Vor den Präsidentenwahlen im Iran

Der Favorit Rafsanjani

Für den 17. Juni sind im Iran Präsidentenwahlen angesetzt, der Wahlkampf hat offiziell seit zwei Wochen begonnen. Er findet in einer Situation statt, in der sich der "reformistische" Flügel des Regimes unter Führung des noch amtierenden Präsidenten Mohamed Chatami - der der Verfassung entsprechend nicht mehr antreten darf - vollständig diskreditiert hat.

Die "Reformisten" unter Chatami, einem Kleriker mittleren Ranges, der 1997 erstmals zum Präsidenten gewählt wurde, verbanden Versprechen nach mehr politischer Freiheit mit einem liberalen Wirtschaftsprogramm und einer pro-westlichen Orientierung in der Außenpolitik. Die nicht gewählten Institutionen des Klerus blockierten aber die meisten Ansätze einer politischen Liberalisierung, während reformistische Politiker und Journalisten eingesperrt und manchmal ermordet, ihre Zeitungen verboten und Versammlungen ihrer Anhänger von Polizei und religiösen Milizen gesprengt wurden. Chatami und andere reformistische Führer weigerten sich, Widerstand gegen ihre rechten Gegner zu mobilisieren, weil sie aufgrund ihres liberalen Wirtschaftsprogramms nichts mehr fürchteten als eine soziale Bewegung von unten.

Als Ergebnis dieser Politik werden ihnen heute kaum noch Wahlchancen eingeräumt. Schon die Parlamentswahlen Anfang letzten Jahres endeten mit einem Sieg der so genannten "Konservativen", bei einer Wahlbeteiligung die mit 50,6 Prozent den niedrigsten Stand seit der Gründung der Islamischen Republik 1979 erreichte. Beobachter gehen davon aus, dass sie bei den Präsidentenwahlen eher noch niedriger sein wird.

Angesichts des derart offenkundigen Bankrotts der Reformisten haben diese von unerwarteter Seite Schützenhilfe bekommen: Nachdem der von konservativen Klerikern dominierte Wächterrat, eine Art Verfassungsgericht, neben vielen anderen auch den aussichtsreichsten reformistischen Kandidaten, Mustafa Moin, von der Wahl ausgeschlossen hatte, griff der religiöse Führer Ayatollah Ali Chamenei ein und sorgte dafür, dass Moin doch antreten darf.

Hintergrund dürfte sein, dass Moin keine ernsthaften Siegeschancen eingeräumt werden, seine Kandidatur dem Regime aber nach innen und außen etwas mehr demokratische Legitimation verleihen soll. Allerdings haben die letzten acht Jahre mehr als deutlich vor Augen geführt, dass die wirkliche Macht in der Islamischen Republik im Zweifel bei den Institutionen des Klerus liegt, und nicht bei den vom Volk gewählten Vertretern.

Die Präsidentenwahlen finden unter Bedingungen massiven Drucks auf das Regime von innen und von außen statt. Mit der Diskreditierung der Reformisten gibt es auch keine loyale Opposition mehr, die Widerstand von unten in harmlose Kanäle lenken kann. Ethnische und soziale Konflikte haben in letzter Zeit wieder zugenommen.

Im April kam es im Südwestiran zu massiven Unruhen unter der arabisch-stämmigen Bevölkerung, die nach den Afghanen zu den meistunterdrückten und ärmsten Schichten der Arbeiterklasse gehört. Die Unruhen mit Zentrum in der Stadt Ahwaz wurden blutig niedergeschlagen. Laut Human Rights Watch wurden dabei mehr als fünfzig Menschen getötet und über 1.000 verhaftet und teilweise gefoltert.

Auslöser war ein angeblicher - von der Regierung dementierter - Plan aus dem Umfeld des Staatspräsidenten, die Araber in die nordwestliche Grenzregion Aserbaidschan und die dort ansässigen Aseris in die arabisch dominierten Provinzen umzusiedeln. Unter den Aseris sollen separatistische Tendenzen an Einfluss gewonnen haben.

