Frankreich: Die Gewerkschaft CGT geht weiter nach rechts

Vom 24. bis 28. April fand in der nordfranzösischen Stadt Lille der 48. Kongress des Gewerkschaftsverbandes CGT (Confédération générale du travail) statt. Rund 1.000 Delegierte diskutierten fünf Tage lang die Orientierung der Gewerkschaft für die kommenden drei Jahre und wählten eine neue Führung.

Zwei Wochen vor dem Kongress hatte die gaullistische Regierung von Dominique de Villepin unter dem Druck einer breiten Protestbewegung den so genannten "Ersteinstellungsvertrag" (CPE) zurückgezogen. Der Generalsekretär der CGT, Bernard Thibault, versuchte diesen Erfolg nun nach Kräften zu nutzen, um die Spannungen innerhalb seiner Organisation zu dämpfen und die Delegierten hinter dem rechten Kurs der Führung zu vereinen.

Er bezeichnete den Rückzug des CPE in seinem einleitenden Beitrag als "historischen" Sieg. Es handle sich "um eine schöne Seite in der Geschichte der französischen Gewerkschaftsbewegung", um einen "kollektiven Erfolg", der durch "die Einheit der Schüler, Studenten und Lohnabhängigen" und "die öffentlich kaum wahrgenommene Unterstützung der Gewerkschaften zahlreicher europäischer Länder" erreicht worden sei. Die "gemeinsame Mobilisierung der Lohnabhängigen und eines großen Teils der Jugend war entscheidend für diesen Sieg", fügte er hinzu. "Gemeinsam waren wir stärker."

Die eingeladenen Vertreter dreier Studenten- und Schülerverbände - Bruno Julliard (UNEF), Karl Stoeckel (UNL) und Tristan Rouquier (FIDL) - wurden von den Delegierten mit Rufen: "Alle gemeinsam, alle gemeinsam" und stehenden Ovationen gefeiert.

In Wirklichkeit war die Rücknahme des CPE alles andere als ein "historischer" Sieg. Die Regierung sah sich zwar nach achtwöchigen Demonstrationen und Streiks zu einem taktischen Rückzug gezwungen. Aber sie hat lediglich einen Aspekt ihres "Gesetzes für Chancengleichheit" zurückgezogenen, während alle anderen in Kraft bleiben. Ihren sozial- und wirtschaftpolitischen Kurs behält sie unverändert bei.

Innerhalb des Regierungslagers ist sogar der ultrarechte Flügel um den Innenminister und UMP-Vorsitzenden Nicolas Sarkozy gestärkt aus der Auseinandersetzung hervorgegangen. Vertraut man den jüngsten Umfragen, so hat Sarkozy eine reale Chance, im kommenden Jahr zum französischen Präsidenten gewählt zu werden.

Die gaullistische Regierung hat eine mächtige soziale Bewegung relativ unbeschadet überstanden, die sie leicht hätte zu Fall bringen können. Das verdankt sie in erster Linie den Gewerkschaften, die die Bewegung bremsten und unter Kontrolle hielten. Die Gewerkschaften, einschließlich der CGT, haben immer wieder betont, dass sie nicht den Sturz der Regierung anstreben, sondern lediglich die Rücknahme des CPE.

Thibaults Triumphgeschrei täuscht nicht nur über die tatsächliche Rolle hinweg, die die Gewerkschaften in der Bewegung gegen den CPE gespielt haben. Es bemäntelt auch eine weitere Rechtswendung der CGT. Mit der ständigen Beschwörung von "Einheit" und "Gemeinsamkeit" rechtfertigt Thibault das Zusammenrücken der CGT, die lange Zeit von der Kommunistischen Partei dominiert wurde, mit den traditionell sozialdemokratische dominierten Gewerkschaftsverbänden.

Sozialpartnerschaftlicher Kurs

Bernard Thibault, der seit sieben Jahren an der Spitze der CGT steht, tritt für einen so genannten syndicalisme rassemblé, für eine vereinheitlichte Gewerkschaftsbewegung ein. Während sich die CGT ihre "klassenkämpferische" Tradition zugute hält (gemeint sind militante Aktionsformen wie Demonstrationen und Streiks), will Thibault das Schwergewicht auf Verhandlungen und Abkommen mit Unternehmerverbänden und Regierung legen. Er steht für eine Strategie, die "starke Forderungen mit einer aktiven Teilnahme an Verhandlungen" verbindet.

