Powell erklärt Tsunami-Hilfe zum Bestandteil vom globalen Krieg gegen den Terror

Imperialismus im Samaritergewand

Während seines Blitzbesuches in den vom Tsunami verwüsteten Ländern Südasiens enthüllte US-Außenminister Colin Powell, dass der widerwillige und späte Beitrag Washingtons zu den derzeitigen Hilfsmaßnahmen Bestandteil ihres "weltweiten Krieges gegen den Terror" ist.

Als er über die Hilfe der USA und der Beteiligung des amerikanischen Militärs an Hilfsmaßnahmen sprach, erklärte Powell: "Es wird diese Sümpfe der Unzufriedenheit austrocknen, die zu vermehrten terroristischen Aktivitäten führen könnten. Das dient nicht nur unserer nationalen Sicherheit, sondern auch den nationalen Sicherheitsinteressen der betroffenen Länder."

Der US-Außenminister wies darauf hin, dass die Mehrheit der Opfer des Tsunamis Muslime sind, und fuhr fort: "Wir würden das ohne Ansehen der Religion tun, aber ich denke, dass die islamische Welt und der Rest amerikanische Großzügigkeit und amerikanische Werte hier in Aktion sehen können."

Powells Reise dient vor allem der Schadensbegrenzung. Sie zielt in erster Linie darauf ab, den wohlbegründeten internationalen Eindruck zu überwinden, dass die Regierung des mächtigsten imperialistischen Landes der Welt - und besonders dessen Präsident George W. Bush - mit abstoßender Gleichgültigkeit auf die schlimmste Naturkatastrophe der jüngsten Vergangenheit reagiert haben.

Der US-Außenminister ist vom Gouverneur von Florida, Jeb Bush, begleitet worden, der scheinbar als eine Art persönlicher Gesandter für seinen älteren Bruder auftritt und gleichzeitig die internationale Tragödie ausnutzt, um sich die Statur eines globalen Krisenmanagers zu geben und so seine eigenen politischen Ambitionen zu fördern.

Was ist dran an der Behauptung, dass die Reaktion Washingtons auf die massive Zerstörung und die Verluste so vieler Leben ein Ausdruck von "amerikanischer Großzügigkeit und amerikanischen Werten in Aktion" sind?

Großzügigkeit bedeutet vor allem Selbstlosigkeit - kaum ein prägendes Charakteristikum der US-Außenpolitik. Im Gegenteil, die Entscheidungen, die US-Hilfe von obszönen 15 Millionen Dollar auf zunächst 35 Mio. $ und dann schließlich 350 Mio. $ zu erhöhen, entsprangen der kühlen Berechnung, welch immensen Schaden der Geiz Washingtons dem Ansehen des US-Imperialismus in der Welt zufügen könnte.

Wie Powell selbst zugibt, ist die Hilfe ein fester Bestandteil des "Krieges gegen den Terror", der dazu dient, die weltweite wirtschaftliche und politische Vorherrschaft der USA durch militärische Übermacht und Aggression voranzutreiben.

Ohne Zweifel hat der Schock über die Verwüstung und das unvorstellbare Ausmaß an Tod und Leid, das der Tsunami mit sich gebracht hat, durchaus ehrliche, positive Beispiele für "amerikanische Werte" zum Ausdruck gebracht. Aber nicht von der Regierung in Washington.

Die Offenherzigkeit und politische Naivität verbunden mit Großzügigkeit des amerikanischen Volkes war in den ganzen Vereinigten Staaten zu sehen. Schüler und Studenten organisierten alle möglichen Aktivitäten wie den Verkauf von Selbstgebackenem, um Geld für Flutopfer zu sammeln, und Abertausende reagierten auf Spendenaufrufe.

Es ist bemerkenswert, dass Fernsehen und Zeitungen der USA das Ausmaß der Katastrophe korrekt dargestellt haben. Als die herrschenden Kreise einmal festgestellt hatten, dass die ursprüngliche Gleichgültigkeit der Bush-Regierung gegenüber dem vom Erdbeben im Indischen Ozean verursachten Leid nicht mehr zu halten war, traten die Medienkonzerne in Aktion. Ununterbrochen wurden den amerikanischen Fernsehzuschauern schockierende und erschütternde Bilder von aufgereihten Leichen gezeigt, von Eltern, die die Körper ihrer kleinen Kinder trugen und von dem Erdboden gleichgemachten Dörfern gezeigt.

