Nach Toten in Ceuta und Melilla

EU beschließt Lagersystem für Flüchtlinge

Nirgendwo wird der menschenverachtende Charakter der Europäischen Union sichtbarer als in der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Mindestens 14 afrikanische Flüchtlinge sind in den letzten Wochen bei dem Versuch, in die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla zu gelangen, von spanischen und marokkanischen Sicherheitskräften erschossen worden oder kamen an den drei bis sechs Meter hohen Zäunen, die mit Nato-Stacheldraht bewehrt sind, zu Tode. Hunderte weitere wurden verletzt oder von der marokkanischen Polizei verhaftet.

In großen Gruppen versuchten die Flüchtlinge in den letzten Monaten immer wieder die Grenzzäune der Exklaven Ceuta und Melilla an der Küste Marokkos zu überwinden, um auf das Territorium der Europäischen Union zu gelangen. Als Antwort schickte die spanische Regierung Militär zur verstärkten Absicherung der Grenzzäune. Die Europäische Union forderte zudem die marokkanische Regierung auf, schärfer gegen die Flüchtlinge vorzugehen.

Die marokkanischen Sicherheitsbehörden führten daraufhin Razzien in den Flüchtlingslagern durch, die sich rund um die Exklaven in den Wäldern gebildet haben. Tausende Flüchtlinge wurden verhaftet, gefesselt, in Busse gesetzt und ohne Wasser und Nahrung in die Wüste verfrachtet und dort ihrem Schicksal überlassen. Wie viele diese barbarische Aktion mit ihrem Leben bezahlt haben, ist unbekannt.

Die Bilder von Kleidungs- und Hautfetzen an den Zäunen Ceutas und Melillas und die Berichte vom Schicksal der verzweifelten Flüchtlingen, die zum Teil eine jahrelange Odyssee hinter sich haben, hat die europäische Bevölkerung erschüttert und tief bewegt. Die Europäische Union hatte dagegen nur ein paar zynische Worte des Bedauerns übrig.

Franco Frattini, Vizepräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für Justiz und Inneres, erklärte am 30. September: "Der Verlust von Menschenleben ist stets tragisch. Auch die Grenzschützer setzen ihr Leben aufs Spiel, um Menschen zu retten, die über das Mittelmeer illegal in die EU wollen. Die Kommission wird immer entschieden für die Menschenrechte eintreten und den Verlust weiterer Menschenleben zu verhindern suchen."

Doch nichts davon ist wahr. Ganz im Gegenteil haben die stetige Aufrüstung der EU-Außengrenzen und die militärische Bewachung der See- und Landwege in die Europäische Union in den letzten Jahren Tausende von Flüchtlingen in den Tod getrieben. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen schätzt, dass alleine vor den Toren Ceutas und Melillas und in der Mittelmeerregion zwischen Marokko und Spanien 6.300 Migranten ihre Flucht mit dem Leben bezahlt haben.

Obwohl die Guardia Civil, die die Grenzzäune der spanischen Exklaven an Marokkos Küste bewacht, offiziell kein Schießbefehl haben soll, berichten Augenzeugen, dass die Flüchtlinge Ende September gezielt erschossen wurden. Turi von der Elfenbeinküste sagte gegenüber Spiegel Online : "Einer der Getöteten war mein Freund. Ich habe es gesehen: Als er ganz oben auf der Leiter stand, zog der spanische Polizist eine Pistole und schoss ihm in die Brust."

Den gegenwärtigen massenhaften Versuch von Migranten, europäisches Territorium zu erreichen, nimmt die Europäische Union zudem zum Anlass, die Festung Europa noch undurchdringlicher zu machen und den Flüchtlingsschutz in der EU abzuschaffen. In Afrika und in den westlichen GUS-Staaten sollen Lager entstehen, in denen die Flüchtlinge interniert werden, um sie erst gar nicht an die Tore Europas kommen zu lassen.

Diese Art des Outsourcing des Flüchtlingsschutzes, gekoppelt mit einer rigorosen Abschiebepolitik in die zu errichtenden exterritorialen Lager ohne vorherige Prüfung von Asylgründen, stellt einen eklatanten Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention dar.

Am 12. Oktober haben die Innenminister der Europäischen Union auf der Ratssitzung für Justiz und Inneres den Plänen der Kommission zum Aufbau exterritorialer Flüchtlingslager vorbehaltlos zugestimmt. Als Sofortmaßnahme wurde außerdem die Freigabe von 40 Millionen Euro beschlossen, die der marokkanischen Regierung für die Flüchtlingsbekämpfung zur Verfügung gestellt werden. Von dem Geld soll Marokko Schnellboote, Jeeps, Nachtsicht- und Radargeräte von der EU kaufen, um eine lückenlose Sicherung der Grenzen zu gewährleisten.

