Der Fall Terri Schiavo und die Krise der Politik und Kultur in den Vereinigten Staaten

Im Folgenden veröffentlichen wir eine Rede, die David North, der nationale Sekretär der Socialist Equality Party in den Vereinigten Staaten und Chefredakteur der World Socialist Web Site , auf einer öffentlichen Veranstaltung am 3. April in New York gehalten hat.

Gelegentlich treten im Leben einer Nation bizarre und unerwartete Ereignisse ein, die die Aufmerksamkeit von Millionen Menschen auf sich ziehen und auf eine Art, die kaum vorherzusehen war, weitreichende historische, politische und moralische Fragen aufwerfen. Gleichsam enthüllen sie zentrale und hässliche Wahrheiten über die Gesellschaft, in der sich das Ereignis abspielt. Solch ein Ereignis ist der Fall Terri Schiavo. Die Kontroverse um das Schicksal dieser unglückseligen Frau und ihren belagerten Ehemann ist ein Prisma, durch das die üblen gesellschaftlichen Widersprüche der Vereinigten Staaten wie ein Lichtstrahl gebrochen werden.

Der Tod Terri Schiavos hätte nie etwas anderes sein dürfen als die persönliche Tragödie einer einzelnen Familie. Auch wenn das Hirntrauma, das Frau Schiavo vor 15 Jahren erlitt, extremer Art war - es nahm ihr alle Elemente einer bewussten Existenz, ohne die das Leben nichts weiter ist als die Gesamtsumme fortlaufender biologischer Prozesse - sind in den Vereinigten Staaten jeden Tag zahllose Ehepartner und, je nach Umständen, Eltern und Kinder mit der Entscheidung konfrontiert, vor der ihr Ehemann stand.

An irgendeinem Punkt in unserem Leben wird vermutlich jeder von uns genötigt sein, in Absprache mit Ärzten zu entscheiden, ob die Zeit gekommen ist, die medizinische Behandlung eines geliebten Menschen zu begrenzen oder ganz einzustellen. Wir können nur hoffen, dass es uns unter solchen Umständen erlaubt sein wird, die Entscheidung auf der Grundlage einer klugen Einschätzung unserer wirklichen medizinischen Optionen und des Wissens um die persönlichen Wünsche des Patienten zu fällen, ohne dass sich der Staat, fundamentalistische und neofaschistische Dummköpfe und die Massenmedien einmischen.

Niemand hätte vorhersagen können, dass dieser besondere Fall zu einem nationalen Cause célèbre werden würde. Und doch kann man jetzt, wo es passiert ist, nicht sagen, es sei vollkommen überraschend, dass solch ein Fall diese gewaltigen Dimensionen angenommen hat. Das eigenartige nationale Umfeld, das diesen Fall möglich machte, ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen politischen, gesellschaftlichen und, auch das muss gesagt sein, intellektuellen Niedergangs.

Natürlich ist fundamentalistische Demagogie und Scharlatanerie keineswegs ein neues Phänomen in den Vereinigten Staaten. Aber nie zuvor haben die nationale Regierung und die herrschende politische Partei sich den christlichen Fundamentalismus amerikanischer Prägung als Ideologie zu eigen gemacht und versucht, aus dem breiten Netzwerk reaktionärer fundamentalistischer Organisationen eine politische Massenbasis zu entwickeln.

In früheren und gesünderen Perioden der amerikanischen Geschichte waren fundamentalistische Ignoranz und Demagogie Zielscheibe des nationalen Gespötts - man denke nur an die Essays von H.L. Mencken oder die Romane von Sinclair Lewis. Mehrere Generationen amerikanischer Jugendlicher wurden durch das Theaterstück und den Film Inherit the Wind in die Absurditäten des fanatischen Bibelpredigens und christlichen Dogmatismus eingeführt. Der Scopes-Prozess von 1925, von dem Inherit the Wind handelt, wurde als das erbärmliche letzte Aufbäumen der religiösen Bigotterie und Ignoranz in Amerika gegen die Kräfte der Wissenschaft, Vernunft und des Fortschritts angesehen.

Wie tief ist Amerika in 80 Jahren gefallen! Wer kann heute noch mit Sicherheit sagen, dass eine strafrechtliche Verfolgung wegen der Verbreitung der Evolutionslehre nicht eine real drohende Gefahr in dem einen oder anderen Bundesstaat dieses Landes ist? Aber mit oder ohne Strafverfolgung wird die Evolutionslehre bereits aus einer bedeutenden Anzahl von Highschool-Curricula gestrichen oder bloß als spekulative Theorie dargestellt - gleichberechtigt mit den auf der Bibel beruhenden Versionen vom Ursprung der Erde und des Menschen, wie sie durch die Mythologien der Kreationisten und des "Intelligent Design" verbreitet werden.

Die Einmischung der Bush-Regierung in den Fall Schiavo ist lediglich das sichtbarste Beispiel einer von ihr organisierten, gegen die Wissenschaften gerichteten Inquisition. Die Verzerrung und Herabminderung der wissenschaftlichen Forschung nimmt im öffentlichen Leben der Vereinigten Staaten immer breitere und verrücktere Formen an. So platzierte das US-Innenministerium im Jahre 2003 ein neues Buch im offiziellen Buchladen des Nationalparks Grand Canyon, das den Titel Grand Canyon: Ein anderer Blick trägt. Das Buch argumentiert gegen das auf wissenschaftlichem Wege, durch mehr als ein Jahrhundert geologische Forschung erreichte Verständnis, dass der Canyon über einen Zeitraum von Millionen Jahren hinweg entstanden sei. Stattdessen wird darin behauptet, der Grand Canyon sei das Produkt eines einzigen katastrophalen Ereignisses, das sich vor ein paar tausend Jahren zugetragen habe - so etwas wie die biblische Sintflut. Trotz wütender Proteste von geologischen Verbänden, steht dieses religiöse Traktat weiterhin in den Buchläden des staatlich finanzierten Nationalparks. (Siehe auch "The Attack on Science" von Majorie Heins, 21. Dezember 2004, Common Dreams News Center, www.commondreams.org)

Der amerikanische Verband Beunruhigter Wissenschaftler wies in einem Bericht auf den Ernst der Lage hin, den er im März 2004 unter dem Titel "Wissenschaftliche Integrität im Politikbetrieb: Eine Untersuchung des Wissenschaftsmissbrauch durch die Bush-Regierung" veröffentlichte. Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung lauteten:

"1. Es existiert ein etabliertes Muster der Unterdrückung und Verzerrung wissenschaftlicher Ergebnisse durch hochrangige politische Beauftragte der Bush-Regierung in einer Vielzahl von Bundesbehörden. Diese Maßnahmen haben Konsequenzen für die menschliche Gesundheit, die öffentliche Sicherheit und das gesellschaftliche Wohlergehen.