Es drängt sich geradezu auf, diese Berichterstattung mit dem feigen Schweigen zu vergleichen, mit dem die Medien die von der Invasion und Besetzung des Irak durch die USA ausgelöste humanitäre Katastrophe abdeckten. Es gibt mehr als genug Bilder von Toten, von weinenden Eltern, die die Körper ihrer toten Kinder umklammern und von dem Erdboden gleichgemachten Stadtvierteln, aber von der viel gerühmten freien Presse Amerikas werden sie zensiert.

Als Powell einen Hubschrauberflug über das indonesische Bandar Aceh beschrieb, behauptete er, in seiner gesamten militärischen und zivilen Karriere hätte er "niemals etwas ähnliches gesehen".

"Ich kann mir das Grauen nicht vorstellen, das die Familien und all diese Menschen erlebt haben, als sie den Lärm kommen hörten und ihr Leben von dieser Welle ausgelöscht wurde", erklärte Powell. "Die Macht dieser Welle, Brücken zu zerstören, Häuser zu zerstören, Getreidefelder zu zerstören, alles in ihrem Weg zu zerstören, ist unglaublich."

Vielleicht hätte der US-Außenminister einmal einen Hubschrauberflug auf geringer Höhe über der irakischen Stadt Fallujah unternehmen sollen. Allerdings hätte der andauernde Widerstand gegen die US-Besatzer zweifellos eine solche Tour unmöglich gemacht.

Ein solcher Flug hätte ihm einen Blick eröffnet, was ein von Menschenhand gemachter Tsunami aus einer der bedeutendsten Städte des Irak gemacht hat. Die berühmte "Stadt der Moscheen" liegt in Schutt und Asche, nachdem Kampfflugzeuge, Artillerie und Panzer der USA eine Welle von Tod und Vernichtung über sie gebracht haben.

Was ist mit dem Grauen irakischer Familien, die das Dröhnen ununterbrochener amerikanischer Bombardierung und den tagelangen Geschützdonner hörten, bevor schließlich amerikanische Panzer die Zerstörung ihrer Stadt vollendeten? Versucht Colin Powell sich vorzustellen, was in ihren Köpfen vorging? Wie viele ihrer Leben ausgelöscht wurden, interessiert weder die Regierung noch die Massenmedien der USA.

Während das Pentagon und die Medien ständig davon sprachen, wie die amerikanischen Streitkräfte "Rebellen" und "Terroristen" in Fallujah töteten, sprechen die Berichte aus der Stadt nach dem Abschluss der Offensive ein ganz andere Sprache.

Der Direktor des zentralen Krankenhauses von Fallujah hat berichtet, dass ihr Rettungsteam bisher mehr als 700 Leichen aus den Trümmern der Stadt geborgen hat. Mehr als 550 davon waren Frauen und Kinder, die Mehrheit der Männer waren Alte. An Unterernährung gestorbene Babys wurden tot in ihren Häusern gefunden. Die Suche hat sich bis jetzt nur auf einen Teil der Stadt erstreckt, während andere Bereiche wegen anhaltender Kämpfe immer noch unzugänglich sind.

Die Toten von Fallujah sind nicht in der glaubwürdigen Schätzung enthalten, die letzten Monat in einer Studie der britischen medizinischen Fachzeitschrift Lancet gemacht wurde, wonach es seit der US-Invasion 100.000 weitere Tote im Irak gegeben hat, mehrheitlich als Folge von Bombardierungen durch die USA. Die Zahl, die bei etwa zwei Dritteln der gegenwärtig geschätzten Todesopfer des Tsunamis liegt, hat in den amerikanischen Medien jedoch kaum Aufmerksamkeit gefunden.

Über diese eines gewaltsamen Todes gestorbenen Opfer hinaus gibt es noch viele weitere tausende von Toten - vor allem kleine Kinder -, die aufgrund der Zerstörung der Infrastruktur des Landes gestorben sind, die zu einem Mangel an sauberem Trinkwasser und Problemen beim Zugang zu kühler Lagerung und medizinischer Grundversorgung geführt hat. Zusammengenommen hat damit das durch eine von Menschenhand gemachte Katastrophe geschaffene Leid ein ähnlich großes Ausmaß wie das der Naturkatastrophe, die Südasien heimgesucht hat.