Die USA erklärten sich umgehend solidarisch mit den Protesten. Washington übt seit langem Druck auf Teheran aus und bekennt sich offen um Ziel eines Regimewechsels. Die Bush-Regierung hat mit Afghanistan und dem Irak zwei Nachbarländer Irans militärisch besetzt und unterhält in zwei weiteren, der Türkei und Kuwait, militärische Stützpunkte. Der diplomatische Druck auf Teheran hat sogar noch zugenommen, seit die "EU-3" (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) in der Frage der Atomenergie eng mit den USA zusammenarbeiten und den Iran auffordern, auf Urananreicherung zu verzichten.

Als Reaktion des Regimes zeichnet sich eine "chinesische" Lösung ab: Liberalisierung und Öffnung der Wirtschaft gegenüber dem internationalem Kapital, Zusammenarbeit mit den westlichen Ländern, verbunden mit brutaler politischer Unterdrückung im Innern bei gleichzeitiger begrenzter Freiheit im Privatleben.

Wer ist Rafsanjani?

Der Top-Favorit unter den Präsidentschaftskandidaten steht exemplarisch für dieses Programm: Ayatollah Ali-Akbar Hashemi-Rafsanjani. Er gilt als Opportunist und Pragmatiker, als Kardinal Richelieu der Islamischen Republik, skrupellos, gerissen und einflussreich.

Er wurde 1934 in Rafsanjan als Sohn eines Grundbesitzers von Pistazienplantagen geboren. In den 50er Jahren war er Schüler Chomeinis in Quom. Im Jahr 1963 wurde er nach der "Weißen Revolution" des Schahs verhaftet, mit der dieser den Iran im Interesse des Kapitals und der USA modernisieren wollte. Er wurde zum Militärdienst gezwungen, 1964 wieder verhaftet und für mehrere Jahre inhaftiert.

Rafsanjani soll Kontakte zu den "Volksmujaheddin" (MKO), unterhalten haben, im Gegensatz zu anderen islamischen Fundamentalisten aber angeblich auch zur stalinistischen Tudeh. Nach seiner Entlassung verdingte er sich offiziell als Prediger und inoffiziell als Geldbeschaffer des mittlerweile im Exil lebenden Chomeini. Rafsanjani war Gründungsmitglied der islamisch-republikanischen Partei IRP und Mitglied des Parteivorstandes.

Nach dem Sturz des Schahs wurde er 1979 zunächst Mitglied im Revolutionsrat, wenig später war er als Innenminister am Aufbau der Sicherheitskräfte und der brutalen Unterdrückung linker Gruppen maßgeblich beteiligt. Als Chomeini im Iran eintraf, wich Rafsanjani keinen Moment von seiner Seite. So erschien er jeden Tag in den Zeitungen und steigerte seinen Bekanntheitsgrad.

Die stalinistische Tudeh-Partei trug viel zu seinem Aufstieg bei. Für sie war Rafsanjani die Inkarnation des "Weges vom Imam Chomeini", den die Partei zu dieser Zeit unterstützte. Sie sah damals keinen grundlegenden Unterschied zwischen dem "revolutionären Islam" und dem "wissenschaftlichen Sozialismus".

Als Parlamentspräsident baute Rafsanjani während des Krieges gegen den Irak seinen Einfluss weiter aus. Er war bis 1986 als "Radikaler" bekannt. Das bedeutete, dass er dafür eintrat, die umfangreichen Besitztümer des Schahs, seiner Günstlinge und der nach seinem Sturz in den Westen geflüchteten Elite in den Besitz des Klerus und dessen Günstlingen sowie des nunmehr von Klerikern dominierten Staates zu bringen. Dabei dürfte nicht zuletzt auch für Rafsanjani persönlich und seine zahlreichen Freunde und Verwandten einiges abgefallen sein.

