Sudan: Warum Powell die Gewalt in Darfur "Völkermord" nennt

Als US-Außenminister Colin Powell letzte Woche erklärte, dass in Darfur ein "Völkermord stattfindet und die Regierung des Sudan und die Janjaweed dafür Verantwortung tragen", war das ein Signal dafür, dass der amerikanische Imperialismus seine Bemühungen um eine Vormachtstellung auf dem afrikanischen Kontinent massiv verstärkt.

Powells Bezeichnung der Ereignisse in Darfur als "Völkermord", die auch schon der US-Kongress benutzt hatte, entspricht seiner üblichen humanitären Pose, mit der er Washingtons Bestrebungen nach globaler Vorherrschaft bemänteln will.

Das Schicksal der Menschen in Darfur spielt bei der Reaktion der Bush-Regierung auf die kriminellen Machenschaften der sudanesischen Regierung keine Rolle. Wie Saddam Hussein in Irak wird das Regime in Khartum aus geopolitischen und nicht moralischen Gründen ins Visier genommen. Wieder einmal geht es um die Frage, wer bedeutende Ölreserven kontrolliert.

Powell ist ein Meister darin, die wirklichen Motive Amerikas mit Lügen und moralischen Ergüssen zu verdecken. Er spielte eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung der mittlerweile diskreditierten Behauptung, Irak besitze Massenvernichtungswaffen und unterhalte Verbindungen zu Al Qaeda. Sie diente als Begründung für einen Krieg, mit dem langgehegte Pläne zur Vorherrschaft über den Mittleren Osten umgesetzt werden sollten. Für seine unrühmliche Rede, mit der er vor der UNO die US-Invasion im Irak rechtfertigte, wird er in die Geschichte eingehen.

Seine gegenwärtige Behauptung, die sudanesische Regierung begehe Völkermord, ist ein ebenso zynischer politischer Betrug. Ohne Zweifel verübt oder unterstützt Khartum in Darfur brutale Unterdrückungsmaßnahmen. Aber wie bei den früheren Vergleiche zwischen Saddam Hussein und Hitler oder bei der Dämonisierung von Slobodan Milosevic dienen Übertreibung und Heuchelei dazu, mit der Forderung, "es muss sofort etwas getan werden", jeden kritischen Gedanken daran auszuschalten, was denn eigentlich getan werden soll. Und so stehen wir erneut vor einer imperialistisch motivierten Militärintervention, die im Gewande der humanitären Hilfe daher kommt.

Niemand sollte die barbarischen Maßnahmen der sudanesischen Regierung herunterspielen, aber man sollte sein Entsetzen darüber auch nicht von Washington manipulieren lassen. In Darfur sind schätzungsweise eine Million Menschen geflüchtet und 50.000 getötet worden. Das stellt eine humanitäre Katastrophe dar. Es rechtfertigt aber keinen Vergleich mit den Ereignissen in Ruanda 1994, die jetzt immer wieder als Beleg für den Begriff Völkermord herhalten sollen. Die Janjaweed haben keine breiten Schichten der Bevölkerung zur Teilnahme an ethnischen Massakern mobilisiert, wie das Hutu-Regime in Ruanda. Zwar gibt es aus der Zeit des britischen Kolonialismus eine Erbschaft afrikanisch-arabischer Spannungen. Aber die Stammesverbindungen sind ein komplexes Gemisch und die Bevölkerung ist über ein großes Gebiet verstreut, wo es praktisch keine Regierung und keinen Staatsapparat gibt, ganz zu schweigen von einer reaktionären Massenbewegung.

Powell stützte seine Behauptung des Völkermords auf die Ergebnisse einer Untersuchung, die das US-Außenministerium in Flüchtlingslagern im benachbarten Tschad vorgenommen hatte. Diese Ergebnisse waren jedoch alles andere als neu: regierungsnahe Milizen, die sich selbst "Araber" nennen, haben die Bevölkerung von Darfur angegriffen, gemordet, vergewaltigt und aus ihren Dörfern vertrieben. Diese Operationen finden seit über einem Jahr statt. Die sudanesische Regierung geht auf diese Art und Weise gegen die beiden wichtigsten Rebellenorganisationen in Darfur vor.

Sie setzt diese Methode schon seit geraumer Zeit gegen ihre Gegner ein, in den letzten Jahren besonders in den südlichen Ölregionen des Landes. Trotz Protesten von Menschenrechtsorganisationen haben die USA bereitwillig beide Augen zugedrückt und Friedensverhandlungen zwischen der Regierung Sudans und den Rebellengruppen aus dem Süden vermittelt. Die Rebellengruppen in Darfur sollen ihre Operationen letztes Jahr auch deshalb verstärkt haben, weil sie sich von den Konzessionen ermutigt fühlten, die die Regierung auf amerikanischen Druck hin an die Organisationen im Süden machte. Diese fordern Autonomie und einen Anteil an den Öleinnahmen.

