Frankreich

Olivier Besancenot und LCR: Hilfstruppen der Bürokratie

Unmittelbar nach den landesweiten Großdemonstrationen gegen den Ersteinstellungsvertrag (CPE) am 28. März veranstaltete die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) eine Versammlung in der Pariser Mutualité. Das Treffen begann mit großer Verspätung und dauerte nur eineinhalb Stunden. Hauptredner war Olivier Besancenot, der offizielle Sprecher der LCR und ihr Präsidentschaftskandidat im Jahr 2002. Nach seiner Rede verließen die etlichen hundert Teilnehmer schnell wieder den Saal. Diskussion fand keine statt.

Besancenots Rede war ein Paradebeispiel an Demagogie, darauf ausgerichtet, die opportunistische Politik seiner Partei zu verdecken.

Er begann seinen Beitrag mit den Worten: "Wir sind nicht sehr weit vom Sieg entfernt" und beendete ihn mit dem Che-Guevara-Zitat "Hasta la victoria siempre!" ("Immer bis zum Sieg!"). Er schrie, gestikulierte und war krampfhaft bemüht, seine Zuhörer zum Lachen und zu Begeisterungsstürmen zu animieren. Die Stimmung sei glänzend, die Mobilisierung außergewöhnlich, die Lage der Regierung fatal, rief er. "Heute hat die Straße gesprochen. Die Straße ist in der Ultra-Mehrheit, die Regierung in der Ultra-Minderheit" ... und so weiter.

Die hohlen Phrasen über den unmittelbar bevorstehenden Sieg hatten den Zweck, den Zuhörern Sand in die Augen zu streuen. Besancenot verlor kein Wort über die Gefahren und die politischen Aufgaben, vor denen die Bewegung steht. Abgesehen von einigen Seitenhieben auf den rechten Flügel der Sozialistischen Partei äußerte er keine Silbe über die Rolle der Gewerkschaften, der offiziellen "linken" Parteien und ihrer Studentenverbände, die sich krampfhaft bemühen, die Bewegung zu lähmen, zu sabotieren und in eine Sackgasse zu führen.

Während die LCR die Proteste der Schüler und Studenten glorifiziert, ist sie hinter den Kulissen eifrig damit beschäftigt, jede Kritik an den bürokratischen Apparaten zu unterdrücken und ihre Kontrolle über die Bewegung zu stärken. Dabei macht sie sich zynisch den Ruf nach "Einheit" zunutze.

In einer Sonderausgabe der LCR-Zeitung Rouge, die auf den Demonstrationen vom 28. März verteilt wurde, heißt es: "Es ist möglich, die Regierung zum Rückzug zu bewegen, es ist möglich, den Rückzug des CPE zu erreichen... Es ist möglich, die Regierung zum Rücktritt zu bewegen, wenn wir uns alle zusammenschließen. Alle zusammen, Junge und weniger Junge; alle zusammen, Gymnasiasten, Studenten und Lohnabhängige; alle zusammen, Arbeitslose und Arbeiter!"

Der Ruf "tous ensemble" (alle zusammen) zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Äußerungen und Publikationen der LCR. Doch während die protestierenden Jugendlichen und Arbeiter unter "Einheit" das Bedürfnis verstehen, der verhassten Regierung möglichst geschlossen entgegen zu treten, macht sich die LCR für die "Einheit" mit den bürokratischen Apparaten stark.

Diese fürchten nichts mehr als eine Erschütterung der bürgerlichen Herrschaft. Ihre Appelle an die Regierung und den Präsidenten sind alle auf denselben Ton gestimmt: ‚Verhindern Sie, dass der Konflikt außer Kontrolle gerät und den sozialen Frieden gefährdet!’

Bruno Julliard, Vorsitzender der Studentengewerkschaft UNEF mit engen Verbindungen zur Sozialistischen Partei, sprach für sie alle, als er in einem Interview mit Radio Europe 1 erklärte, Ziel sei nicht der Sturz oder die Niederlage der Regierung: "Wir wollen, dass es am Ende dieser Bewegung weder einen Sieger noch einen Verlierer gibt." Präsident Chirac und sein Premierminister dagegen haben inzwischen deutlich gemacht, dass sie mitnichten daran denken, den Rückzug anzutreten.

Soweit die LCR die reaktionäre Rolle der bürokratischen Apparate nicht völlig ignorieren kann, erklärt sie, die bloße Dynamik der Bewegung werde sie überwinden. So hieß es Mitte März im Leitartikel von Rouge : "Was immer die Ziele und politischen Kalkulationen der Sozialistischen Partei sein mögen, was immer die Ängste der Gewerkschaftsführungen vor eine Konfrontation mit der Regierung und dem Staat sein mögen, alle sind gezwungen, die Bewegung zu begleiten und zu unterstützen. Denn ihre Kraft und ihre Dynamik sind die Jugendlichen, die sich im Kampf engagieren ..."

