Massenabschiebung nach Sri Lanka

Ein Flüchtling schildert die Deportation

Die deutschen Ausländerbehörden halten an ihrer brutalen Abschiebungspraxis fest. Am 24. August wurden in einer Nacht- und Nebelaktion 120 tamilische Flüchtlinge aus ganz Deutschland mit einer Chartermaschine von Düsseldorf aus über Istanbul nach Sri Lanka deportiert, obwohl ihre Sicherheit dort nicht gewährleistet ist.

Der Bürgerkrieg, der die Insel seit zwei Jahrzehnten verwüstet und bisher mehr als 60.000 Tote gefordert hat, ist seit 2002 nur durch einen brüchigen Waffenstillstand unterbrochen. Außerdem leidet das Land immer noch unter der verheerenden Tsunami-Katastrophe, die 30.000 Menschenleben gekostet und Hunderttausende obdachlos und arbeitslos gemacht hat.

Die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und den tamilischen LTTE-Rebellen, die für einen eigenen Staat kämpfen, sind zurzeit unterbrochen und das Land droht wieder in einen offenen Bürgerkrieg hineingerissen zu werden. Unmittelbar vor der Massendeportation verhängte die Präsidentin Sri Lankas, Chandrika Kumaratunga, den Ausnahmezustand über das Land, nachdem der Außenminister Lakshman Kadirgama in der Hauptstadt Colombo erschossen worden war.

Vor allem im Norden und Osten des Landes eskaliert die Gewalt wieder. Nahezu täglich werden Zusammenstöße zwischen Regierungstruppen und der LTTE gemeldet. Immer öfter fallen Menschen offensichtlich politisch motivierten Mordanschlägen zum Opfer, deren Hintergrund nie aufgeklärt wird.

Selbst in den Reisehinweisen des deutschen Auswärtigen Amtes wird vor Reisen in die überwiegend von Tamilen bewohnten Gebiete im Norden und Osten des Landes eindringlich gewarnt. Wörtlich heißt es dort: "In und um Trincomalee und Batticaloa hat es in der Vergangenheit ethnische Unruhen mit Todesfällen gegeben. Die Behörden haben mit strikten Ausgangssperren reagiert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich derartige Vorfälle wiederholen."

Alleine in Colombo sollen seit Anfang Juli über 3.000 Tamilen unter Anwendung des "Prevention of Terrorism Act" verhaftet worden sein. Journalisten tamilischer Zeitungen sind von Sicherheitskräften wiederholt an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert worden oder Opfer rassistischer Übergriffe geworden. Täglich werden Hausdurchsuchungen durchgeführt, um politische Gegner einzuschüchtern.

Doch das hat die Ausländerbehörden nicht davon abgehalten, mit der massenhaften Abschiebung tamilischer Flüchtlinge in die Gebiete fortzufahren, in denen die Sicherheitslage am prekärsten ist und die Auswirkungen des Tsunamis am verhängnisvollsten sind.

In den letzten acht Monaten hat sich die Lage für die Überlebenden der Tsunami-Katastrophe kaum gebessert. Die Betroffenen leben immer noch in Lagern und Übergangsunterkünften, da im Norden und Osten des Landes mit dem Wiederaufbau der zerstörten Häuser und der Infrastruktur noch nicht begonnen worden ist.

Noch im Januar hatte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) die Bundesländer angewiesen, Abschiebungen in die vom Tsunami betroffenen Gebiete, unter anderem nach Sri Lanka, für drei Monate auszusetzen. Einen formellen Abschiebestopp hielt er jedoch nicht für notwendig. Die Innenminister der Länder setzten dies um, indem sie die Ausländerbehörden anwiesen, Abschiebungen nach Sri Lanka "einzelfallbezogen der jeweiligen Situation angemessen sensibel zu handhaben".

Wollte man schon im Januar nicht generell von der Abschiebepraxis in Krisengebiete lassen, setzt man nun - die desaströse Flutkatastrophe ist mittlerweile aus den Schlagzeilen der Presse verschwunden - mit aller Gewalt die "angestauten" Abschiebungen durch.