2. Es existiert eine klare und überzeugende Dokumentation umfassender Bestrebungen, das wissenschaftliche Beratungssystem des Staates zu manipulieren, um Empfehlungen zu unterdrücken, die dem politischen Kurs der Regierung zuwiderlaufen könnten.

3. Es existieren Beweise, dass die Regierung häufig Restriktionen verhängt, was staatlich beschäftigte Wissenschaftler über ‚sensible’ Themen sagen oder schreiben dürfen.

4. Es existieren deutliche Beweise, dass die Bush-Regierung in beispiellosem Ausmaß eine Manipulation, Unterdrückung und Falschdarstellung der Wissenschaft betreibt."

Dieser Bericht wurde von mehr als 60 führenden Wissenschaftlern in den Vereinigten Staaten unterschrieben, unter denen sich zahlreiche Nobelpreisträger befinden.

Nur in einem Land, in dem das wissenschaftliche Denken unter Belagerung steht, konnte das wahnsinnige, schändliche und erniedrigende Spektakel um den Fall Terri Schiavo solch immense politische Dimensionen annehmen. Das Weiße Haus, der Kongress sowie Gouverneur und Parlament des Bundesstaats Florida haben im Bündnis mit der fundamentalistischen Rechten auf der Verfassung herumgetrampelt, um eine Frau zu "retten", deren bewusstes Leben vor 15 Jahren geendet hatte.

Die Massenmedien verbreiten nicht nur die Lügen und Falschinformationen der "Rettet Terri"-Kampagne, sie bieten auch ein Forum für die offene Anstachelung zur Gewalt gegen Michael Schiavo und sogar die Richter, die grundlegende Prinzipien der Verfassung aufrechterhalten haben, als sie in Übereinstimmung mit den von Frau Schiavo früher geäußerten Wünschen die Erlaubnis erteilten, die Maßnahmen zur Verlängerung einer bewusstlosen biologischen Existenz zu beenden.

Der verheerende Niedergang des politischen und intellektuellen Lebens in den Vereinigten Staaten findet seinen Ausdruck nicht nur in der Agitation der extremen Rechten, sondern auch in der vollkommenen Unterwürfigkeit der Demokratischen Partei und anderer Kräfte, die traditionell als Verteidiger demokratischer Rechte und Vertreter des gesellschaftlichen Fortschritts aufgetreten sind. Ohne die Mittäterschaft der Demokratischen Partei hätten die Republikaner nicht ihr unverhohlen verfassungsfeindliches "Terri-Gesetz" durch den Kongress peitschen können, das als Parlamentsbeschluss die Außerkraftsetzung zentraler demokratischer Rechte legitimieren sollten.

Seiner Entscheidung, den letzten Antrag der Familie Schindler abzulehnen, fügte Richter Birch vom Revisionsgericht eine Stellungnahme bei, in der er warnte, dass "die legislative und exekutive Gewalt unseres Staates auf eine Weise gehandelt haben, die nachweislich nicht in Einklang mit dem Entwurf unserer Gründungsväter für die Regierungsform eines freien Volkes steht - mit unserer Verfassung". Er fügte einen Satz hinzu, der im Text des Gerichtsdokuments kursiv hervorgehoben ist: " Wenn heute Einschränkungen bei der Unabhängigkeit der Rechtsprechung zugelassen werden, so wird ein Präzedenzfall für die morgige Missachtung der Verfassung geschaffen."

Der Ernst dieser erstaunlichen Warnung findet keinen Widerhall in den Stellungnahmen, geschweige denn in den Handlungen der Demokratischen Parteiführung. Die Demokratische Partei reagierte sogar kaum auf die Forderungen nach gewaltsamer Vergeltung, die nach dem Tod von Frau Schiavo aus dem Mund des Rüpels Tom DeLay zu vernehmen waren, der den Vorsitz im Repräsentantenhaus führt. Wenn DeLay offen über die Tötung hochrangiger Vertreter der Demokratischen Partei redet, reagieren die Führer dieser so genannten Opposition lediglich mit betretenen und ängstlichen Ermahnungen.

Die Schlussfolgerung aus dieser Tatsache lautet, dass die Demokratische Partei vollkommen unfähig und desinteressiert ist, die in der Verfassung verbrieften Rechte in irgend einer Weise zu verteidigen. Diese politische Tatsache kann niemanden überraschen, der die politische Entwicklung der Demokratischen Partei in den vergangenen zwei Jahrzehnten ernsthaft verfolgt hat, nicht zu reden von ihrer erniedrigenden Unterwürfigkeit gegenüber der Bush-Regierung in allen wichtigen politischen Fragen - vom Beginn der illegalen Invasion im Irak und der massive Verletzung demokratischer Rechte, wie sie im Gesetzespaket Patriot Act zum Ausdruck kam, bis zur Zerstörung von allem, was von der Sozialgesetzgebung noch übrig ist, die zwischen den 1930-er und 1960-er Jahren entstanden war.

Dass der Fußfall der Demokratischen Partei einen tieferen gesellschaftlichen Prozess widerspiegelt, zeigt sich in der Reaktion auf den Fall Terri Schiavo durch andere politische Elemente, die traditionell mit dem amerikanischen Liberalismus verbunden waren. In der vergangenen Woche hat die Kampagne zur Wiedereinsetzung der Magensonde bei Terri Schiavo die Unterstützung von Jesse Jackson, Ralph Nader und dem bekannten Kolumnisten Nat Hentoff erhalten, der für die Village Voice schreibt und oft als Verteidiger bürgerlicher Freiheiten gerühmt wurde. Die Stellungnahmen dieser Individuen, deren politischer Effekt darin besteht, die öffentliche Meinung zu desorientieren und die Handlungen der extremen Rechten zu rechtfertigen, fallen nicht nur wegen ihres politischen Opportunismus auf - ein durchsichtiger Versuch, einen Weg zur Versöhnung mit der politisch aufstrebenden Rechten zu finden. Noch bemerkenswerter ist ihre intellektuelle Primitivität und Verlogenheit.