Er tritt für eine enge Zusammenarbeit mit der CFDT (Confédération française démocratique du travail) ein, die der Sozialistischen Partei nahe steht, eine Politik der Sozialpartnerschaft vertritt und in den vergangenen Jahren wiederholt als Streikbrecherin in Erscheinung trat. So war die CFDT 2003 einer großen Streik- und Protestbewegung in den Rücken gefallen, die sich gegen Rentenkürzungen und Angriffe auf das Bildungswesen richtete. Während Millionen die Arbeit niederlegten und demonstrierten, schloss die CFDT damals im Alleingang ein Abkommen mit der gaullistischen Regierung.

Thibaults Kurs stößt innerhalb der CGT auf Widerstand. 2005 hatte er eine schwere innergewerkschaftliche Niederlage einstecken müssen. Der Generalsekretär hatte sich damals für die Europäische Verfassung ausgesprochen, über die in einem Referendum abgestimmt wurde, und war vom Nationalkomitee der CGT zurückgepfiffen worden - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Verbandes.

Auch in Lille löste das von der Führung vorgelegte Orientierungspapier wieder heftige Debatten aus, die nach den Worten von Le Monde streckenweise einem "verbalen Guerillakampf" glichen.

Dem Kongress lagen über 3.000 Änderungsvorschläge vor, die aber mehr die Form als die Substanz der Orientierung betrafen. Thibaults Widersacher (darunter etliche Mitglieder der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und des Parti des Travailleurs), die ihm "Reformismus" vorwarfen, bewegten sich selbst im Rahmen einer rein gewerkschaftlichen Perspektive. Sie gingen mit keinem Wort auf die Notwendigkeit einer neuen politischen Orientierung ein, die sich gegen die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaftordnung richtet.

Zahlreiche Resolutionen und Redebeiträge forderten, dass der Begriff "Klassenkampf" wieder in die Präambel des Textes eingeführt werde. Andere bemängelten, dass das Wort "Arbeiter" durchgängig durch "Lohnabhängige" ersetzt worden sei. Eine Delegierte warf der Führung vor, sie entwickle die CGT "zu einer Gewerkschaft der Mandatsträger, zu einer bürokratisierten technokratischen Elite". Auch die Mitgliedschaft der CGT im sozialdemokratisch dominierten Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) stieß auf Kritik.

Der CFDT-Vorsitzende François Chérèque erntete Buhrufe und Pfiffe, als er am Dienstag in Lille zu den Kongressdelegierten sprach. Der Sohn eines sozialistischen Ministers der Mitterrand-Ära ist wegen seiner Streikbrecherrolle im Jahr 2003 vor allem unter den CGT-Mitgliedern im Bildungs- und Transportwesen verhasst.

Doch schließlich konnte sich die Führung um Thibault mühelos durchsetzen. Vier Fünftel der Delegierten stimmten dem neuen Orientierungspapier zu. Lediglich bei der Neuregelung der Finanzen gab es Schwierigkeiten. Seit sieben Jahren versucht die Führung vergeblich, einen größeren Teil der Mitgliederbeiträge von den zahlreichen Untergliederungen an die Zentrale zu lenken. Diesmal hatte sie Erfolg. 63 Prozent der Delegierten stimmten einer Neuregelung zu. Die Zustimmung dürfte durch den Umstand erleichtert worden sein, dass die Mitgliederbeiträge von 3 Millionen Euro nur noch ein Drittel der jährlichen Einnahmen der Gewerkschaft ausmachen. Die anderen zwei Drittel stammen hauptsächlich aus Subventionen.

Internationales Zusammenrücken der Gewerkschaftsapparate

Auch auf internationaler Ebene will die CGT enger mit den traditionell sozialdemokratischen Gewerkschaften zusammenrücken. Sie plant, im Herbst dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) beizutreten.

Die CGT war von 1945 bis 1995 Mitglied des stalinistisch dominierten Weltgewerkschaftsbunds (WGB). Dieser stand in heftigem Konflikt mit dem IBFG, der im Kalten Krieg als antikommunistische Frontorganisation diente. 1995 verließ die CGT zwar den WGB und trat bald darauf dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) bei, in dem sozialdemokratisch dominierte Gewerkschaften wie der deutsche DGB oder der britische TUC den Ton angeben. Dem IBFG, in dem die amerikanische AFL-CIO eine wichtige Rolle spielt, blieb die CGT dagegen fern.

