New York: Haftstrafen und Buße in Millionenhöhe für Gewerkschaft

Ein Gericht des Staates New York hat eine zehntägige Haftstrafe gegen den Präsidenten des Ortsverbands 100 der Transportarbeitergewerkschaft (TWU), Roger Toussaint, sowie eine Geldstrafe von 2,5 Millionen Dollar gegen die Gewerkschaft verhängt. Außerdem hat es festgelegt, dass der automatische Einzug der Gewerkschaftsbeiträge von der Lohnabrechnung der Beschäftigten auf Dauer ausgesetzt wird, was den Ortsverband in den Bankrott treiben kann.

Es handelt sich um eine Strafaktionen gegen die 34.000 Beschäftigten der New Yorker Verkehrsbetriebe, die im vergangenen Dezember zweieinhalb Tage gestreikt hatten. Das Urteil ist Ausdrucks der Wut und der Feindschaft, mit denen die Wall Street auf diesen Akt des Widerstands regagiert. Außerdem zeigt es, wie bankrott die Politik und die politische Perspektive der Gewerkschaften sind.

Schon bevor Richter Theodore Jones vom Obersten Gericht in Brooklyn seine Urteile verhängte, hatte die Verkehrsgesellschaft Metropolitan Transportation Authority (MTA) begonnen, individuelle Geldstrafen gegen Streikteilnehmer auszusprechen. Das Antistreikgesetz des Staates New York, das öffentlichen Angestellten das Streiken verbietet, ermöglicht den Abzug von zwei Tageslöhnen für jeden Streiktag, aber vielen U-Bahnfahrern ist deutlich mehr von ihrem Lohn einbehalten worden.

Die Gefängnisstrafe für einen prominenten Gewerkschaftsführers wegen eines Streiks, der von den Mitgliedern mit überwältigender Mehrheit gefordert wurde, und die Verhängung drakonischer Geldstrafen mit dem Ziel, die Gewerkschaft zu zerstören, haben mehr mit einem Polizeistaat als mit einer funktionierenden Demokratie gemein. Sie sind Ausdruck der enormen sozialen Polarisierung in den gesamten Vereinigten Staaten und insbesondere in New York City, dem Zentrum des Finanzkapitals und der weltweit größten Konzentration von Multimillionären und Milliardären.

Der Streik im öffentlichen Nahverkehr, der erste in New York seit 25 Jahren, war von der MTA, der Stadtverwaltung und der Regierungen des Staats New York provoziert worden, um drastische Kürzungen bei den Renten, der Krankenversicherung und anderen Sozialleistungen durchzusetzen. Das unmissverständliche Ziel bestand darin, diesem militanten Teil der Arbeiterklasse eine Niederlage zuzufügen und diese dann als Präzedenzfall zu benutzen, um noch drastischere Angriffe gegen andere Teile der Arbeiterklasse durchzuführen. Hinter der Stadtverwaltung standen die Wall-Street-Banken und großen Konzerne mit ihrer Forderung, die Löhne, Sozialleistungen und Rechte zu dezimieren, die von früheren Generationen von Arbeitern erkämpft worden sind. Sie werden als unakzeptable Schmälerung der Profite und als Hindernis für die Anhäufung von persönlichem Reichtum durch das oberste Prozent der Bevölkerung betrachtet.

Die U-Bahn- und Busfahrer boten diesen Forderungen die Stirn und traten in den Streik. Sie legten den öffentlichen Nahverkehr in New York City fast drei Tage lang still und demonstrierten so die enorme objektive Macht der Arbeiterklasse. Sie brachten die Wut zum Ausdruck, die in breiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung über die wachsende soziale Ungleichheit und die Unterordnung gesellschaftlicher Grundbedürfnisse unter Profitinteressen existiert.

Währen sich die New Yorker Medien und der milliardenschwere republikanische Oberbürgermeister Michael Bloomberg einer Kampagne anschlossen, die die U-Bahnfahrer als "gierigen Abschaum" verleumdete, erfreute sich ihr Kampf bei der arbeitenden Bevölkerung der Stadt breiter Unterstützung.

