Italien: Rifondazione schließt sich Prodi an

Der 6. Parteitag von Rifondazione Comunista (PRC) hat endgültig mit der Illusion aufgeräumt, diese Partei stelle in irgendeiner Weise eine sozialistische Alternative zu den bürgerlichen Parteien dar.

Der Parteitag, der vom 3. bis 6. März in Venedig tagte, beschloss, sich bei den Regionalwahlen im April und bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr ohne Vorbedingungen dem bürgerlichen Parteienbündnis unter Führung des bisherigen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi anzuschließen und in einer Regierung Prodi gegebenenfalls Ministerposten zu übernehmen.

Prodi, der auf dem Parteitag anwesend war, begrüßte den neuen Kurs mit den Worten: "Bertinotti hat seine Partei als reformistische Partei präsentiert, die an der reformistischen Parlamentsmehrheit teilnehmen will, und dies ist ein Ausgangspunkt für eine mögliche gemeinsame Arbeit in der nahen Zukunft."

Fausto Bertinotti, der in Venedig zum fünften Mal als nationaler Sekretär des PRC bestätigt wurde, hatte den Anschluss an Prodis Parteienbündnis seit Monaten vorbereitet und mit rabiaten Methoden gegen erheblichen Widerstand innerhalb der Partei durchgesetzt. Auf dem Parteitag rechtfertigte er das Zusammengehen mit Prodi damit, dass die Ablösung der Regierung Berlusconi jetzt Vorrang vor allen anderen Aufgaben habe.

"Die Frage ist: Kann man daran denken, in der realen Politik des Landes und in den Massen präsent zu sein, wenn man der weitest verbreiteten Forderung des Volkes, unseres ganzen Volkes, nicht entspricht, der Forderung Berlusconi zu verjagen", fragte er. "Wer nicht in der Lage ist, zur Verwirklichung dieses Ziels beizutragen, wird von der politischen Szene verschwinden und den Bezug zu den Massen verlieren."

Dieses Argument ist so alt wie der Opportunismus in der Politik. Im Namen des Kampfs gegen das größere Übel wird das angeblich kleinere Übel unterstützt und damit jede wirkliche Alternative und jede unabhängige politische Bewegung der Massen im Keim erstickt.

Ein Beispiel für die Konsequenzen einer solchen Linie konnte man bei den jüngsten amerikanischen Präsidentenwahlen beobachten. Dort hatten zahlreiche radikale Tendenzen den demokratischen Kandidaten John Kerry mit der Begründung unterstützt, die Vertreibung Bushs aus dem Amt habe Vorrang vor allen anderen Zielen, und diese könne nur durch die Wahl Kerrys erreicht werden. Sie sahen darüber hinweg, dass Kerry den Irakkrieg unterstützte und die Interessen derselben Finanzoligarchie vertrat wie Bush. Ein Wahlsieg Kerrys hätte am Kurs der amerikanischen Politik wenig geändert. Im Ergebnis sicherte Kerry Bushs Wiederwahl, weil er sich beharrlich weigerte, an die weit verbreitete Stimmung gegen den Irakkrieg und die ausgeprägte soziale Ungleichheit zu appellieren.

Prodi unterscheidet sich, bei allen nationalen Besonderheiten, politisch nicht grundlegend von Kerry. Er ist ein erprobter Vertreter der italienischen herrschenden Klasse. Der renommierte Wirtschaftsprofessor begann seine politische Karriere in den Reihen der Christdemokraten, übernahm 1978 erstmals ein Ministeramt und leitete in den 80er und 90er Jahren als Manager die riesige Staatsholding IRI, die er umstrukturierte und auf die Privatisierung vorbereitete.

Nach dem Wahlsieg des von ihm gegründeten Parteienbündnisses "Olivenbaum" führte Prodi von 1996 bis 1998 die italienische Regierung - schon damals mit parlamentarischer Unterstützung von Rifondazione, die sich selbst allerdings nicht an der Regierung beteiligte. Als Regierungschef qualifizierte er Italien für die Teilnahme an der Währungsunion, indem er in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften drastische Einschnitte bei den Sozialleistungen vornahm. Die erste Regierung Berlusconi war zuvor noch am massiven Widerstand gegen solche Einschnitte gescheitert

1999 übernahm Prodi für fünf Jahre die Präsidentschaft der Europäischen Kommission. In seine Amtszeit fallen die Osterweiterung der EU und die Verabschiedung der europäischen Verfassung, die die Rechte des Kapitals und der herrschenden Eliten auf Kosten der arbeitenden Menschen Europas festschreibt.