Nun nutzt Thibault den für diesen Herbst geplanten Zusammenschluss des IBFG mit dem Weltverband der christlichen Gewerkschaften, um den Beitritt der CGT durchzusetzen. Er stellt die Vereinigung der beiden rechten, bürokratischen Apparate als Gründung einer völlig neuen internationalen Organisation dar, die dem Interesse der Arbeiter im Zeitalter der Globalisierung entspreche. In Lille wurde etliche Energie darauf verwandt, den Delegierten diese Vorstellung näher zu bringen.

Am Vorabend des Kongresses versammelten sich Gewerkschaftsfunktionäre aus 80 Ländern zu einer öffentlichen Debatte. Thibault erklärte dort, die "Vereinigung der Gewerkschaftsbewegung im Weltmaßstab" sei eine "absolute Notwendigkeit". Angesichts einer Globalisierung, die "Ungleichgewichte zwischen den Ländern und im Innern jedes Landes" und "gesteigerter Unsicherheit" erzeuge, sagte er, müssten die Gewerkschaften "wieder eine wirksame internationale Solidarität aufbauen".

Der ehemalige Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds Emilio Gabaglio sprach begeistert vom Abschluss eines Kapitels, in dem die Gewerkschaftsbewegung gespalten gewesen sei. Mit dem Fall der Berliner Mauer hätten sich "die ideologischen Gründe für die Spaltungen weitgehend überlebt". Außerdem sei die Gewerkschaftsbewegung der ganzen Welt mit derselben Herausforderung konfrontiert, der "zügellosen Globalisierung".

Der Präsident des indischen CITU, M.K. Pandhe, betonte die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens, wenn z.B. japanische Firmen in Indien aktiv seien und Arbeiter entließen, die sich gewerkschaftlich organisieren wollten.

Und der Generalsekretär der italienischen CGIL, Guglielmo Epifani, sagte, die internationale Gewerkschaftsbewegung sei mit der schwierigsten Situation ihrer Geschichte konfrontiert: "Indem sie die solidarischen Beziehungen angreift, zielt die Globalisierung auf die Zerschlagung der Grundlage der Gewerkschaftsbewegung."

Selbst der Vizepräsident der amerikanischen AFL-CIO, Larry Cohen, rief in Lille zum gemeinsamen Kampf gegen den "Kasino-Kapitalismus" auf.

Der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds, John Monks, hatte sich am 4. April sogar einer Großdemonstration gegen den CPE angeschlossen, um sich bei der CGT einzuschmeicheln. Monks, der zuvor dem britischen TUC vorstand, ist überzeugter Parteigänger von Tony Blair und hatte sich in Großbritannien nie auf einer Demonstration sehen lassen.

Der Niedergang der Gewerkschaften

Dieser Versuch, den geplanten Zusammenschluss der "freien", der ex-stalinistischen und der christlichen Gewerkschaftsapparate als Ausdruck der Solidarität zwischen den Arbeitern und als neuen Frühling der internationalen Gewerkschaftsbewegung darzustellen, ist absurd.

Alle in Lille versammelten Gewerkschaften blicken auf eine lange Geschichte des Niedergangs und des Verrats zurück. Die amerikanische AFL-CIO hat seit Jahrzehnten keinen Arbeitskampf mehr unterstützt, geschweige den gewonnen. Im Bergbau, der Stahl-, der Auto- und der Luftfahrtindustrie hat sie den Abbau von Millionen Arbeitsplätzen mitorganisiert und Lohnsenkungen von 50 Prozent und mehr akzeptiert. Ähnlich verhält es sich in anderen Ländern.

Wenn die Gewerkschaftsapparate international näher zusammenrücken, so tun sie dies aus ihrem eigenen bürokratischen Interesse heraus. Die Globalisierung der Produktion hat ihre traditionelle Rolle als Vermittler der Klassengegensätze im nationalen Rahmen untergraben. Angesichts global operierender Konzerne, die Investitionen und Produktion in Billiglohnländer verlagern können, sind die traditionellen gewerkschaftlichen Waffen des Druckausübens stumpf geworden. Der allgemeine Mitgliederschwund, eine Folge zahlreicher selbstverschuldeter Niederlagen, droht die Gewerkschaften zudem in die Bedeutungslosigkeit zu stürzen.

