China und die Aussichten des internationalen Sozialismus

Teil 3

Im Folgenden veröffentlichen wir den dritten und letzten Teil eines Berichts zu China, den der Korrespondent der World Socialist Web Site John Chan im Rahmen der erweiterten WSWS- Redaktionssitzung in Sydney vom 22. bis 27. Januar 2006 gehalten hat.

Vor drei Jahrzehnten war es in Peking üblich, mit "linken" Phrasen zum "Sturz des Weltimperialismus" aufzurufen. Gleichzeitig warfen zahlreiche opportunistische und kleinbürgerlich-radikale Tendenzen der trotzkistischen Bewegung vor, sie würde die "großen Errungenschaften" der chinesischen Revolution nicht anerkennen. Sie priesen Mao Tsetungs Slogan "Die Macht kommt aus den Gewehrläufen" als neuen Weg zum Sozialismus, der sich auf bäuerliche Guerrillatruppen stützen und auf die Beteiligung der Arbeiterklasse verzichten sollte.

Heutzutage ist Maos China einer der wichtigsten Stützpfeiler des Kapitalismus. Wie lässt sich diese Entwicklung erklären? Zunächst einmal hatte das maoistische Regime von 1949 nichts mit wirklichem Sozialismus zu tun. Der Name der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) wurde beibehalten, aber der soziale und politische Inhalt der Bewegung hatte sich nach der Niederlage der chinesischen Arbeiterklasse in der Revolution von 1925-27 grundlegend verändert.

Nach dem Desaster von 1927, für das Stalins nationalistische Perspektive der "Zwei-Stufen-Theorie" direkt verantwortlich war, flohen Teile der KPCh aufs Land und gründeten so genannte "Bauernsowjets". Indem sie die Arbeiterklasse in den Städten aufgab und sich den Bauern zuwandte, verwandelte sich die KPCh in eine radikale nationalistische Bewegung, die mit Teilen der chinesischen Bourgeoisie verbündet war.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren Maos "Rote Armeen" aufgrund bestimmter günstiger Bedingungen in der Lage, die korrupte Diktatur von Tschiang Kaischek zu besiegen. Die Aggression des imperialistischen Japans hatte das Kuomintang-Regime ernsthaft geschwächt, gleichzeitig wollte die stalinistische Bürokratie einen Pufferstaat im Fernen Osten errichten. Tschiang Kaischek, mit dem Stalin in den 1920ern ein opportunistisches Bündnis geschlossen hatte, stand jedoch mittlerweile auf Seiten der Vereinigten Staaten.

Moskau übergab eine große Anzahl in der Mandschurei sichergestellter japanischer Waffen an Mao, was das Gleichgewicht der militärischen Kräfte zwischen KPCh und Kuomintang veränderte. Stalins ursprünglicher Plan lautete, dass Mao am Ufer des Yangtse halt machen und das Land mit Tschiang teilen sollte. Aber die Kuomintang war schon vor dem Krieg kaum in der Lage gewesen, das Land zusammenzuhalten, während die maoistische Bewegung wegen ihres Landreformprogramms beachtliche Unterstützung unter der Bauernschaft genoss. Auch für Teile der chinesischen Bourgeoisie stellte die KPCh eine Alternative dar.

Als Mao im Oktober 1949 die Geburt der Volksrepublik verkündete, rief er nicht eine neue sozialistische Arbeiterregierung aus, sondern eine von der KPCh geführte "demokratische" Regierung, an der sich ein Dutzend bürgerlicher Parteien beteiligten. In seiner Rede auf dem Tiananmen-Platz erklärte Mao: "Das chinesische Volk ist aufgestanden." Damit drückte er die Hoffnung von Teilen der Bourgeoisie auf nationale Unabhängigkeit und die Entwicklung des chinesischen Kapitalismus aus.

Die bedeutendste soziale Veränderung, die aus der Revolution von 1949 hervorging, war nicht die Verstaatlichung der Industrie sondern die Landreform - eine klassische bürgerliche Forderung. Nicht Mao sondern Sun Yatsen, der Gründer der Kuomintang, hatte um 1900 als erster in China eine Landreform gefordert und verstand sie als Teil seines revolutionären Programms für den Sturz der Manchu-Dynastie und die Entwicklung der chinesischen kapitalistischen Industrie.