Das Parteienbündnis, auf das sich Prodi stützt, reicht von Nachfolgeorganisationen der Christdemokraten und Craxi-Sozialisten über Liberale und Grüne bis zu den Linksdemokraten und den Italienischen Kommunisten, einer Abspaltung von Rifondazione. Die Linksdemokraten (DS), die Anfang der neunziger Jahre als größte Nachfolgeorganisation aus der Kommunistischen Partei hervorgingen, orientieren sich mittlerweile an den amerikanischen Demokraten.

Betrachtet man den politischen Werdegang Prodis und der ihn unterstützenden Parteien, so kann es keinen Zweifel geben, dass die Ablösung Berlusconis durch Prodi den Kurs der italienischen Politik nicht maßgeblich ändern würde. Die Differenzen zwischen den beiden Lagern sind ausschließlich taktischer Natur. Prodi genießt Unterstützung bei der traditionellen Großindustrie und will die Angriffe auf die Arbeiterklasse in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und den Nachfolgeorganisationen der Kommunistischen Partei durchsetzen; Berlusconi verkörpert die Aufsteiger, die durch die Globalisierung zu Reichtum und Einfluss gelangt sind, und stützt sich auf die rechte Nationale Allianz und die rassistische Lega Nord. Berlusconi pflegt ein enges Bündnis mit den USA, während Prodi auf eine Stärkung des europäischen Imperialismus setzt.

Dennoch hat Bertinotti in Venedig behauptet, eine Regierungsübernahme durch Prodi würde nicht nur zu einem Politikwechsel führen, sondern eine neue Epoche sozialer Reformen einleiten. Diese Behauptung zog sich wie ein roter Faden durch seinen gesamten Parteitagsbericht. "Es ist unser Ziel, Berlusconi verjagen, um einen neuen Kurs der Reformen zu eröffnen", verkündete er.

An anderer Stelle erklärte er, es gehe nicht vorrangig darum, ob sich Rifondazione an einer alternativen Regierung beteiligen solle oder nicht, obwohl sich dieses Problem stelle und gelöst werden müsse. Es gehe darum, mit einer 25-jährigen Periode des Neoliberalismus zu brechen. "Wir stehen vor folgendem Problem: Ist es nach einem Vierteljahrhundert möglich, noch einmal den Weg der sozialen Reformen und einer Struktur zu beschreiten, die mit diesem Kreislauf [der Vorherrschaft der neoliberalen Politik] bricht und einen progressiven Kurs einzuschlagen, oder erleben wir eine Regression der Gesellschaft, der Demokratie und der Bürgerrechte, die für lange Zeit irreversibel sein wird?"

Bertinottis Behauptung, Prodis Rückkehr an die Regierung würde eine neue Ära des Sozialreformismus einleiten, wird nicht nur durch die Erfahrungen mit der ersten Regierung Prodi widerlegt, sie steht auch im Widerspruch zur europäischen und internationalen Realität. Mit dem Irakkrieg, den zunehmenden Konflikten zwischen Europa und den USA und der Verschärfung der wirtschaftlichen Krise hat sich der Druck auf die Abeiterklasse in ganz Europa enorm erhöht. Sozialdemokratische wie konservative Regierungen greifen soziale und demokratische Errungenschaften vehement an. Eine Regierung Prodi würde nicht hinter ihnen zurückbleiben. Eine zweite Regierung unter Führung des "Professors" würde weit rechts von der ersten stehen.

Dass Rifondazione bereit ist, einen solchen Kurs mit zu tragen, machen mehrere vom Kongress verabschiedete Beschlüsse deutlich. So forderten die Delegierten zwar einstimmig den Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak, die Mehrheit unterstützte aber gleichzeitig die so genannte "Zapatero-Wendung" Bertinottis: Sie verlangten die Ablösung der Besatzungssoldaten durch UNO-Blauhelme. Dies käme einem Verbleib der italienischen Soldaten unter anderer Helmfarbe gleich.