Daher gehen die herrschende Elite, die Politiker und die Gerichte, die ihr dienen, mit den schärfsten Mitteln gegen die Gewerkschaft vor, um breiten Schichten der Arbeiterklasse zu signalisieren: Wenn ihr Widerstand leistet, werdet ihr ruiniert.

Trotz ihrer machtvollen Aktion und der Unterstützung, die sie genossen, wurden die Arbeiter der Verkehrsbetriebe mit leeren Händen an die Arbeit zurück gezwungen. Sie haben immer noch keinen neuen Tarifvertrag, und es besteht die Gefahr, dass ihnen durch eine Zwangsschlichtung weitgehende Zugeständnisse aufgezwungen werden.

Als die Gewerkschaftsführung nach Streikende einen alternativen Tarifvertrag mit Zugeständnissen aushandelte, stimmten die Arbeiter verärgert mit knapper Mehrheit dagegen. Der Vertrag hatte unter anderem vorgesehen, dass die Beiträge der Beschäftigten zur Krankenversicherung ohne festgelegte Obergrenze erhöht werden können. Die Gewerkschaft nutzt die drohende Zwangsschlichtung, um die Gegner des Vertrags einzuschüchtern, und legte ihn ein zweites Mal zur Abstimmung vor. Am 18. April ergab die Auszählung eine mehrheitlichen Zustimmung. Die MTA tat diese Abstimmung jedoch als "leere Geste" ab. Das alte Angebot liege nicht mehr auf dem Tisch.

Der Zorn der Basis richtet sich jetzt sowohl gegen die MTA wie auch gegen die Gewerkschaftsführung, die die Proteste ihrer Mitglieder gegen die exzessiven individuellen Geldstrafen weitgehend ignoriert hat. Vor Gericht schätzte der Ortsverband, dass gerade einmal zwölf Prozent seiner Mitglieder freiwillig Beiträge bezahlen würden, wenn der automatische Einzug suspendiert würde. Bei einer vergleichbaren Suspendierung während des Streiks von 1980 war die Gewerkschaft fast in den Bankrott getrieben worden, bis dann der automatische Abzug wieder eingeführt wurde.

Der Verkehrsstreik hat gezeigt, dass die Gewerkschaften untauglich sind, um einen ernsthaften sozialen Kampf zu führen, und dass ihre Führung käuflich ist. Der nationale Präsident TWU hatte den Streik als illegal gebrandmarkt und die Arbeiter aufgefordert, an die Arbeit zurückzukehren und den Streik zu brechen. Die so genannte Arbeiterbewegung von New York City tat nichts, um die Arbeiter der Verkehrsbetriebe zu unterstützen, und brachte nicht eine einzige Solidaritätsdemonstration zustande.

Gewerkschaftsbeiträge für demokratische Streikbrecher

Die Führung von Ortsverband 100 hat selbst keine Perspektive, die Stärke der Arbeiterklasse gegen die wütenden Angriffe des Staates, der Stadt, der Gerichte und der Medien zu mobilisieren. Insoweit sie eine Strategie hatte, bestand sie in der vergeblichen Hoffnung, dass die von ihr unterstützten demokratischen Politiker der Gewerkschaft zu Hilfe kommen würden.

Das war ein tödlicher Irrtum. Die Demokraten waren gleichberechtigte Partner beim Angriff auf die U-Bahn- und Busfahrer. Die Staatsanwälte, die die Gewerkschaft vor das Gericht von Richter Jones zerrten, um Geld- und Haftstrafen zu fordern, erhielten ihre Anweisungen von Generalstaatsanwalt Elliot Spitzer, der in diesem Jahr Kandidat der Demokraten für das Amt des Gouverneurs ist.

Im Verlauf des Streiks hatte Spitzers Sprecher Vorwürfe der Republikaner zurückgewiesen, Spitzer habe den Streik nicht heftig genug verurteilt. Er erklärte, der Generalstaatsanwalt habe "einige der schärfsten Maßnahmen erwirkt, die jemals verhängt worden sind, und wir versuchen, noch zusätzliche Strafen zu erreichen. Unsere Taten sprechen für sich."