Man mag Jacksons Intervention als Tat eines unverbesserlichen Scharlatans und Politkaspers abtun. Aber Naders Statement kann nicht einfach ignoriert werden. Nachdem er mehrere Male als Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen antrat und sich dabei als linke Alternative zu dem von der Wirtschaft kontrollierten Zweiparteiensystem präsentierte, hat Nader nun gemeinsam mit Wesley J. Smith, der regelmäßig für die rechte Zeitschrift National Review schreibt, eine Stellungnahme abgegeben, in der es heißt: "Terri Schiavo wird eine tiefe Ungerechtigkeit zugefügt. Schlimmer noch: Dieser langsame Tod durch Dehydration wird im Namen des Gesetzes über sie verhängt, durch Verfahren, in denen im Zweifel - und es gab viele Zweifel in diesem Fall - für den Tod entschieden wurde, nicht für ihr weiteres Leben."

Zweifel? Viele Zweifel? Wessen Zweifel? Unter Wissenschaftlern und Neurologen? Unter denjenigen, die die chemischen und biologischen Grundlagen des Bewusstseins verstehen? Tatsächlich gab es, was die Hoffnungslosigkeit von Frau Schiavos gesundheitlichen Zustand betraf - das Fehlen jedes Bewusstseins, ihre Unfähigkeit zu jeglicher Wahrnehmung der Außenwelt, der Verlust ihrer Fähigkeit Sinneseindrücke zu verarbeiten - keinerlei Zweifel unter sämtlichen anerkannten Neurologen.

Die Diagnose des vegetativen Zustands von Frau Schiavo konnte überhaupt nur insoweit in Zweifel gezogen werden, wie es aufgrund ihres Zustands unmöglich war, mit absoluter Sicherheit die minimale theoretische Möglichkeit auszuschließen, dass die Patientin einen sehr schwachen Rest an bewusster Wahrnehmung bewahrt hatte. So unwahrscheinlich dies angesichts der Verfassung von Frau Schiavos Gehirn auch war, konnte diese Möglichkeit nicht absolut ausgeschlossen werden - obwohl es schrecklich ist, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, denn dies hätte bedeutet, dass Frau Schiavo über 15 Jahre hinweg in völliger Stille und unvermittelbarer Hoffnungslosigkeit ein beinahe unvorstellbares Maß an Leiden ertragen musste.

Nat Hentoffs Kolumne in der Village Voice besteht hauptsächlich aus einer schändlichen Schmähschrift gegen Michael Schiavo, dem er auf bösartige Weise vorwirft, er "wünsche nachdrücklich den Tod" seiner Frau. Hentoff wiederholt die Verleumdungen aus den rechten Medien, dass Schiavo "gegen eine große Zahl seiner juristischen Verantwortlichkeiten als Vormund" verstoßen und seiner Frau dadurch "in einigen Fällen direkt die Chancen auf Besserung genommen" habe. Hentoff empört sich, dass Schiavo mit einer anderen Frau in Sünde lebt - was, wie er andeutet, der Grund sei, warum er nicht wolle, dass seine Frau lebendig bleibe und genese.

Diese boshafte Darstellung von Schiavo durch einen rachsüchtigen Kolumnisten wird von den fundierten Tatsachen widerlegt, die in einem der wenigen ehrlichen Artikel in den Mainstream-Medien in der jüngsten Ausgabe der Magazins Newsweek dargelegt werden.

"In den ersten Jahren, in denen sie sich in diesem Zustand befand, hatten Michael und die Schindlers ein sehr harmonisches Verhältnis zueinander und lebten sogar eine Zeit lang gemeinsam in einem Haus an der Golfküste. Sie kümmerten sich darum, dass Terri verschiedene Arten von Therapien erhielt, unter anderem Körper-, Beschäftigungs- und Rekreationstherapien. Als diese nichts halfen, brachte Michael sie nach Kalifornien, wo ihr ein Arzt im Rahmen eines experimentellen Verfahrens, das letztlich scheiterte, Platinelektroden ins Gehirn implantierte. Zurück in Florida gewann Michael Familienmitglieder dafür, Tonbandaufnahmen mit ihren Stimmen anzufertigen, die er Terri auf einem Walkman vorspielte. Er war sorgsam um Terris Erscheinen bemüht, parfümierte sie jeden Tag mit einem Duft von Picasso und kleidete sie in Steghosen und passenden Tops der Marke The Limited. In einem Pflegeheim in Florida waren seine Ansprüche derart hoch, dass die Verwaltung des Hauses überlegte, eine einstweilige Verfügung gegen ihn zu erlassen. Doch Gloria Centonze, die zu dieser Zeit dort arbeitete (und zufällig in die Familie von Michaels späterer Freundin einheiratete), erinnert sich an einen häufigen Kommentar der Krankenpflegerinnen: ‚Vielleicht ist er ein Bastard, aber wenn ich so krank wäre, hätte ich ihn gern als Ehemann.’ Um sich besser um Terri kümmern zu können, absolvierte Michael sogar eine Ausbildung zum Pfleger."

Hentoff ignoriert im Fall Schiavo einfach sämtliche wissenschaftlichen und medizinischen Fakten und stellt die absolut erlogene Behauptung auf, sie habe niemals "eine umfassende neurologische Untersuchung" erfahren. Tatsächlich wurde Frau Schiavo gründlich von qualifizierten Neurologen untersucht, deren Ergebnisse einer kritischen Überprüfung durch die Justiz unterzogen wurden. In den Jahren 1996 und 2002 wurde zwei Computertomografien von ihrem Gehirn angefertigt. Der Neurologe Ronald Cranford von der Universität Minnesota gab in der vergangenen Woche dem Fernsehsender MSNBC ein Interview, in dem er die Ergebnisse der zweiten Computertomografie überprüfte. Die CT-Aufnahme zeigt, erklärte er, dass "keine Großhirnrinde mehr vorhanden ist. [...] Jeder Neurologe oder Radiologe, der diese CT-Aufnahmen anschaut, wird Ihnen sagen, dass ihre Atrophie nicht schlimmer sein könnte, als sie ist."