Auch ein Minderheitsantrag, die Forderung nach gleitender Lohnanpassung an die Preissteigerungsrate (Scala mobile) ins Programm aufzunehmen, wurde vom Kongress abgelehnt. Die Scala mobile war von der ersten Regierung Prodi abgeschafft worden.

Opposition als Feigenblatt

Bertinottis Leitantrag erhielt auf dem Kongress rund sechzig Prozent der Stimmen und etwa eben so viele Delegierte unterstützten seine Wiederwahl.

Die restlichen vierzig Prozent verteilen sich auf vier Tendenzen, deren größte, Ernesto, etwa ein Viertel der Delegiertenstimmen auf sich vereinen konnte. Diese altstalinistische Tendenz, die eine nach dem Vornamen Ernesto Che Guevaras benannte Zeitschrift herausgibt, will einer Regierungsbeteiligung erst dann zustimmen, wenn zuvor eine Diskussion über das Regierungsprogramm stattgefunden hat.

Die anderen drei Tendenzen, Progetto Comunista, ERRE und Falce Martello, wandten sich generell gegen eine Regierungsbeteiligung. Sie erhielten zusammen etwa 15 Prozent der Stimmen. Bei allen dreien handelt es sich um Gruppierungen, die sich - zu Unrecht - auf den Trotzkismus berufen und seit vielen Jahren innerhalb von Rifondazione arbeiten. Hinter der Tendenz ERRE steht die italienische Sektion des pablistischen Vereinigten Sekretariats, deren kürzlich verstorbener Führer Livio Maitan zu den engsten Vertrauten Bertinottis gehörte. Maitan wurde auf dem Kongress ausführlich gewürdigt.

Die Sprecher dieser Tendenzen griffen die geplante Zusammenarbeit mit Prodi zum Teil in scharfen Worten an. So bezeichnete Marco Ferrando, Sprecher von Progetto Comunista und seit 1994 Mitglied im Vorstand der PRC, das geplante Bündnis als "Neuauflage des politischen Kompromisses zwischen Liberalismus und Sozialdemokratie, ... demzufolge die Liberalen (in Vertretung der Bourgeoisie) die Regierung führen, ihr Programm und ihren Charakter prägen, und die Sozialdemokraten mit ein paar Ministern als Mitgift die Vertretung und Kontrolle der Arbeiterbewegung zwecks Aufrechterhaltung des sozialen Friedens einbringen."

Die kapitalistische Krise sowie die globale Konkurrenz hätten "die Glaubwürdigkeit des Reformismus heute völlig zerstört", verkündete Ferrando. Das Regierungsprogramm von Romano Prodi sei von den Führern des Unternehmerverbandes und den großen Banken verfasst worden.

Alle vier Minderheitstendenzen beschwerten sich bitter über die bürokratischen Methoden, mit denen der Bertinotti-Flügel seine Linie durchgesetzt hat. So waren die Mitgliederlisten in den Monaten vor dem Kongress ungewöhnlich stark angeschwollen. Anscheinend waren sie manipuliert worden, um dem Bertinotti-Lager zu einer sicheren Mehrheit zu verhelfen. Der Kongress selbst änderte dann die Statuten in einer Weise, die - nach den Worten Ferrandos - "die ganze Macht in Händen des Sekretärs konzentriert und die nationale Führung auf eine einflusslose Schwatzbude reduziert".

Doch all das hindert weder Progetto Comunista noch die anderen oppositionellen Tendenzen daran, auch weiterhin loyal innerhalb von Rifondazione zu arbeiten. Nach dem Kongress erklärte Ferrando: "Jetzt haben die vierzig Prozent der Partei eine große Verantwortung. Sie müssen endlich gemeinsam eine politische Perspektive entwickeln, die eine Alternative zur Hinwendung zur Regierung darstellt und darauf abzielt, die Parteimehrheit zu erobern und eine andere Führungsgruppe einzusetzen. (...) Progetto Comunista wird auf jeden Fall bis zuletzt in der PRC kämpfen, um diese Aufgabe zu erfüllen."