Menschenverachtende Abschiebepraxis - ein Flüchtling berichtet der WSWS

Die 120 deportierten tamilischen Flüchtlinge wurden in der Mehrzahl ohne jede Vorwarnung mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen - mitunter von schwer bewaffneten Sondereinsatzkommandos der Polizei.

Reporter der WSWS konnten in Sri Lanka mit einem der deportierten Flüchtlinge sprechen. Der 31-jährige U., verheiratet und Vater dreier Kinder, schilderte dabei die Methoden der deutschen Abschiebepraxis. U. hat seit Jahren in Deutschland gelebt und in den letzten fünf Jahren in einer Fleischverarbeitungsfabrik gearbeitet.

"Der Asylantrag von mir und meiner Frau wurde abgelehnt und die Akte daraufhin geschlossen. Aber für die Dauer des Asylverfahrens für unsere beiden Söhne hatten wir eine Aufenthaltsduldung. Unser Anwalt hat versucht, einen Antrag auf Einbürgerung für unsre Familie zu stellen mit dem Hinweis auf unsere familiäre Situation, die feste Arbeitsanstellung und die lange Zeit unseres Aufenthaltes. Er sagte uns, dass er die Behörden aufgefordert habe, eine mögliche Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen und ihn darüber zu informieren. Unsere letzte Duldung lief bis zum 13. September 2005.

Am 23. August, gegen 20.45 Uhr, kamen Botschaftsmitarbeiter, ein Arzt und Polizeibeamte zu meiner Wohnung. Ich hieß sie willkommen. In der Wohnung fragten sie dann, wo meine Frau sei, die zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause war. Dann sagten sie, dass sie mich umgehend aus Deutschland abschieben würden.

Wir wurden weder vorab informiert noch wurde uns zuvor irgendeine Frist zur Ausreise gesetzt. Wir hatten ja auch noch die Duldung bis zum 13. September."

U. berichtete dann weiter, von den Polizisten misshandelt worden zu sein, als er versuchte, der drohenden Abschiebung zu entkommen. Jede medizinische Hilfe sei ihm verweigert worden.

"Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und begann zu fliehen. Sie jagten hinter mir her und schlugen mich. Sie verletzten mich am Kopf und an der Wange, und ich blutete stark. In diesem Augenblick kam meine Frau herein. Sie fiel vor Schreck und Angst in Ohnmacht. Die Polizisten führten mich in Handschellen ab.

Meine Hände blieben auf dem Rücken gefesselt, bis ich am nächsten Morgen in das Flugzeug geführt wurde. Die ganze Zeit bis dahin musste ich im Polizeiwagen sitzen. Am Flughafen in Colombo mussten wir weitere zwei Stunden für Befragungen ausharren, obwohl uns dann nur zwei Fragen gestellt wurden: ‚Werden Sie in Deutschland strafrechtlich verfolgt? Werden Sie in Sri Lanka strafrechtlich verfolgt?’ Meine Verletzungen wurden erst später in Jaffna behandelt. Die blutende Kopfwunde musste mit drei Stichen genäht werden.

Die Behandlung von Ausländern in Deutschland ist völlig gesetzlos. Sie kümmern sich nicht um humanitäre Grundsätze und Menschenrechte. Sie fingen und schlugen mich, mit gefesselten Händen musste ich Stunden ausharren, ohne dass meine Verletzungen behandelt wurden.

Ich kann nicht verstehen, was das für Gesetze sind, mit denen die Leute aus dem Land geworfen werden. Das ist ein vollkommen willkürlicher Akt ohne jede Vorankündigung. Warum verhaften sie mich auf diese Weise? Ist es verboten, einen Asylantrag zu stellen? Warum sollte ich dort nicht leben dürfen? In meinen Augen ist Deutschland ein Unrechtsstaat mit einer willkürlich vorgehenden Polizei.

Die Behörden in Sri Lanka gaben unserer Familie nach der Abschiebung ganze 150 Rupien (etwa 1,50 Euro). Wir haben keine Arbeit, kein Dach über dem Kopf. Ich wandte mich an die Internationale Organisation für Migration, IOM, mir zu helfen. Aber sie sagten, sie könnten mir nur helfen, wenn ich mich bereits in Deutschland bei der IOM registriert hätte. Dann wandte ich mich an die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), aber auch sie sagten, sie könnten nichts für mich tun. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll."