Was die "amerikanischen Werte" angeht, so wäre hier die Frage angemessen, wessen Werte in den von amerikanischem Militär und CIA geschaffenen Folterkammern sich ausdrückten in Abu Ghraib, Guantanamo und vielen weniger bekannten Haftanstalten der USA für deren "Krieg gegen den Terror"?

Wessen Werte leiteten die Vernehmungsbeamten und Wachen des Militärs dabei an, die irakischen Gefangenen mit Elektroschocks zu quälen, sie anzuzünden und sexuell zu misshandeln?

Mittlerweile ist klar geworden, dass die Befehle, die zum Aufkommen solcher Abscheulichkeiten führten - und sie immer noch abdecken -, vom Weißen Haus selbst kamen, von Bush abgesegnet und seinem Rechtsberater Alberto Gonzales, der jetzt als Justizminister nominiert ist, mit pseudo-juristischer Rechtfertigung versehen.

Hinter diesen perversen Aktionen stecken die "Werte" einer räuberischen und korrupten herrschenden Elite, die bereit ist, zu Massenmord und Folter zu greifen, um sich selbst weiter zu bereichern. Sie war nur in der Lage, ihr kriminelles Unternehmen im Irak durchzuführen, indem sie das amerikanische Volk systematisch belogen und unter Beihilfe der Medien das wahre Ausmaß ihrer Verbrechen verschleiert hat.

Die Hoffnungen, mehr oder weniger offen von verschiedenen führenden Regierungsbeamten in Washington eingeräumt, dass die Beteiligung des US-Militärs an den Hilfsaktionen in Südasien die Bilder aus Abu Ghraib und Fallujah, die sich ins Gedächtnis der Welt eingebrannt haben, irgendwie auslöschen werden, werden sich als vergeblich erweisen. Wenige werden sich überzeugen lassen, dass sich der US-Imperialismus plötzlich in eine philanthropische Einrichtung verwandelt hat.

Selbst nachdem die Hilfeversprechen zweimal angehoben wurden, würden die Ausgaben Washingtons für die Tsunami-Hilfe kaum zwei Tage lang die Kosten ihres Krieges im Irak decken. Auf der Rangliste des amerikanischen Kapitalismus werden "Werte" in Dollar und Cent gemessen, wie die ganze Welt weiß.

Vor gut einhundert Jahren schrieb die große Revolutionärin Rosa Luxemburg einen zeitlosen Artikel über die Reaktion der Großmächte angesichts einer anderen Naturkatastrophe, dem Vulkanausbruch des Mont Pelée. Dabei wurden 40.000 Menschen getötet, fast die gesamte Bevölkerung der französischen Kolonie Martinique.

Brillant entlarvte sie die heuchlerischen Mitleidsbekundungen angesichts der vielen Toten und die humanitären Posen, in die sich das offizielle Frankreich, Großbritannien, Deutschland, die USA und Russland warfen. Die Regierungen all dieser Länder, so Luxemburg, waren verantwortlich für Blutbäder an ihrer eigenen Arbeiterklasse oder bei der Unterdrückung von antikolonialem Widerstand von Afrika bis zu den Philippinen.

Luxemburg schrieb: "Und nun sind sie alle auf Martinique, wieder ein Herz und eine Seele, sie helfen, retten, trocknen Tränen und fluchen dem unglücklichen Vulkan. Mont Pelée, du gutmütiger Riese, du kannst lachen, mit Ekel kannst du herniederschauen auf diese mildtätigen Mörder, auf diese weinenden Raubtiere, auf diese Bestien im Samariterkleid. Aber es kommt ein Tag, wo eine Donnerstimme erhebt, ein Vulkan, in dem es brodelt und kocht, ob sie auch des nicht achten, und vom Erdboden fegt die ganze scheinheilige, blutbedeckte Kultur. Und erst ihren Trümmern werden sich Nationen zur echten Menschheit zusammenfinden, die nur den einen todbringenden Feind kennen wird - die blinde, tote Natur."

Im Lichte der vergangenen Ereignisse haben diese Worte ihre Frische bewahrt. Der Gegensatz zwischen dem gewaltigen menschlichen Leid und der imperialistischen Heuchelei, der dem Tsunami in Südasien nachgefolgt ist, kennzeichnet eine Gesellschaft, die, von Ungleichheit und Unterdrückung gepeinigt, reif für eine soziale Revolution ist.

Siehe auch:
Der asiatische Tsunami: Warum es keine Warnung gab
(7. Januar 2005)
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