Unter vielen Basarhändlern war Rafsanjani als "sozialistischer Mullah" unbeliebt. Er hielt flammende Reden für die "Entrechteten", womit vor allem die zahlreichen Bewohner der Elendsviertel in den Städten und die veramte Landjugend gemeint waren, die auf dem Schlachtfeld des Krieges verbluteten, und wetterte gegen den "Imperialismus" und den "großen und kleinen Satan" (die USA und Israel). Mit diesen machte er gleichzeitig glänzende Geschäfte, wie in der "Iran-Contra-Affäre" bekannt wurde.

Nachdem der Iran nach sechs Jahren Krieg gegen Irak wirtschaftlich in der Krise steckte und buchstäblich ausgeblutet war, löste sich die IRP 1987 nach heftigen inneren Konflikten auf. Rafsanjani wurde von nun an zum Sprecher der "Pragmatiker", d.h. der während des Krieges aufgestiegenen Schicht der neuen Bourgeoisie, die nun kein großes Interesse mehr an den "Entrechteten" und dem "Kampf gegen den Imperialismus" hatte.

Chomeini ernannte Rafsanjani 1988 zum Oberkommandierenden. In dieser Position setzte er den Friedensschluss mit dem Irak durch und entmachtete teilweise die radikalen, aus den "Entrechteten" rekrutierten religiösen Milizen, ohne aber zu versuchen, sie aufzulösen oder auch nur zu entwaffnen. Dieser Kurswechsel bedeutete keineswegs eine "Mäßigung" des Regimes: Kurz vor Kriegsende wurde in den Gefängnissen noch schnell ein Massaker an politischen Gefangenen organisiert, an dem auch Rafsanjani beteiligt war.

Nachdem er 1989 Präsident geworden war, soll er auch als Drahtzieher bei Terroranschlägen im Ausland mitgewirkt haben, wie bei der Ermordung von vier Kurdenführern im Berliner Restaurant Mykonos. Im Urteilsspruch erklärte das Kammergericht Berlin später, dass der Mordauftrag von staatlichen Stellen im Iran erteilt worden sei und Rafsanjani über das Attentat vorab informiert war.

Im Innern verfolgte er ein Programm der Marktreformen. In den Jahren 1989-91 ließ er Hunderte Staatsbetriebe privatisieren, erleichterte ausländische Investitionen und holte eine Reihe von Technokraten statt Klerikern in die Regierung. Dem damaligen Krieg der USA gegen den Irak stand der Iran unter seiner Regierung wohlwollend gegenüber. Seine Wirtschafts- und Außenpolitik drohte aber die sozialen und ideologischen Grundlagen des islamischen Regimes zu unterhöhlen. Er geriet immer wieder in Konflikte mit anderen Fraktionen des Klerus und der Bourgeoisie.

Unter seiner Regierung durchgesetzte Subventionskürzungen führten 1991 zu Brotunruhen, daraufhin setzte er den liberalen Wirtschaftskurs kurzzeitig aus. Trotzdem endeten die Parlamentswahlen im darauf folgenden Jahr mit einer Niederlage seiner Pragmatiker. Rafsanjani selbst wurde aber 1993 wieder gewählt.

Im selben Jahr begannen die USA ein Wirtschaftsembargo gegen Iran. Rafsanjani setzte in der Wirtschaftspolitik fortan auf einen Kompromiss: Deregulierung und Privatisierungen wurden zwar fortgesetzt, Nutznießer waren aber hauptsächlich religiöse Stiftungen. Diese dienen sowohl dazu, Kleriker zu bereichern, als auch die "Entrechteten" auszuhalten.

Um ausländisches Kapital anzuziehen, richtete Rafsanjani Freihandelszonen ein. Ende 1994 verabschiedete das Parlament ein neues Demonstrationsgesetz, das bereits im Frühjahr 1995 erstmals angewandt wurde: gegen Demonstranten, die gegen eine Verdopplung der Preise protestieren (die Regierung Rafsanjani hatte sogar eine Verfünffachung angestrebt). Das Regime setzte Kampfhubschrauber gegen die Protestierenden ein, nach Berichten ausländischer Beobachter gab es über hundert Tote.