U. ist dabei beileibe kein Einzelfall. Wie der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen meldete, saßen in der gleichen Maschine auch Frau V. und ihre Kinder aus dem sauerländischen Meschede, die über zehn Jahre in Deutschland gelebt hatten. Eins der beiden Kinder ist schwer geistig behindert, das andere noch ein Kleinkind. Ein Antrag bei der Härtefallkommission auf ein Bleiberecht war bereits gestellt.

Frau V. und ihre Kinder wurden mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Ein Schlüsseldienst hatte die Wohnung geöffnet. Acht Polizeibeamte standen plötzlich am Bett von Frau V. und forderten sie auf, ihre Koffer zu packen. Der Ehemann und Vater der Familie fand seine Wohnung verlassen vor, als er am nächsten Morgen von der Nachtschicht nach Hause kam. Seine Frau und seine Kinder saßen bereits in der Maschine auf dem Weg nach Sri Lanka - ohne ihn.

Auch das Ehepaar K. wurde an diesem Tag nach Sri Lanka deportiert, obwohl die Eheleute bereits einen Suizidversuch begangen hatten, als zwei Jahre zuvor eine Abschiebungsandrohung ergangen war. Die beiden befanden sich in psychiatrischer Behandlung. Dennoch kannte die Ausländerbehörde keine Gnade. Sie hatte einfach verfügt, dass die beiden in ärztlicher Begeleitung abgeschoben werden.

Damit nicht genug hatten die Eheleute noch unmittelbar vor der Abschiebung einem Verwandten Vollmachten für die Wohnungsschlüssel und ein Bankschließfach gegeben. Als dieser die Schlüssel bei der Ausländerbehörde abholen wollte, wurde ihm eröffnet, dass ein Mitarbeiter bei der Öffnung des Bankschließfaches dabei sein müsse. Zur Begründung wurde ihm erklärt, dass ja schließlich die Kosten der Abschiebung sowie der begleitenden Beamten bezahlt werden müssten.

Ein Flüchtling wurde gar aus einer psychiatrischen Klinik in Siegen herausgeholt. Bekannte des Tamilen Th. haben eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, die dem Flüchtlingsrat NRW vorliegt. Danach wurde Herr Th. am 19. August in der Ausländerbehörde von der Polizei festgenommen. Aufgrund einer bestehenden psychischen Erkrankung erlitt Herr Th. auf der Polizeiwache einen Schock und wurde in ein Krankenhaus eingewiesen, wo er auf die psychiatrische Station verlegt wurde. Th. konnte keine Nahrung mehr zu sich nehmen, erbrach sich, litt unter Krämpfen, Atemnot und Panikattacken, doch ein behandelnder Arzt meinte nach drei Tagen, Th. simuliere nur.

Am 23. September wurde ihm ein starkes Beruhigungsmittel alleine zu dem Zweck verabreicht, die Abschiebung durchführen zu können. Wenige Stunden später wurde er von einer Richterin in Begleitung mehrere Polizisten in Handschellen aus dem Krankenhaus geführt und zum Flughafen gebracht.

Diese armen Menschen, die von Folter und Verfolgung traumatisiert sind, stehen im vom Tsunami verwüsteten Sri Lanka wirtschaftlich vor dem Nichts, sehen einem drohenden Bürgerkrieg entgegen und sind nicht zuletzt infolge des verhängten Ausnahmezustandes erneuter Verfolgung durch die staatlichen Sicherheitskräfte ausgesetzt. Doch die deutschen Ausländerbehörden wissen sich selbst bei diesen eklatanten Verstößen gegen humanitäre Grundsätze und international verbindliche Rechte von der Politik gedeckt.

NRW-Innenminister billigt brutales Vorgehen

Die menschenverachtenden Methoden der Ausländerbehörden werden vom nordrhein-westfälischen Innenminister Ingo Wolf (FDP) ausdrücklich gebilligt. Bei einer Ende Juni vollzogenen Massendeportation von Kurden in die Türkei hatte es ähnlich barbarische Vorfälle gegeben wie bei der Sammelabschiebung der Tamilen im August.

