Rechte Minderheitsregierung in Polen

Am Montag wurde in Warschau eine neue Regierung unter Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz von der rechtsnationalistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) vereidigt. Sie besteht ausschließlich aus parteilosen Experten und Mitgliedern der PiS, die mit 27 Prozent als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen vom 25. September hervorgegangen war und am 23. Oktober mit Lech Kaczynski auch die Präsidentenwahl gewann. Marcinkiewicz will seine Regierung am 10. November vom Sejm bestätigen lassen. Bis dahin muss er eine ausreichende parlamentarische Mehrheit gewonnen haben.

Bei einer Wahlbeteiligung von 40,5 Prozent wurde die PiS gerade einmal von einem Zehntel der Wahlberechtigten gewählt. Im Sejm sind ihre 155 Abgeordneten weit von einer einfachen Mehrheit der 460 Sitze entfernt. Ihre Minderheitsregierung ist auf die Stimmen der neoliberalen Bürgerplattform (PO) angewiesen, mit der die PiS ursprünglich eine Koalition hatte bilden wollen, oder aber auf die rechtsextremen und teilweise offen antisemitischen Parteien Samoobrona und "Liga der polnischen Familie" (LPR), die zusammen knapp ein Fünftel der Abgeordneten stellen

In jüngster Zeit hat sich die PiS den Rechtsextremen deutlich angenähert und teilweise mit ihnen zusammen gearbeitet. Das hat sie schließlich in die Lage versetzt, das Wagnis einer Minderheitsregierung ohne Beteiligung der Bürgerplattform (PO) einzugehen. Auch wenn die Rechtsextremen nicht formal an der Regierung beteiligt sind, werden sie als mögliche Mehrheitsbeschaffer erheblichen Einfluss auf deren Politik ausüben.

PiS und PO hatten sich schon vor den Wahlen darauf geeinigt, eine gemeinsame Regierung zu bilden, in der die stärkere Partei den Regierungschef stellen sollte. Während der Präsidentenwahl gerieten die Koalitionsverhandlungen aber ins Stocken, weil die Kandidaten der beiden Parteien, Lech Kaczynski und Donald Tusk, in der Stichwahl gegeneinander antraten und sich die Lage entsprechend polarisierte. Während Kaczynski einen starken Staat forderte und sich sozialer und nationalistischer Demagogie bediente, präsentierte sich Tusk als liberaler und wirtschaftsfreundlicher Staatsmann.

Die Umfragen sagten lange einen Sieg Tusks voraus, der ein Gegengewicht zu einem Ministerpräsidenten der PiS gebildet hätte. Als Kaczynski die Wahl dann überraschend gewann, verschärften sich die Spannungen zwischen den Verhandlungspartnern. Die PiS ließ ihre Muskeln spielen und brach bestehende Absprachen.

Der Konflikt spitzte sich über die Frage der Besetzung des Innenministeriums zu. Der Spitzenkandidat der PO, Jan Rokita, beharrte darauf, das Amt selbst zu besetzen. Es sei nicht hinzunehmen, begründete er seinen Anspruch, dass die PiS das Innen- und Justizministerium sowie die Leitung der Geheimdienste übernehme. Man könne einer Partei nicht die volle Kontrolle über den Staat überlassen.

Ein weiterer Streitpunkt betraf die Sozialpolitik. Die PiS war zwar bereit, der PO das Finanzministerium zu überlassen, forderte aber die Aufnahme bestimmter sozialer Wohlfahrtsmaßnahmen in den Koalitionsvertrag. So wollte sie sieben Mrd. Zloty (ca. 1,8 Mrd. Euro) bereitstellen, um die Steuern für Familien zu senken, kinderreiche Familien zu unterstützen und den Bau von Häusern zu subventionieren. Dabei handelte es sich um einen rein symbolischen Betrag. Allein der "Hausnerplan" der Vorgängerregierung umfasste Einsparungen in Höhe von 32 Mrd. Zloty (ca. 8 Mrd. Euro) in sozialen Bereichen. Trotzdem widersetzte sich die PO bis zuletzt jeder Ausgabenerhöhung.

Zum Abbruch der Verhandlungen kam es schließlich, als die PiS gemeinsam mit LPR und Samoobrona verhinderte, dass der PO-Kandidat Bronislaw Komorowski zum Sejmmarschall (Parlamentspräsidenten) gewählt wurde, und stattdessen ihren eigenen Kandidaten Marek Jurek durchsetzte. Jurek ist ein erzkatholischer, nationalistischer EU-Gegner. Die PiS brach damit eine Vereinbarung mit der PO, wonach die stärkere Partei den Ministerpräsidenten und die schwächere den Parlamentspräsidenten stellen sollte.

Tusk begründete den Abbruch der Verhandlungen mit den Worten: "Man kann nicht in die Kamera lächeln und sagen, man würde die PO lieben und man würde eine gute und effektive Koalition mit ihr machen, und am selben Tag eine Koalition mit jemand anderem eingehen." Es sei vereinbart worden, nie die Hilfe des politischen Gegners gegen den Partner zu nutzen.

