten und Marines haben Michael Moores Fahrenheit 9/11 gesehen und diskutieren darüber. Ein Marinesoldat sagte dem Monitor : "Jeder schaut es sich an. Das prägt bei vielen das Bild, das sie sich von Bush machen." Ein anderer erklärte: "Bush wollte Bin Laden gar nicht angreifen, weil er Geschäfte mit Bin Ladens Familie machte."

Das neuste Buch von Moore, Will They Ever Trust Again, enthält viele Briefe und e-mails von Soldaten, die die Bush-Regierung anklagen und über die Grausamkeiten berichten, die sie auf Befehl gegen die irakische Bevölkerung verüben mussten.

Es wird geschätzt, dass allein in der Zeit vom 20. März 2003 bis Ende Oktober 2003 37.000 Zivilisten getötet wurden. Das von den USA eingerichtete irakische Gesundheitsministerium schätzt, dass in diesem Jahr von April bis September 3.487 Iraker getötet und 13.720 verletzt wurden; zwei Drittel von ihnen wurden Opfer der US-geführten Besatzungskräfte.

Nicht weniger als 350.000 amerikanische Militärangehörige haben seit dem 20. März 2003 im Irak gedient. Organisationen von Irak-Veteranen und Soldatenfamilien gegen den Irakkrieg schießen wie Pilze aus dem Boden.

Mike Hoffman, ein ehemaliger Artilleriesoldat der Marine, der im Irak gekämpft hat, nahm im August 2003 seinen Abschied aus der Armee, und war im Juli diesen Jahres einer der Mitbegründer von Iraq Veterans Against the War [www.ivaw.net]. In der jüngsten Ausgabe von Mother Jones wird er mit den Worten zitiert: "Die Begründung für den Krieg war falsch. Es waren Lügen. Es gab dort keine Massenvernichtungswaffen. Es gab keine Al-Qaida. Und es war klar, dass wir den Leuten die Demokratie nicht mit Waffengewalt aufzwingen können.... Man merkt, dass die Leute, gegen die wir kämpfen, gar nicht die Schuldigen sind. Das sind in erster Linie diejenigen, die uns in diese Situation gebracht haben. Man merkt, dass wir niemals in diese Lage gekommen wären, wenn man uns nicht belogen hätte. Diese Erkenntnis setzt sich unter den Soldaten langsam durch. Wenn sie sich einmal ausgebreitet hat, wird die Unzufriedenheit mit dem Krieg noch viel größer werden."

Es gibt enge Verbindungen zwischen der IVAW und andern Organisationen wie Bring Them Home Now! [www.bringthemhomenow.com] oder der Military Families Speak Out [www.mfso.org], einem Netz von etwa 1.700 Soldatenfamilien, darunter vielen, deren Angehörige in Afghanistan oder dem Irak getötet wurden. Sie unterhalten auch enge Beziehungen zu den Anti-Irakkriegs-Gruppen und den Veteranenverbänden aus dem 1. Golfkrieg von 1991, die immer noch nach Erklärungen für die Krankheiten suchen, unter denen Zehntausende ehemalige US-Soldaten seither leiden.

Unter den Veteranen und Soldatenfamilien ist die Auffassung weit verbreitet, dass die illegale Besetzung des Irak sofort abgebrochen werden muss. Die IVAW sehen die Aufgabe nach eigener Aussage darin, "durch den sofortigen Rückzug aller Besatzungskräfte Leben zu retten und die Gewalt im Irak zu beenden. Wir glauben auch, dass die Regierungen, die für diese Kriege verantwortlich sind, in der Schuld der Männer und Frauen stehen, die sie zum Kämpfen gezwungen haben, und dass sie ihren Soldaten, Marinesoldaten, Matrosen und Kampfpiloten alle Sozialleistungen zuerkennen müssen, die ihnen nach ihrer Rückkehr nach Hause zustehen."

Dadurch geraten sie automatisch in Opposition zur Bush-Regierung, aber auch zur Demokratischen Partei und ihrem Präsidentschaftskandidaten John Kerry, der wiederholt erklärt hat, dass eine Regierung unter seiner Führung die Irak-Besetzung fortsetzen wird. In der ersten Präsidentschaftsdebatte betonte Kerry: "Ich spreche nicht darüber, [den Irak] zu verlassen. Ich spreche darüber, zu gewinnen."

Armeeangehörige, Soldatenfamilien und Veteranen, die gegen den Krieg sind, sollten die Wahlplattform der Socialist Equality Party (SEP) ernsthaft studieren und bei diesen Wahlen 2004 den Wahlkampf der SEP unterstützen. Die SEP und ihre Präsidentschafts-, Vizepräsidentschafts- und Kongress-Kandidaten sind die Einzigen, die für sie sprechen.

Nur die SEP hat bei diesen Wahlen die Forderung nach einem unverzüglichen und bedingungslosen Rückzug aller amerikanischen und ausländischen Truppen aus dem Irak gestellt und fordert die Bestrafung der Bush-Regierung für ihre Kriegsverbrechen. Vor allem besteht das Ziel des SEP-Wahlkampfs darin, die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse herzustellen und die sozialistische Massenpartei aufzubauen, die nötig ist, um die Ursachen von Militarismus und Kolonialismus zu überwinden.

So heißt es in der Wahlplattform der SEP: "Eine grundlegende und progressive Wende in der amerikanischen Politik erfordert nicht nur ein Auswechseln des Regierungspersonals, sondern eine soziale Revolution, die Schluss macht damit, dass die Konzerninteressen, der ungeheure private Reichtum und das Profitsystem selbst über die amerikanische Bevölkerung herrschen."

Siehe auch:
Bericht über irakische Massenvernichtungswaffen: Bush und Demokraten der Lüge überführt
(13. Oktober 2004)
Loading