Anschließend verschärften auch die USA ihr Embargo weiter, Rafsanjani schien politisch erledigt. Einer Wahl durch das Volk stellte er sich erst im Jahr 2000 wieder. Er wurde zwar für den Wahlkreis Teheran ins Parlament gewählt, aber so knapp - mit dem schlechtesten Ergebnis aller 30 Teheraner Abgeordneten - dass er sein Mandat noch vor der ersten Parlamentssitzung zurückgab.

Trotz seiner Unbeliebtheit hatte Rafsanjani jedoch nach seiner Zeit als Präsident an Reichtum und Macht nichts eingebüsst, im Gegenteil. Er ist Vorsitzender des "Rates zur Wahrung der Interessen des Systems", der bei Konflikten zwischen dem Wächterrat und dem Parlament als Vermittlungsinstanz fungiert.

Bahman Nirumand kommentierte in der taz : "Der Gottesmann, der einst für ein Handgeld den Gläubigen himmlische Botschaften verkündete, besitzt inzwischen ein Vermögen, das auf mehr als eine Milliarde Dollar geschätzt wird. Er ist der größte Pistazienexporteur Irans. Ihm und seiner Familie gehören mehrere Touristenzentren im In- und Ausland. Sein ältester Sohn Mohsen baut die Teheraner U-Bahn, sein zweiter Sohn Mehdi macht Geschäfte mit Erdgas und Erdöl, sein jüngster Sohn besitzt große Weideländer, seine beiden Töchter Faezeh und Fatemeh sind im In- und Ausland im Immobilienbereich tätig. Rafsandschanis Vettern und Kusinen, Neffen und Nichten besitzen dominierende Anteile der inländischen Autoindustrie, des Exports von Pistazien und Safran, des Imports von Fahrzeugen, Papier und Maschinen. Weite Teile des iranischen Schwarzmarkts werden vom Rafsandschani-Clan beherrscht."

In seinen Erklärungen zur Wahl appelliert Rafsanjani an den Nationalismus und legt Wert auf die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut. Gleichzeitig tritt er für Marktreformen und in bemerkenswerter Deutlichkeit für eine Öffnung des Iran gegenüber der globalen Wirtschaft ein. Gegenüber den USA hat er immer wieder versöhnliche Signale ausgesandt. Er sei zwar nicht der Einzige, der die Probleme mit den USA lösen könne, aber einer von ihnen, meinte er gegenüber USA today, und erklärte, es müsse einen Dialog zwischen den beiden Regierungen geben.

In dieser Frage haben die "Reformisten" bereits ihre Unterstützung für ihn signalisiert. Schon Chatami hatte sich in seiner Amtszeit weitgehend erfolglos um eine Annäherung an die USA bemüht.

Der Hardliner-Flügel des Regimes lehnt Zugeständnisse an die USA aber ab. Diese Fraktion stellt bei der Präsidentenwahl mit Mohammad Baqer Qalibaf, Ali Larijani, Mahmud Ahmadi Nejad und Mohsen Rezai auch die Hauptkonkurrenten für Rafsanjani aus dem konservativen Lager. Alle haben eine Vergangenheit in der Miliz der "Revolutionswächter". Das Innenministerium hat sich bereits über eine Einmischung des Militärs in die Wahlen beschwert und ließ verbreiten, Soldaten würden von ihren Vorgesetzten angewiesen, für bestimmte Kandidaten Wahlkampf zu machen. Der religiöse Führer Chamenei, der allgemein als den Hardlinern nahe stehend gilt, sah sich sogar zur Erklärung gezwungen, er unterstütze keinen bestimmten Kandidaten.

Siehe auch:
Wahlen im Iran: Der politische Bankrott der Reformer
(24. Februar 2004)
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