Die vielen Verleumdungen in Hentoffs Kolumne werden durch den offiziellen Bericht widerlegt, den Jay Wolfson, der nach den Landesgesetzen Floridas und auf Anordnung des Gerichts für Frau Schiavo bestellte Prozesspfleger, am 1. Dezember 2003 beim Gouverneur von Florida Jeb Bush einreichte. Der Bericht beschreibt detailliert das Ausmaß von Frau Schiavos neurologischen Schäden, die energischen aber nutzlosen Versuche kognitive Funktion wiederzubeleben und - in direktem Widerspruch zu den Behauptungen der rechten Verleumdungskampagne - den vollkommen angemessenen Einsatz des Geldes, das Frau Schiavo zugesprochen wurde, nachdem Michael in ihrem Namen eine Klage wegen ärztlichen Kunstfehlern angestrengt hatte. Der Bericht stellt fest: "Das Gericht richtete einen Treuhandfond für Theresas finanziellen Schadenersatz ein, wobei die South Trust Bank als Vormund und unabhängige Vermögensverwalterin fungierte. Dieser Fond wurde sorgfältig geführt und abgerechnet und Michael Schiavo hatte keine Kontrolle über seine Verwendung. Es gibt in der Dokumentation der Fondsverwaltung keinen Hinweis auf irgendeine Misswirtschaft mit Teresas Vermögen, und die Dokumentation dieser Angelegenheit befindet sich in einem exzellenten Zustand."

Nachdem vier Jahre lang sämtliche Versuche gescheitert waren, nur den schwächsten Schlimmer einer kognitiven Bewusstheit wieder herbeizuführen, traf Michaels Schiavo im Jahre 1994 die Entscheidung, dass die Ärzte im Falle eines Herzstillstandes seiner Frau keine Wiederbelebungsmaßnahmen ergreifen sollten. Der Wolfson-Bericht erklärt hierzu:

"Michaels Entscheidung gegen eine Behandlung gründete sich auf Diskussionen und Konsultationen mit Theresas Arzt und ergab sich aus seiner vernünftigen Überzeugung, dass es keine Hoffnung auf Besserung für Theresa mehr gab. Michael hatte mehr als drei Jahre gebraucht, um sich mit dieser Wirklichkeit abzufinden, und er begann die Vorstellung zu akzeptieren, dass Theresa besser auf natürliche Weise sterben als weiterhin in dem unbewussten, vegetativen Zustand verbleiben sollte."

Die Diagnose, dass Theresa Schiavo sich im dauerhaft vegetativen Zustand befand, wurde von kompetenten Neurologen aufgestellt und mehrfach bestätigt. Ein Individuum im vegetativen Zustand ist kein behinderter Mensch, sondern ein Wesen, das jedes Bewusstsein, jede Wahrnehmung seiner selbst und jede Fähigkeit zur bewussten Interaktion mit der Außenwelt verloren hat. Die Falschdarstellung von Frau Schiavos Zustand - das Ergebnis einer Kombination von Verlogenheit und Ignoranz - war einer der widerlichsten Bestandteile der gesamten "Rettet Terri"-Kampagne. Der vegetative Zustand wird vom New England Journal of Medicine folgendermaßen beschrieben:

"Ein klinischer Zustand vollständiger Bewusstlosigkeit gegenüber dem Selbst und der Umwelt, begleitet von Schlaf-Wach-Zyklen mit entweder voller oder teilweiser Erhaltung der autonomen Funktionen von Hypothalamus und Stammhirn. Der Zustand kann vorübergehend sein und markiert dann ein Stadium der Erholung vom akuten oder chronischen Hirnschaden oder permanent als Folge eines Scheiterns des Erholungsprozesses bei solchen Schäden. Der vegetative Zustand kann auch als Ergebnis des unaufhörlichen Fortschreitens degenerativer oder metabolischer neurologischer Krankheiten auftreten oder durch Fehlbildungen bei der Entwicklung des Nervensystems.

Der vegetative Zustand kann nach folgenden Kriterien diagnostiziert werden: 1) Keine Anzeichen von Bewusstsein gegenüber dem Selbst oder der Umwelt und eine Unfähigkeit mit anderen zu interagieren; 2) keine Anzeichen von anhaltenden, absichtlichen oder freiwilligen Verhaltensreaktionen auf visuelle, akustische, taktile oder olfaktorische Stimuli; 3) keine Anzeichen von Sprachverständnis oder -ausdruck; 4) periodische Wachheit, die sich durch die Gegenwart von Schlaf-Wach-Zyklen ausdrückt; 5) ausreichend erhaltende autonome Funktionen von Hypothalamus und Stammhirn, die bei medizinischer Betreuung und Pflege das Überleben ermöglichen; 6) Harn- und Stuhlinkontinenz; und 7) unterschiedlich erhaltene Gehirnnervenreflexe. [...]

Patienten im vegetativen Zustand sind gewöhnlich nicht unbeweglich. Sie können Rumpf oder Glieder auf bedeutungslose Art bewegen. Sie können gelegentlich lächeln, und einige vergießen sogar Tränen; manche geben Ächzlauten von sich oder, sehr selten, stöhnen oder schreien. [...] Solche Aktivitäten sind inkonsistent, unbeabsichtigt und nur dann koordiniert, wenn sie als Bestandteil eines subkortikalen, instinktiven Musters, als Reflexreaktion auf externe Stimulation ausgedrückt werden. Diese motorischen Aktivitäten können fälschlich als absichtsvolle Bewegungen verstanden werden, diese Reaktionen sind jedoch bei Patienten beobachtet worden, bei denen sorgfältige Untersuchungen keine Anzeichen von psychologischer Bewusstheit oder die Fähigkeit zur Ausführung erlernten Verhaltens verzeichneten."

Man kann sich unmöglich vorstellen, was diese Existenz für Terri Schiavo bedeutete, denn der Zustand, in dem sie sich befand, schließt die Möglichkeit jeder Vorstellungskraft aus. Terri konnte über ihren Zustand nicht nachdenken, denn der Teil des Gehirns, von dem Denken und Fühlen abhängen, die Großhirnrinde, wurde in Folge eines längeren Sauerstoffmangels zerstört. Die klinischen Untersuchungen, die an Frau Schiavo unternommen wurden, konnten nur bestätigen, was die beiden Computertomografien ihres Hirns deutlich zeigten. Die Versuche, Frau Schiavos dauerhaft vegetativen Zustand zu leugnen - eine Tatsache, die übrigens von den Schindlers lange nicht bestritten wurde, erst ganz zuletzt in ihrer unendlichen Prozesskampagne - können nur auf diejenigen überzeugend wirken, die das wissenschaftliche Faktum ablehnen, dass das Bewusstsein seine Grundlage in biochemischen Prozessen im Gehirn hat und von diesen abhängig ist.

