Vietnam 1968 Irak 2005: Wenn Wahlen Kriege rechtfertigen sollen

"Die Wähler erschienen unerwartet zahlreich an den Urnen und erteilten den Terroristen in einem mutigen kollektiven Akt eine Absage. Die Wahl kennzeichnet einen historischen Triumph des Kampfs für Demokratie und ein Wendepunkt für die lange und blutige Militäroperation der USA, Tausende Meilen von amerikanischem Boden entfernt."

Irak im Januar 2005? Nein, diese Geschichte tischten US-Regierung und amerikanische Medien der Öffentlichkeit vor mehr als 37 Jahren auf, nach einer Wahl in Südvietnam, die Washington zur Legitimierung seines imperialistischen Intervention in diesem Land organisiert hatte. Auch wenn es zahlreiche Unterschiede zwischen Vietnam und Irak gibt, ist die Ähnlichkeit zwischen den Wahlen, die Washington zur Verfolgung seiner eigenen strategischen Interessen organisierte, manipulierte und ausschlachtete, dennoch augenfällig.

"Vietnam-Wahlen ermutigen USA", lautete die Schlagzeile der New York Times am 4. September 1967, einen Tag nach Schließung der Wahllokale. "Vertreter der USA zeigten sich heute überrascht und bewegt vom Umfang der Beteiligung an der Präsidentschaftswahl in Südvietnam, die trotz der Drohungen von Terroristen zustande kam, die Wahl zu stören."

Washington und sein Marionettenregime gaben eine Wahlbeteiligung von 83 Prozent der 5,85 Millionen wahlberechtigten Südvietnamesen an. "Der Umfang des Votums und das Unvermögen des Vietkong, den Wahlbetrieb zum Erliegen zu bringen, sind die hervorstechenden Tatsachen einer vorläufigen Einschätzung der Wahlen", fügte die Times hinzu.

Am Tag nach der Abstimmung begrüßte US-Präsident Lyndon Johnson die Wahl als "Riesenschritt vorwärts" und erklärte, das Volk von Südvietnam habe seinen demokratischen Willen gezeigt: "Es verdient unsere Unterstützung". Ersetzt man das Wort "Vietnam" durch "Irak", so könnte man meinen, diese Berichte, Kommentare und Reden seien vergangene Woche einfach entstaubt und praktisch unverändert wieder verwendet worden.

In ihrem 1972 veröffentlichten Buch "Fire in the lake" über die US-Intervention in Vietnam kommentiert Frances Fitzgerald, wie die Johnsons Regierung und die Medien die vietnamesischen Wahlen dem amerikanischen Volk präsentierten: "Bei den Amerikanern kam die Botschaft an, die Vereinigten Staaten brächten großzügig alle Vorzüge ihres eigenen politischen Systems in dieses unterentwickelte Land, errichteten eine Demokratie und bemühten sich, das vietnamesische Volk für eine Abwendung vom kommunistischen Totalitarismus zu gewinnen. Diese Nachricht war so eindeutig, dass keiner der ranghohen amerikanischen Wahlbeobachter sich daran erinnerte, dass die Botschaft und die Ky-Regierung den Wahlen erst zugestimmt hatten, nachdem der Abfall der gesamten Nordhälfte des Landes und völlige Anarchie in Saigon drohten."

Wiederum sind die Parallelen bemerkenswert. Während Bush sich im Glanz der hohen Wahlbeteiligung sonnt, wagt praktisch niemand in den Medien, an die unbequeme Tatsache zu erinnern, dass Washington nur unter Zwang grünes Licht für Wahlen gegeben hat. Sie wurden organisiert, um einen allumfassenden Aufstand der schiitischen Bevölkerung zu verhindern, deren wichtigster religiöser Führer Ajatollah Ali Sistani ein Volksvotum verlangt hatte. Anfangs plante die US-Administration die Installation ihrer Marionette Achmed Tschalabi und anderer CIA-Leute. Später entwickelte US-Zivilverwalter Paul Bremer den Plan einer von den USA handverlesenen Versammlung, die eine Regierung bilden sollte.

Gezwungen, doch eine Wahl abzuhalten, machte die US-Regierung daraus in Vietnam wie im Irak eine Propagandaveranstaltung mit dem Ziel, die um sich greifende Opposition gegen die Militärintervention im eigenen Land zu schwächen.

Welche der beiden Wahlen eine größere Karikatur war, ist schwer zu sagen. In Vietnam fand die Wahl unter den Stiefeln des US-Militärs - dessen Zahl sich auf die halbe Million zu bewegte - und der korrupten und repressiven südvietnamesischen Militärjunta von Marschall Nguyen Cao Ky statt. Kandidaten, die als Kommunisten oder "Neutralisten" galten, wurden von der Teilnahme ausgeschlossen. Am Ende gelang es den US-gestützten Generälen trotz dieser strengen Kontrollen nicht, eine Mehrheit zu gewinnen. Sie sicherten sie sich, indem sie in letzter Minute selbst die Wahlurnen voll stopften. Oppositionelle, die von der Unrechtmäßigkeit der Wahl sprachen, wanderten ins Gefängnis.