Alleine in Marokko sind auf Drängen der EU bis zu 11.000 Soldaten und Polizisten im Einsatz, um gegen so genannte "illegale" Immigranten vorzugehen, deren einziges "Verbrechen" darin besteht, in Europa Schutz vor politischer Verfolgung und Elend zu suchen. Die Regierung in Rabat erhofft sich durch ihr kooperatives Verhalten mit der EU noch weitere Hilfen. Eine EU-Expertenkommission, die die Exklaven Ceuta und Melilla Anfang des Monats inspizierte, hat bereits logistische und finanzielle Unterstützung bei der Errichtung von Internierungslagern in Marokko in Aussicht gestellt.

Errichtung eines weltweiten Lagersystems

Zügig voranschreiten will die EU nun auch mit der Umsetzung der Kommissionspläne zur Umsetzung von "Regionalen Schutzprogrammen", in denen Flüchtlinge "heimatnah" untergebracht werden. Die ersten "Regionalen Schutzprogramme" sollen in Tansania und in der Ukraine entstehen, später aber auch auf Moldawien, Weißrussland, Afghanistan, Somalia und Nordafrika ausgeweitet werden.

In einer Kommissionsmitteilung heißt es dazu: "Gefördert werden sollen regionale Schutzprogramme, um die Schutzkapazität der betroffenen Regionen zu stärken und die Flüchtlingsbevölkerung dort besser zu schützen und dauerhafte Lösungen zu schaffen." Unter "dauerhaften Lösungen" versteht die EU dabei "Rückkehr, örtliche Eingliederung oder Neuansiedlung in einem Drittstaat, sofern die ersten zwei dauerhaften Lösungen nicht möglich sind".

Das heißt nichts anderes, als dass nur eine verschwindend geringe Anzahl von Flüchtlingen in die EU aufgenommen wird. Die "Regionalen Schutzprogramme" dienen vor allem dazu, die Flüchtlinge in den betroffenen Regionen zu halten. Zu diesem Zweck ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) vorgesehen. Der UNHCR soll die Härtefälle selektieren, für die sich die Tore Europas öffnen könnten.

Geschmeichelt durch die Aufwertung durch die EU erklärte sich der UNHCR auch prompt zur Kooperation bei der Flüchtlingsbekämpfung bereit. William Spindler vom UNHCR erklärte, "wir begrüßen das Engagement der EU und ihre Bereitschaft, das europäische Asylsystem zu stärken".

Das ist glatter Hohn. In Tansania, wo eines der geplanten Pilotprojekte entstehen soll, musste der UNHCR erst kürzlich die Essensrationen für über 400.000 Flüchtlinge drastisch kürzen, da die Finanzmittel fehlten. Die EU will nun bescheidene 4 Millionen Euro für das dort geplante "Regionale Schutzprogramm" bereitstellen.

Die "Regionalen Schutzprogramme" haben nicht das Geringste mit einer Stärkung des Asylsystems zu tun. Vielmehr soll dadurch die Liste so genannter "sicherer Herkunfts- und Transitstaaten" erweitert werden, um auch die letzten Flüchtlinge, die es bis nach Europa schaffen, umgehend dorthin deportieren zu können.

Was die Flüchtlinge in den Lagern in Afrika und den ehemaligen GUS-Staaten zu erwarten haben, macht eine Reportage deutlich, die der italienische Journalist Fabrizio Gatti für das Magazin L’Espresso über das Aufnahmelager auf der italienischen Insel Lampedusa geschrieben hat. Der Journalist hatte sich aus dem Meer fischen lassen und als irakischer Kurde ausgegeben.

Gatti berichtet von skandalösen hygienischen Zuständen in dem Lager, das für 190 Flüchtlinge ausgelegt, aber über die Sommermonate mehrfach überbelegt ist. Duschen und Toiletten hatten keine Abtrennung, es gab kein Klopapier und bei einigen Toiletten auch keine Spülung. Zu Verhören mussten die Flüchtlinge nackt in einer Reihe antreten. Sie wurden von den Polizisten geschlagen und die Muslime wurden gezwungen, sich Pornobilder anzusehen. Nach acht Tagen erhielt Gatti schließlich die Aufforderung, Italien zu verlassen - ohne jegliche Prüfung möglicher Fluchtgründe.