Der Flüchtlingsrat NRW hatte daraufhin eine Stellungnahme Wolfs verlangt. Wolf erklärte daraufhin, es gäbe "keine Anhaltspunkte dafür, dass die jeweiligen Rückführungen nicht in rechtlich einwandfreier Art und Weise durchgeführt worden sind". Er widersprach ärztlichen Gutachten, wonach auch Flüchtlinge mit posttraumatischen Belastungsstörungen abgeschoben wurden.

Weiter erklärte er die nächtlichen Überfallaktionen bei Flüchtlingen, die aus dem Schlaf gerissen wurden, für rechtens. Zwar verbiete das Polizeigesetz Nordrhein-Westfalens das Eindringen in Privatwohnungen zwischen neun Uhr abends und vier Uhr morgens, aber das martialische Vorgehen der Ausländerbehörden mit Unterstützung von Sondereinsatzkommandos der Polizei mitten in der Nacht sei, so Wolf, vollauf gerechtfertigt gewesen. Denn "um einen Suizid während der Abschiebung wirkungsvoll verhindern zu können, war ein schneller Zugriff erforderlich".

Der Zynismus dieser Aussage ist nicht zu übertreffen. Doch Wolf geht noch weiter und erklärt die Flüchtlinge kurzerhand zu Schwerstkriminellen, um die Nacht- und Nebelaktion zu rechtfertigen.

Nach dem Polizeigesetz, so Wolf, "können jedoch Wohnungen zur Abwehr dringender Gefahren jederzeit betreten werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen. Vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, die sich ohne erforderliche Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhalten und deren Abschiebung nicht ausgesetzt ist, begehen eine Straftat".

Ein Großteil der Abgeschobenen, sowohl bei den kurdischen als auch bei den tamilischen Flüchtlingen, hatte jedoch eine gültige Aufenthaltsduldung. Andrea Genten vom Flüchtlingsrat NRW erklärt dazu: "Hiermit werden Geduldete zu Kriminellen erklärt, das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung wird für Geduldete aufgehoben."

Wolf hatte den Ausländerbehörden mit der Rechtfertigung der Maßnahmen bei der Abschiebung der Kurden einen Blankoscheck ausgestellt, den diese dann nur zwei Monate später mit der barbarischen Deportation der Tamilen erstmals einlösten. Mit der Degradierung zu Kriminellen wurden die Flüchtlinge aus Sri Lanka jeglicher Menschenrechte beraubt und zum Freiwild der Behörden.

Völlig zu Recht verglich Lothar Kuschnik, Superintendent des Kirchenkreises Arnsberg im Sauerland, im Bonner General-Anzeiger die Aktionen der Ausländerbehörde und des nordrhein-westfälischen Innenministeriums mit den Methoden südamerikanischer diktatorischer Regime.

Mit der Kriminalisierung von Flüchtlingen weiß sich Ingo Wolf auf einer Linie mit Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der im Zuge des "Kampfes gegen den Terror" die Rechte von Ausländern und Flüchtlingen systematisch beschnitten hat und sie gebetsmühlenartig zur Gefahr für die "Innere Sicherheit" erklärt. Mit der Hetze gegen Migranten und Flüchtlinge werden von den Regierungen des Bundes und der Länder die barbarischen Massenabschiebungen vorbereitet, um nach und nach geltendes internationales Recht außer Kraft zu setzen.

Siehe auch:
Racist attacks on Tamil newspaper in Sri Lanka
(3. September 2005)
Sri Lankan SEP holds meeting to warn of dangers of war and autocratic rule
( 31. August 2005)
Killing in northern Sri Lanka: a sign of sharp tensions
( 12. August 2005)
Krise der parlamentarischen Herrschaft in Sri Lanka
( 2. August 2005)
Hamburg schiebt als erstes Bundesland Flüchtlinge nach Afghanistan ab
( 16. Juni 2005)
50.000 Kosovaren droht die Abschiebung
( 28. Mai 2005)
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