Unter den Bedingungen des "Kalten Krieges" war Peking einer Wirtschaftsblockade durch die Vereinigten Staaten ausgesetzt und schließlich mit dem Ausbruch des Koreakrieges sowie einem drohenden Angriff durch die USA konfrontiert. Um sich auf einen Krieg mit den Vereinigten Staaten vorzubereiten, sah sich das maoistische Regime gezwungen, die meisten Industrien in Staatsbesitz zu stellen und eine bürokratische Planung einzuführen, anstatt den Markt zu fördern und Außenhandel zu ermutigen.

Während des so genannten "Großen Sprungs nach vorn" Ende der 1950er Jahre, führte Mao eine Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft durch, schuf sich selbst versorgende Kommunen und organisierte Bauern und Arbeiter in militärartigen Produktionseinheiten. Diese Maßnahmen spiegelten Maos bäuerliche Auffassung von einem autarken nationalen Sozialismus. Trotz seiner Bekenntnisse zum "Sozialismus" sah Mao den "Großen Sprung nach vorn" immer als ein Mittel, um China wieder zu einer Großmacht zu machen und die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder einzuholen.

Die große Hungersnot und Wirtschaftskrise, die während des "Großen Sprungs nach vorn" zig Millionen Menschen das Leben kosteten, erschütterten Maos Stellung in der Partei. Teile der staatlichen Bürokratie unter Führung von Liu Shaoqi und Deng Xiaoping, den "Wegbereitern des Kapitalismus", begannen, eine Wirtschaftspolitik ähnlich den "Marktreformen" in den späten 1970ern einzuführen.

Um die Initiative zurückzuerlangen, leiteten Mao und seine Fraktion 1966 die so genannte "Kulturrevolution" ein, die den "Wegbereitern des Kapitalismus" Einhalt gebot. Aber Mao hatte keine Lösung für die Wirtschaftskrise des Landes. 1971 erreichte er eine Annäherung mit dem US-Imperialismus und legte damit die diplomatischen Grundlagen für die Einführung von Deng Xiaoping "Marktreformen" und die Öffnung des Landes für ausländisches Kapitals im Jahre 1979.

Dass sich Dengs Programm durchsetzte, war kein Zufall. Die Politik der "Marktreformen" gründete sich auf Maos eigene "Zwei-Stufen-Theorie", der zufolge eine lange Periode des Kapitalismus notwendig sei, bevor in einer unbestimmten Zukunft auch nur der Versuch unternommen werden könne, zum Sozialismus überzugehen.

In den 1980ern verwarf das Regime die staatlich kontrollierte Wirtschaft Maos als das Ergebnis seines "ultralinken" Versuchs, den Kommunismus in einem rückständigen Land aufzubauen, dem die notwendige wirtschaftliche Grundlage dazu fehlte. Deng argumentierte, dass die materiellen und wirtschaftlichen Grundlagen über Jahrzehnte und gar Jahrhunderte kapitalistischer Entwicklung heranreifen müssten. So lautet auch heute in Peking die offizielle Lehre, die den Namen "sozialistische Marktwirtschaft" oder "Sozialismus mit chinesischen Merkmalen" trägt.

Deng wies stets die Kommentare westlicher Medien zurück, dass er mit dem Maoismus gebrochen habe. Im Gegenteil, Deng betonte immer, dass er die Partei wieder auf die "korrekte" maoistische Linie gebracht habe, auf der das Regime 1949 gegründet worden war. Seine "Marktreform" war Teil des umfassenderen Prozesses, der als Globalisierung der Produktion seit Ende den 1970er Jahren an Fahrt gewann. Wie andere kleinbürgerlich-nationalistische Bewegungen der Nachkriegsperiode hatte auch das maoistische Regime kein Problem damit, seine "antiimperialistischen" Phrasen abzulegen und China in ein Billiglohnland zu verwandeln.

