Kirchhofs Flat Tax: Radikale Umverteilung zugunsten der Reichen

Seit Paul Kirchhof, der parteilose ehemalige Verfassungsrichter am Zweiten Senat des höchsten deutschen Gerichts, Ende August von Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU) in ihr so genanntes Kompetenzteam berufen wurde, ist eine heftige Auseinandersetzung über die künftige Steuer- und Wirtschaftspolitik entbrannt.

Der Jurist und Steuerfachmann, der bereits als Finanzminister einer Merkel-Regierung gehandelt wird, strebt eine radikale Änderung des Steuersystems an. Sein Ziel ist die Einführung einer so genannte Flat Tax von 25 Prozent auf alle Einkommen. Nach einem Grundfreibetrag von 8.000 Euro und einer geringfügigen Staffelung sollen ab 20.000 Euro alle Einkommen einem Steuersatz von 25 Prozent unterliegen.

Diese Pläne bedeuten zweierlei: Erstens würde damit der Spitzensteuersatz von gegenwärtig 42 Prozent auf 25 Prozent reduziert, was eine bisher nie da gewesene Steuerentlastung für Besserverdienende und Reiche darstellt. Zweitens wird damit die Steuerprogression abgeschafft, die bisher eine wesentliche Säule des Sozialstaats war.

Eingeführt worden war diese nach oben gestaffelte Steuer für hohe Einkommen angesichts der revolutionären Erschütterungen am Ende des ersten Weltkriegs vor fast neunzig Jahren. Seitdem war das Prinzip, das hohe Einkommen stärker zur Finanzierung staatlicher Aufgaben herangezogen werden, allgemein anerkannt und von allen Regierungen nach 1945 akzeptiert. Bis in die siebziger Jahre betrug der Spitzensteuersatz 56 Prozent, und selbst am Ende der Kohl-Regierung 1998 lag er noch bei 53 Prozent.

Erst die rot-grüne Bundesregierung führte eine drastische Senkung der Spitzensteuer auf 42 Prozent durch und forcierte damit eine finanzielle Umverteilung von unten nach oben. Denn die Steuerausfälle führten zu großen Finanzproblemen auf allen Ebenen bei Bund, Ländern und Kommunen, was wiederum drastische Sozialkürzungen zur Folge hatte. In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Lohnsteuer am Gesamtsteueraufkommen bereits deutlich gestiegen.

Kirchhofs Steuermodell würde die Steuerausfälle drastisch erhöhen. Seine Ankündigung, dies durch die Streichung aller Steuerprivilegien zu finanzieren, stieß in Kreisen der Finanzelite auf heftigen Widerstand, worauf Kirchhof zu Bedenken gab, dass zum Beispiel Dienstreisen weiterhin zu 50 Prozent von der Steuer absetzbar sein sollen. Angesichts der Tatsache, dass viele Steuervorteile der Besserverdienenden - zu denen Paul Kirchhof selbst gehört - in der einen oder anderen Form erhalten bleiben sollen, errechneten verschiedene Institute Steuerausfälle von über 40 Milliarden Euro.

Finanziert werden sollen diese Mindereinnahmen vorwiegend durch die Abschaffung von Steuererleichterungen für untere Einkommensschichten. So rechnet Kirchhof vor, dass die Besteuerung von 70 Prozent der Renten 3,8 Milliarden Einnahmen zur Folge hätte, Der Wegfall des Sparerfreibetrages brächte noch einmal etwa dieselbe Summe. Dazu kämen: Streichung der Arbeitnehmerpauschale (3,6 Milliarden), Abschaffung der Pendlerpauschale (3,4 Milliarden), Abschaffung der Steuerfreibeträge für Schicht- und Nachtzuschläge (1,9 Milliarden).

"Unter dem Strich kommt Kirchhof so auf zusätzliche Steuereinnahmen von gut 36 Milliarden Euro. Der Wohltäter Staat wird aus der Sicht der heute Begünstigten zum Übeltäter", schreibt Der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe.

Die von Kirchhof propagierte Flat Tax mit einem einheitlichen Steuersatz ist bereits in einigen osteuropäischen Ländern umgesetzt worden. 1994 führte Estland einen einheitlichen Steuersatz von 26 Prozent ein und war damit der erste europäische Staat mit einer solchen Steuer. Es folgten Lettland und Litauen, Russland, Serbien und die Ukraine, die Slowakei, Georgien und zuletzt Rumänien. In Polen und Tschechien, so die Zeit, haben die Konservativen angekündigt, dass sie bei einem Wahlsieg ebenfalls den Einheitssteuersatz einführen wollen.

Kennzeichnend für diese Staaten ist eine enorme soziale Polarisierung. Während ein Großteil der Bevölkerung in Armut und Elend versinkt, bereichert sich eine winzige Schicht an der Spitze der Gesellschaft schamlos. Die Flat Tax dieser Länder ist dabei eines der Werkzeuge, mit dem diese Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums durchgeführt und zementiert wird.

