Frankreich: Regierung ermutigt Angriffe auf Arbeiter

In den vergangenen Wochen haben mehrere französische Unternehmen die Arbeitsplätze und Lebensbedingungen ihrer Arbeiter scharf angegriffen. Einige, wie der Autozulieferer Bosch, drohten mit Produktionsverlagerung, um Lohnkürzungen durchzusetzen. Die deutsche Firma zwang seine französischen Beschäftigten, 36 Stunden pro Woche zum Lohn von 35 Stunden zu arbeiten, indem sie drohte, andernfalls die Produktion nach Tschechien zu verlagern.

Für Aufsehen sorgte auch der Fall von Snappon GDX Automotive. Das Unternehmen demontierte seine Produktionsanlagen innerhalb von 24 Stunden und verlagerte sie in die tschechische Republik. Die Nacht- und Nebelaktion wurde unter dem Schutz der Spezialpolizei CRS durchgeführt und vernichtete 225 Arbeitsplätze. Snappon ist ein Autoteilehersteller und Zulieferer für die amerikanische Gencorp-Gruppe.

Das Management hatte schon zuvor, in der Nacht vom 15. Juli, versucht, den Maschinenpark abzutransportieren, wurde jedoch durch Barrikaden der Arbeiter daran gehindert. So bewaffnete sich die Direktion für den 26. August mit einer richterlichen Entscheidung zum "Schutz des Eigentumsrechts und des ungehinderten Handels". Obwohl derselbe Richter auch dem Betriebsrat erlaubt hatte, gegen die Entlassungen juristisch vorzugehen, schob der Präfekt (der regionale Regierungsvertreter) die Angelegenheit auf die lange Bank, bis Snappon den Umzug in die tschechische Republik abgeschlossen hatte.

Mit der Verlagerung der Fabrik verfolgt das Unternehmen das Ziel, die Produktionskosten (besonders die Lohnkosten) zu senken und das Werk in der Nähe seiner Kunden zu halten, zum Beispiel der PSA Peugeot, die eine neue Automontagefabrik in Osteuropa aufbaut.

Nach den Niederlagen der Regierungspartei UMP bei den regionalen und Europawahlen, die Präsident Jacques Chirac geschwächt hatten, hatte sich die Regierung noch besorgt über den "sozialen Zusammenhalt" des Landes geäußert. Doch in der Praxis steht Chiracs Regierung hundertprozentig hinter den französischen Unternehmen, wenn sie den ganzen Erdball nach billigen Arbeitskräften absuchen, um dem globalen Wettbewerb standzuhalten.

Dennoch wird die rechte Regierung des Ministerpräsidenten Jean-Pierre Raffarin vom Unternehmerverband MEDEF immer stärker unter Druck gesetzt, ihre Politik des "sozialen Zusammenhalts" aufzugeben. So erklärte der Unternehmerpräsident Ernest-Antoine Seillière in seiner Rede auf der letzten Jahresversammlung des Verbands, die Politik von Chirac und Raffarin komme den sozial Benachteiligten viel zu weit entgegen, sie betrieben Sozialhilfe im Extrem. Er bezog sich darauf, dass die Regierung angesichts der weitverbreiteten Opposition ihren Plan aufgegeben hatte, die regelmäßige Anhebung des staatlichen Mindestlohns SMIC nur noch alle zwei Jahre vorzunehmen. Seillière feuerte seine Breitseite gegen das Sozialsystem in einem Interview mit dem Magazin Figaro.

Zufrieden ist der MEDEF dagegen mit Raffarins Angriff auf die Arbeitslosen. Stellensuchende sind jetzt gezwungen, nach sechs Monaten so gut wie jede Arbeitsstelle an jedem beliebigen Ort anzunehmen. Weigern sie sich, so verlieren sie teilweise oder ganz das Arbeitslosengeld. In dieser Hinsicht äußerte sich Baron Seillière im Figaro -Interview unmissverständlich: "Es ist besser, länger zu arbeiten und seine Arbeit zu behalten, als sie zu verlieren, indem man die 35-Stunden-Woche als heilig betrachtet."

Vor kurzem hat die Regierung die Arbeitsgesetzgebung modifiziert und Unternehmen in die Lage versetzt, mit den Gewerkschaften vereinbarte Abmachungen über die 35-Stunden-Woche auf Betriebsbasis neu zu verhandeln. So hat sie den Weg für weitere Abkommen nach dem Muster von Bosch geebnet. Der Grundsatz, dass keine lokale Vereinbarung schlechter sein darf als der nationale Tarifvertrag, der seit dem Krieg die Grundlage der Arbeitsbeziehungen bildete, ist durch Veränderungen, die Arbeits- und Sozialminister François Fillon im Arbeitsgesetz eingeführt hat, ernsthaft untergraben worden.

Seillière betonte bei der Eröffnung der MEDEF-Versammlung, die Lohnkürzungen bei Bosch zeigten "beispielhaft, dass soziale Errungenschaften den wirtschaftlichen Notwendigkeiten weichen müssen".