Von Anfang an war Maos China vielmehr ein deformierter bürgerlicher Staat, als dass er einen deformierten Arbeiterstaat dargestellt hätte. Der arbeiterfeindliche Charakter des Regimes war seit 1949 immer offensichtlich, da die Pekinger Bürokratie jede unabhängige Regung der Arbeiter unterdrückte. Mit den "Marktreformen" handelte Peking bewusst als kollektiver Interessenvertreter der chinesischen Kapitalisten sowie ausländischen Investoren und setzte polizeistaatliche Maßnahmen ein, um die rücksichtslose Ausbeutung der Arbeiterklasse zu forcieren.

Die "Marktreform" war in China kein spontaner Prozess, sondern bedurfte eines aktiven staatlichen Eingreifens und sogar der Gewalt, um der Masse der chinesischen Bevölkerung die gesellschaftlich zerstörerische Politik aufzuzwingen. Die riesigen Reserven an billiger Arbeitskraft wurden geschaffen, indem Peking in den letzten zwei Jahrzehnten die ländlichen Kommunen auflöste und staatliche Unternehmen schloss. Dieser Prozess erreichte seinen Höhepunkt nach dem brutalen Massaker an Studenten und Arbeitern auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Dies war ein Signal an den internationalen Kapitalismus, dass jedes Mittel angewandt werde, um die Arbeiterklasse zu unterdrücken.

Um das rasante Wirtschaftswachstum beizubehalten, subventioniert der Staat seinen Exportsektor und Industrien wie Auto und Stahl durch bevorzugte finanzielle Behandlung. Weil das Land sich im Besitz des Staates befindet, konnte die Regierung Millionen Menschen vertreiben, um Platz für die Erschließung zahlreicher Gewerbegebiete zu schaffen. Außerdem gibt der Staat jährlich zig Milliarden Dollar für den Bau von Schnellstraßen, Häfen, Kraftwerken und Telekommunikation aus, um eine Infrastruktur zu schaffen, die ausländische Investoren anzieht.

Das Ergebnis ist ein explosives Industriewachstum. Die Shenzhen Sonderwirtschaftszone zum Beispiel war Anfang der 1980er Jahre ein einfaches Fischerdorf. Im Jahre 2006 ist sie mit einer Bevölkerung von 10 Millionen Menschen eines der größten Produktionszentren der Welt.

Seit China zur "Werkbank der Welt" geworden ist, wirbt die chinesische Regierung auf allen Ebenen um internationale Investoren. Die Parteilichkeit der Regierung zugunsten des Managements ist offensichtlich. Die Körperschaftssteuer stellt die Haupteinnahmequelle der lokalen Behörden dar, was zu einem scharfen Wettbewerb zwischen Städten, Regionen und Provinzen um das ausländische Kapital führt. Je lockerer die gesetzlichen Vorgaben bezüglich Löhnen und Arbeitsbedingungen sind, desto eher kommen die Investoren. Außerdem sind viele Provinzregierungen und Funktionäre selbst Partner in Joint Ventures. Der chinesische Partner stellt für gewöhnlich das Land und die Gebäude und garantiert fügsame Arbeitskräfte. Angesichts dieser Umstände bilden die Regierung und die Konzerne eine gemeinsame Front gegen die Arbeiter.

Da zig Millionen Menschen ihre Dörfer verlassen, um in den Städten nach Arbeit suchen, und noch viel mehr Arbeiter aus Staatsunternehmen entlassen worden sind, sehen sich Arbeiter gezwungen, Löhne am Existenzminimum, lange Arbeitszeiten und extreme Arbeitsbedingungen hinzunehmen. Einem Artikel im China Daily zufolge ist der Lohnanteil am BIP von 16 Prozent 1989 auf 12 Prozent 2003 gefallen, obwohl sich das Wirtschaftsvolumen vervierfacht hat.

Starke Steuerbelastung, öffentliche Korruption und wachsender Wettbewerb nach Chinas Eintritt in die Welthandelsorganisation sorgten dafür, dass sich die harten Lebensbedingungen und die Armut auf dem Land um ein Vielfaches verschärft und die traditionelle Unterstützung der KPCh bei den Bauern untergraben haben.