Die USA erhöhen jetzt den Druck auf Sudan, um ein Mittel gegen ihre internationalen Rivalen in der Hand zu haben. Washington fordert, dass die UNO Sanktionen gegen die Ölexporte Sudans verhängt. Gegenwärtig sind das 320.000 Barrel pro Tag. Das würde China und Pakistan treffen, die zu den größten Abnehmern von sudanesischem Öl gehören und die Forderung nach Sanktionen im UNO-Sicherheitsrat bisher ablehnen. Man muss hier betonen, dass Öl die Haupteinnahmequelle des Sudan ist und solche Sanktionen deshalb verheerende Folgen auf ein bereits bitterarmes Land haben würden, ähnlich wie im Irak.

Die USA versucht auch, Druck auf die anderen westlichen Länder auszuüben, eine Eingreiftruppe der Afrikanischen Union (AU) für Darfur zu finanzieren. Bisher sind nur 300 Soldaten geschickt worden, es wird aber eine Zahl von einigen Tausend gehandelt. "Afrikanisch" wird eine solche Truppe nur der äußeren Erscheinung nach sein, die Befehlsgewalt wird letztlich von den USA ausgehen. Vor Studenten der Universität Georgetown erklärte Powell, wie die Taktik funktioniert, die sudanesische Regierung mit Hilfe der AU-Truppe unter Druck zu setzen. "Wir werden ihnen [der sudanesischen Regierung] mit den Friedenstruppen der Afrikanischen Union helfen. Es gibt da etwas amerikanisches Militärpersonal, die mit den Beobachtern arbeiten". Auf den Charakter und die Rolle dieses Personals ging er nicht näher ein, vermutlich handelt es sich um so genannte "Spezialkräfte".

Powell kann sich trotz der kriminellen US-Besatzung des Irak im Sudan als humanitärer Befreier aufspielen, weil die Medien ihn sklavisch und unkritisch unterstützen. Fast täglich erscheinen moralinsaure Leitartikel und Kommentare, die sich in Händeringen über das Schicksal der Bevölkerung in Darfur ergehen, sich über die Unfähigkeit der UNO entrüsten, eine Interventionstruppe zusammenzustellen, und die USA auffordern, härtere Maßnahmen zu ergreifen.

Die von den "Maßnahmen" der US-Regierung verursachten Toten in Irak, Afghanistan und anderswo werden nicht einmal erwähnt, obwohl dagegen die Tötungsaktionen der sudanesischen Regierung verblassen. Auch die Interessen amerikanischer Ölkonzerne im Sudan werden nicht erwähnt, obwohl sie der Hauptgrund für die Verhandlungen der USA mit der sudanesischen Regierung in den letzten vier Jahren gewesen sind.

Die Washington Post beispielsweise erklärte am 13. September, dass man Powell "für seine Ehrlichkeit loben sollte", weil er Sudan des Völkermords bezichtigt hatte. Man solle Powells Forderung unterstützen, eine "große, neutrale Streitkraft zum Schutz der Zivilbevölkerung nach Darfur zu entsenden". Natürlich legte die Zeitung nicht dar, wie diese Truppe der Afrikanischen Union neutral sein kann, wenn das US-Militär sich daran beteiligt und die USA und andere westliche Länder sie finanzieren.

Sudan ist auch zu einem Thema der Präsidentschaftswahlen geworden. John Kerry erklärte gegenüber der National Baptist Convention, dass die USA "sicherstellen sollten, dass sofort eine effektive internationale Truppe stationiert wird", und dass er, wenn er Präsident wäre, "jetzt handeln" und nicht "tatenlos zusehen" würde.

Die USA nutzen die Gelegenheit, die führende Rolle im Sudan zu übernehmen, weil die europäischen Länder offensichtlich unschlüssig sind. Die Erkundungsmission der Europäischen Union in Darfur gelangte bezeichnenderweise nicht zum Schluss, dass die Gräueltaten der sudanesischen Regierung einem Völkermord gleichkommen. Da der Begriff praktisch gleichbedeutend mit einer westlichen Miltärintervention ist, muss man annehmen, dass die EU sich nicht auf den USA-AU-Ansatz einigen kann. Nach der ursprünglichen Bereitschaft von Großbritannien, eigene Truppen zu entsenden, und der Stationierung französischer Truppen im Tschad an der Grenze zum Sudan, scheinen sie nicht weiter gekommen zu sein.

