Chinas schlimmste Grubenexplosion seit sechzig Jahren

Bei einer verheerenden Gasexplosion im Kohlebergwerk Sunjiawan bei Fuxin, in der Provinz Liaoning im Nordosten Chinas, starben Mitte Februar mindestens 212 chinesische Bergarbeiter. Trotz verzweifelter Suchaktionen wurden auch Tage später noch drei Arbeiter vermisst, und es wurde immer unwahrscheinlicher, dass man sie noch finden würde. Weitere 29 Bergleute wurden mit Verbrennungen, Knochenbrüchen und Gasvergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert. Außerdem wurden an die dreißig traumatisierte Familienangehörige stationär eingeliefert.

Eine Rettungsmannschaft von etwa 180 Mann versuchte, die Eingeschlossenen aufzuspüren. Wegen Nachtfrost, unzureichender Durchlüftung und hoher Gaskonzentrationen kam sie nur langsam vorwärts. Die Explosion hatte sich etwa 242 Meter unter der Erdoberfläche ereignet. Drei Tage nach der Explosion waren die meisten Toten geborgen und 160 identifiziert - 44 von ihnen waren Wanderarbeiter aus armen ländlichen Gebieten.

Peking hatte immer wieder versprochen, in seiner mörderischen Bergwerksindustrie die Sicherheitsbedingungen zu verbessern. Aus Furcht vor der Wut der Bevölkerung reagierte es äußerst nervös auf die neuerliche Katastrophe. Es ist der schlimmste Unfall, der in der Volksrepublik China jemals an die Öffentlichkeit kam.

Präsident Hu Jintao, Premier Wen Jiabao und andere hohe Funktionäre haben allesamt ihre "Betroffenheit" ausgedrückt und angeordnet, dass "alle verfügbaren" Mittel zur Rettung der Bergarbeiter von Sunjiawan eingesetzt werden sollen. Es wurde berichtet, dass der Provinzgouverneur Zhang Wenyue und eine Gruppe von Beamten der Zentralregierung ihren Neujahrsurlaub unterbrochen hätten, um die Rettungsmaßnahmen zu überwachen.

Zhao Yunfu, ein Arzt vor Ort, der die Verletzten behandelt, erzählte der Zeitung China Daily: "Ich kann es kaum glauben. Ich war der Meinung, die Grube hätte ihre Produktion unterbrochen." Der Arzt war so überrascht, weil die Mehrzahl der chinesischen Arbeiter zum chinesischen Neujahrsfest üblicherweise eine Woche Urlaub bekommt.

Aber die Bergarbeiter von Sunjiawan durften nicht Urlaub nehmen wie Millionen andere chinesische Arbeiter. Um dem wachsenden Energiebedarf des Landes nachzukommen, war die staatliche Grube zur Weiterarbeit verpflichtet worden. Man hatte die Arbeiter mit Entlassungsdrohungen zum Arbeiten gezwungen.

Die Einmillionenstadt Fuxin gehört zum "Rostgürtel" im Nordosten Chinas, in dem die massiven Umstrukturierungsmaßnahmen der Staatsbetriebe in den neunziger Jahren zu großer Arbeitslosigkeit und Armut geführt haben. Da es keine anderen Arbeitsplätze und nur minimale finanzielle Unterstützung gibt, sind viele Arbeitslose letztendlich zur Arbeit in den Bergwerken gezwungen. Zhang Qiang, der in Fuxin wohnt, sagte zu Associated Press: " Die Arbeit im Bergbau ist wirklich viel zu gefährlich, aber hier ist es schwer, andere Arbeit zu finden."

Die Regierung hat den Opferfamilien Entschädigungen versprochen, weil sie hofft, die Region so stabil zu erhalten. Sie befürchtet, dass das neuerliche Unglück, das weniger als einen Monat nach einer Explosion mit sieben Todesopfern in der Provinzhauptstadt Diaobing stattfand, soziale Unruhen auslösen könnte. In der Gegend wird jetzt eine vierhundertköpfige Task-Force eingerichtet, die die Familien der getöteten Bergleute beschwichtigen soll.

In dieser Region haben in den letzten Jahren einige der militantesten Kämpfe des Landes stattgefunden. Im Februar 2000 wurden nach dreitägigen Straßenschlachten, an denen sich 20.000 arbeitslose Bergarbeiter beteiligt hatten, bewaffnete Truppen nach Yangjiazhangzi und nach Liaoning geschickt, um den Aufruhr zu unterdrücken.

Im März 2002 beteiligten sich in den Industriestädten Daqin, Liaoyang und Fushan Zehntausende von Arbeitern an Massendemonstrationen gegen Entlassungen, Betriebsschließungen und Behörden-Korruption.

Auch nach dem jüngsten Unfall in Sunjiawan hat man paramilitärische Polizeieinheiten in der Gegend stationiert, um möglichen Protesten der Familienangehörigen und Kollegen der Opfer zuvorzukommen. Die zentrale Propagandaabteilung wies die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua an, nur restriktiv über den Vorfall zu informieren. Bewohner der Region berichteten jedoch von dem Unglück über Internet und andere Medien.