Die bloße Kraft und Dynamik der Jugend und der Arbeiter zwingen also die Sozialistische Partei und die Gewerkschaftsbürokratie, die Bewegung zu unterstützen. Welch ein Betrug! Die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung, die unzähligen Niederlagen, die die Arbeiterklasse gerade auch in Frankreich aufgrund des Verrats und der Sabotage ihrer Führer erlitt, beweist das Gegenteil. Der Ruf nach "Einheit" mit den bürokratischen Apparaten, wie er von der LCR erhoben wird, hat in der Geschichte der französischen Arbeiterbewegung eine lange und verhängnisvolle Tradition.

In den dreißiger Jahren diente er zur Begründung der Volksfront. Im Namen der "Einheit gegen den Faschismus" ordneten die Stalinisten und die Sozialdemokraten die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse einem Bündnis mit den Radikalen unter, der traditionellen Partei der französischen Bourgeoisie. 1936 unterdrückte dann die Volksfront-Regierung von Léon Blum den mächtigsten Generalstreik in der französischen Geschichte und ebnete so den Weg für die Rückkehr der Rechten an die Macht, für die Niederlage der spanischen Revolution und für den Zweiten Weltkrieg.

Schon vor drei Jahren hatte die LCR im Namen der "Einheit" gegen Le Pen zur Wahl Jacques Chiracs zum Präsidenten aufgerufen; der Kandidat der Nationalen Front hatte in der ersten Runde den sozialistischen Kandidaten Lionel Jospin geschlagen und war als Herausforderer Chiracs in die zweite Runde eingezogen. Mit dem Wahlaufruf für Chirac stärkte die LCR die Autorität dieses rechten bürgerlichen Politikers und verhinderte, dass die Massenbewegung gegen Le Pen eine unabhängige Richtung einschlug.

Nun bereitet sie, noch während die Mobilisierung gegen die CPE ihrem Höhepunkt zustrebt, den nächsten Verrat vor.

Mitte März richtete die LCR einen Brief an den Kongress der Kommunistischen Partei, in dem sie für die "Einheit der antiliberalen und antikapitalistischen Kräfte" eintrat. Sie schlug die Aufstellung gemeinsamer Kandidaten bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007 vor. "Die Frage der Mobilisierung gegen die Regierung und die Unternehmer sowie die Frage einer Alternative stehen im Mittelpunkt Eurer Überlegungen, die wir teilen", heißt es in dem Brief.

Die Kommunistische Partei, daran sollte man sich erinnern, ist eine verlässliche Stütze der bürgerlichen Herrschaft. Während der letzten 25 Jahre hat sie sämtlichen sozialistisch geführten Regierungen angehört und deren Politik mitgetragen. Ihre Vorsitzende Marie-George Buffet, die vom Kongress mit großer Mehrheit bestätigt wurde, war fünf Jahre lang Ministerin im Kabinett Jospin. Und während sich die LCR für eine gemeinsame Kandidatur mit der KPF stark macht, bemüht sich letztere um eine gemeinsame Kandidatur mit der Sozialistischen Partei. Die LCR ist so nur das letzte Glied in einer langen Kette, die der Verteidigung der bürgerlichen Ordnung dient.

Die größtmögliche Einheit der Arbeiterklasse, der Jugend und breiter Schichten der Bevölkerung - und zwar nicht nur im nationalen, sondern im internationalen Rahmen - bildet ohne Zweifel die Voraussetzung, um die Angriffe auf soziale Errungenschaften und demokratische Rechte zurückzuschlagen, die das Kapital weltweit organisiert. Aber eine solche Einheit kann nur im Kampf gegen den Einfluss der alten gewerkschaftlichen und politischen Organisationen erzielt werden, die das kapitalistische Eigentum verteidigen und die Arbeiterklasse den nationalen Interessen unterordnen.

Die Vereinigung der Arbeiterklasse und der Jugend erfordert ein Programm, das die Bedürfnisse breiter, auch der unterdrücktesten Bevölkerungsschichten aufgreift und befriedigen kann. Mit anderen Worten, sie erfordert eine sozialistische Perspektive, die sich gegen das kapitalistische System richtet.

Die "Einheit" mit den Gewerkschaften und der offiziellen "Linken" spaltet und schwächt dagegen die Arbeiterklasse. Das beweist unter anderem die Erfahrung mit der Regierung der "Pluralen Linken" unter Lionel Jospin. Fünf Jahre nach deren Amtsübernahme waren einige der unterdrücktesten Teile der Arbeiterklasse von Jospin derart enttäuscht und abgestoßen, dass es dem rechten Demagogen Le Pen gelang, ihre Stimmen zu ködern.

Die Vereinigung von Studenten, Jugendlichen und Arbeitern ist untrennbar mit der Aufgabe verbunden, eine neue, revolutionäre Führung aufzubauen. Die LCR tut alles, um diese Frage zu verwischen und die größtmögliche Verwirrung zu stiften. Sie bildet den linken Flügel des politischen Establishments. Während sie ihre Sprache an die radikale Stimmung der Jugendlichen anpasst, ist sie sorgsam bemüht, jede Kritik an den bürokratischen Apparaten zu unterdrücken und deren Autorität zu steigern.

Siehe auch:
Französische LCR geht weiter nach rechts
(27. Januar 2006)
Die radikale Linke in Frankreich
( 7. Mai 2004)
Loading