Frankreich: Parteitag der Sozialistischen Partei unterstützt Repressionsmaßnahmen der Regierung

Auf einem Sonderparteitag der französischen Sozialistischen Partei, der vom 18. bis 20. November in Le Mans stattfand, haben sich die verschiedenen Parteifraktionen zusammengeschlossen, um den französischen Staat zu verteidigen.

Die Partei hatte bis dahin den Kurs der gaullistischen Regierung von Präsident Jacques Chirac unterstützt, die Jugendproteste gegen die Polizei in den vernachlässigten französischen Vorstadtghettos zu unterdrücken. Erst als Premierminister Dominique de Villepin und Innenminister Nicolas Sarkozy den zuvor verhängten Ausnahmezustand bis zum 21. Februar verlängerten, zeigte die Sozialistische Partei so etwas wie Opposition.

Der Ausnahmezustand gibt der Polizei und der Regierung außerordentliche Vollmachten, demokratische Rechte einzuschränken. Diese Vollmachten richten sich nicht nur gegen die Jugendunruhen, sondern gegen alle Teile der Arbeiterklasse, die die rechte, neoliberale Politik der Regierung weitgehend ablehnt. Der Ausnahmezustand wurde am 15. November zu einem Zeitpunkt um drei Monate verlängert, als die Unruhen und Brandanschläge der überwiegend aus Einwandererfamilien stammenden Jugendlichen bereits merklich abflauten.

Auf dem Parteitag in Le Mans erklärte die Sozialistische Partei formell ihre Opposition gegen die Verlängerung des Ausnahmezustands, unterstrich jedoch ihre Unterstützung für die repressiven Polizeimaßnahmen. Der wiedergewählte Parteichef François Hollande sagte in seiner Abschlussrede: "Wir müssen zeigen, dass die Linke überzeugender für öffentliche Ordnung und Ruhe eintritt, als die Rechte."

Die drei wichtigsten Fraktionen - die vom Vorsitzenden François Hollande geführte Mehrheit, die von Arnaud Montebourg, Vincent Peillon and Henri Emmanuelli geführte Fraktion Neue Sozialistische Partei (NSP) und die Fraktion des ehemaligen Premierministers Laurent Fabius - einigten sich auf ein gemeinsames Programm, das den Wählern eine linke Fassade vorgaukeln soll. Alle Beteiligten versuchen so, die Wahlchancen der Partei wieder zu beleben und der herrschenden französischen Elite ein Instrument an die Hand zu geben, mit dem die wachsende soziale und politische Unruhe unter Kontrolle gebracht werden kann. Eine Partei, die Law and Order mit minimalen Sozialreformen verbindet, wird dafür als geeignet angesehen.

Der Parteitag, an dem 4.500 Mitglieder teilnahmen, darunter 614 Delegierte, war nach der vernichtenden Niederlage der gemeinsamen Kampagne der Sozialistischen Partei und Chiracs und seines damaligen Premierministers Jean-Pierre Raffarin für die EU-Verfassung einberufen worden. Das unmissverständliche "Nein" beim Referendum in Frankreich, dem ein ähnliches Ergebnis in den Niederlanden folgte, drückte die weitverbreitete Opposition der Bevölkerung gegen die neoliberale Ausrichtung der Verfassung aus, die als Bedrohung für den Sozialstaat aufgefasst wurde.

In den vergangenen Monaten hat sich die Situation der Sozialistischen Partei und der ganzen herrschenden Elite Frankreichs noch verschlechtert, als eine Reihe militanter Streiks gegen die Zerstörung der Arbeitsplätze und bevorstehende Privatisierung staatlicher Einrichtungen ausbrach und gleichzeitig die blanke Wut gegen soziales Elend, Diskriminierung und Polizeimissbrauch in den Vorstädten von Paris explodierte.

In der Woche nach dem Parteitag von Le Mans fand ein unbefristeter Streik der Eisenbahner statt, auf den ein Streik der Pariser Bus- und Metrofahrer und ein nationaler Lehrerstreik folgten.

Der Parteitag fand unter den Bedingungen des Ausnahmezustands statt. Die Regierung hatte demokratische Rechte auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt, das 1955 zur Unterdrückung des Widerstands gegen die Kolonialherrschaft in Algerien eingeführt worden war.

Die Sozialistische Partei lehnte es ab, den Rückzuge der CRS und der Polizei aus den Trabantenstädten zu fordern. Sie unterstützte die ursprüngliche, auf zwölf Tage befristete Verhängung des Ausnahmezustands durch die Regierung. Vincent Peillon, der in der Partei als "Linker" auftritt, hatte damals erklärt: "Wenn wir wollen, das der republikanische Staat respektiert wird, dann darf der Innenminister, was immer man von Nikolas Sarkozy hält, nicht zurücktreten, weil Leute das fordern, die Autos anzünden."