Ein weiterer Schlag gegen Arbeiter, diesmal in der Geflügelzucht, kam von Doux, dem größten Hähnchenproduzenten Europas. Am 26. August kündigte der Betrieb die Vereinbarung über die Wochenarbeitszeit und senkte damit laut Gewerkschaftsangaben das durchschnittliche Jahresgehalt um 500 Euro, obwohl die Beschäftigten schon jetzt nicht mehr als den legalen Mindestlohn von 7,61 Euros pro Stunde erhalten.

Außerdem kündigte der Sediver-Konzern, der zur italienischen Gruppe Vertoarredo gehört, die Verlagerung seiner Produktion von Glas-Stromisolatoren nach China und Brasilien an, wo seine Zulieferer liegen, falls die Belegschaft nicht eine Lohnkürzung um 25-30 Prozent akzeptiere. Dies würde, wie die Direktion erklärte, 150 der 294 Arbeitsplätze retten. Gewerkschaftsvertreter sind der Ansicht, dass der Konzern in jedem Fall in zwei Jahren dicht machen will, unabhängig davon, ob die verlangten Zugeständnisse gewährt werden oder nicht.

In Ostfrankreich hat Vishay, amerikanischer Hersteller von elektronischen Komponenten, beschlossen, sein Werk in Colmar zu schließen und 292 Arbeiter zu entlassen. Der Konzern schrieb in einer Presseerklärung, dass er "zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit die Montage von Dioden an die Standorte in China und Ungarn verlegt und seine Tätigkeit in Colmar einstellt".

Das Vishay-Werk in Colmar ist auf Dioden und Transistoren für Autos, Computer und Haushaltelektronik spezialisiert. In den Ankündigungen des Konzerns werden die Motive für die Verlagerung folgendermaßen erklärt: "Die spezialisierte Dioden-Abteilung hat es mit einem Markt zu tun, der durch eine massive Verlagerung der Elektronikproduktion und Komponenten-Herstellung in Niedrigkosten-Länder, insbesondere nach Asien gekennzeichnet ist. Für 2005 wird ein anhaltender Verfall der Einzelhandelspreise und ein starker Wachstumseinbruch erwartet."

Beschäftigte bei Vishay gehen davon aus, dass die Löhne in der tschechischen Republik etwa vierzig Prozent niedriger liegen. Ursprünglich wurde das Werk in Colmar in den sechziger Jahren von der amerikanischen ITT-Gruppe gegründet, mit 600 Beschäftigten. Die Anzahl der Arbeitsplätze fiel ständig, bis das Werk vor ein paar Jahren von American Semiconductors übernommen wurde und mit Vishay fusionierte.

Während die Arbeitslosenrate in ganz Frankreich bei 9,8 Prozent (bei Jugendlichen 20 Prozent) liegt und die Langzeitarbeitslosigkeit ständig steigt, werfen sich die Gewerkschaften in die Pose der prinzipiellen, unflexiblen Verteidiger der 35-Stunden-Woche. In Wirklichkeit ist das Gesetz aber schon stark durchlöchert, weil die Konzerne das Recht haben, auf Betriebsebene beliebige Zugeständnisse auszuhandeln.

Die Gewerkschaften, die sich auf den Nationalstaat stützen, sind mit den Konsequenzen der EU-Osterweiterung und allen weiteren Auswirkungen der Globalisierung konfrontiert. Sie sind völlig außerstande, den Erpressungen und Verlagerungsdrohungen der Unternehmer Widerstand zu leisten. Ihre einzige Antwort besteht in einem Appell an die Regierung, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie wollen dabei sein, wenn über den Abbau von Arbeitsplätzen und Arbeiterrechten verhandelt wird.

Kürzlich beschwerten sich Gewerkschaftsführer von CGC und CFTC, die vor allem mittlere Manager und Betriebsleiter vertreten, nach Gesprächen mit der Regierung, die Unternehmer würden die Tarifverträge brechen, indem sie sich auf Betriebsebene direkt an die Arbeiter wenden und so die Solidarität unterwandern. Sie hätten der Regierung vorgeschlagen, jede "Anpassung" für die ganze Branche zu verhandeln, erklärten sie. Der Führer der von der kommunistischen Partei dominierten CGT, Bernard Thibault, rief zu einem dringenden Dreiergespräch der Regierung, der Unternehmer und der Gewerkschaften auf, um "einen Anti-Produktionsverlagerungs-Plan" zu diskutieren.

Nachdem Unternehmerpatron Seillière die Raffarin-Regierung scharf kritisiert hatte, weil sie angeblich in ihren bisherigen drei Amtsjahren nichts für die Unternehmen getan hätte, wurden diese prompt mit einem Steuergeschenk über 900 Millionen Euro beschenkt: Die Regierung versprach, im nächsten Jahr den dreiprozentigen Steuerzuschlag auf Profite abzuschaffen.

Die selbe Art von Angriffen auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen wie in Frankreich werden auch in Deutschland, ganz Europa und auf der ganzen Welt praktiziert. Aber die Gewerkschaftsführer ignorieren die internationale Realität, die hinter dieser Erpressung steht: den Drang des Kapitals, unter den Bedingungen der Globalisierung die international niedrigsten Produktionskosten aufzuspüren. Sie tun so, als gäbe es eine nationale Lösung für dieses Problem, und stellen den Nationalstaat als Garant der sozialen Interessen der Arbeiter dar.

Siehe auch:
Agenda 2010 auf französisch
(3. Februar 2004)
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