Katholisch und erzkonservativ

Der heute 62-jährige Kirchhof stammt aus einem wohlhabenden Elternhaus. Geboren in Osnabrück wuchs Paul Kirchhof in Karlsruhe auf, wo sein Vater ebenfalls Richter am Verfassungsgericht war.

Nach dem Jurastudium habilitierte der Sohn 1974 und war danach bis 1981 Direktor des Instituts für Steuerrecht der Universität Münster, später Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Von 1987 bis 1999 gehörte er - auf Vorschlag der CDU - dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts an. Dieser Senat stellt die oberste Rechtsinstanz in Fragen des Steuer-, des Europa- und des Völkerrechts dar.

Der Vater von vier Kindern und Katholik vertritt ein Familienmodell, dessen Grundlage die tradierte Ehe ist. Ebenso erzkonservativ sieht Kirchhof die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau: Der Mann finde seine Identität, "wenn er die ökonomischen Grundlagen der Familie beschafft und die Kinder in ihrer Zugehörigkeit zu Familie, Staat, Marktwirtschaft und Ordnung, Kulturgemeinschaft und Kirche erzieht", schrieb er 2002 in einem Vorwort zum Buch "Abenteuer Familie".

Die Frau ist Hausfrau und Mutter und "macht in ihrer Familie Karriere, die nicht Macht, sondern Freundschaft verheißt, nicht Geld, sondern Glück bringt". Ausdrücklich sah Kirchhof eine seiner Aufgaben darin, dieses Familienbild durch seinen Einfluss am Verfassungsgericht zu unterstützen. Dementsprechend beurteilte er nach seinem Ausscheiden aus dem Zweiten Senat ein Urteil seiner ehemaligen Kollegen, wonach die gleichgeschlechtliche Ehe als vereinbar mit dem Grundgesetz angesehen werden muss, als "Pervertierung des Verfassungsauftrags".

Von den unter seiner federführenden Mitwirkung vom Verfassungsgericht verabschiedeten Urteilen sind zwei besonders hervorzuheben: Zum einen verlangte das Gericht 1995 die Neuregelung der Vermögens- und Erbschaftssteuer. Als Konsequenz wurde die Vermögenssteuer gestrichen und damit den finanziell Bessergestellten ein dickes Geldgeschenk verabreicht.

1999 setzte das Gericht hohe Steuerfreibeträge für Familien durch. Allerdings hatte auch dieses Urteil die für Kirchhofs Politik kennzeichnende soziale Schieflage. Familien mit geringem Einkommen und daher geringer Steuerlast haben durch höhere Freibeträge nicht mehr Geld zur Verfügung. Dagegen sind die Besserverdienenden die wahren Nutznießer dieses vom Bundesverfassungsgesetz verlangten Gesetzes.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Verfassungsgericht ging Paul Kirchhof zurück an das Heidelberger Institut, das auch maßgeblich an der Ausarbeitung der jetzt vorgelegten Einkommenssteuerreform beteiligt war. 1999 erhielt er das "große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland". Im Jahr 2003, als Kirchhof erstmals seine Reformvorschläge vorlegte, wurde er von den Lesern der konservativen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum "Reformer des Jahres" gewählt. Er ist der Vater des Steuerkonzepts von Friedrich Merz (CDU), welches dieser im selben Jahr vorlegte und das Steuererklärungen im "Bierdeckelformat" hervorbringen sollte.

Daneben ist Kirchhof Mitherausgeber der konservativen Wochenzeitung Rheinischer Merkur und sitzt im Aufsichtsrat der Deutschen Bank.

Dem Steuermodell Kirchhofs liegt ein Freiheitsbegriff zugrunde, den sich nur Wohlhabende zu Eigen machen können. Nach Kirchhof sollen drei Viertel des Einkommens dem "Bürger zur freien Verfügung stehen". Wie viel "der Bürger" z. B. in seine Kranken- oder Rentenversicherung einzahlen möchte, sei ihm frei gestellt. Dass jemand so wenig Geld verdient, dass er von drei Viertel seines Gehalts neben Unterkunft und Lebensmittel nicht die soziale Absicherung bestreiten kann, die er benötigt, übersteigt die Vorstellungskraft des Heidelberger Professors.

Ähnlich wie bei den Republikanern in den USA paart sich bei Kirchhof der Angriff auf soziale Errungenschaften mit religiöser Inbrunst und der Verteidigung erzkonservativer Werte.

Siehe auch:
CDU-Wahlparteitag in Dortmund
(1. September 2005)
Das Kompetenzteam der CDU
( 20. August 2005)
Das Wahlprogramm von CDU und CSU
( 30. Juli 2005)
Die Karriere der Angela Merkel - Teil 1
( 23. Juni 2005)
Die Karriere der Angela Merkel - Teil 2
( 24. Juni 2005)
Loading