Proteste ethnischer Gruppen verschärfen die Lage im Osten Sri Lankas

Eine Protestwelle im Osten Sri Lankas hat die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen in der Provinz und auf der ganzen Insel verschärft und den brüchigen Waffenstillstand, der im Februar 2002 zwischen der Regierung in Colombo und den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) geschlossen worden war, weiter untergraben.

Die North East Sinhala Organisation (NESO), eine singhalesisch-chauvinistische Gruppe, die ihre Basis in der Ostprovinz hat, sorgte am Mittwoch den 13. Oktober mit einem Hartal oder Generalstreik der Arbeiter und kleinen Ladeninhaber praktisch für die Lahmlegung der Hafenstadt Trincomalee.

In Chinabay, neun Kilometer außerhalb von Trincomalee, bauten NESO-Sympathisanten Straßensperren auf, um den Verkehr zu unterbrechen und besonders die Versorgung mit Treibstoff und Mehl aus der Ceylon Petroleum Corporation und der Prima Flour Mühle zu unterbinden. Buddhistische Mönche spielten bei diesen Blockaden eine führende Rolle. In mehreren Stadtvierteln von Trincomalee schlossen die Läden und öffentlichen Ämter, weil die meisten Arbeiter nicht in der Lage waren, zur Arbeit zu gelangen.

Nicht weniger als 10.000 Soldaten und Polizisten wurden in der Stadt Trincomalee und der umliegenden Gegend mobilisiert. Die Sicherheitskräfte räumten trotz der Proteste der Mönche und anderer NESO-Unterstützer die Barrikaden weg und winkten die Laster mit Treibstoff und Mehl durch. Die NESO warnte die Regierung, sie werde weitere Aktionen ergreifen, wenn man ihre Forderungen nicht in fünf Tagen erfülle.

Der unmittelbare Vorwand für die Protestaktionen war die Verhaftung zweier Milizionäre, D. Sarath Bandara und Chandana Piyasiri, die im August von der LTTE festgenommen worden waren. Die zwei wurden in Gomarankadawela, einem entfernten Dorf der Region Trincomalee, mit fünf singhalesischen Zivilisten zusammen verhaftet. Die LTTE ließ alle wieder frei bis auf die zwei Milizionäre, die als bewaffnete Hilfskräfte der Armee dienten.

Die NESO stürzte sich sofort auf das Thema, um gegen die LTTE zu agitieren, und forderte die Freilassung der Verhafteten. Sie organisierte am 23. August eine Kundgebung und im September zwei Hartals. NESO-Sympathisanten traten zusammen mit Familienangehörigen und Verwandten der zwei Männer in einen Hungerstreik, der noch andauert. Anfang Oktober hielt das von der LTTE unterstützte Trincomalee Tamil People Forum (TTPF) einen Gegenprotest ab, der die explosive Situation weiter anheizte.

Der Konflikt spitzte sich zu, als die NESO das Ultimatum für die Freilassung der zwei Milizionäre bekannt gab. Die LTTE behauptet, die Männer innerhalb des von ihr kontrollierten Gebiets festgenommen zu haben, und will sie nur freilassen, wenn im Gegenzug zehn ihrer Mitglieder, die von der Regierung gefangengehalten werden, ebenfalls freigelassen werden. Präsidentin Chandrika Kumaratunga und die regierende United Peoples Freedom Alliance (UPFA) befürchten, man könnte ihnen Nachgiebigkeit gegenüber der LTTE vorwerfen, und weigern sich bis heute, auf den Vorschlag einzugehen.

Kumaratunga hat schon zweimal hochrangige Verhandlungsführer nach Trincomalee geschickt, die sich mit der NESO treffen sollten, um einen Kompromiss zu finden, was aber in beiden Fällen scheiterte. In einem schlecht verhüllten Versuch, der Forderung der LTTE nachzukommen, ordnete das Berufungsgericht diese Woche die Freilassung der zehn LTTE-Gefangenen an. Trotz einiger Verzögerungen wurden die zehn Männer schließlich freigelassen und der LTTE überstellt. Die LTTE hat jedoch noch nicht erkennen lassen, ob sie die zwei Milizmänner freilassen wird.

Die NESO und andere singhalesisch-extremistische Organisationen benutzen die Verhaftung der zwei Milizionäre als Vorwand, um gegen den Versuch von Frau Kumaratunga zu agitieren, die Friedensgespräche mit der LTTE wieder aufzunehmen. Diese Parteien und Gruppen betrachten jede Konzession an die LTTE - insbesondere jedes Nachgeben gegenüber ihrer Forderung nach Verhandlungen über eine autonome Interimsregierung ISGA (Interim Self-Governing Administration) im Norden und Osten - als Verrat an der singhalesischen Mehrheit des Landes.