Nicht viel anders stellt sich die Situation in den Flüchtlingslagern in Griechenland dar, wie ein Report der Menschenrechtsorganisation Amnesty International kürzlich aufgedeckt hat. Darin heißt es: "Einige [der Flüchtlinge aus Irak, Afghanistan, Pakistan usw.] werden an der Grenze erschossen und getötet, andere, denen vorgeworfen wird, ‚illegal’ eingereist zu sein, werden direkt eingesperrt ohne überhaupt die Chance zu erhalten, Asyl zu beantragen. Die Bedingungen in den Haftanstalten in einigen Teilen des Landes genügen dabei nicht internationalen Standards und Rechtsvorgaben." Auch in Griechenland gehören laut Amnesty Misshandlungen und Vergewaltigungen von Flüchtlingen fast zur Tagesordnung.

Wenn schon die Lager in der EU eher an Zustände in Guantanamo oder Abu Ghraib erinnern, welchen menschenverachtenden Bedingungen werden die Migranten dann erst in Libyen, Tunesien, Marokko oder Weißrussland ausgesetzt sein? Tunesien verfügt bereits jetzt über 13 Abschiebehaftanstalten, elf davon unterliegen der strengsten Geheimhaltung. In Libyen und Tunesien ist es zudem üblich, dass aus Europa abgeschobene Flüchtlinge in der Wüste ausgesetzt werden.

Entstehen werden schließlich Lager, in denen die Flüchtlinge nur mit dem allernotwendigsten versorgt werden und in Armut dahinvegetieren. Dass die EU die Flüchtlinge als lästigen Kostenfaktor ansieht, hat Frattini klar zur Sprache gebracht. In der Pressekonferenz am 12. Oktober erklärte er: "Warum sollten wir mit einem System weitermachen, dass sehr zeitaufwendig und kostenintensiv ist? Wir geben Milliarden von Euro für die Versorgung von Asylsuchenden aus."

Mit den "Regionalen Schutzprogrammen" setzt die Europäische Union nun seit Jahren diskutierte Pläne zur Errichtung eines weltumspannenden Lagersystems um, mit dem die Flüchtlinge aus Europa fern gehalten werden.

Die Initiative zur Errichtung von weltweiten Flüchtlingslagern geht auf den britischen Premierminister Tony Blair zurück, der 2003 eine "Neue Vision für Flüchtlinge" vorstellte. Blair propagierte den Aufbau "Regionaler Schutzprogramme" in den Herkunftsregionen, wie sie nun von der EU beschlossen worden sind. Diese sollten durch Flüchtlingslager in den Transitstaaten in Nordafrika und an der Ostgrenze der EU flankiert werden.

Im Sommer 2004 schloss sich der deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) der Initiative Blairs an, nachdem im Mittelmeer Hunderte von Flüchtlingen ertrunken waren. Schily plädierte für die Errichtung von Flüchtlingslagern in Nordafrika, in denen die Flüchtlinge und Migranten "vorsortiert" werden. Einigen wenigen soll dann die Einreise in die EU ermöglicht, der überwiegende Teil in die Herkunftsländer zurück deportiert werden.

Seither hat die EU diese Pläne immer weiter konkretisiert. Im September 2004 beschloss der EU-Gipfel im Haager Programm die engere Kooperation mit den Herkunftsstaaten und Drittländern und die Zusammenarbeit mit dem UNHCR. Damit wurden der Aufbau von Lagern und Abschiebeabkommen mit den betroffenen afrikanischen Staaten vorbereitet.

Zusätzlichen Schub bekamen die Pläne durch die Aufforderung der EU-Kommission, einzelne Staaten sollten in Pilotprojekten erste Lager in Nordafrika errichten. Insbesondere die italienische und deutsche Regierung preschten voran und intensivierten die Zusammenarbeit mit Libyen und Tunesien.

Die Konzeption der Flüchtlingslager konkretisierte der scheidende deutsche Innenminister Otto Schily schließlich auf dem informellen Treffen der EU-Innenminister Anfang September dieses Jahres im britischen Newcastle.

