60 Jahre nach dem Feuersturm - Lehren aus Dresden

Sechzig Jahre, nachdem das Dritte Reich in Schutt und Asche versunken ist, zeigen die Nazis in Deutschland wieder ihre hässliche Fratze. Ausgerechnet zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens, dessen Trümmer zum Symbol der nationalsozialistischen Katastrophe wurden, zogen über 5.000 Neonazis durch die Straßen der sächsischen Metropole.

Unter den Klängen von Trauermärschen, die in ohrenbetäubender Lautstärke vom Band schallten, zogen alte Nazis und junge Skinheads, rechte Verbindungsstudenten und dumpfe Hohlköpfe, angereist aus dem ganzen Bundesgebiet, durch die Dresdener Innenstadt, an der Spitze die Vorsitzenden der Nationaldemokraten (NPD), Udo Voigt, der Deutschen Volks-Union (DVU), Gerhard Frey, sowie er ehemalige Chef der Republikaner, Franz Schönhuber. Es war eine der größten rechtsextremistischen Kundgebung in der Geschichte der Bundesrepublik. Geschützt wurde sie von einem großen Polizeiaufgebot, das etwa 50 linke Gegendemonstranten verhaftete.

Zuvor hatte Voigt unter dem Jubel des versammelten Pöbels seine sattsam bekannten Parolen vom Bomben-Holocaust wiederholt. Schönhuber, im Dritten Reich Mitglied der Waffen-SS, erklärte, er könne keinen Unterschied zwischen einem KZ-Aufseher und einem britischen Bomberpiloten erkennen.

Abends versammelten sich über 50.000 Menschen vor der Semper-Oper und verwandelten den Platz in ein Lichtermeer aus Kerzen. Sie gedachten der 35.000 Opfer der Bombennacht und brachten ihre Wut und Empörung über die Neonazis zum Ausdruck. Unter den Teilnehmern befanden sich viele alte Menschen, die die Zerstörung der Stadt noch selbst erlebt hatten, ebenso wie viele Jugendliche und ganze Familien, die von einem Gedanken beseelt waren - Faschismus und Krieg dürfen sich nie mehr wiederholen. Zehntausend Kerzen bildeten einen Schriftzug: "Diese Stadt hat die Nazis satt."

Für viele stellte sich die Frage, warum es die braune Brut wieder wagen kann, derart arrogant den Kopf zu erheben. "Wie kann nur so etwas bei uns wieder möglich sein? Wie können nur über 190.000 Sachsen diese Typen wählen?", fragte ein jugendlicher Demonstrationsteilnehmer. Bei der sächsischen Landtagswahl vom 19. September hatte die NPD 9,2 Prozent der Stimmen erhalten, fast soviel wie die SPD mit 9,8 Prozent. Seither spüren die Rechten Aufwind und benutzen das sächsische Parlament als Plattform für ihre dumpfe Propaganda.

Die offiziellen Gedenkreden - angefangen bei Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) über Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), den ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) bis zu den Grünen-Politikerinnen Katrin Göring-Eckhardt und Krista Sager sowie PDS-Mann Gregor Gysi - gaben darauf keine Antwort. Sie verbanden moralische Appelle mit dem Ruf nach dem starken Staat.

Der Versuch, die NPD durch das Bundesverfassungsgericht verbieten zu lassen, ist allerdings schon einmal kläglich gescheitert, nachdem bekannt geworden war, dass der Staat selbst in ihren Reihen höchst aktiv mitmischt - jedes dritte Vorstandsmitglied, stellte sich heraus, steht im Sold des Verfassungsschutzes.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kündigte an, dass noch diese Woche ein Gesetzesentwurf zur Verschärfung des Versammlungsrechts in die Bundestagsfraktionen eingebracht wird. Damit soll verhindert werden, dass die Nazis am 8. Mai, dem Jahrestag des Kriegsendes, vor dem Brandenburger Tor demonstrieren und die Bilder erneut rund um die Welt gehen. Davon befürchtet die Regierung einen beträchtlichen Imageschaden.

Den rechten Sumpf können allerdings weder Einschränkungen des Demonstrationsrechts noch Parteiverbote austrocknen. Sie verschaffen den Betroffenen höchstens zusätzliche Publizität. Die Ursachen für das Anwachsen der rechten Banden muss in den realen gesellschaftlichen Verhältnissen gesucht werden.