Die NESO wurde 1996 mitten im erbitterten Bürgerkrieg gegründet und wird von singhalesischen Geschäftsleuten, Regierungsbeamten, einem Teil der Armee und der buddhistischen Geistlichkeit unterstützt. Diese Schichten betrachten die LTTE als Bedrohung ihrer materiellen Interessen und lehnen jeden Schritt zu einer Aufhebung der Diskriminierung von Tamilen und Muslimen in der Region ab. Sie sind gegen die autonome Interimsregierung ISGA, die der LTTE die Vorherrschaft über den Norden und Osten zugestehen würde. Die LTTE ihrerseits klammert sich verzweifelt an die ungewählte ISGA, um ihrer schwindenden Unterstützung entgegenzuwirken. Sie würde selbst eine ISGA in eingeschränkter Form akzeptieren.

Die reaktionären Perspektiven der NESO wurden auf einer Versammlung in Colombo am 5. Oktober deutlich. Der Koordinationssekretär der Organisation, Sunil Aluthgamage, erklärte der Versammlung: "Wir müssen die singhalesische Nation vereinen, um den Tiger-Terrorismus in diesem Land auszumerzen." In einer Broschüre mit dem Titel "Der Weg des tamilischen Nationalismus und die Aufgaben des singhalesischen Volkes" stellt er sich offen auf die Seite hoher Militärs, die den Zivilregierungen die Schuld an den Niederlagen der Armee zuschieben. "Wann immer die LTTE geschwächt war, stoppten diese Leute den Krieg und zogen die srilankische Armee in die Kasernen zurück", erklärt er.

Regierungskrise

Die NESO-Kampagne hat die Krise der Kumaratunga-Regierung weiter verschärft. Bis zu den Wahlen im April hatte Kumaratunga gemeinsam mit der Armee und der singhalesisch-chauvinistischen Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) mit ähnlichen Vorwürfen gegen die Regierung der United National Front (UNF) gekämpft. Sie beschuldigte die UNF, das Land in den Friedensgesprächen mit der LTTE auszuverkaufen und die nationale Sicherheit zu untergraben. Die Präsidentin brandmarkte die geplante ISGA als Mittel, das Land zu spalten und die alte Forderung der LTTE nach einem separaten Tamilenstaat im Norden und Osten zu erfüllen.

Nachdem sie im Februar die UNF-Regierung auf undemokratische Weise aufgelöst hatte, schloss Kumaratungas Sri Lanka Freedom Party (SLFP) eine Koalition mit der JVP sowie mehreren kleineren Parteien, die UPFA. Diese Koalition bildete nach den Wahlen im April eine Minderheitsregierung. Sobald ihre Partei selbst die Regierung stellte, geriet die Präsidentin jedoch sofort von Seiten der Wirtschaft unter Druck, die Friedensgespräche mit der LTTE wieder aufzunehmen. Ihre Kehrtwende führte zu scharfen Spaltungen innerhalb der UPFA, so dass sich führende Militärs distanzierten und Organisationen wie die NESO ihren Widerstand erklärten.

Die JVP geriet in eine Sackgasse: Zum erstenmal an der Regierung, war sie damit konfrontiert, dass andere singhalesische Extremistenorganisationen sie rechts überholten. Die JVP-Führer drohten damit, die UPFA zu verlassen und die Regierung zum Scheitern zu bringen, wenn Kumaratunga der LTTE-Forderung nachgäbe, über die ISGA zu verhandeln.

Im Verlauf der NESO-Kampagne wegen der Milizmänner war die JVP zur Reaktion gezwungen. Am 21. September versuchte JVP-Führer Wimal Weerawansa im Parlament, die Schuld auf die UNF abzuwälzen. Er sagte: "Das Waffenstillstandsabkommen zwischen Ranil Wickremesinghe und der LTTE hat diese in die Lage versetzt, ungestraft solche Missetaten zu verüben."

Eine Rivalin der JVP, die rechte Jathika Hela Urumaya (JHU), sandte Ende letzten Monats eine Abordnung nach Trincomalee, um die Solidarität der Partei mit der NESO-Kampagne zu bekunden. JHU-Führer Ellawala Medhananda Thera, ein Buddhistenmönch und Abgeordneter, führte die Delegation an. Er wandte sich gegen jeden Gefangenenaustausch und beschimpfte die Regierung, sie sei in ihren Verhandlungen mit der LTTE ohne Rückgrat.

Am 14. Oktober hielt die JVP ihre eigene Protestaktion in Trincomalee ab, aber es gelang ihr nicht, große Unterstützung zu mobilisieren. Die NESO reagierte mit Verachtung. Aluthgamage, ein NESO-Organisator, beschuldigte die JVP, die Sache "für billige politische Zwecke" zu benutzen, nachdem sie zuvor die Kampagne nicht unterstützt habe. Ohne Zweifel wird die JVP auf jeden Versuch reagieren, in ihrem politischen Revier zu wildern, indem sie ihre eigenen demagogischen Angriffe auf den "Friedensprozess" verstärkt - was eine Spaltung innerhalb der UPFA noch wahrscheinlicher macht.

Ein gefährliches politisches Gebräu

Die ethnisch orientierte Politik der tamilischen, singhalesischen und muslimischen Eliten hat die Ostprovinz erneut in ein politisches Pulverfass verwandelt. Neben der NESO-Kampagne gibt es Proteste muslimischer Organisationen gegen die LTTE und blutige Zusammenstöße zwischen der LTTE und einer Abspaltung unter Führung von V. Muralitharan alias Karuna, ihres früheren Militärkommandanten für den Osten.