Tusk beschuldigte die PiS, von Anfang an auf eine Minderheitsregierung mit Unterstützung von LPR und Samoobrona hingearbeitet zu haben. "Dieses Szenario verwirklichen sie hartnäckig, konsequent und zum Schaden Polens." Vor Journalisten in Warschau warf er der PiS vor, sie sei "an maximaler Macht interessiert, nicht an einer Einigung".

In der Folge wuchs der Druck auf PiS und PO, die Verhandlungen fortzusetzen. Der Warschauer Blue-Chip-Index WIG20 verlor am Mittwoch 2 Prozent. Auch der noch amtierende Präsident Aleksander Kwasniwski warf der PiS vor, sie habe "den Willen, die ganze Macht zu besitzen und von ihr Gebrauch zu machen".

Am Sonntag erklärte sich Tusk schließlich bereit, die Verhandlungen unter zwei Bedingungen wieder aufzunehmen: Zum einen müsse jede Zusammenarbeit zwischen Samoobrona und PiS aufhören, und zum anderen solle der Vorsitzende der PiS, der Zwillingsbruder des zukünftigen Präsidenten Jaroslaw Kaczynski, selbst die Verantwortung für die Regierungsbildung übernehmen. Kaczynski gilt als eigentlicher Strippenzieher hinter seinem Vertrauten Marcinkiewicz.

Verhandlungen, die auf dieser Grundlage am Sonntag Abend geführt wurden, blieben aber erfolglos. Bereits in der Nacht zum Montag verkündete dann Marcinkiewicz, dass er am kommenden Tag eine Minderheitsregierung vereidigen lasse. Laut Verfassung hätte er damit bis Mittwoch Zeit gehabt.

Marcinkiewicz schloss eine Koalition mit der PO auch weiterhin nicht aus: "Ich bin davon überzeugt, dass wir uns bei weiteren Gesprächen wieder annähern und letztlich erfolgreich sein werden". Das Kabinett werde "so oder so in gewissem Maße mit der Bürgerplattform gemeinsam gebaut".

Das ist insofern richtig, als die meisten ökonomisch relevanten Bereiche des Kabinetts mit parteilosen Experten besetzt sind, die eher der PO nahe stehen, während die Ressorts der "inneren Sicherheit" allesamt von PiS-Kadern geführt werden.

Marcinkiewicz selbst gilt als wirtschaftsfreundlich. Er war von 1992 bis 1993 stellvertretender Bildungsminister und 1997-2001Chef des Beraterstabs der AWS-Regierung unter Jerzy Buzek. Nach Angaben des österreichischen Tagblatts ist er in dieser Funktion vor allem wegen Vetternwirtschaft aufgefallen. Zuletzt war er Vorsitzender der Privatisierungskommission des Sejm. Marcinkiewicz ist ein enger Vertrauter des Parteivorsitzenden Kaczynski und gilt als dessen verlängerter Arm.

Die Finanzministerin Teresa Lubinska, die Ministerin für Regionalentwicklung Grazyna Gesicka und der Gesundheitsminister Zbigniew Religa gelten alle als PO-nahe und neoliberal. Religa hatte seine erfolgversprechende Präsidentschaftskandidatur frühzeitig zugunsten von Tusk zurückgezogen und dessen Wahlkampf unterstützt.

Der neue Außenminister Stefan Meller war bisher Botschafter in Russland und zuvor in Frankreich. Er ist ebenfalls parteilos. Der Verteidigungsminister Radoslaw Sikorski hat an der Oxford-Universität studiert und gilt als radikaler Befürworter einer transatlantischen Orientierung. Er unterhält Kontakt zu dem rechten Thinktank "American Enterprise Institute".

Mit Ludwik Dorn wird ein enger Vertrauter der Kaczynski-Brüder Innenminister. Auch der neue Geheimdienstkoordinator Zbigniew Wassermann und der junge Justizminister Zbigniew Ziobro (35) sind Mitglieder der PiS. Die Partei hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie gewillt ist, die demokratischen Rechte der polnischen Bevölkerung massiv einzuschränken und einen starken und autoritären Staat aufzubauen. Das ist der Inhalt der "Vierten Republik", deren Aufbau Lech Kaczynski im Wahlkampf angekündigt hat.

Die PiS baut mit einer realen Unterstützung von 11 Prozent der Wahlberechtigten ein autoritäres Regime auf, das demokratisch nicht legitimiert ist. Angesichts des Drucks aus der Wirtschaft wird sich die PO möglicherweise noch daran beteiligen. Möglicherweise wird Marcinkiewicz aber auch mit Hilfe der Rechtsextremen regieren. In jedem Fall ist die polnische Bevölkerung mit enormen Angriffen auf ihre sozialen und demokratischen Rechte konfrontiert.

Siehe auch:
Lech Kaczynski bei geringer Wahlbeteiligung zum polnischen Präsidenten gewählt
(26. Oktober 2005)
Präsidentschaftswahlen in Polen: Stichwahl zwischen zwei rechten Kandidaten
( 12. Oktober 2005)
Parlamentswahlen in Polen: Rechtsruck bei Rekord-Wahlenthaltung
( 30. September 2005)
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