Eines der schrecklichen Geheimnisse im Fall Schiavo ist die Frage, warum ihre Eltern selbst nach 15 Jahren noch entschlossen blieben, die elementare biologische Existenz ihrer Tochter zu erhalten. Die Antwort kann nicht im Wesen der Elternliebe gefunden werden, denn das grundlegendste und instinktivste Element solcher Liebe besteht darin, ein Kind vor Leiden zu bewahren. Wenn es wahr gewesen wäre, was die Schindlers behaupteten, dass ihre Tochter ein minimales Bewusstsein über ihren Zustand bewahrt hatte, dann kann ihr Beharren darauf, sie nicht sterben zu lassen, nur als unaussprechlich grausam bezeichnet werden. Tatsächlich konnte der Prozesspfleger in seinem Bericht an Gouverneur Jeb Bush kaum sein eigenes Erschrecken über die Aussagen von Mitgliedern der Familie Schindler verbergen, die diese in den langen Anhörungen im Vorfeld des Prozesses und der Gerichtsverhandlung im Januar und Februar 2000 gemacht hatten. Der Prozess endete mit der Entscheidung von Richter Greer, die Entfernung der Magensonde aus Terri Schiavos Körper zu genehmigen. Wolfson berichtete:

"Im Laufe des Rechtsstreits, der Anhörungen und Aussagen vor Gericht, brachten die Mitglieder der Familie Schindler die erschreckende Überzeugung zum Ausdruck, dass sie Theresa um jeden Preis am Leben halten wollten. Beinahe grausige Beispiele wurden gegeben, in denen sich Familienmitglieder zu der Aussage verstiegen, dass, falls Theresa an Diabetes erkranken und Krebsgeschwüre in allen Gliedmaßen entwickeln sollte, sie die Amputation jedes Körperteils befürworten, und, falls eine Herzkrankheit festgestellt würde, sie der Operation am offenen Herzen zustimmen würden. [...] In der Zeugenaussage erklärten die Schindlers hypothetisch, dass, selbst wenn Theresa ihnen ihren Willen zur Einstellung der künstlichen Ernährung erklärt hätte, sie dies nicht erlauben würden. Im Verlauf dieses schmerzhaften und schwierigen Gerichtsverfahrens gab die Familie zu, dass bei Theresa ein dauerhafter vegetativer Zustand diagnostiziert worden war."

Diese Zeugenaussage lässt nur den Schluss zu, dass das Vorgehen der Schindlers nicht durch rationale Überlegungen im Interesse ihrer Tochter motiviert waren, sondern durch die Erfordernisse religiöser Dogmen. Keine wissenschaftlichen Beweise konnten die Schindlers und ihre fundamentalistischen Unterstützer überzeugen, dass Terri Schiavo physiologisch unfähig war, zu denken und zu fühlen. Von ihrem Standpunkt aus kann das Bewusstsein nicht als materieller biochemischer Prozess verstanden werden, der in den 100 Milliarden Neuronen des Hirns stattfindet, sondern als Ausstrahlen einer nichtmateriellen "Seele".

Die Erklärung der Schindlers im Prozess des Jahres 2000, dass sie die Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen bei ihrer Tochter nicht einmal dann erlauben würden, wenn sie ihnen gegenüber den Wunsch geäußert hätte, sie sterben zu lassen, bringt uns zu einer der juristischen Kernfragen, um die es beim Kampf um Frau Schiavos Schicksal ging. Bei ihren Versuchen, die Wahrheit auf den Kopf zu drehen, bemühten sich die fundamentalistische Rechte und ihre politischen Schirmherren in der Bush-Regierung darum, die "Rettet Terri"-Bewegung als Bewegung für das "Recht auf Leben" darzustellen. Aber es ist eine juristische Tatsache, dass die wirklich wesentliche demokratische Frage, die der Fall Schiavo aufwarf, das Recht der Einzelperson betrifft, frei von staatlicher Einmischung über den eigenen Körper zu verfügen - was in diesem Fall bedeutete, Theresa Schiavos Recht darauf zu verteidigen, dass ihr Leben nicht künstlich verlängert wird.

So wie der Begriff "Recht auf Leben" von der Bush-Regierung und den rechten politisch-religiösen Organisationen benutzt wird, meint er das genaue Gegenteil dessen, was er im Laufe der Entwicklung des amerikanischen Rechts bedeutete. In einem wichtigen Artikel, der 1890 in der Haward Law Review veröffentlicht wurde, diskutieren die Autoren Louis D. Brandeis und Samuel D. Warren die sich herausbildende Bedeutung des "Rechts auf Leben", das im nicht kodifizierten Recht anerkannt wurde (und in der Unabhängigkeitserklärung verkündet worden war). In einer zu recht gerühmten Passage schrieben Brandeis und Warren, dass "das Recht auf Leben jetzt bedeutet, das Recht das Leben zu genießen - das Recht, in Ruhe gelassen zu werden". Dieser Artikel war ein intellektueller Meilenstein auf dem Weg zu dem in der Verfassung verankerten Recht auf Privatsphäre.

Die bedeutenden demokratischen Implikationen der Argumente von Brandeis und Warren wurden 75 Jahre später verwirklicht, in der wegweisenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Fall Griswold vs.Conneticut, in der die Freiheit des Individuums vor staatlicher Einmischung in persönlichen Fragen hochgehalten wurde. Der spezifische Streitfall, in dem die Gerichtsentscheidung fiel, war die Strafverfolgung von Estelle Griswold durch den Bundesstaat Conneticut. Frau Griswold war die Leiterin eines Vereins zur Familienplanung (Planned Parenthood League). Sie wurde beschuldigt, ein Landesgesetz aus dem 19. Jahrhundert verletzt zu haben, nach dem es im Bundesstaat verboten war, verheiratete Paare über den Gebrauch von Verhütungsmitteln zu informieren, zu instruieren und medizinisch zu beraten. Indem er das Landesgesetz, nach dem Frau Griswold verfolgt wurde, für nicht verfassungskonform erklärte, erkannte der Oberste Gerichtshof offiziell an, dass Individuen eine Privatsphäre genießen müssen, in der sich der Staat nicht rechtmäßig einmischen darf. In diesem Fall stellte das Gericht fest, dass die Entscheidung, Verhütungsmittel zu benutzen, in diese Privatsphäre fällt.

