Landtagswahl in Schleswig-Holstein

Talfahrt der SPD geht weiter

Im nördlichsten Bundesland Deutschlands hat die SPD unter Ministerpräsidentin Heide Simonis am Sonntag erneut eine Landtagswahl verloren.

Die Partei des Bundeskanzlers büßte gegenüber der letzten Wahl vor fünf Jahren 4,4 Prozentpunkte ein und erzielte mit 38,7 Prozent eines der schwächsten Ergebnisse seit Jahrzehnten. Die CDU gewann dagegen 5 Prozent hinzu und wurde mit 40,2 Prozent erstmals seit 1983 wieder stärkste Partei. Die Grünen konnten ihr Ergebnis von 6,2 Prozent praktisch unverändert halten, währen die FDP ein Prozent verlor und bei 6,6 Prozent landete.

Die Wahlbeteiligung erreichte mit 67 Prozent ein Rekordtief in Schleswig-Holstein. Sie lag um zwei Prozent niedriger als bei der letzten Wahl. Ersten Wahlanalysen zufolge gab es in den Städten tendenziell eine Mehrheit für Rot-Grün, während das Land eher für die CDU stimmte. Bemerkenswert ist, dass die Stimmengewinne für die Union nicht nur bei den traditionell eher konservativen über 60-Jährigen, sondern vor allem bei den 30- bis 44-Jährigen mit plus acht Prozentpunkten am höchsten ausfielen.

Das Ergebnis der Wahl ist ein Patt im schleswig-holsteinischen Landtag. SPD und Grüne, die bisherige Regierungskoalition, verfügen über 33, CDU und FDP über 34 Sitze. Das Zünglein an der Waage bilden die beiden Abgeordneten des Südschlesischen Wählerverbands (SSW), der Partei der dänischen Minderheit, für die Aufgrund einer Sonderreglung die Fünf-Prozent-Hürde nicht gilt.

Andere Parteien sind nicht im Landtag vertreten. Die rechtsextreme NPD, die letztes Jahr in Sachsen einen spektakulären Erfolg erzielte, kam auf 1,9 Prozent.

Da der SSW traditionell der SPD nahe steht, gilt es als wahrscheinlich, dass SPD und Grüne ein Minderheitsregierung bilden werden, die vom SSW unterstützt wird. Es ist aber auch eine Große Koalition von CDU und SPD im Gespräch, und die FDP hat eine Neuauszählung der Stimmen verlangt, da Schwarz-Gelb die absolute Mehrheit von 35 Sitzen lediglich um etwa 70 Stimmen verfehlte.

Die Niederlage der SPD kam überraschend, hatte doch die Bundespartei in den Umfragen der letzten Monate gegenüber der CDU wieder deutlich aufgeholt. In Schleswig-Holstein selbst hatten die Meinungsforscher einen Wahlsieg der SPD vorausgesagt. Die Wahl gilt als wichtiger Stimmungstest für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen in drei Monaten, dem letzten großen Flächenstaat, der von SPD und Grünen regiert wird. Diese gilt nun wieder als völlig offen.

Die SPD hatte ihren Wahlkampf ganz auf die Person von Heide Simonis abgestellt und Debatten über inhaltliche Fragen nach Möglichkeit vermieden. Die CDU konterte, indem sie ihrerseits einen "populären" Spitzenkandidaten aufstellte. Der bärtige Peter Harry Carstensen gab sich kumpelhaft, Duzte alle und jeden, sprach Plattdeutsch und riss oft und gern derbe Zoten. Dabei hob er gern hervor, dass die Ministerpräsidentin im Gegensatz zu ihm nicht aus Schleswig-Holstein stammt. Trotzdem gelang es ihm nicht, an die Popularität von Simonis heranzukommen, die sich in erster Linie durch ihre extravaganten Hüte auszeichnete.

Den Ausschlag für die CDU gab schließlich nach Meinung der meisten Beobachter eine Fernsehdebatte der beiden Spitzenkandidaten kurz vor dem Wahltermin, bei der auch inhaltliche Fragen zur Sprache kamen. Etliche Wähler wandten sich darauf enttäuscht von der SPD ab.

Das Wahlergebnis widerspiegelt weniger Unterstützung für die CDU, deren Programm sich kaum von dem der Sozialdemokraten unterscheidet, als die Wegwendung traditioneller Wählerschichten von der SPD. Alle Behauptungen der SPD und der Medien, die Bevölkerung habe die "Notwendigkeit" von Sozialabbau nach einigem Murren, Demonstrieren und Protestwählen "eingesehen", sind damit zwei Monate nach Inkrafttreten von Hartz IV Lügen gestraft.

