Samsung Berlin: Proteste gegen Werksschließung

Am vergangen Sonntag blockierten etwa 800 Beschäftigten die Werkstore des Samsung-Bildröhrenwerks in Berlin-Oberschöneweide. Nach Angaben des Betriebsrats begann die Streikaktion trotz eisiger Kälte am frühen Morgen. Alle drei Produktionsschichten beteiligten sich.

Seit die Samsung-Geschäftsführung im September die Schließung des Berliner Werkes zu Jahresende bekannt gegeben hat, fanden bereits vielfältige Proteste statt. Doch die Unternehmensleitung der international agierenden Samsung-Gruppe mit Hauptsitz in Korea hält ungemindert an ihren Stilllegungsplänen fest. Sie will die Produktionsstätte für elektronische Bauelemente sowie Bildröhren für herkömmliche Fernsehgeräte am Standort Berlin stilllegen. Rund 750 der 800 Arbeitsplätze werden verloren gehen. Die verbleibenden 50 Arbeitsplätze gehören zu den Bereichen Europäisches Forschungszentrum sowie Service und Vertrieb.

Der Bereich Forschung wird sich, so berichtete der Tagesspiegel, auf die Entwicklung so genannter "Organischer LED-Schirme" konzentrieren, die als Nachfolgegeneration der heutigen Flachbildschirme gelten und voraussichtlich in etwa acht Jahren in Großserie gefertigt werden.

Ein Sprecher des Samsung-Konzerns begründete die Entscheidung zur Schließung mit der Unmöglichkeit, weiterhin Bildröhren wirtschaftlich zu produzieren. Dies sei einerseits auf den zusammenbrechenden Markt für klassische Bildröhren zurückzuführen, da zunehmend so genannte Slim-Röhren für Flachbildschirme die alten Röhren ablösen. Andererseits führten die Importe von Bildröhren aus Billiglohnländern wie China oder Indien in Europa zu Überkapazitäten und damit zu Preisverfall.

Unmittelbar nach der Bekanntgabe der beabsichtigten Werksschließung organisierten Betriebsrat und Gewerkschaft eine Kundgebung der Belegschaft vor dem Roten Rathaus. Eine Woche später beteiligten sich mehr als 100 Beschäftigte mit ihren Fahrzeugen an einem Autokorso zur Botschaft der Republik Korea. Zwei Wochen später fand eine weitere Kundgebung am Potsdamer Platz statt.

Am 28. Oktober fuhr die Belegschaft des Berliner Werkes mit einem Buskonvoi nach Schwalbach bei Frankfurt/Main, um dort vor der Europazentrale des Samsung-Konzerns gegen die drohende Schließung zu protestieren. Am 14. November gab es eine weitere Demonstration und eine Flugblattaktion in verschiedenen Sprachen. Vor einer Woche, am 21. November, fand schließlich ein eintägiger Warnstreik statt. Und zwei Tage vor der Werksblockade am vergangenen Sonntag wechselten sich bei einem zweiten Solidaritätskonzert Gewerkschaftsfunktionäre und Berliner Politiker am Mikrophon ab. Für den Nikolaustag, den 6. Dezember, ist bereits eine neue Aktion geplant, dann wollen die Beschäftigten ihre Arbeitsschuhe vor das Werktor stellen.

Parallel zu diesen Protestaktionen entwickelten der Betriebsrat, die IG Metall und von ihnen beauftragte Unternehmensberater ein Konzept zum Erhalt der Produktion der Bildröhren sowie zur schrittweisen Umstellung auf die Produktion flacher Slim-Röhren, was weitgehende Zugeständnisse in Fragen von Löhnen und Arbeitsbedingungen beinhaltete, aber trotzdem von der Samsung-Geschäftsleitung ablehnt wurde.

Auch die in Berlin regierenden Parteien SPD und PDS sowie einige Oppositionspolitiker mischten sich in das Bemühen ein, Samsung von seinen Schließungsabsichten abzubringen. So schrieben der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und auch der Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) persönliche Briefe an die Konzernleitung. Presseberichten zu Folge antwortete diese nicht einmal.

Mitte November wurde aufgrund der anhaltenden Proteste und häufiger Betriebsversammlungen die Arbeit in den Produktionshallen gestoppt.

Die Geschichte des Werks

Der Industriekomplex in Berlin-Oberschöneweide hat eine lange Geschichte. Bereits 1887 errichtete die AEG hier ihre erste Fabrik. In den Jahren 1915 bis 1917 errichtete die AEG die Gebäudehallen, ab 1938 fertigte Telefunken in den Hallen Röhren an. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete auf dem Gelände des Röhrenwerks von AEG ein elektronisches Versuchslabor sowie die SAG (Sowjetische Aktiengesellschaft), welche ebenfalls Fernsehbildröhren herstellte. Die SAG wurde 1952 in einen VEB (Volkseigenen Betrieb) und 1959 in das VEB "Oberspreewerk" umgewandelt. Ab 1960 wurde das Werk in der DDR unter dem Namen "Werk für Fernsehtechnik" bekannt und stellte ab 1984 Farbbildröhren her. 1990 waren auf dem Industriegelände Berlin-Oberschöneweide noch das Kabelwerk Oberspree, das Transformatorenwerk, die Metallhütten- und Halbzeugwerke und das Radio- und Fernmeldetechnik-Werk ansässig. Zusammen beschäftigten sie etwa 40.000 Personen.