Die Entscheidung im Fall Griswold war die Grundlage für das ebenfalls einen Wendepunkt markierende Urteil im Fall Roe vs. Wade 1974, mit dem das Recht auf Abtreibung durchgesetzt wurde. Die Frage kam in einer anderen Form im Jahre 1975 wieder auf, im Fall der jungen Frau Karen Ann Quinlan, die durch die Einnahme von Drogen und Alkohol einen massiven und irreversiblen Hirnschaden erlitten hatte. Als deutlich wurde, dass Quinlans vegetativer Zustand nicht zu heilen war, baten ihre Eltern um Erlaubnis, die künstliche Beatmung abstellen zu dürfen.

Diese Bitte wurde ursprünglich von einem Bezirksgericht in New Jersey zurückgewiesen und landete dann vor dem Obersten Gericht des Bundesstaates. Unter Verweis auf Griswold stellte das Oberste Gericht des Bundesstaates fest, dass das Recht auf Privatsphäre "weit genug gefasst ist, um einem Patienten die Entscheidung zu erlauben, unter bestimmten Umständen eine Behandlung zu verweigern, ebenso wie es weit genug gefasst ist, um einer Frau die Entscheidung zu erlauben, unter bestimmten Bedingungen eine Schwangerschaft zu beenden".

Als es die Entscheidung der niederen Instanz revidierte, erklärte das Oberste Gericht von New Jersey, es zögere nicht "zu entscheiden, dass kein zwingendes äußeres Interesse des Bundesstaates Karen dazu zwingen kann, das Unerträgliche zu ertragen, nur um ein paar absehbare Monate zu vegetieren, ohne realistische Möglichkeit, zu einem kognitiven oder bewussten Leben zurückzukehren". Obwohl Karen Ann Quinlan keine Anweisungen für diesen Fall hinterlassen hatte, stellte das Gericht freimütig fest, es habe keine Zweifel, dass die junge Frau, wenn sie befragt werden könnte, keine Verlängerung ihres Lebens wünschen würde. Auf dieser Grundlage sprach das Gericht ihren Eltern das Recht zu, im Interesse ihrer Tochter ihr verbrieftes Recht auf Privatsphäre wahrzunehmen. Die künstliche Atmung wurde abgestellt, doch Quinlan verblieb noch für weitere sieben Jahre im vegetativen Zustand, bis sie schließlich starb.

Der nächste zentrale Fall, in dem es um das Recht des Individuums auf den Verzicht lebenserhaltender Maßnahmen ging, war der von Nancy Cruzan. Im Jahre 1983 war die 25-jährige Frau in einen Autounfall verwickelt und blieb darauf in einem vegetativen Zustand. Wieder waren es die Eltern, die so handelten, wie man es von liebenden Eltern erwarten würde, und versuchten, die lebenserhaltenden Maßnahmen bei ihrem Kind zu beenden.

Die Eltern behaupteten, sie handelten auf der Grundlage von Aussagen ihrer Tochter. Das Krankenhaus, in dem Nancy Cruzan künstlich am Leben gehalten wurde, verweigerte sich dem Wunsch, und die Frage landete vor Gericht. Nach Ende des Prozesses wies das Gericht das Krankenhaus an, die lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen - in diesem Fall die gleichen wie im Fall von Terri Schiavo, nämlich die künstliche Ernährung. Darauf beantragte der Bundesstaat eine Revision des Urteils und argumentierte, dass Nancy Cruzans Anweisungen nicht ausdrücklich genug festgehalten seien. Das Oberste Gericht von Missouri machte sich diese Haltung zu eigen und untersagte die Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen. Der Fall ging daraufhin vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten.

Dessen Mehrheit unterstützte die Entscheidung des Obersten Gerichts von Missouri auf der Grundlage, dass die durch die Landesgesetze verlangte "deutliche und überzeugende" Erklärung des Patienten, er wünsche die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen, nicht unvernünftig sei und nicht das Recht auf Privatsphäre verletze. Die Frage, auf deren Basis in diesem Fall die Entscheidung fiel, war eine reine Verfahrensfrage. Der Oberste Gerichtshof erklärte ausdrücklich: "Wir gehen davon aus, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten einer kompetente Person das verfassungsmäßig geschützte Recht auf Verweigerung von lebenserhaltender künstlicher Ernährung gewährt."

In einer wichtigen und leidenschaftlichen Darstellung der Minderheitsauffassung argumentierte der Oberste Richter William Brennan, dass die Verfahrensweisen des Bundesstaats Missouri das Recht von Nancy Cruzan, von ungewollter medizinischer Behandlung verschont zu bleiben, "auf unzulässige Weise belasten". In einer weiteren Minderheitsmeinung stellte Richter John Paul Stevens die Kernfrage nach der Qualität des Lebens, das der Bundesstaat Missouri zu "retten" gedachte. Er verwies auf die umfassenden Beweise dafür, dass Nancy Cruzan "ihre Umwelt nicht wahrnimmt" und dass keine Aussicht auf Besserung bestehe. Indem der Bundesstaat Missouri darauf beharre, dass Frau Cruzan am Leben erhalten bliebe, "zwingt er sterbenden Individuen eine umstrittene und bestreitbare Ansicht zur Bedeutung des Lebens auf". Stevens zitierte zustimmend die Auffassung des Richters Charles Blackmar vom Obersten Gericht Missouri, der in Opposition zur Mehrheitsauffassung Folgendes feststellte:

"Es ist unrealistisch zu sagen, dass die Erhaltung des Lebens etwas Absolutes sei, ohne Bezug auf die Lebensqualität. Meine Erklärung steht nur in Zusammenhang mit diesem Fall, in dem das Gericht festgestellt hat, dass es für Nancys Zustand keine Hoffnung auf Besserung gibt. Die Mehrheitsmeinung akzeptiert diese Schlussfolgerung. Es ist angemessen, die Lebensqualität zu beachten, wenn Entscheidungen über eine außergewöhnliche medizinische Behandlung getroffen werden. Wer Entscheidungen in solchen Fragen getroffen hat, ohne auf die Gerichte zurückzugreifen, hat sicherlich die Lebensqualität in Betracht gezogen und diese gegen die unerfreulichen Folgen für den Patienten aufgewogen. Es gibt Hinweise darauf, dass Nancy eventuell auf Schmerzstimuli reagieren könnte. Wenn sie irgendein Bewusstsein über ihre Umgebung hat, muss ihr Leben die Hölle auf Erden sein. Sie ist unfähig, sich auszudrücken, oder irgendetwas zu tun, um ihre Situation zu verändern."

Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten fanden weitere Anhörungen in Missouri statt, in denen weitere Zeugen die Behauptungen der Eltern hinsichtlich des Wunsches der Tochter bestätigten. Der Bundesstaat Missouri akzeptierte letztlich die Existenz "deutlicher und überzeugender" Beweise dafür, dass Nancy Cruzan solch ein Leben nicht gewollt habe. Die Magensonde wurde entfernt und Nancy Cruzan starb zwei Wochen später.

Eine gründliche Betrachtung des Falls Schiavo macht klar, dass aus medizinischer, juristischer und ethischer Sicht alles dafür sprach, Terri Schiavo das Recht zu gewähren, von ungewollten Versuchen, sie am Leben zu erhalten, verschont zu bleiben. Schaut man sich die Fakten in diesem Fall an, so gab es nichts Ungewöhnliches, was die Versuche der US-Regierung und des Gouverneurs von Florida, die lebenserhaltenden Maßnahmen an Terri Schiavo fortzusetzen, gerechtfertigt hätte. Der Grund für diese Kontroverse ist in der Politik zu finden, nicht im Feld des Rechts oder der Ethik.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten versucht eine amerikanische Regierung, sich eine Wählerbasis auf religiöser Grundlage zu schaffen. Die Zurückweisung der Trennung von Kirche und Staat und die Bemühungen, den amtierenden Präsidenten Bush als Führer einer religiösen Erweckungsbewegung zu inszenieren, sind beispiellos in der amerikanischen Geschichte. In einer Art und Weise, die die verfassungsmäßigen Grundlagen der amerikanischen Republik angreift, verschmelzen in der Bush-Regierung Kirche und Staat - eine Entwicklung, die katastrophale Konsequenzen für die Demokratie in den Vereinigten Staaten haben muss. Der ständige Verweis Bushs und der Republikanischen Partei auf die Bibel als einzig angemessene Richtschnur für politische und juristische Entscheidungen läuft logischerweise auf eine Einschränkung und Zurückweisung der säkularen Verfassung hinaus. Der Einsatz der Religion als Mittel zur politischen Mobilisierung wird unvermeidlich zum Zusammenbruch der grundlegenden Strukturen der bürgerlichen Demokratie führen und alle möglichen Arten von ethnisch-religiösen Konflikten auslösen.

Aber bei allem Zynismus und aller Heuchelei, die ihre offiziellen Befürworter auszeichnet, wäre es zu einfach, den zunehmenden Einfluss des religiösen Fundamentalismus in der Politik ausschließlich oder vorrangig auf die Kalkulationen von Karl Rove und seinen Spießgesellen zurückzuführen. Der Zusammenbruch der demokratischen Trennung von Kirche und Staat ist Ausdruck tieferer gesellschaftlicher Prozesse, deren Kernelemente in den großen sozioökonomischen Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft während des letzten Vierteljahrhunderts zu finden sind.

Die gewaltige Bereicherung einer kleinen Schicht der amerikanischen Gesellschaft, der herrschenden Elite, der gleichzeitige Niedergang der gesellschaftlichen Mittelschichten, die traditionell die wichtigste Basis eines demokratisch orientierten Kleinbürgertums bildeten, und die allgemeine ökonomische Polarisierung der Gesellschaft haben die Säulen der bürgerlichen Demokratie drastisch untergraben. Da die herrschende Elite nicht in der Lage ist ein Wirtschafts- und Sozialprogramm aufzulegen, das wirklich breite Unterstützung genießt, und gleichzeitig mit einer in wachsendem Maße unzufriedenen und wirtschaftlich unsicheren Bevölkerung konfrontiert ist, versucht sie in der Religion eine alternative Grundlage zu finden, um sich eine Unterstützerbasis in der Bevölkerung zu schaffen.

Die Demokratische Partei, die ebenso wie die Republikaner unfähig ist, auf der Grundlage kapitalistischen Wirtschaftens ein wirklich populäres Programm zu entwickeln, kann nichts weiter machen, als sich den religiösen Manipulationen der Bush-Regierung anzupassen. Ein politisch charakterloser Demokrat nach dem anderen versucht auf erbärmliche Weise, seinen religiösen Ruf aufzupolieren. Dabei wirken sie unehrlich und dumm, was weiter dazu beiträgt, die Republikaner und die christliche Recht zu stärken und zu legitimieren.

Der reaktionäre politische Kurs der bürgerlichen Parteien ist allzu deutlich. Aber inwiefern trifft er bei der Bevölkerung auf Resonanz oder widerspiegelt gar ihre innersten politischen Stimmungen? Wenn der Fall Terri Schiavo irgendetwas zeigt, dann dass die politischen Ziele der christlichen Rechten nur eine sehr begrenzte Unterstützung in der großen Masse der amerikanischen Bevölkerung genießen.

Trotz aller Bemühungen von Seiten der Regierung und der Massenmedien, die "Rettet Terri"-Kampagne zu unterstützen, hat die amerikanische Bevölkerung dies nicht geschluckt. Durch ihre eigenen Lebenserfahrungen - mit alternden Eltern und unheilbar kranken Lebensgefährten - blieb ihnen die religiöse Demagogie der Republikaner völlig fremd. Wenn sie von Meinungsforschern befragt wurde, drückte die Mehrheit Mitgefühl für den leidenden Michael Schiavo aus. Eine große Mehrheit der Befragten sagte, dass sie an seiner Stelle die gleiche Entscheidung getroffen, d.h. die lebenserhaltenden Maßnahmen beendet hätten.

Und trotzdem wäre es selbstgefällig und kurzsichtig, das sichtbare Anwachsen des religiösen Einflusses auf die politische Orientierung der amerikanischen Arbeiterklasse zu ignorieren. Diese Entwicklung muss sorgfältig untersucht und erklärt werden. Es reicht nicht, das Phänomen der religiösen Erweckungsbewegung dem negativen Einfluss zynischer bürgerlicher Politiker und den verdorbenen Massenmedien zuzuschreiben. Wie immer sind die Ursprünge ideologischer Überzeugungen in den realen Lebensbedingungen zu finden.