Laut der Website Stratfor.com kann die EU sich nicht einmal darüber einigen, Sanktionen gegen Sudans Ölindustrie zu verhängen - Großbritannien und Deutschland seien dafür, Frankreich mit Vorbehalten ebenfalls, Italien, Spanien und Griechenland aber angeblich dagegen. "Der Fall Sudan ist ein Beweis dafür, wie unfähig die EU ist, eine gemeinsame, in sich stimmige Außenpolitik zu entwickeln", kommentiert Stratfor und weist auf die großen Differenzen zwischen den nun 25 Mitgliedsländern hin.

Am 16. September verabschiedete das Europaparlament eine Resolution, die den UNO-Sicherheitsrat auffordert, ein Waffenembargo und andere Sanktionen gegen Sudan in Erwägung zu ziehen. Sie betont die Notwendigkeit von Dialog und Verhandlung anstelle von militärischer Intervention, erklärte aber auch, die Ereignisse in Darfur kämen "einem Völkermord gleich". Die Resolution bindet die EU nicht, macht aber deutlich, wie sehr die USA die Richtung vorgeben können.

Ein Nebenprodukt von Powells Völkermordvorwurf ist der Zusammenbruch der Verhandlungen zwischen der sudanesischen Regierung und den Rebellengruppen von Darfur. Während eine dieser Gruppen, die Sudanesische Befreiungsbewegung, erklärte, sie sei noch nicht zu einer eindeutigen Entscheidung gelangt, sagte die andere, die Gerechtigkeits- und Gleichheitsbewegung, dass die Verhandlungen gescheitert seien. Die Rebellengruppen, die natürlich sehen, dass UNO-Sanktionen und eine verstärkte Intervention der AU die sudanesische Regierung schwächen werden, haben kein Interesse, ihre Militäroperationen zu stoppen.

Der vernichtendste Beleg gegen die humanitäre Pose der USA und der westlichen Länder ist der ständige Mangel an Nahrung und medizinischer Hilfe für die etwa eine Million Flüchtlinge in der Region Darfur. Am selben Tag, als der oben zitierte Leitartikel erschien, veröffentlichte die Washington Post einen Bericht, der behauptet, die Sicherheitslage sei zwar nicht verbessert worden, aber die Aufmerksamkeit der Medien habe dazu beigetragen, "dass die Regierungen die Hungernden versorgen". Die Aufmerksamkeit von Politikern und Medien "hat die Regierungen zu einem Vorgehen veranlasst, das die perverse Wirkung hat, den politischen Druck, das Töten zu stoppen und die Flüchtlinge heimzubringen, zu mindern", so der Artikel. Diese angebliche übertriebene Großzügigkeit der westlichen Länder ist allerdings ein Mythos.

Obwohl nur eine relativ kleine Geldsumme gebraucht würde, um der Bevölkerung angemessene Hilfe zu leisten, ist solche humanitäre Hilfe nicht erfolgt. In einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) heißt es, dass jeden Monat 6.000 bis 10.000 der in Darfur geflüchteten Kinder sterben. "Tausende, darunter Tausende von Kindern unter fünf Jahren, sterben jeden Monat an Krankheiten, die leicht zu behandeln und zu impfen sind", erklärte der Vize-Generaldirektor der WHO. Der Bericht gibt an, dass nur 15 Prozent aller Todesfälle auf "Verletzungen und Gewalt" zurückzuführen sind, wogegen Diarrhö die Hauptursache sei, gefolgt von Fieber und Lungenentzündung.

"Die Kombination von überfüllten Sammellagern, Knappheit an sauberem Trinkwasser, inadäquaten Latrinen, ungenügender Seife und dem Morast, der sich durch die Vermengung von regennassem Schlamm mit Exkrementen gebildet hat, lässt Hygiene für Menschen in mit Planen gedeckten Hütten unmöglich werden", heißt es in dem Bericht.

Die WHO fand heraus, dass die Hälfte bis drei Viertel der Sterbefälle von Kindern unter Fünf mit Diarrhö zusammenhängen. Von Reportern befragt, ob die Sterberaten mit dem "Völkermord" zusammenhingen, weigerte sich der WHO-Funktionär David Nabarro, bei der Kampagne mitzumachen. "Wir können nicht sagen, dass dies mit irgend einer Art von systematischer Gewalt zusammenhängt", erklärte er.

Natürlich werden solche Fakten die Herangehensweise der US-Medien nicht ändern, und sie werden weiterhin die Notwendigkeit einer "humanitären" Militärintervention herbeischreiben.

Siehe auch:
An exchange on the crisis in Sudan’s western Darfur region
(30 August 2004)
An exchange on Sudan’s Darfur conflict
( 11 September 2004)
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