In Schleswig-Holstein herrscht mit 12,7 Prozent die höchste Arbeitslosenquote aller westdeutschen Flächenstaaten. Es grenzt zudem direkt an Mecklenburg-Vorpommern, wo die Arbeitslosenquote über 23 Prozent beträgt und das Lohnniveau niedriger ist. Die beiden Bundesländer liefern sich einen erbitterten Wettbewerb um die niedrigsten Steuern, was die Haushaltskassen leert. Die Landesregierung von Heide Simonis sitzt auf einem Schuldenberg von 20 Milliarden Euro. Im aktuellen 8-Milliarden-Haushalt klafft ein Loch von 1,4 Milliarden Euro. Anteile an der HDW-Werft und der Lottogesellschaft sind bereits verkauft worden und sogar Amtsgebäude und Ministerien wurden verscherbelt - die Behörden residieren nun zur Miete im ehemals eigenen Haus.

Simonis hatte nie versucht, sich ernsthaft von Hartz IV zu distanzieren. Die Bundespolitiker der SPD hatten sie sogar demonstrativ dafür gelobt, dass sie "keinen Wahlkampf gegen Berlin" gemacht habe. Stattdessen wetteiferte sie mit der CDU darum, wer den Unternehmern niedrigere Steuern und Umweltauflagen anbieten könne, und schlug gleichzeitig vor, die Bevölkerung durch höhere Mehrwert- und Erbschaftssteuern zu belasten.

Dementsprechend ist die SPD gerade bei Wählern in der Arbeiterklasse massiv eingebrochen: Zwar erreichte sie bei der Berufsgruppe der Arbeiter weiterhin ihr bestes Ergebnis, musste aber trotz aller Wahlkampfphrasen über "soziale Gerechtigkeit" gerade hier auch die höchsten Einbussen hinnehmen (minus 13 Prozentpunkte). Lediglich bei den Arbeitslosen verzeichnete sie ebenso große Verluste.

Noch höhere Stimmenverluste und einen Regierungswechsel blieben nur deshalb aus, weil sich die große Mehrheit der Wahlberechtigten auch von der CDU keine Besserung erhofft.

Die CDU hatte zwei Themen in den Vordergrund ihres Wahlkampfes gestellt: Die Schulpolitik und die Arbeitslosigkeit.

Während die SPD auf die PISA-Studie verwies und für mehr Gesamtschulen eintrat, verteidigten CDU und FDP die überholte Dreigliederung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium und beschimpften die Gesamtschulen als "sozialistische Gleichmacherein". Dass sie mit einer derart primitiven Demagogie teilweise durchdringen konnten, lag wohl vorrangig an der desolaten Situation im Schulwesen. Während abstrakt über die ideale Schulform gestritten wurde, bluten die real existierenden Schulen finanziell systematisch aus.

In einem Artikel auf der Website der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft heißt es dazu: "Es ist mehr als auffällig, dass sich alle Parteien im Landtagswahlkampf um klare Aussagen zu den Rahmenbedingungen herumdrücken. Zur Umsetzung der Unterrichtsgarantie, zur Kompensation der auslaufenden Vorgriffsstunde und zur Einführung der verlässlichen Grundschule in den verbleibenden Kreisen wären nach Angaben des Landesrechnungshofes über 2.000 Planstellen notwendig. Während im Landtagswahlkampf 2000 die Parteien noch wetteiferten in den Aussagen zur Schaffung neuer Planstellen, um die steigenden Schülerzahlen aufzufangen, verspricht diesmal allein die CDU 650 Planstellen für die Grundschulen."

Die Grünen konnten ihr Ergebnis trotz der sogenannten "Visa-Affäre" um die grünen Spitzenpolitiker Vollmer und Außenminister Joschka Fischer halten, weil ökonomische Themen laut Meinungsumfragen für die Wähler der Grünen die geringste Bedeutung haben. Arbeitslosigkeit und Sozialabbau berühren diese sozialen Schichten relativ wenig, während es für alle anderen die beiden überragenden Themen der Wahl waren, gefolgt von der Schulpolitik in Schleswig-Holstein.

Siehe auch:
Wahlen in Sachsen und Brandenburg: Die NPD zieht in den sächsischen Landtag ein
(22. September 2004)
Saarländische Landtagswahl: SPD im freien Fall
( 7. September 2004)
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