Allein schon diese Äußerung zeigt, dass diese Tendenzen keine Alternative zum rechten Kurs der Parteimehrheit darstellen, sondern als Feigenblatt dienen, das diesen abdeckt. Sie halten auch weiterhin an der Vorstellung fest, die von Anfang an falsch war, Rifondazione könne sich zu einer revolutionären, sozialistischen Partei entwickeln.

Der jüngste Rechtsschwenk von Rifondazione kommt nicht überraschend. Er ergibt sich folgerichtig aus der Geschichte, der politischen Perspektive und der sozialen Orientierung dieser Partei.

Die Gründung von Rifondazione erfolgte 1992 als Reaktion auf die Abwendung der Kommunistischen Partei (KPI), der heutigen Linksdemokraten, von ihrem Namen und ihrer traditionellen Symbolik. An ihrer Spitze standen erprobte KPI-Mitglieder, die befürchteten, die Rechtswende der KPI hinterlasse auf der Linken ein Vakuum, in dem sich eine unkontrollierte oppositionelle Bewegung entwickeln könnte. Im Mittelpunkt des Programms von Rifondazione stand die Verteidigung der Tradition der stalinistischen KPI, die - seit sie nach dem Sturz Mussolinis Regierungsverantwortung übernommen, den antifaschistischen Widerstand entwaffnet und die bürgerliche Verfassung unterstützt hatte - stets eine verlässliche Stütze der bürgerlichen Ordnung war.

Gleichzeitig öffnete sich Rifondazione den radikalen Gruppen, die während der Protestbewegung der sechziger und siebziger Jahre entstanden waren. Sie durften der Partei als politische Tendenzen beitreten, erhielten Sitz und Stimme im Vorstand und übernahmen die Aufgabe, die Organisation als revolutionäre Alternative zu den reformistischen Parteien auszugeben. Nicht nur in Italien, in ganz Europa wurde Rifondazione als Vorbild für eine sozialistische Alternative angepriesen.

Doch das war und blieb ein Hirngespinst. Rifondazione verteidigte seit ihrer Gründung die bürgerliche Ordnung. 1995 sicherte sie der Übergangsregierung des ehemaligen Notenbankchefs Lamberto Dini und in den folgenden drei Jahren der Regierung Prodi eine parlamentarische Mehrheit. Als sie schließlich 1999 ihre parlamentarisch Unterstützung zurückzog und Prodi zu Fall brachte, waren die Angriffe auf die Arbeiterklasse bereits weit fortgeschritten und Prodis Nachfolger, der Linksdemokrat Massimo D’Alema, fand Rückhalt bei einem Flügel der Christdemokraten.

Seither hat Rifondazione ihre Arbeit verstärkt auf außerparlamentarische Bewegungen konzentriert - auf gewerkschaftliche Proteste, das Europäische Sozialforum und die Kundgebungen gegen den Irakkrieg. Keine dieser Bewegungen stellt die bürgerliche Ordnung grundsätzlich in Frage. Ihre Perspektive beschränkt sich darauf, die Herrschenden durch Druck zu Zugeständnissen zu bewegen. Einer unabhängigen politischen Entwicklung der Arbeiterklasse, die sich gegen das kapitalistische System richtet, stehen sie organisch feindlich gegenüber. Rifondazione bemühte sich, eine Art Klammer zwischen den außerparlamentarischen Strömungen und den bürgerlichen Institutionen, in denen sie auch auf regionaler und lokaler Ebene verankert war, zu bilden.

Durch die Verschärfung der gesellschaftlichen und politischen Krise im Land ist dieser Spagat zunehmend unhaltbar geworden. Rifondazione sah sich gezwungen, Farbe zu bekennen. Das ist der Grund für ihren jüngsten Rechtsschwenk in Venedig.

Siehe auch:
Die Politik der taktischen Manöver: Interview mit Paolo Ferrero von Rifondazione Comunista
(15. März 2003)
Livio Maitan
( 21. Oktober 2004)
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