Die Ausplünderung von Staatsunternehmen und weit verbreitete Korruption innerhalb des autokratischen Regimes haben eine Verschmelzung von politischer Macht und Geld hervorgebracht. Es ist ein Wiederaufleben dessen, was in der vorrevolutionären Ära als "bürokratischer Kapitalismus" genannt wurde - ein Begriff, um den vorherrschenden Teil der alten chinesischen Bourgeoisie zu beschreiben. Ihre Vertreter waren in China als Kompradoren oder Mittelsmänner des ausländischen Kapitals berüchtigt, die die Ausbeutung der billigen Arbeitskräfte und Ressourcen des Landes organisierten. Sie brauchten die korrupte Kuomintang-Diktatur, um die Arbeiterklasse und Bauernschaft zu unterdrücken.

Die Folgen der wachsenden Unruhe

Das Ergebnis ist wachsende soziale Unzufriedenheit und eine verbreitete Feindschaft unter Arbeitern und Bauern gegen das Regime. Nach den neuesten Zahlen, die Chinas Ministerium für Öffentliche Sicherheit im Januar veröffentlicht hat, ist die Zahl der Proteste und Unruhen 2005 um 6,6 Prozent auf 87.000 gestiegen. Ein Sprecher des Ministeriums wandte sich mit folgender Bitte an die Öffentlichkeit: "Wir hoffen, die Massen werden ihre Forderungen auf gesetzmäßigem Wege ausdrücken, bewusst die öffentliche Ordnung wahren und die Gesetze anerkennen, um Probleme auf harmonische und ordnungsgemäße Weise zu lösen."

Was bedeutet diese wachsende soziale Unzufriedenheit? Sie ist ein Ausdruck extremer gesellschaftlicher Polarisierung zwischen Arm und Reich, wobei kaum ein Puffer zwischen dem Regime und den Massen existiert.

Einer der blutigsten Zusammenstöße zwischen dem Staat und Demonstranten fand im Dezember statt, als paramilitärische Einheiten der chinesischen Polizei mit automatischen Waffen auf Dorfbewohner in der südlichen Provinz Guangdong schossen und eine Reihe von ihnen töteten. Das ist der erste bekannt gewordene Fall seit dem Tiananmen-Massaker, bei dem die chinesische Regierung Schusswaffen eingesetzt hat, um einen Protest zu unterdrücken.

Dieser Vorfall beunruhigte die US-Denkfabrik Stratfor, die zur sich anbahnenden sozialen Explosion in China bemerkt: "Dies ist in jedem Land eine explosive Mischung, aber besonders in China, einem Land mit einer Tradition von Revolution und Unruhe. Die Vorstellung ist naiv, dass die Bauern einfach ihr Land verlassen oder die Arbeitslosen einfach zurück aufs Land gehen. Es sind massive soziale Bewegungen im Spiel, an denen die beiden mächtigsten Kräfte in China beteiligt sind: Arbeiter und Bauern", stellt Stratfor fest.

"Das Bemerkenswerte ist, dass diese Konfrontationen sowohl an Häufigkeit als auch an Intensität zunehmen. Während sich die westlichen Medien auf die Außenansicht des chinesischen Wirtschaftswachstums konzentrieren - die Seite, die in westlichen Hotels jeder größeren Stadt zu sehen ist - erleben die chinesischen Massen sowohl die Kosten der Industrialisierung als auch die Kosten wirtschaftlichen Scheiterns. Die Summe dieser Gleichung ist Unruhe. Die Frage ist, wie weit diese Unruhe gehen wird.

Im Moment scheint es keine nationale Organisation zu geben, die für die Bauern oder Arbeitslosen spricht. Die Erhebungen sind örtlich begrenzt, von Einzelinteressen getrieben und nicht auf Landesebene koordiniert. Die einzige Gruppe, die einen nationalen Widerstand bilden wollte, Falun Gong, ist von der chinesischen Regierung ins Abseits gedrängt worden. Chinas Sicherheitskräfte sind fähig, effektiv und sie werden immer zahlreicher. Sie haben bis jetzt das Aufkommen jeder landesweiten Opposition verhindert.