Das Papier mit dem zynischen Titel "Effektiver Schutz für Flüchtlinge, wirkungsvolle Bekämpfung illegaler Migration" spricht offen aus, dass mit den Flüchtlingslagern das Recht auf Asyl faktisch begraben wird. In den Lagern soll die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge in einem "Screening-Verfahren" geprüft werden. Damit ist kein normales Asylverfahren gemeint, es soll vielmehr "dem Verfahren nachgebildet werden, wie es der UNHCR in Drittstaaten durchführt". Jeglicher Rechtsanspruch seitens der Flüchtlinge wird dabei ebenso unter den Tisch fallen, wie die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention.

Für die Flüchtlinge, deren Schutzbedürftigkeit festgestellt wird, sollen sichere Drittstaaten gefunden werden - außerhalb der EU. Denn die EU-Mitgliedsstaaten sollen nur "ersatzweise auch im Rahmen von humanitären Aufnahmeprogrammen" Flüchtlinge aufnehmen, eine verbindliche Aufnahme wird es nicht geben.

Schily will sich die Hände rein waschen, indem die Abschiebung von Flüchtlingen, denen keine Schutzbedürftigkeit zugestanden wird, an die so genannten "Sitzstaaten" der Lager delegiert wird. Dabei ist es, wie Schily weiter ausführt, nicht erforderlich, dass diese "Sitzstaaten" die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben, es genügt eine vage Einhaltung von deren Standards.

Schilys Papier ist damit direkt auf Libyen gemünzt, das bislang keine international rechtsverbindlichen Abkommen zum Flüchtlingsschutz unterzeichnet hat. Das kommt Schily und der EU zupass. Sie möchten die Flüchtlinge in rechtsfreien Räumen halten, in denen sie ausgeschlossen von jeglicher öffentlichen Kontrolle abgewiesen und in die Herkunftsländer deportiert werden können.

Libyen erfährt derzeit bei den Regierungen in Rom und Berlin die größte Aufmerksamkeit bei der Flüchtlingsbekämpfung. Das Regime Muammar al Gaddafis hatte der EU noch bis vor kurzem als Unterstützerstaat für Terroristen gegolten und war mit einem Embargo belegt worden. Doch durch die großen Öl- und Erdgasvorkommen - Libyen ist nach Nigeria der zweitgrößte Ölproduzent Afrikas - hat das Land gerade auch im Zuge der Besetzung des Irak an wirtschaftlicher und strategischer Bedeutung gewonnen.

Libyen, das dringend auf ausländische Investitionen angewiesen war, um die marode Erdölindustrie zu modernisieren, konnte zudem dem wirtschaftlichen Druck immer weniger standhalten. Durch die öffentlichkeitswirksame Entschädigung der Opfer des Flugzeugattentates von Lockerbie konnte es sich schließlich die Aufhebung des EU-Embargos im Oktober 2004 erkaufen.

Seither kooperiert die EU bei der Flüchtlingsbekämpfung sehr eng mit dem nordafrikanischen Staat. Im Herbst letzten Jahres begann Italien mit der regelmäßigen Massendeportation von Flüchtlingen nach Libyen, oftmals ohne jegliche Prüfung der Fluchtgründe. Ab Juni 2005 setzte dann das deutsche Innenministerium eine Task-Force ein, die Libyen mit Hightech-Equipment beim Grenzschutz unterstützt und begonnen hat, erste Flüchtlingslager aufzubauen.

Wiederbelebung des Kolonialismus

Hinter den Flüchtlingslagern steckt noch mehr. Der für Migrations- und Asylfragen zuständige EU-Kommissar Franco Frattini hat seit seinem Amtsantritt im Herbst 2004 Pläne für eine gesteuerte legale Einwanderung in die Europäische Union vorangetrieben, bei denen den Flüchtlingslagern und "Regionalen Schutzprogrammen" eine bedeutende Rolle zukommt. In einem Grünbuch der EU-Kommission "über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration" werden Überlegungen zur Selektion von Arbeitsmigranten vorgestellt.

Dabei geht es vor allem darum, aus Drittstaaten passende Bewerber auszusieben, die kurzfristig auf dem europäischen Arbeitsmarkt gebraucht werden. In Ausbildungs- und Trainingszentren in den Herkunftsländern sollen die Arbeitsmigranten vorbereitet werden. Dort soll auch ein Qualifikationsprofil erstellt werden, das in einer gemeinsamen EU-Datenbank gespeichert wird.

Es bietet sich für die EU dabei geradezu an, die von ihr unterhaltenen Flüchtlingslager in Afrika und Osteuropa für die Selektion von Arbeitsmigranten zu benutzen. Im Herbst 2004 ließ Rocco Buttiglione, damals Anwärter auf den Posten des EU-Kommissars für Justiz und Inneres, entsprechende Pläne nach Gesprächen mit dem italienischen Industriellenverband Confindustria verlautbaren.