Als der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber kürzlich die hohe Arbeitslosigkeit für das Anwachsen der NPD verantwortlich machte und die Schuld dafür der SPD zuschob, löste dies einen Sturm der Empörung aus. Aus Stoibers Mund nahm sich dieser Vorwurf in der Tat absurd aus, hat doch seine eigene Partei auf die Arbeitslosigkeit keine andere Antwort als Lohn- und Sozialabbau. Gleichzeitig schürt sie wie keine andere die Ausländerfeindlichkeit und leitet damit Wasser auf die Mühlen der rechten Demagogen.

Dass es einen Zusammenhang zwischen den Wahlerfolgen der Rechtsextremen und der anhaltenden, hohen Arbeitslosigkeit gibt, die in einigen Regionen des zu DDR-Zeiten hoch industrialisierten Sachsen über 25 Prozent beträgt, kann dagegen nicht geleugnet werden. Dabei ist es nicht nur das wachsende Elend an sich, das der NPD zugute kommt. Wichtiger noch ist, dass nicht eine offizielle Partei gegen den Sozialabbau auftritt und alle einstimmig behaupten, es gäbe zur Politik des sozialen Kahlschlags keine Alternative.

SPD und Grüne haben im Bund die Verantwortung für die Hartz-Reformen übernommen, die die Menschen im Osten besonders hart treffen. In Sachsen selbst ist die CDU seit der Wende an der Macht und für den Sozialabbau verantwortlich. Die PDS als größte Oppositionspartei spielt eine besonders zynische Rolle. Sie redet von sozialer Gerechtigkeit, während sie überall dort, wo sie kommunale oder Landesverantwortung trägt, den Sozialabbau konsequent vorantreibt. Das ermöglicht es den rechten Demagogen, sich als "Retter des kleinen Mannes" aufzuspielen, der von den großen Parteien verfolgt wird, und die wachsende Wut und Verzweiflung vieler Menschen auf ihr Stimmenkonto zu lenken.

"Hitlers Sieg, die Schande der Arbeiterführer" hatte Leo Trotzki, der vielleicht scharfsinnigste Gegner der Nazis, 1933 einen Artikel überschrieben. Trotzki verstand, dass der Niedergang der Demokratie ein unvermeidliches Produkt der Krise der kapitalistischen Gesellschaft war. "Es gibt einen allgemeinen Grund für den Zerfall der Demokratie", schrieb er. "Die kapitalistische Gesellschaft hat ihre Blütezeit überlebt. Sie zerstört durch nationale und internationale Gegensätze im Innern eines jeden Landes die demokratische Struktur... Wo sich die fortschrittliche Klasse unfähig zeigt, die Macht zu ergreifen und die Gesellschaft auf sozialistischer Basis neu aufzubauen, kann der im Todeskampf liegende Kapitalismus nur durch die brutalsten und barbarischsten Methoden aufrecht erhalten werden."

Die "Schande" von SPD und KPD bestand darin, dass sie die fortschrittliche Klasse daran hinderten, das Schicksal der Gesellschaft in die Hand zu nehmen. Die SPD vertraute gegen die Nazis auf den Staat, nicht auf die Arbeiterklasse. Sie ließ sich dazu herab, erst Brünings Notverordnungen zu unterstützen und dann Hindenburg zum Reichspräsidenten zu wählen - der schließlich Hitler zum Kanzler ernannte. Die KPD wiederum, unter dem Einfluss Stalins degeneriert, ersetzte den Kampf gegen die Nazis durch radikales Geschrei. Sie weigerte sich strikt, für eine Einheitsfront mit der Sozialdemokratie gegen die faschistische Gefahr einzutreten, beschimpfte die SPD als "Sozialfaschisten" und "Zwillingsbruder" der Braunhemden und spaltete damit die Arbeiterklasse. Gleichzeitig verschloss sie die Augen vor dem Ausmaß der faschistischen Gefahr und vertröstete sich mit der Phrase: "Nach Hitler kommen wir".

Ohne die Lehren aus der Katastrophe von 1933 zu ziehen, ist es nicht möglich, gegen das Wiedererstarken der faschistischen Banden anzugehen. Man kann den braunen Sumpf nicht austrocknen, wenn man seine sozialen Ursachen nicht beseitigt. Erst eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse, die den Kampf gegen Faschismus und Krieg mit dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau verbindet, wird dem rechten Spuk ein Ende bereiten.

Warum Dresden?

Es bedarf einer Erklärung, warum sich die Neonazis gerade die Bombardierung Dresdens für ihre Propaganda zunutze machen.