Gleichzeitig warten die zunehmenden und schärfer werdenden Unruhen nur darauf, von jemandem ausgenutzt zu werden. Sie werden nicht verschwinden, denn die zugrunde liegenden ökonomischen Prozesse können nicht einfach unter Kontrolle gebracht werden. In China wie überall [auf der Welt] bestand der Führungskader jeder Massenbewegung aus Intellektuellen. Aber die chinesischen Intellektuellen sind entweder durch das Tiananmen-Massaker eingeschüchtert oder mit Jobs in westlichen Industrien gekauft. China gibt sich jetzt große Mühe, diese Brandherde örtlich begrenzt zu halten und Orte, die den Siedepunkt erreichen, zu beruhigen - zumindest um Zeit zu gewinnen, bis dann mit den Verhaftungen angefangen werden kann. Das war ihre Vorgehensweise in Shanwei [wo der Schusswaffeneinsatz der Polizei stattfand]. Der Prozess ist im Gange. Aber wenn die Wirtschaft weiterhin wächst und schlimmer wird, muss sich die soziale Unruhe ausbreiten."

Es ist festzustellen, dass Stratfor die Beziehung zwischen der Arbeiterklasse und ihrer Führung bei weitem objektiver sieht als die vielen Akademiker, die in zahlreichen Bänden die Marxisten dafür angreifen, dass diese die Notwendigkeit einer führenden Partei in der sozialistischen Revolution betonen.

Bürgerliche Professoren werden nicht müde, Lenin und insbesondere sein Werk Was tun? anzugreifen. Sie verurteilen ihn als "elitär" und machen ihn für den Aufstieg der stalinistischen Diktatur verantwortlich, weil Lenin die Erziehung der Arbeiterklasse in Fragen der sozialistischen Weltanschauung besonders hervorhob. Aber wirklichkeitsnähere Analytiker, die - wie Stratfor - im Auftrage der Bourgeoisie den Klassenkampf beobachten, erklären frei heraus, dass eine Führung in China wie überall auf der Welt eine notwendige Bedingung ist, damit sich eine revolutionäre Massenbewegung entwickeln kann.

Hierin besteht die grundlegende Bedeutung der WSWS/SEP-Sommerschule, die letztes Jahr in Ann Arbor in den Vereinigten Staaten stattgefunden hat. Die sozialistische Bewegung in China wird nicht wiederaufleben, wenn nicht die enorme Verwirrung bewusst geklärt und aufgelöst wird, die durch die Verbrechen des Stalinismus im letzten Jahrhundert entstanden ist.

Einer der wichtigsten Faktoren bei den Ereignissen von 1989 in der Sowjetunion, Osteuropa und China war, wie David North in seinem ersten Vortrag herausgestellt hat, die Unkenntnis der Geschichte. Die spontane Erhebung gegen die stalinistische Bürokratie hat sich nicht zu einer bewussten Bewegung entwickelt, die für die sozialistische Neubelebung der Sowjetunion oder in China für einen echten sozialistischen und demokratischen Staat kämpfte.

Das stalinistische Regime in China konnte die Arbeiterklasse vor allem deshalb niederschlagen, weil eine trotzkistische Perspektive fehlte. Die Führung der regierungsfeindlichen Bewegung war von kleinbürgerlichen Liberalen dominiert, die die Illusion von Demokratie im Kapitalismus verbreiteten. Sie behaupteten, die Verbrechen des Maoismus und die Krise der Sowjetunion würden beweisen, dass das gesamte sozialistische Projekt zum Scheitern verurteilt sei. Obwohl der Kapitalismus Ungleichheit erzeuge, sagten sie, sei er die einzig tragfähige gesellschaftliche und politische Organisationsform. Ohne ein Verständnis, dass die jahrzehntelange Gleichsetzung des Sozialismus mit dem Stalinismus eine Geschichtsfälschung ist, konnte die Bewegung der chinesischen Arbeiterklasse nicht mehr erreichen. Deng Xiaoping befahl die Truppen nach Peking und schlug die Proteste unter der falschen Flagge der "Verteidigung des sozialistischen Systems" nieder.