Während die Ergebnisse der irakischen Wahl noch ausstehen, verlief sie ebenso wenig rechtmäßig. Abgehalten unter militärischer Besetzung nach einem illegalen Angriffskrieg, ist die Durchführung der Wahl selbst die Fortsetzung eines Kriegsverbrechens. Es gab im Vorfeld noch nicht einmal den Anschein eines Wahlkampfs, in dem rivalisierende Programme vorgelegt wurden. Selbst die Namen der meisten Kandidaten wurden bis zum Wahltag geheim gehalten. Hinzu kommt, dass der Wahlgang durch die Sunniten weitgehend boykottiert wurde, die 20 Prozent der Bevölkerung stellen und über ein Jahrhundert lang die zentrale Rolle im politischen Leben des Irak gespielt haben. Selbst die US-Medien konnten das nicht verheimlichen.

Grundsätzlich gilt, dass es einem von einer fremden Macht durch eine unverhohlene Militärdiktatur beherrschten Volk schlichtweg unmöglich ist, eine demokratische Entscheidung zu treffen.

Zweifellos gingen die Menschen sowohl in Vietnam wie auch im Irak aus eigenen Gründen zur Wahl. In beiden Ländern war die Vorstellung, die Wahl könnte zu einem Ende des Mordens und zum Abzug der US-Truppen führen, eines der Hauptmotive.

In Vietnam wurden alle diesbezüglichen Illusionen rasch zerstreut. Wie Fitzgerald in ihrem Buch anmerkt: "Wie immer sie wählten, was immer sie sagten - die Generäle und die Amerikaner würden weiterhin das Land beherrschen. Anstatt sie in,Demokratie zu üben‘, überzeugten die Wahlen von 1966-67 die Vietnamesen, dass Wahlen zur Beilegung politischer Konflikte nutzlos seien."

Überflüssig zu sagen, dass sich dasselbe im Irak erweisen wird. Washington hat über 300 Milliarden Dollar in den Krieg und die Besatzung gesteckt. Es hat Strukturen aufgebaut und Marionetten eingesetzt, die sicherstellen, dass es einen festen Zugriff auf das wirtschaftliche und politische Leben des Landes hat - besonders auf die reichen Ölvorkommen. Und das unabhängig davon, wie das Ergebnis der Wahl oder die Entscheidungen der aus ihr hervorgehenden Nationalversammlung aussehen werden. Washington wird das Heft nicht aus der Hand geben.

Lehrreich ist, was nach der Wahl in Vietnam und dem von der Johnson-Regierung propagierten "Riesenschritt vorwärts" geschah. Innerhalb von weniger als fünf Monaten, im Januar 1968, begann die Tet-Offensive. Die koordinierten Angriffe vietnamesischer Freiheitskämpfer auf Städte und US-Basen im ganzen Land schockierten die amerikanische Öffentlichkeit und zwang Johnson, auf eine Kandidatur zu seiner Wiederwahl im folgenden Jahr zu verzichten.

Auch wurde durch die Tet-Offensive eine massive Intensivierung des Krieges eingeleitet. Es kam zur Operation Phönix, in deren Verlauf die CIA zwischen 20.000 und 70.000 vermeintliche Mitglieder der Nationalen Befreiungsfront tötete, gemeinsam mitihren Familien und Nachbarn, sowie zu den mörderischen Bombardements im Norden und Süden des Landes, bei denen auch Napalm, Agent Orange und andere Chemiewaffen eingesetzt wurden.

Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass die irakischen Wahlen eine ähnlich blutige Eskalation der US-Angriffe nach sich ziehen werden. Schon heute gibt es in den amerikanischen Geheimdiensteliten offene Diskussionen über den Beginn von Operationen, die ähnlich wie Phönix den wachsenden Widerstand mit massenhaften Erschießungen unterdrücken. Die Luftwaffe wird zunehmend wahllos gegen die feindliche Bevölkerung eingesetzt.

Die Wahlen stellen genau so wenig einen Erfolg der USA im Irak dar, wie all die anderen zuvor von der Bush-Administration beschworenen "Wendepunkte": Vom Fall Bagdads über das Ende der "Hauptkampfhandlungen", die Gefangennahme Saddam Husseins bis hin zur Einsetzung der angeblich "souveränen" Interimsregierung unter dem CIA-Mitarbeiter Iyad Allawi. Das Morden wird weitergehen, bis der Widerstand der irakischen Massen und der unabhängige Kampf der amerikanischen Arbeiterklasse gegen den Krieg und seine Verantwortlichen das koloniale Treiben des US-Imperialismus beenden.

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