1993 kaufte der Samsung-Konzern das vom Konkurs bedrohte Bildröhren-Werk für den symbolischen Betrag von einer Deutschen Mark. Für den Erhalt des Industriestandorts und das Investieren in die Produktionsstätte erhielt Samsung über die Jahre Fördergelder in Höhe von rund 30 Millionen Euro. (Das in Tschernitz, Landkreis Spree-Neiße, befindliche Bildröhrenwerk des Samsung-Konzerns erhielt Fördergelder in Höhe von etwa 50 Millionen Euro.) Doch während das "Werk für Fernsehtechnik" zu DDR-Zeiten noch 9.000 Menschen beschäftigt hatte, blieben bis zum heutigen Tage lediglich noch rund 800 Arbeitsplätze erhalten. Mit den nun bedrohten 750 Arbeitsplätzen sind auch weitere ca. 250 Arbeitsplätze bei Zulieferern bedroht.

Mehrfach hatten die Beschäftigten des Bildröhrenwerks unter Einfluss ihres Betriebsrates und der Gewerkschaft IG Metall auf Lohnanteile verzichtet. Noch im März dieses Jahres setzten Gewerkschaft und Betriebsrat eine zwölfprozentige Lohnkürzung bei den Beschäftigten durch mit dem Argument, dadurch den Verlust des Arbeitsplatzes zu verhindern.

Nach Angaben des Betriebsrats erwirtschaftete das Bildröhrenwerk, welches pro Jahr 30 Millionen Bildröhren produzierte, im Jahr 2004 noch fast 26 Mio. Euro Gewinn. Insgesamt erwirtschaftete das Werk seit Übernahme durch Samsung weit über 15 Mio. Euro Gewinn. Mit den Gewinnen des Berliner Standortes baute Samsung in Ungarn ein Bildröhrenwerk auf, welches jährlich 20 Millionen Bildröhren fertigt.

Nach Ungarn oder Polen soll die Bildröhren-Produktion nun endgültig verlagert werden. In Ungarn muss Samsung lediglich ein Viertel der deutschen Lohnkosten an die ungarischen Arbeiter zahlen, d.h. ca. 400 Euro pro Monat. Mit dem Wegfall der Fördergelder wurde zwangsläufig der Produktionsstandort Berlin uninteressant.

Zerstörung des Industriestandorts Berlin

Seit 1989 sind in Berlin rund 300.000 Industrie-Arbeitsplätze abgebaut worden. Dem stehen lediglich ungefähr 70.000 Arbeitsplätze gegenüber, die in den letzten zehn Jahren im Dienstleistungssektor neu entstanden sind.

Zu der angekündigten Werkschließung Samsungs gesellen sich die Schließung des japanischen Video-Zubehörherstellers JVC (225 der 235 Arbeitsplätze) und der Spandauer Baumaschinenfabrik CNH zum Jahresende. Siemens, der Schienenfahrzeugbauer Bombardier und der Schreibwarenhersteller Herlitz bauen bis Ende 2006 weiter Stellen ab. Zigarettenhersteller Reemstma, DaimlerChrysler und Telekom werden ebenfalls Arbeitsplätze streichen. Die Deutsche Bahn kündigte den Umzug der Konzernspitze von Berlin nach Hamburg an, womit mehr als 1.000 Jobs in Berlin wegfallen würden.

Mit derzeit 304.000 Arbeitslosen hat Berlin im Oktober eine Arbeitslosenquote von 18,1 Prozent erreicht und damit den schlechtesten Platz in der Arbeitslosenstatistik Deutschlands eingenommen, noch hinter Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) äußert dazu: "Ich gehe von einer sich verfestigenden Quote von 15 bis 17 Prozent aus." Es könne nur darum gehen, die noch vorhandenen rund 97.000 Industriearbeitsplätze zu sichern.

Im Fall Samsung erwägt der Berliner Bürgermeister Wowereit eine Verlängerung der Fördergeldzahlung, um dem Konzern einen Anreiz zum Erhalt des Produktionsstandorts zu schaffen. Wie das hoch verschuldete Land Berlin derlei Beträge aufbringen will, erklärt Wowereit nicht. Doch ist bereits jetzt klar, dass solche Gelder durch weitere Sozialkürzungen zu Lasten der Bevölkerung "erspart" werden.