Ein Angestellter des Krankenhauses der Bergwerksgesellschaft erzählte dem Radiosender Stimme der Hoffnung, der zur Falun-Gong-Bewegung gehört, viele der Opfer seien Wanderarbeiter vom Land gewesen. Wie der Krankenhausangestellte sagte, seien Bergbau-Aufträge an Direktoren und Aufseher vergeben worden, die damit riesige Gewinne einstrichen. Die Betriebsleitungen gingen davon aus, dass Entschädigungszahlungen an Unfallopfer billiger kämen als Sicherheitsinvestitionen.

Die staatlichen Medien berichteten, die Untersuchung über die Ursachen der Explosion dauerten immer noch an, aber das Management werde wahrscheinlich nicht zur Verantwortung gezogen. Noch während der laufenden Untersuchungen versuchte Zhang Yunfu, der Vizegeneraldirektor des staatlichen Kohlekonsortiums Fuxin, zu dem die Sunjiawan-Zeche gehört, die Schuld auf ein "schwaches Beben" zu schieben, das angeblich zehn Minuten vor der Explosion stattgefunden haben soll.

Was immer auch der Auslöser für die Explosion war, die tieferliegenden Ursachen der Tragödie sind die entfesselten Marktkräfte, denen Peking während der vergangenen zwei Jahrzehnte freien Lauf ließ. Verzweifelte Arbeiter, die jede Arbeit annehmen müssen, sind gezwungen, unter schrecklichen Bedingungen untertage zu schuften, um die ausufernde Nachfrage nach Energie zu befriedigen, die durch eine Flut von ausländischen Investitionen verursacht wird.

China ist derzeit der größte Kohleproduzent der Welt. Aber die durchschnittliche Fördermenge eines chinesischen Kohlebergarbeiters liegt gerade einmal bei 321 Tonnen pro Jahr, das sind nur 8,1 Prozent der Leistung eines südafrikanischen und nur 2,2 Prozent eines amerikanischen Bergmanns. Wie in vielen anderen chinesischen Industriezweigen ist es viel billiger, sehr viele niedrig bezahlte Bergleute einzustellen, als Maschinen anzuschaffen, die die Kohleförderung effizienter und sicherer gestalten könnten. Zusätzlich wird häufig auf wichtige Sicherheitsmaßnahmen verzichtet, um die Fördermengen und Gewinne zu steigern.

Erst in den letzten Monaten kam es zu mehreren schlimmen Grubenunglücken. Im November starben 166 Arbeiter bei einer Grubenexplosion in der Provonz Shaanxi - gerade ein Monat, nachdem bei einem anderen Unglück 148 Menschen getötet worden waren. Am 13. Dezember, dem Tag, an dem der Staatsrat eine nationale Konferenz über "sichere Produktion" abhielt, verloren bei zwei Grubenexplosionen in Chongging, im Südwesten Chinas, acht Arbeiter ihr Leben. Das passierte nur wenige Tage, nachdem bei einem Grubenunglück im Kreis Yangquanju, in der Provinz Shaanxi, 33 Menschen getötet worden waren.

In den Bergwerksgesellschaften - privaten wie staatlichen - werden jedes Jahr Tausende Arbeiter getötet. Die amtliche Zahl betrug letztes Jahr 6.027. Vor kurzem wurde selbst in einem Kommentar des offiziellen China Daily zugegeben: "Es stimmt was nicht, überall in der Industrie: Der Staat muss seine Aufsichtstätigkeit verstärken, und es muss mit unnachgiebiger Entschlossenheit ein Produktionssicherheitsgesetz erzwungen werden, damit keine vermeidbaren Unfälle mehr vorkommen."

Derartige Aufrufe, sich mit den Problemen zu beschäftigen und zu handeln, sind jedoch vor allem kosmetischer Natur.

Seit 2002 hat die chinesische Regierung eine Kampagne nach der andern zur "Förderung der Bergwerkssicherheit " durchgeführt. Im Dezember kündigte sie zu diesem Zweck ein Budget von 51,8 Milliarden Yuan (4,5 Milliarden Euro) für die kommenden drei Jahre an. Selbst wenn diese Summe wirklich zum Einsatz kommen sollte, wird dieses Geld wahrscheinlich genau wie die "Milliarden" für die Arbeitslosen oder die arme Landbevölkerung keinerlei nennenswerte Konsequenzen haben. Bergwerksgesellschaften sind dafür berüchtigt, dass sie sich auch über die minimalen bestehenden Vorschriften, Arbeitsgesetze und Mindestlöhne hinwegsetzen.

Das schlimmste Grubenunglück in China hatte sich im Jahr 1942 ebenfalls im Nordosten des Landes, in der damals von Japan besetzten Mandschurei, ereignet. Nach offiziellen Angaben starben damals 1.549 Bergleute. Jenes Unglück war das direkte Ergebnis der unbarmherzigen Ausbeutung unter japanischer Herrschaft. Es ist bezeichnend für das heutige Pekinger Regime, dass wieder Verhältnisse in Chinas Bergwerken möglich sind, die nur mit den barbarischen Zuständen des japanischen Imperialismus zu Kriegszeiten vergleichbar sind.

Nur ein Tag nach dem Unglück in Sunjiawan forderte eine Druckwelle in einer illegal betriebenen Kohlemine im Dorf Songlin, in der südwestlichen Provinz Yunan, unter den Bergleuten mindestens 24 Todesopfer und 14 Verletzte.

Siehe auch:
"Überhitzung" in China bedroht Weltwirtschaft
(7. Mai 2004)
Chinesische Häftlinge sterben im Bergbau: "Reform durch Arbeit"
( 21. Juni 2001)
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