Bratislava: Wachsende Spannungen zwischen Bush und Putin

Die Europa-Rundreise von US-Präsident George W. Bush endete, wie sie begonnen hatte. Trotz aller zur Schau gestellten Freundlichkeit zwischen "George" und "Wladimir" konnte das Treffen zwischen Bush und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im slowakischen Bratislava erwartungsgemäß nicht die wachsenden Spannungen zwischen den beiden Regierungen überdecken. Die USA erwarten die Unterordnung Russlands unter ihre eigenen außenpolitischen Interessen und die vollständige Öffnung der russischen Wirtschaft gegenüber dem internationalen Kapital.

Putin hatte die Wiederwahl von Bush unterstützt und war einer der ersten, der ihm zu seinem Sieg gratuliert hatte. Seine Annahme, eine erneut von Bush geführte US-Regierung werde im Namen des "Krieges gegen den Terror" mit ihm zusammenarbeiten und ihm in Russland und den früheren Sowjetrepubliken freie Hand lassen, hat sich aber schnell als völlige Fehlkalkulation erwiesen.

Kaum im Amt, setzten die USA in der Ukraine mit der "Revolution in Orange" ein pro-amerikanisches Regime durch, und die neue US-Außenministerin Condoleezza Rice bezeichnete Weißrussland und Iran, die beiden wichtigsten Verbündeten Putins in der GUS und dem Mittleren Osten, als "Vorposten der Tyrannei".

Im Vorfeld des Gipfels von Bratislava griff Bush die russische Regierung scharf an. "Damit Russland Fortschritte als europäische Nation machen kann, muss die russische Regierung ihr Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erneuern", so Bush. "Wir wissen, dass es keine Reform über Nacht geben kann. Wir müssen Russland aber stets daran erinnern, dass unser Bündnis für eine freie Presse, eine lebensfähige Opposition, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit steht. Und die Vereinigten Staaten und alle europäischen Länder sollten die demokratische Reform ins Zentrum ihres Dialogs mit Russland stellen."

Putin wies die Kritik umgehend zurück: "Natürlich müssen die grundlegenden Prinzipien der Demokratie und die Institutionen der Demokratie an die Realitäten des heutigen Lebens in Russland angepasst werden, an unsere Traditionen und unsere Geschichte", erklärte er in einem Zeitungsinterview.

Vor einer Woche empfing Putin demonstrativ den iranischen Chefunterhändler in Nuklearfragen und Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates des Iran, Hassan Rohani. Er erklärte sich überzeugt, dass das iranische Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken diene. Die USA unterstellen dem Iran, nach Atomwaffen zu streben. Rohani verkündete nach seinem Treffen mit Putin zufrieden, am 26. Februar werde eine Vereinbarung zwischen beiden Ländern über die Rückführung von gebrauchten Kernbrennstäben aus dem Iran nach Russland unterzeichnet werden - zwei Tage nach dem Bush-Putin-Gipfel.

Amerikanische Quellen zeigten sich außerdem darüber besorgt, dass Russland Flugabwehrabwehrraketen vom Typ S-400 an Syrien liefern wolle. Dieses Luftabwehrsystem soll angeblich in der Lage sein, Ziele zu bekämpfen, die unter dem Schutz von radarabweisender Stealth-Technologie fliegen. Russland weist darauf hin, dass es sich dabei um rein defensive Waffen konventioneller Art handle und gegen Syrien kein internationales Waffenembargo bestehe.

Syrien und Iran sind die beiden wichtigsten Verbündeten Russlands im Mittleren Osten. Moskau ist mittlerweile Teherans größter Lieferant von Rüstungsgütern, einschließlich Flugzeugen, U-Booten und Panzern. Auch wirtschaftlich arbeiten die beiden Länder zusammen. Russland und Iran werden in der zentralasiatischen Hochgebirgsrepublik Tadschikistan zwei Wasserkraftwerke im Wert von bis zu 380 Millionen Euro bauen. Sogar beim Bau und Start des iranischen Satelliten "Zohreh" arbeiten die beiden Länder zusammen und haben am 31. Januar einen entsprechenden Vertrag im Wert von 132 Millionen Dollar unterschrieben. Russische Firmen sind auch im iranischen Energiesektor involviert.

