Der Fall Zahra Kameli

Unmenschliche Abschiebepraxis der deutschen Behörden

Der Fall der 24-jährigen Iranerin Zahra Kameli wirft ein erhellendes Licht auf die Abschiebepraxis der deutschen Politik. Ginge es nach dem Willen der Innenbehörden des Bundes und des Landes Niedersachsen sowie der Justiz, so befände sich Zahra Kameli jetzt im Iran und müsste um ihr Leben fürchten. Lediglich die Weigerung eines Lufthansa-Piloten, die schwer traumatisierte junge Frau mitzunehmen, verhinderte am 10. Februar in letzter Sekunde ihre Abschiebung.

Die 1980 im Iran geborene Zahra wurde mit 16 Jahren mit dem zehn Jahre älteren Behsad Safari verheiratet. Wenig später floh sie gemeinsam mit ihm aufgrund politischer Verfolgung nach Deutschland. Hier beantragte sie politisches Asyl und wurde in Goslar (Niedersachsen) untergebracht, wo sie ein halbes Jahr später ein Kind zur Welt brachte.

Nachdem Mitte 2002 ihr Asylantrag abgelehnt wurde, Anfang 2004 alle Rechtsmittel ausgeschöpft waren und die Abschiebung anstand, tauchte die Familie unter. In der Illegalität trennte sich Zahra von ihrem Mann und konvertierte zum Christentum. Sie wurde Mitglied in der evangelischen Kirche. Ihr Mann reiste nach der Trennung mit der Tochter in den Iran aus. Zahra lernte einen neuen Partner kennen, einen ebenfalls zum Christentum konvertierten Iraner, und blieb untergetaucht.

Ende 2004, nach fast einem Jahr in der Illegalität, entschied sie sich, einen Asyl-Folgeantrag zu stellen. Durch die neue Lebensbeziehung gilt Zahra im Iran als Ehebrecherin. Diesen droht ebenso wie christlich Konvertierten die Tötung durch Steinigung.

Der Folgeantrag wurde jedoch vom zuständigen Gericht nicht angenommen. Diverse Eilanträge an das Verwaltungsgericht Braunschweig, die Abschiebung auszusetzen, bis die Bedrohungslage im Iran geklärt sei, wurden vom Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Braunschweig, Hans-Ulrich Hirschmann, kurzerhand abgelehnt, die Abschiebung für den 10. Februar festgesetzt.

Mehrere Menschenrechtsorganisationen, legten Hirschmann Dokumente vor, die die Situation im Iran schilderten und eindeutig die Gefahr für die junge Frau nachwiesen. Zwanzig Kirchengemeinden demonstrierten und protestierten gegen die Abschiebung. Selbst diverse Politiker aus unterschiedlichen Parteien und Parlamenten forderten das Gericht auf, die Abschiebung auszusetzen.

Nichts half. Richter Hirschmann blieb hart. Die politische Situation in Iran war für ihn zweitrangig. So liegt dem Arbeitskreis Asyl ein Papier vor, in dem der Richter einräumt, über die Verfolgungssituation im Iran nicht Bescheid zu wissen. Er hatte bei der Ablehnung dreier Eilanträge schlicht behauptet, Frau Kameli sei nicht glaubwürdig. Er unterstellte der Iranerin, sie habe sich nur zum Schein von ihrem Mann getrennt und sei nur wegen des Aufenthalts in der Bundesrepublik zum Christentum übergetreten.

Mit dieser Argumentation hebelte der Richter gleichzeitig auch das neue Zuwanderungsgesetz aus. Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Gesetz erkennt geschlechtsspezifische Verfolgung als Abschiebehindernis an, wie bislang schon die Verfolgung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen. Hirschmann setzte sich einfach über das neue Gesetz hinweg.

Am Abschiebetag wurde Zahra Kameli schließlich zum Frankfurter Flughafen gebracht, wo sie mit einer Maschine der Lufthansa in den Iran ausgeflogen werden sollte. Rund 150 Demonstranten bemühten sich, die Abschiebung zu verhindern. Sie verteilten Flugblätter an Passanten und Fluggäste, die mit Zahra im gleichen Flugzeug sitzen sollten. Die Flugblätter schilderten den Fall der jungen Iranerin und forderten die Fluggäste auf, mitzuhelfen die Abschiebung zu verhindern.

Auch Zahra versuchte sich zu wehren und brach schließlich zusammen. Aufgrund des Zusammenbruchs weigerte sich der Flugkapitän, die Frau mitzunehmen. Die Abschiebung konnte nicht durchgeführt werden, und Zahra wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, wo sie bis heute in medizinischer Behandlung ist.

Für die Demonstranten, die sich mutig gegen die unmenschliche Abschiebung engagiert hatten, folgte ein bitteres Nachspiel.

Nachdem die Abschiebung gescheitert war, die Pressevertreter das Flughafengelände verlassen hatten und sich auch die Teilnehmer der friedlich verlaufenen Kundgebung zur Heimkehr anschickten, kesselte die Polizei rund 60 von ihnen ein. Sie wurden verhaftet, für eine Nacht eingesperrt und aufgefordert, sich DNA-Tests zu unterziehen. Selbst das Recht auf einen Telefonanruf wurde ihnen verwehrt. 15-jährige Jugendliche konnten ihre Eltern nicht anrufen, und einer alleinerziehenden Frau wurde nicht erlaubt, den Babysitter zu benachrichtigen.