Ich möchte, wenn auch nur kurz, auf Gründe für den wachsenden Einfluss der Religion im amerikanische Leben eingehen und dabei die Betonung auf die weitreichenden Konsequenzen des beinahe vollständigen Zusammenbruchs der amerikanischen Arbeiterbewegung in den vergangenen 25 Jahren legen. Die Gewerkschaften sind zum Opfer ihrer eigenen politischen Verdorbenheit und Feigheit angesichts der Offensive gegen die Arbeiterklasse geworden, die in den frühen 1980-er Jahren von den Unternehmern ausging und von der Regierung gedeckt wurde, und als bedeutende gesellschaftliche Kraft in den Vereinigten Staaten mehr oder weniger verschwunden.

Das praktische Wegfallen dessen, was einmal die Hauptform der Massenorganisation und des populären Widerstand gegen die Unternehmermacht war, hat die Beziehung zwischen den Arbeitern und der wirtschaftlichen Struktur, in der sie leben, verändert. Während sie dieser Struktur in der Vergangenheit, wenn auch in unangemessener Form, als Klasse gegenüberstanden, stehen sie ihr nun als isolierte Individuen gegenüber. Sie befinden sich in einer Lage, die sie zwingt, Probleme nicht als gesellschaftliches Kollektiv, sondern allein zu bewältigen.

Die Religion dient dazu, die große soziale Leere im Leben der Arbeiter zu füllen. Da sie nicht in der Lage sind, als Teil einer Klassenbewegung für ihre Interessen zu kämpfen, glauben die Arbeiter, dass sie auf sich allein gestellt kämpfen müssen. Daher ist es so wichtig, Jesus "auf seiner Seite" zu haben, der sich um die Wunden des Lebens kümmert und Mut zuflüstert.

Wie kann das überwunden werden? Die gute Nachricht, wie man so sagt, lautet, dass die objektiven Bedingungen selbst unvermeidlich zu einer Wiederbelebung sozialer Kämpfe und einer erneuten Differenzierung der Klassenkräfte führen werden. Das Fortbestehen reaktionärer Ideologien ist eine Hürde für die Entwicklung von gesellschaftlichen Kämpfen und eines höheren Klassenbewusstseins. Aber es ist kein absolutes Hindernis. Letztlich werden die objektiven Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft Massen von Menschen in den Kampf ziehen und die Möglichkeit für eine Erneuerung und Beflügelung des intellektuellen und gesellschaftlichen Lebens schaffen.

Aber es wäre ein oberflächlicher, naiver und aussichtsloser Optimismus, überließe man die ideologische Befreiung der Massen aus dem Griff der religiösen Mystik und der Rückständigkeit einem spontanen Wirken objektiver Kräfte. Wie in jeder historischen Periode muss auch hier für Fortschritt gekämpft werden.

Dieser Kampf beschränkt sich nicht auf praktische Bemühungen, Arbeiter zu organisieren, auch wenn diese wichtig sind. Ein wesentlicher Bestandteil der Bemühungen, Arbeiter politisch als Klasse zu organisieren, besteht in dem Kampf dafür, ihr intellektuelles und kulturelles Niveau zu heben, und in der Verteidigung des wissenschaftlichen Denkens gegen alle Formen von religiösem Aberglauben und Rückständigkeit - in der Verteidigung eines materialistischen marxistischen Verständnisses der sozioökonomischen Gesellschaftsbeziehungen sowie der Grundlagen und der Struktur des menschlichen Bewusstseins. Wie in der Vergangenheit muss die sozialistische Bewegung das gewaltige Ausmaß ihrer theoretischen und pädagogischen Verantwortung gegenüber der Arbeiterklasse erkennen.

Wir können uns ermuntert fühlen durch die Tatsache, dass die Wissenschaft die sozialistische Bewegung mit einem riesigen neuen Arsenal intellektueller Waffen ausstattet. Es ist ironisch, dass der wissenschaftliche Bereich, der im Zentrum der Kontroverse um Terri Schiavo stand - die Neurobiologie - heute das Feld der spektakulärsten theoretischen Durchbrüche ist. Erstaunliche Fortschritte werden gemacht in Bezug auf das Verständnis der Physiologie des Gehirns, der komplexesten aller materiellen Strukturen. Und diese wiederum untermauern das materialistische Verständnis des Bewusstseins und der Erkenntnis, das der Marxismus vertritt. Kein Wunder, dass die herrschende Elite so sehr die Arbeit der besten Wissenschaftler fürchtet, deren Entdeckungen im Bereich der Neurobiologie und verwandten Forschungsbreichen systematisch die letzten Bastionen der religiösen Mystik einreißen.

Die Arbeiterklasse kann ohne die Hilfe der Wissenschaft nicht voranschreiten. Aber die Wissenschaft selbst braucht das Voranschreiten der Arbeiterklasse. Heutzutage steht der wissenschaftliche Forscher durch das Anwachsen der politischen Reaktion in den Vereinigten Staaten unter Belagerung. Doch der isolierte Wissenschaftler kann sich selbst nicht erfolgreicher verteidigen als der individuelle Arbeiter. Letztendlich hängt der Fortschritt der Wissenschaft als Ganzer, ganz zu schweigen von der körperlichen Unversehrtheit des einzelnen Forschers, vom Wiederaufleben einer neuen revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse ab. Im tiefsten historischen Sinne vereinigt die sozialistische Bewegung unter ihrem Banner sowohl das Streben nach wissenschaftlicher Wahrheit in all ihren Formen als auch den Kampf für die Gleichheit der Menschen.

Siehe auch:
Der Fall Terri Schiavo: Deutsche Kirchen und CDU solidarisieren sich mit der fundamentalistischen Rechten in den USA
(7. April 2005)
Rechte Propaganda und wissenschaftliche Tatsachen im Fall Terri Schiavo
( 1. April 2005)
"Kultur des Lebens" oder Kultur der Lügen?
( 29. März 2005)
Der Fall Schiavo: Bush und der Kongress trampeln auf der Wissenschaft und der Verfassung herum
( 26. März 2005)
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