Iran verfügt über die zweitgrößten Erdgas- und viertgrößten Ölreserven der Welt und ist durch seine Lage zwischen dem kaspischen Meer und dem persischen Golf von großer strategischer Bedeutung. Außerdem verfügt er über eine moderne Infrastruktur und Pipelinenetze und ist daher ein ideales Transitland, um Öl und Gas auf den Weltmarkt zu bringen. Ein pro-amerikanischer Regimewechsel in Teheran würde die wichtigsten Energiereserven der Welt vollends unter Kontrolle der USA bringen.

Die Putin-Regierung bemüht sich, angesichts des amerikanischen Drucks internationale Verbündete zu finden und gleichzeitig eine zu weitgehende Kontrolle amerikanischen Kapitals über die russische Wirtschaft zu unterbinden.

Mit Japan hat Putin Ende letzten Jahres den gemeinsamen Bau einer riesigen Ölpipeline von Sibirien an die Pazifikküste vereinbart, wodurch Asien russisches Öl ohne den Umweg durch den Mittleren Osten erhalten könnte. Dieses Jahr soll ein großes gemeinsames Militärmanöver von Russland mit China stattfinden, auf chinesischem Boden. Russland will außerdem seine Öllieferungen an China bis 2006 von 6,5 auf 15 Millionen Tonnen verdoppeln. China, mittlerweile zweitgrößter Ölimporteur der Welt, gehört wie Japan auch zu den größten Abnehmern iranischen Öls und ist wie Russland ein wichtiger Waffenlieferant Teherans.

Russland dagegen ist der zweitgrößte Ölproduzent der Welt. Putins Vorgehen gegen den Oligarchen Chodorkowski, dessen Yukos-Konzern eng mit amerikanischen Ölfirmen zusammenarbeitete und schließlich sogar oppositionelle Zeitungen und Organisationen finanzierte, rief scharfen Protest aus Washington hervor. Die russische Regierung kümmerte sich jedoch wenig darum, sperrte Chodorkowski ein, zerschlug seinen Konzern und brachte ihn durch eine Zwangsversteigerung unter staatliche Kontrolle.

Sie ging sogar noch weiter, wie die deutsche FAZ berichtete: Künftig soll es ausländischen Unternehmen nur noch zu gestattet sein, Minderheitsanteile an Unternehmen zu halten, die sich um Lizenzen für die Erschließung und den Abbau strategischer Rohstoffe wie Öl und Gas bewerben wollen. Dies ist der wirkliche Inhalt des Streits um "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" in Russland.

Eine Sekunde lang blitzte das sogar in der gemeinsamen Pressekonferenz von Bush und Putin auf. Der US-Präsident erläuterte auf Grundschulniveau die Funktionsweise von liberaler Demokratie im Allgemeinen, schwärmte über den "offenen, freundlichen und konstruktiven Meinungsaustausch mit meinem Freund Wladimir" und versicherte, Putin sei "vollkommen entschlossen", eine solche aufzubauen. Im Anschluss betonte Putin in deutlicher Anspielung auf die Yukos-Affäre, Demokratie bedeute nicht, "dass jeder machen kann, was er will, und das Volk ausrauben kann".

Ansonsten behauptete Bush zwar, es gebe mehr, über das man sich einig, als über das man sich uneinig sei. Als einziges konkretes Beispiel konnte er jedoch nur eine Vereinbarung über die Einschränkung der Verbreitung von Flieger- und Panzerfäusten nennen. Solche Handwaffen werden oft von Kämpfern im Irak und Afghanistan gegen die US-Besatzer eingesetzt. Die Vereinbarung war schon seit langem von den Verteidigungsministern vorbereitet worden. Beim Iran sei man sich darüber einig, so Bush, dass das Land "keine Atomwaffen haben" dürfe. Russland hat freilich seine Lieferung von Nukleartechnologie an Iran, die von Washington abgelehnt wird, stets damit gerechtfertigt, sie diene nur zivilen Zwecken.

Andere Streitpunkte wurden von Bush gar nicht erst erwähnt.

Siehe auch:
Jukos und der Kampf um die russischen Energiequellen
(6. Januar 2005)
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