Sie reagieren darauf, indem sie sich bemühen, den Regierungen und transnationalen Konzernen ihren Nutzen als Co-Manager zu beweisen. Dazu brauchen sie ein gewisses organisatorisches Gewicht. Daher das Bemühen, die Apparate durch einen Zusammenschluss zu stärken.

Die Gewerkschaften haben längst aufgehört, die Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen, und setzen stattdessen ihren Sachverstand, ihre Apparate und ihre wissenschaftlichen Berater ein, um die von den Konzernen diktierten Maßnahmen möglichst konfliktfrei, unter Bewahrung des "sozialen Friedens" durchzusetzen.

Dreierkommissionen, in denen Vertreter der Gewerkschaften, der Unternehmerverbände und der Regierung zusammenarbeiten, um den Abbau der Sozial- und Tarifsysteme zu planen, gehören in ganz Europa zum Alltag. Der Europäische Gewerkschaftsbund ist nicht viel mehr als ein Lobbyverband, der eng mit der Brüsseler EU-Kommission zusammenarbeitet. Auch die Kritik der französischen Gewerkschaften am CPE hatte sich weniger gegen den Inhalt des neuen Gesetzes gerichtet, als gegen den Umstand, dass die Regierung de Villepin es ohne vorherige Konsultation mit ihnen verabschiedet hatte.

Die Tendenz, mit Regierungen und Unternehmenszentralen zusammenzuarbeiten, findet sich bei allen Gewerkschaften - den traditionell reformistischen wie den "klassenkämpferischen". Sie ergibt sich aus der Beschränktheit einer gewerkschaftlichen Perspektive, die die kapitalistische Wirtschaftsordnung als Voraussetzung ihrer Arbeit akzeptiert und daher eine politische Perspektive ablehnt, die sich den Sturz dieser Ordnung zum Ziel setzt. Anhand der CGT lässt sich dies exemplarisch beobachten.

1895 gegründet, ist die CGT die älteste französische Gewerkschaft. In der Nachkriegszeit stand sie unter der strikten Kontrolle der Kommunistischen Partei und war vor allem in den großen Industriebetrieben verankert.

Bereits 1968 spielte sie eine entscheidende Rolle beim Ausverkauf der Aufstandsbewegung gegen das Regime von General de Gaulle. Während sich elf Millionen Arbeiter an einem Generalstreik beteiligten, handelte sie mit der Regierung das so genannte Grenelle-Abkommen aus, das den Aufstand mit Hilfe einer Reihe ökonomischer Zugeständnisse unter Kontrolle brachte.

Trotz dieses Ausverkaufs erlebte die CGT während der siebziger Jahre den Höhepunkt ihres organisatorischen Einflusses. Zwischen 1968 und 1977 lag die Mitgliederzahl kontinuierlich weit über zwei Millionen. Solange als der Lebensstandard weiter anstieg und viele Arbeiter Illusionen in das reformistische Programm des Linksbündnisses der Sozialistischen und Kommunistischen Partei hegten, blieben sie der CGT treu.

Ab 1977 begann dann ein kontinuierlicher Abstieg, der sich während der gesamten Regierungszeit von Präsident Mitterrand fortsetze. 1992 erreichte die Mitgliederzahl der CGT mit 630.000 ihren Tiefpunkt. Parallel dazu verfiel die Kommunistische Partei, von deren Kontrolle sich die CGT nach und nach löste. Seither stagniert die Mitgliederzahl auf niedrigem Niveau. Heute ist die CGT mit 711.000 Mitgliedern nur noch der zweitgrößte Gewerkschaftsverband Frankreichs. Die CFDT verfügt über rund 100.000 Mitglieder mehr.

Die CGT reagiert auf diesen Niedergang wie alle anderen Gewerkschaften auch: Sie verzichtet auf ihre klassenkämpferische Rhetorik und verbindet sich noch enger mit der Staatsgewalt und den Unternehmenszentralen. Das hat der Kongress in Lille deutlich gezeigt.

Siehe auch:
Die "Lissabon-Strategie" und die europäischen Gewerkschaften
(20. April 2006)
Frankreich: Regierung nimmt Ersteinstellungsvertrag zurück
( 15. April 2006)
Lutte Ouvrière deckt den Verrat der Gewerkschaften
( 11. April 2006)
Loading