Die Einäscherung der Stadt war von einer Rücksichtslosigkeit und Brutalität geprägt, die militärisch keinen Sinn ergab. In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 warfen 770 britische Bomber in zwei Angriffswellen riesige Mengen Sprengbomben auf die ungeschützte Stadt, in der sich neben den 630.000 Einwohnern auch zahlreiche Flüchtlinge aufhielten. Es folgte der Abwurf von 650.000 Brandbomben, die in den bereits zerstörten Häusern eine gewaltige Wirkung entfalteten und einen Feuersturm entfachten, dem nichts widerstehen konnte. An den beiden Tagen danach erfolgten weitere Flächenbombardements durch 310 amerikanische Flugzeuge.

Der Angriff richtete sich gegen die Zivilbevölkerung. Die Stadt lag außerhalb des Kriegsgebiets und verfügte über keine kriegswichtigen Verkehrs- oder Industrieanlagen. Und nicht einmal psychologisch machte der Angriff einen Sinn. Er traf Gegner und Unterstützer des Nazi-Regimes gleichermaßen und wurde von diesem systematisch für die eigene Kriegspropaganda ausgeschlachtet.

In den offiziellen Reden war zu diesem Thema außer dem Hinweis, man dürfe Ursache und Wirkung nicht verwechseln, nichts zu hören. Doch dieser Hinweis erschöpft die Frage nicht.

Die Nazis haben einen völkerrechtswidrigen Krieg geplant und ausgelöst, sie haben einen gezielten Völkermord an Juden, Sinti und Roma und der Bevölkerung der eroberten Länder begangen. Doch weshalb sind die Alliierten derart brutal gegen die deutsche Zivilbevölkerung vorgegangen? Weshalb haben sie sich nicht bemüht, die deutsche Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen und ihr zu beweisen, dass sie anders sind als die Nazis? Diese Fragen relativieren nicht die Verbrechen der Nazis, aber sie werfen ein bezeichnendes Licht auf den Charakter des Kriegs.

Es war wiederum Trotzki, der zu Beginn des Zweiten Weltkriegs schrieb: "Der jetzige Krieg - der zweite imperialistische Krieg - ist kein Zufall, er rührt nicht aus dem freien Willen dieses oder jenes Diktators her. Er wurde lange vorher vorausgesagt. Er folgte unerbittlich aus den Widersprüchen der internationalen kapitalistischen Interessen. Entgegen den offiziellen Fabeln, die das Volk einlullen sollen, ist die Hauptursache des Krieges, wie aller anderen sozialen Übel - Arbeitslosigkeit, hohe Lebenskosten, Faschismus, koloniale Unterdrückung - das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der bürgerliche Staat, der darauf beruht."

Es gab in der herrschenden Elite Englands und Amerikas beträchtliche Sympathien für Hitler, solange sich das Nazi-Regime vorwiegend der Unterdrückung der Arbeiterbewegung widmete. Autokönig Henry Ford gehörte ebenso zu seinen Bewunderern wie der britische Monarch Edward VIII. Erst als Hitlers Welteroberungspläne den britischen und amerikanischen Imperialismus unmittelbar bedrohten, wurden auch die Mitglieder der herrschenden Elite zu Antifaschisten.

Über diesen imperialistischen Charakter des Zweiten Weltkriegs konnte keiner der offiziellen Redner in Dresden sprechen. Es würde zu viele Fragen über die Gegenwart aufwerfen. Wiederum sind Arbeitslosigkeit, hohe Lebenskosten, Faschismus und koloniale Unterdrückung auf dem Vormarsch und wiederum gehen sie einher mit Krieg. Der Angriff auf Irak war nach allen Regeln des Völkerrechts ein illegaler Angriffskrieg, und ihm folgen bereits weitere Kriegsdrohungen gegen Iran.

Die deutsche Regierung reagiert darauf, indem sie ihrerseits eine stärkere politische und militärische Rolle in der Welt beansprucht. Bezugspunkt der transatlantischen Beziehung, sagte Bundeskanzler Schröder in seiner jüngsten Rede an die Münchener Sicherheitskonferenz, könne nicht länger die Vergangenheit sein, "wie das so oft in transatlantischen Treuschwüren der Fall ist. ... Es ist im deutschen, aber auch im internationalen Interesse, dass die Europäische Union eine stärkere weltpolitische Verantwortung übernimmt."

Unabhängig von allen moralischen Appellen gegen die Nazis stärkt Schröders Ruf nach einer stärkeren Rolle Deutschlands in der Welt die rechten Tendenzen.

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