"Ich saß 16 Stunden ohne Wasser und Essen in der Zelle", berichtete die Göttinger Neurobiologin Mehrnaz Alipour der Frankfurter Rundschau. "Ich wollte telefonieren, weil ich meinem Babysitter Bescheid sagen musste, dass ich nicht komme." Die Beamten verweigerten dies. "Ich habe die ganze Nacht gegen die Zellentür geschlagen", schildert Alipour, "aber sie haben uns wie Dreck behandelt. Ich wurde wie ein Verbrecher behandelt." Alipour will deshalb die Polizisten anzeigen.

Der Flughafen-Betreiber Fraport hat eine Klage angekündigt - gegen die Demonstranten. Sie sollen wegen "Hausfriedensbruch" belangt werden. Fraport gibt unumwunden zu, dass mit dem harten Vorgehen zukünftige Abschiebungsgegner eingeschüchtert und ferngehalten werden sollen. "Wir werden nicht auf die Verfolgung verzichten, um Nachahmern vorzubeugen", erklärte Fraport-Sprecher Klaus Busch.

Die Abschiebung selbst als auch die Kriminalisierung der Abschiebungsgegner fanden in der Presse ein breites Echo und riefen Empörung hervor. Doch die verantwortlichen Politiker wehrten bis zuletzt jede Kritik am Vorgehen der Behörden und Gerichte ab. Insbesondere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) erklärte, alles wäre stets korrekt gelaufen. Noch am Tag der Abschiebung hatte der Petitionsausschuss des niedersächsischen Landtags vergeblich versucht, durch Appelle an Schily eine Aussetzung der Abschiebung zu bewirken. Selbst noch Tage nach der gescheiterten Abschiebung wollte Schily nicht einlenken.

Nach dem 10. Februar schoben sich Schily und der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) eine Zeit lang gegenseitig die Verantwortung zu. Beide Politiker erklärten, nur der jeweils andere sei befugt, eine Aussetzung der Abschiebunganzuordnen. Nach einer Woche empfahl Schily schließlich in einem Schreiben an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU), Zahra Kameli über die Härtefallregelung des neuen Zuwanderungsgesetzes ein Aufenthaltsrecht zu gewähren. Dies könne nur das Land Niedersachsen entscheiden. Doch selbst in diesem Schreiben betonte Schily noch, die Entscheidungen gegen ein Asyl für die Iranerin seien gerichtlich bestätigt worden und nicht zu beanstanden.

Nach weiteren Manövern hinter den Kulissen, einem Treffen Schilys mit Schünemann und Absprachen mit allen Fraktionsvorsitzenden im niedersächsischen Landtag sprachen sich schließlich der Petitionsausschuss und dann der ganzeLandtag einstimmig für die Anwendung einer Härtefallregelung aus. Innenminister Schünemann verkündete, er werde sich "dem Votum des Landtags beugen".

Die Härtefallregelung findet zunächst allerdings nur für ein Jahr Anwendung und nur - so eine Vereinbarung zwischen CDU und SPD - wenn sich die Unterstützer Frau Kamelis verpflichten, für Unterhalt und Gesundheitsversorgung zu zahlen.

Diese verabredete Vorgehensweise wäre beinahe gescheitert, weil eine private Spenderin ihre Zusage, Unterhalt und Krankenversicherung für Zahra Kameli zu übernehmen, in letzter Minute zurückzog. Innenministerium und CDU/FDP-Mehrheit im Ausschuss wollten aber einer Härtefallregelung nur zustimmen, wenn die finanzielle Versorgung der Iranerin ohne staatliches Geld gesichert sei. Nach mehreren Krisentelefonaten fanden sich drei Unterstützer, die ein Jahr lang Unterhalt, Miete und Krankenkosten verbindlich übernehmen wollen.

Die ehemalige niedersächsische SPD-Sozialministerin Heidi Merk und der Vorsitzende des Petitionsausschusses Klaus Krumfuß (CDU) betonten, dass es sich um "einen absoluten Einzelfall ohne Vorbildcharakter" handele. Man gehe davon aus, dass Kameli spätestens in einem Jahr ihren Unterhalt selbst bestreiten könne. Was mit der jungen Frau passiert, wenn dies nicht der Fall ist, sagten sie nicht. Höchstwahrscheinlich wird sie dann doch noch abgeschoben.

Das Vorgehen von SPD und CDU sowie der staatlichen Instanzen im Fall Kameli zeigen das wahre Gesicht der deutschen Ausländerpolitik. Die Bundesregierung von SPD und Grünen sowie die Länderregierungen, hier die niedersächsische CDU/FDP-Koalition, sind für die gesetzlichen Bestimmungen verantwortlich, die das Asylrecht faktisch abgeschafft haben und massenhaft zu Abschiebungen führen. Jedes Jahr werden mindestens 40.000 Menschen, die in Deutschland Schutz und Hilfe suchten, deportiert.

Dass der Fall Kameli kein "absoluter Einzelfall ohne Vorbildcharakter" ist, beweist auch die tägliche Abschiebepraxis. Am selben Tag, an dem die 24-jährige Zahra Kameli abgeschoben werden sollte, wurde auch die schwangere 24-jährige staatenlose Gazale Salame aus Niedersachsen in die Türkei deportiert. Sie wurde von der Polizei ohne Vorankündigung aus ihrer Wohnung in Algermissen bei Hildesheim abgeholt und mit ihrer einjährigen Tochtervom Flughafen Hannover-Langenhagen aus abgeschoben. Sie konnte sich nicht einmal mehr von ihrem Mann und ihren beiden weiteren Kindern verabschieden. Ihr Mann brachte die Kinder gerade zur Schule.

Siehe auch:
Asylbewerber stirbt im Polizeigewahrsam in Dessau
(19. Februar 2005)
Asylpolitik am Pranger
( 15. Oktober 2004)
Die tödlichen Folgen deutscher Flüchtlingspolitik
( 24. Dezember 2003)
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