Letzte Woche organisierten Muslime in Akkaraipattu und Tirukkovil einen Hartal, weil die LTTE sich angeblich in ihre Landwirtschaft in dem nahegelegenen Dorf Vattamadu einmische. Protestierende griffen Läden von Tamilen an. Tamilen beschuldigten die Polizei, sie habe nur danebengestanden und nichts getan, um die Zerstörungen zu stoppen. Die Verbitterung der Muslime gegenüber der LTTE datiert noch von 1990, als die LTTE die muslimische Bevölkerung gewaltsam aus der Jaffna-Halbinsel hinausdrängte und sie beschuldigte, Spione der Armee zu sein. Mehrere Regierungen in Colombo und die Armee haben immer wieder dazu beigetragen, die Spannungen zwischen Muslimen und Tamilen anzuheizen.

Seit dem Waffenstillstand von 2002 haben der Sri Lanka Muslim Congress (SLMC) und andere muslimische Gruppen ebenfalls Konflikte zwischen ethnischen Gruppen geschürt, um sich eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen, auf ein Abkommen zwischen Colombo und der LTTE Einfluss zu nehmen. Es gab eine Reihe von Protesten gegen die LTTE - über Landkonflikte wie in Vattamadu oder gegen die von der LTTE erhobenen Steuern.

Der Konflikt zwischen der LTTE und der Karuna-Fraktion hat in der Ostprovinz bereits eine hochbrisante Lage geschaffen. Karuna hatte sich im März von der LTTE getrennt und versucht, Spannungen zwischen "Ost"-Tamilen und "Nord"-Tamilen zu schüren. Er beschuldigte die "Nord"-LTTE-Führung, Machtpositionen und Ressourcen zum Nachteil der "Ost"-LTTE zu monopolisieren.

Nach den Wahlen vom April ging die LTTE dazu über, den Aufstand niederzuschlagen, und schickte Hunderte Kämpfer in den Osten. Karuna löste seine Organisation auf und floh nach Colombo, aber es kam auch weiter zu fraktionellen Kämpfen und Morden. Die LTTE beschuldigte die Armee, die Karuna-Gruppe zu unterstützen. Obwohl die Armee diese Anschuldigungen zurückweist, sind Beweise dafür aufgetaucht, dass Karuna und mehrere seiner Mitarbeiter in Colombo vom militärischen Geheimdienst beherbergt wurden.

Die Machenschaften der srilankischen Armee im Osten drohen den Waffenstillstand zu unterhöhlen und das Land in den Krieg zurückzustoßen. Die LTTE kann es sich nicht leisten, die Kontrolle über den Osten zu verlieren oder die Erstarkung eines Rivalen zuzulassen, der ihren Anspruch in Frage stellt, "die einzige Vertretung" des tamilischen Volkes zu sein. Gleichzeitig betrachtet das Militär, unterstützt von militaristisch gesinnten Schichten der herrschenden Elite in Colombo, die Spaltung als ideale Gelegenheit, die LTTE dauerhaft zu schwächen und zu zerstören.

Die Fraktionskämpfe halten unvermindert an.

· Am 7. September griff die Karuna-Gruppe einen LTTE-Checkpoint bei Pullimalai an, 65 km von Batticaloa entfernt. Acht von zwölf Kämpfern der LTTE wurden bei dem Überfall getötet und zwei weitere verwundet, sowie beträchtliche Mengen Munition erbeutet. Die LTTE behauptete, die Angreifer seien aus einem nahegelegenen Armeelager gekommen.

· Am 23. September tötete die LTTE Karunas Bruder V. Sivanesathurai (Reggie) in Annadmali in einem von der LTTE kontrollierten Gebiet der Region Batticaloa. Den Medien in Colombo zufolge war Reggie nach Karunas Flucht aus dem Gebiet der wichtigste militärische Führer der Fraktion.

· Am 28. September wurde das Dorf Panichchankerni, 42 km von Batticaloa entfernt, von einem Raketenangriff getroffen, bei dem eine Frau getötet und eine weitere verletzt wurde. Die LTTE behauptete, die Granate sei aus der Richtung eines Armeelagers in der Gegend gekommen, und beschuldigte erneut die Armee, Karunas Kämpfer zu schützen.

· Am 11. Oktober tötete die LTTE zwei Kämpfer der Karuna-Gruppe in Nagastenne, einem Dorf 68 km von Batticaloa entfernt, und verwundete sechs weitere. Die srilankische Armee transportierte die Verwundeten aus dem Krankenhaus der Polonnaruwa-Kaserne nach Colombo.

Alles in allem haben ethische Proteste, militärischen Intrigen und Fraktionskämpfe im Osten ein gefährliches politisches Gebräu entstehen lassen, das das Potential für den erneuten Ausbruch des blutigen Bürgerkriegs beinhaltet, der in den vergangenen zwanzig Jahren schon mehr als 60.000 Opfer gefordert hat.

Siehe auch:
Sri Lanka steht wieder am Rande des Krieges
(26. August 2004)
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