Die Kommunistische Partei und die kleinbürgerlichen Radikalen von der Ligue Communiste Révolutionnaire und der Lutte Ouvrière lehnten es ebenfalls ab, den Rückzug der Sonderpolizei aus den Einwandererghettos zu fordern.

Die Schließung der Reihen zur Verteidigung der "Republik" ist der Schlüssel zum Verständnis der Einheit der Sozialistischen Partei auf dem Parteitag von Le Mans. Der Wesenskern der Sozialistischen Partei als einer bürgerlichen Ordnungspartei findet sich in einem Sonderantrag, der von allen Tendenzen unterstützt wurde. Sein Titel: "Auf die soziale Krise und die Krise in den Städten reagieren." Anstatt die Aufhebung des Ausnahmezustands zu fordern wird, dort erklärt: "Diese Gewalt [nicht die der Polizei, sondern die der Jugendlichen] ist unakzeptabel und unentschuldbar."

In der Resolution hieß es weiter: "Die Sozialisten anerkennen den Mut der örtlichen Stadträte und Bürgermeister, der Polizisten, Feuerwehrleute und Sozialarbeiter, die die Bevölkerung geschützt, die Opfer unterstützt und die Wiederherstellung der Ordnung ermöglicht haben."

Aber die Sozialistische Partei weiß auch, dass Polizeiunterdrückung allein die Ordnung nicht garantieren, sondern die soziale Opposition sogar anheizen kann. Um Unterstützung in der Arbeiterklasse zu gewinnen, kritisiert die Resolution "die soziale Krise und den Schaden, den die neoliberale Politik angerichtet hat" sowie die Kürzung der Sozialprogramme und der Zuschüsse für soziale Initiativen in den Arbeitervorstädten. Sie verspricht ein Programm zur Überwindung der heruntergekommenen Verhältnisse in den Wohngebieten und "bekräftigt,... dass die Jugend in den Arbeiterwohngebieten, die so oft auf Grund ihrer so verschiedenen Herkunft stigmatisiert oder zurückgewiesen wird, die gleichen Rechte und Pflichten hat, wie alle anderen Bürger auch".

Kritik am Ausnahmezustand war den Autoren des vierseitigen Dokuments gerade einmal zwei Zeilen wert. ("Die Rechte versucht die Gewalt als Rechtfertigung einer Politik auszunutzen, die versagt hat. Sie greift auf Sondergesetze und den Ausnahmezustand zurück, was wir ablehnen.") Die wirkliche Haltung der Partei wird in der dem britischen Premierminister Tony Blair nachempfundenen Phrase deutlich: "Wir müssen hart sein gegen Gewalt und hart sein gegen die Ursachen der Gewalt."

Der erste Vorschlag des Sonderantrags für ein Reformprogramm für die Stadtteile lautet: "Einrichtung neuer lokaler Polizeistrukturen mit ordentlichen Polizeistationen, ausgestattet mit erfahrenen Beamten, damit eine koordinierte Strategie im Kampf gegen das Verbrechen, besonders gegen die Schattenwirtschaft zum Einsatz kommt."

Ungeachtet bestimmter minimaler Reformmaßnahmen, die der Parteitag forderte, hat die Sozialistische Partei echte Sozialreformen längst abgeschrieben. Als François Mitterrand 1981 zum Präsidenten gewählt wurde, kündigte er Reformen an, unter anderem ein Nationalisierungsprogramm. Aber schon achtzehn Monate später wurde er von den internationalen Finanzmärkten wieder auf Linie gebracht. Daraufhin ging er zu Konsolidierungsprogrammen über, die seitdem das Markenzeichen der von der Sozialistischen Partei geführten Regierungen sind. Die Hollande-Führung setzte dieses Erbe fort, als sie beim Referendum über die Europäische Verfassung für ein "Ja" warb.

Die Partei war über dieses Thema gespalten. Laurent Fabius trat für ein "Nein" ein und behauptete, gegen Pläne zu sein, den Staatssektor zu privatisieren und Sozialprogramme abzuschaffen. Aber als Mitterands Finanzminister und später als sein Regierungschef hatte Fabius die Zerstörung von Millionen Arbeitsplätzen und einen Lohnstopp organisiert.