Unter diesem Blickwinkel verkümmern die Proteste der Politiker in ihren Bittbriefen und Aufrufen zu moralischer Entrüstung. SPD und PDS zeigen sich "zutiefst empört" darüber, dass Samsung Millionen an Fördergeldern einstreicht und pünktlich nach Ablauf der vertraglichen Standortbindung wieder geht. Diese Empörung ist allerdings nicht dem Schicksal der von Arbeitslosigkeit Bedrohten geschuldet - diese sind dem Berliner Senat ebenso egal wie die Beschäftigten der landeseigenen Betriebe, die er selbst seit Jahren mit immer drastischeren Sparmaßnahmen und der Streichung von mehr als 10.000 Arbeitsplätzen konfrontiert.

Die Rolle der Gewerkschaften

Die nationale Beschränktheit der Gewerkschaften und ihre uneingeschränkte Verteidigung des Profitsystems macht sie seit Jahrzehnten zu Handlangern der Arbeitgeber und Politiker. Mit dem gleichen Bedürfnis wie die Politiker, die Konkurrenzfähigkeit des eigenen Standorts zu erhöhen, entwickelten sie sich zu Beratern der Geschäftsführung, statt die Interessen der Beschäftigten zu verteidigen. Mit dem "Überlebens"-Konzept für das Berliner Werk wirbt Betriebsratschef Wolfgang Kibbel, dafür, dass nur 5 Millionen Euro investiert werden müssten, um den Betrieb zu retten. Und der Berliner Bürgermeister Wowereit schließt eine mögliche Verlängerung der Fördergelder nicht aus. Doch die Konzernleitung zeigt an solchen Lockmitteln wenig Interesse.

Die Beschäftigten des Bildröhrenwerks stehen mit der Samsung Electronics Co. Ltd. einem global agierender Konzern gegenüber, der im Bereich Computer, Telekommunikation, digitale Medien und Technologien im Jahre 2004 einen Umsatz von 55,2 Mrd. US-Dollar machte und einen Nettoprofit von 10,3 Mrd. US-Dollar erwirtschaftete. Der Konzern beschäftigt weltweit 113.600 Mitarbeiter an 90 Standorten in 48 Ländern und ist in fünf verschiedene Bereiche unterteilt.

Als Korea 1997 in den Strudel der Asienkrise hineingezogen wurde, restrukturierte der Konzern seine Geschäfte. Die Umstrukturierung und Konzentration auf die so genannten Kernbereiche katapultierten Samsung in den Sparten digitales Fernsehen, Speicherchips, Mobiltelefone und Flachbildschirme TFT-LCD auf Platz 3 der Marktführer. Nur neun Firmen weltweit haben ein vergleichbares Nettoeinkommen (von 10 Mrd. US-Dollar oder höher) im Jahr 2004 erreicht. Samsung will nach eigenen Angaben bis 2008 die Zahl der in Europa verkauften Slim-Röhren auf jährlich über 4 Millionen Stück ausweiten. Die Produktion soll jedoch in Asien erfolgen.

Durch die Globalisierung der Produktion sind internationale Konzerne seit Jahren in der Lage, ihre Produktion jederzeit von einem Standort zum anderen zu verlegen. Nationale Grenzen spielen dabei keinerlei Rolle. Die Auswahl des Standorts unterliegt lediglich dem Ziel der größtmöglichen Profitmaximierung - so kurzfristig sie teilweise auch sein mag. Je niedriger die Löhne und Steuern sind und je weniger Rechte die Arbeiter haben, desto attraktiver ist ein Standort für die Ansiedlung eines Konzerns.

Die Gewerkschaften haben den international agierenden Konzernen ebenso wie die SPD und PDS nichts entgegenzusetzen - ganz im Gegenteil. Unter dem Druck der mächtigen internationalen Konzerne organisieren sie einen Wettkampf um immer günstigere Standortfaktoren und setzen immer schärfere Angriffe gegen die Arbeiter durch.

Die Protestaktionen der Berliner Samsung-Arbeiter haben trotz großer Unterstützung in der Bevölkerung die Geschäftleitung des koreanischen Konzerns nicht von ihrem Plan abbringen können, das Werk zum Jahresende zu schließen. Der Betriebsrat und die Gewerkschaft werden sich mit ihrer Niederlage abfinden oder, sollte es doch zu einer Übergangslösung kommen, allen Kürzungsforderungen des Konzerns nachgeben und sie gegen die Beschäftigten durchsetzen.

Die wichtigste Lehre, die die Arbeiter aus den Kämpften bei Samsung und anderen Werken ziehen müssen, ist die Notwendigkeit des Bruchs mit den alten Arbeiterorganisationen und deren nationalistischer Perspektive. Die Arbeiter müssen sich einer internationalen Perspektive zuwenden, die sie mit den Arbeitern weltweit vereinigt, und sich die Überwindung des Profitsystems selbst zum Ziel setzt.

Siehe auch:
Deutsche Telekom will 32.000 Arbeitsplätze abbauen
(25. November 2005)
Lohnkürzungen und Personalabbau bei Daimler und VW
( 21. Oktober 2005)
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