Fünfzehn Jahre später ist offensichtlich, dass Peking nichts mit Sozialismus zu tun hat und dass die Ausbreitung des Marktkapitalismus keine Demokratie bringen wird. Das bedeutet aber nicht, dass die chinesische Arbeiterklasse spontan die Perspektive des internationalen Sozialismus annehmen wird. Peking versucht krampfhaft, das ideologische Vakuum mit chinesischem Nationalismus und anderen konservativen Ideologien wie dem Konfuzianismus zu füllen - dem, nebenbei bemerkt, die Gründer der KPCh den Krieg erklärt hatten.

Diese Situation kann sich ändern. Analysen wie die von Stratfor deuten auf das Fehlen einer sozialistischen Führung in China hin, aber sie beziehen keine internationalen Faktoren ein. Sie vergessen, dass die Gründung der Kommunistischen Partei Chinas kein chinesisches Naturprodukt war, sondern aus der internationalen Erhebung der Arbeiterklasse nach der Russischen Revolution und dem Ersten Weltkrieg folgte.

Vor 1917 sahen nur wenige Leute voraus, dass das damals so rückständige und konservative China ein Land werden würde, in dem Aufstieg und Verrat des Kommunismus sich so entscheidend auf den Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts auswirken sollte. Das Versagen der chinesischen bürgerlichen Revolution 1911, das Wüten der Warlords, die Enttäuschungen über den "demokratischen" Imperialismus während des Ersten Weltkrieges und der Erfolg der Oktoberrevolution 1917 - alle diese explosiven Ereignisse gaben der ideologische Atmosphäre in China eine neue Richtung, was seinen Höhepunkt in der Bewegung des Vierten Mai 1919 und in der Gründung der Kommunistischen Partei 1921 fand.

Im Verlauf von wenigen Jahren führten die fortgeschrittensten Schichten unter den chinesischen Intellektuellen nicht nur eine beispiellose Kampagne bürgerlicher Aufklärung durch, was Sun Yatsen versäumt hatte, sondern zogen auch weit reichende Schlussfolgerungen in Bezug auf die Notwendigkeit dem "russischen Weg zu folgen".

Der ideologische Sprung in der Bewegung des Vierten Mai nahm die Klassenlogik der nahenden chinesischen Revolution vorweg: Entweder vollendete die chinesische Arbeiterklasse die demokratischen Aufgaben als Teil der internationalen sozialistischen Revolution, die in Russland begonnen hatte, oder sie würden überhaupt nicht erfüllt werden.

Der Verrat an der Revolution von 1927 durch den Stalinismus bestätigte die Warnungen, die Trotzki im Laufe seines Kampfes gegen Stalins opportunistische Politik hinsichtlich der Kommunistischen Partei Chinas getroffen hatte. Das Aufkommen des Maoismus und die folgende Entwicklung sind von jenen Ereignissen nicht zu trennen.

Diese historischen Lehren will Peking der chinesischen Arbeiterklasse vorenthalten. Peking fürchtet die starke Verbreitung des Internet in China. Es versucht, die Ausbreitung "gefährlicher" politischer Ideen durch Zensur und die Einrichtung einer so genannten Cyberpolizei zu verhindern, um die vielen Millionen Internetbenutzer zu überwachen.

Aber die Anwendung physischer Gewalt zur Unterdrückung von Ideen ist kein Zeichen ideologischer Stärke. Es wird eine starke Wirkung in China entfalten, wenn die World Socialist Web Site auf das Chinesische ausgeweitet, die Geschichte des Stalinismus geklärt und die kollektiven Erfahrungen und Lehren der internationalen Arbeiterklasse im zwanzigsten Jahrhundert betrachtet werden.

Ende.

Siehe auch:
China und die Aussichten des internationalen Sozialismus - Teil 1
(11. April 2006)
China und die Aussichten des internationalen Sozialismus - Teil 2
( 12. April 2006)
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