Die Aufenthaltserlaubnis für die selektierten Migranten würde dabei streng an die Arbeitserlaubnis gekoppelt, Nach Beendigung der befristeten Arbeitsverhältnisse würden sie wieder abgeschoben. Auf diese Art und Weise würden die Flüchtlingslager sich in Arbeitslager verwandeln, deren historische Vorbilder in den Exzessen der Kolonialzeit und des Naziregimes zu suchen sind.

So steht hinter den Flüchtlingslagern in Afrika auch eine Wiederbelebung des Kolonialismus. Otto Schily hat nicht zufällig gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vorgeschlagen, "dass einzelne EU-Mitgliedsstaaten jeweils Patenschaften für afrikanische Staaten" übernehmen, "um deren wirtschaftliche und soziale Notlage zu überwinden". Schily hat dabei die Anknüpfung an "bestimmte traditionelle Verbindungen in Afrika" im Sinn, wie er bereits im August 2004 gegenüber der Süddeutschen Zeitung bemerkte.

Ganz in diesem Sinne ist auch die Ankündigung der Europäischen Kommission zu verstehen, die Finanzhilfen für Afrika bis zum Jahr 2010 aufzustocken. Insgesamt sollen in den nächsten Jahren etwa 20 Milliarden Euro zusätzlich nach Afrika fließen. Doch damit soll weder die Armut bekämpft noch die völlig unterfinanzierten Gesundheits- und Bildungssysteme gestärkt werden. In der Absichtserklärung heißt es lapidar: "Im Rahmen der Infrastrukturpartnerschaft würde die EU Programme fördern, die die Interkonnektivität des Kontinents und damit Handel, Integration, Stabilität und Entwicklung in der Region voranbringen."

Gemeint sind damit vor allem der Ausbau von Straßen- und Schienenetzen sowie der Strom- und Wasserversorgung. Mit diesen Maßnahmen wird der Zweck verfolgt, die Rohstoffe Afrikas noch effizienter auszubeuten und gleichzeitig den Kontinent als Absatzmarkt für die Produkte der europäischen Wirtschaft zu sichern.

Die EU will sich zudem durch die Förderung einer so genannten "Governance-Initiative" auch direkt in die Staatsführung einmischen. Im Blick hat die EU dabei, wie Kommissionspräsident Manuel Barroso ausführte, die "heranwachsenden afrikanischen Führungseliten, die sich alle mit Überzeugung für eine verantwortungsvolle Staatsführung" einsetzen. Es sind die Schichten, die sich ihre führende Stellung in den ökonomisch rückständigen Staaten Afrikas durch ihre guten Beziehungen zu den Großmächten und transnationalen Konzernen sichern können.

Es geht der EU nicht darum, das Elend der Bevölkerung zu bekämpfen. Die "Governance-Initiative" zielt vor allem auf die Durchsetzung der Diktate des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gegen die Arbeiterklasse und die Bauernschaft. Alleine die afrikanischen Länder südlich der Sahara haben Auslandsschulden in Höhe von 230 Milliarden Dollar. Für jeden Dollar Entwicklungshilfe müssen sie drei Dollar an Zinsen und Tilgung an die Banken, Institutionen und Regierungen Westeuropas und Nordamerikas zurückführen.

Die Aufstockung der Afrikahilfe wird also die Not, die Menschen unter Einsatz ihres Lebens in die Flucht treibt, nicht lindern. Barroso stellte zudem das ganze Vorhaben unter den Vorbehalt, dass sich die Europäische Union noch in diesem Jahr auf einen Finanzrahmen bis 2014 einigt. Das ist keineswegs sicher, nachdem der letzte EU-Gipfel an dieser Frage scheiterte. Sollten die Regierungschefs der EU sich nicht auf einen Haushalt verständigen können, müssten sogar bestehende Hilfen für Afrika gestrichen werden, wie Barroso erklärte.

Siehe auch:

Spain: refugees killed survivors abandoned in Moroccan desert (22. Oktober 2005)

Young African workers killed in Spanish enclave ( 3. Oktober 2005)

EU entwickelt die "Festung Europa" ( 20. Januar 2005)

EU-Innenminister beschließen Pilotprojekte für Flüchtlingslager in Nordafrika ( 12. Oktober 2004)

Erstes Flüchtlingslager der EU soll schon bald in Libyen entstehen ( 24. August 2004)

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