Später arbeiteten Fabius als Finanzminister und Hollande als Führer der Sozialistischen Partei Hand in Hand mit Premierminister Lionel Jospin in der Regierung der Pluralen Linken zusammen. Diese Regierung arbeitete mit Präsident Chirac zusammen und verwirklichte eine neoliberale Politik, die kaum von der Vorgängerregierung unter Alain Juppé zu unterscheiden war. Die Wähler zahlten Jospin die fünf Jahre neoliberaler Politik heim, indem sie ihn bei der Präsidentschaftswahl 2002 auf den dritten Platz hinter Jacques Chirac und den Kandidaten der neofaschistischen Nationalen Front, Jean-Marie Le Pen, verbannten.

Die Reaktion der Sozialistischen Partei unter Hollande bestand darin, dass sie sich hinter Chirac stellte und ihn als demokratisches Bollwerk gegen die Bedrohung der Republik durch die Nationale Front anpries. Die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und die Ligue Communiste Révolutionnaire warben für eine Stimme für Chirac, mit dem Resultat, dass er in der Stichwahl gegen Le Pen mit 82 Prozent wiedergewählt wurde. Diese Organisationen tragen alle politische Verantwortung für die Chirac/de Villepin-Regierung und ihre Angriffe auf die Arbeiterklasse.

Auf dem Parteitag der Sozialistischen Partei in Le Mans begruben alle Fraktionen das Kriegsbeil, um diese Bilanz zu verschleiern und das Ansehen der Hollande-Führung aufzupolieren. Nach der Ablehnung der EU-Verfassung hatte die Mehrheitsfraktion Fabius noch aus allen führenden Parteigremien ausgeschlossen.

Die drei Fraktionen hatten vor dem Parteitag den Mitgliedern eigene Resolutionen zur Abstimmung vorgelegt. Die Resolution der Hollande-Führung errang eine knappe Mehrheit von 53 Prozent, und die Resolutionen der beiden anderen Fraktionen teilten sich den Rest etwa zu gleichen Teilen. Dass die Mehrheit der Mitglieder die Hollande-Führung unterstützten, obwohl deren Programm im Referendum von den eigenen Wählern zurückgewiesen worden war, zeigt den rechten Charakter der Partei. Aber eine Mehrheit innerhalb der Partei ist keineswegs gleichbedeutend mit Unterstützung in der Bevölkerung.

Um die Chancen der Partei zu verbessern, wurden alle Querelen um Führungspositionen auf Eis gelegt, so dass Hollande als einziger Kandidat für das Amt des ersten Parteisekretärs übrig blieb. Umgekehrt wurden Fabius und weitere Vertreter der Opposition im Umkreis von Arnaud Montebourg wieder in die Parteiführung aufgenommen.

Die sogenannte "Opposition" erwies der Parteiführung noch einen weiteren Gefallen und versah sie mit einem links-klingenden, an die Arbeiterklasse adressierten Programm. Die Minimalreformen im Schlussantrag stammen zum großen Teil aus dem Vorschlag von Fabius: ein Mindestlohn von 1.500 Euros, die Rücknahme der schlimmsten Rentenkürzungen der Regierung, Unterstützung für die 35-Stundenwoche, Strafen für Unternehmen, die Arbeiter aus reinen Profitgründen entlassen, sowie das Verbleiben der EDF-Stromwerke in öffentlicher Hand. Dies wurde mit der Befürwortung nationalistischer und protektionistischer Wirtschaftsmaßnahmen wie Außenhandelszöllen zum Schutz der europäischen Industrie, der Stärkung der Eurozone durch einen neuen Stabilitätspakt und einer "politisch-demokratischen Kontrolle" der europäischen Zentralbank zur Stärkung von Arbeitsplätzen und Wachstum kombiniert.

Solche Maßnahmen werden als notwendig erachtet, um die Sozialistische Partei in den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007 als Alternative zu den Gaullisten zu präsentieren. Dennoch hat die Sozialistische Partei keine Absicht, den Forderungen der großen Konzerne nach weiteren sozialen Kürzungen, die sie als notwendig für die Behauptung Frankreichs am Weltmarkt hinstellen, in irgend einer Form zu widersprechen. Sollte sie an die Macht gelangen, würde die Sozialistische Partei nicht nur die repressiven Maßnahmen der Gaullisten fortsetzen, sondern noch weitergehende Angriffe auf die sozialen und demokratischen Rechte der arbeitenden Bevölkerung durchführen.

Siehe auch:
Frankreich: Rassistische Hetze zur Rechtfertigung des Ausnahmezustands
(25. November 2005)
Ausnahmezustand in Frankreich - Sarkozy droht mit Massenabschiebungen
( 19. November 2005)
Ausnahmezustand um drei Monate verlängert
( 18. November 2005)
Nein zum Ausnahmezustand in Frankreich!
( 10. November 2005)
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