Dem staatlichen New Yorker Wahlamt zufolge hat dieser selbe Spitzer bei seinen beiden Wahlkämpfen für das Amt des Generalstaatsanwalts von der TWU je 4.000 Dollar Spenden und seither noch weitere 3.500 Dollar für seinen Wahlkampf um das Gouverneursamt erhalten.

Und dann ist da die andere große demokratische Freundin der "Arbeiterbewegung", Hillary Clinton, gegen die ich dieses Jahr für den Senat kandidiere. Clinton billigte den Streikbruch stillschweigend, indem sie sich in der Konfrontation der MTA mit der TWU für"neutral" erklärte, gleichzeitig aber ihre Unterstützung für das gewerkschaftsfeindliche Taylor-Gesetz bekräftigte.

Der US-Bundeswahlkommission zufolge hat das politische Aktionskomitee der TWU von 2002 bis Anfang dieses Jahres etwa 11.500 Dollar für den Wahlfonds "Freunde Hillary Clintons" gespendet. Die größte Spende, 3.500 Dollar, erhielt Clinton im Januar, d.h. nur wenige Wochen, nachdem der Streik abgebrochen wurde.

Die Gewerkschaftsbürokratie finanziert also Politiker, die Streikbruch organisiert oder unterstützt haben, die mitgeholfen haben, den Präsidenten der eigenen Gewerkschaft ins Gefängnis zu werfen, und die dafür gesorgt haben, dass Geldstrafen gegen Arbeiter verhängt worden sind, deren einziges "Verbrechen" darin besteht, ihre Rechte verteidigt zu haben. Wenn es ihr schwer fällt, die Arbeiter davon zu überzeugen, freiwillig ihre Gewerkschaftsbeiträge zu bezahlen, mit denen solche Spenden gemacht werden, dann sollte das niemanden wundern!

Es ist an der Zeit, die bitteren Lehren und notwendigen Schlussfolgerungen aus dem Nahverkehrsstreik zu ziehen.

Der Streik hat erstens die Macht und Militanz der Arbeiterklasse demonstriert. Gleichzeitig hat er jedoch die Unmöglichkeit gezeigt, diese objektive Macht zum Tragen zu bringen, solange die Arbeiter durch die Politik der Gewerkschaftsbürokratie gelähmt werden, die mit der Demokratischen Partei in Verbindung steht und die sich immer wieder als Agentur zur Durchsetzung der Forderungen der herrschenden Elite gegen die Arbeiterklasse, und nicht als Kampfinstrument erwiesen hat.

Die nationale TWU und die gesamte AFL-CIO haben die Arbeiter aktiv sabotiert und den Nahverkehrsstreik unterdrückt. Die Führung des Ortsverbands 100 hatte keine alternative gesellschaftliche und wirtschaftliche Perspektive, die breitere Arbeiterschichten hinter den Transitarbeitern von New York hätte mobilisieren können, und wandte sich stattdessen an Demokraten wie Spitzer und Clinton um Hilfe. Am Ende hat sie den Streik abgeblasen und die Arbeiter gezwungen, so lange über einen Vertrag voller Zugeständnisse abzustimmen, bis "das richtige Ergebnis herauskam". Am Schluss werden sie voraussichtlich in einer Zwangsschlichtung noch weniger erhalten.

Ein Kampf zur Verteidigung der Errungenschaften der Vergangenheit, der Interessen der Nahverkehrsbeschäftigten oder anderer Schichten von Arbeitern erfordert zwingend eine neue politische Strategie, die vom Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und für ein kompromissloses antikapitalistisches Programm ausgeht, das die Bedürfnisse und Interessen der Arbeiter über das Profitstreben der Finanzoligarchie stellt. Das gesamte Wirtschaftsleben muss nach sozialistischen Grundsätzen reorganisiert werden.

Auf der Grundlage dieser Perspektive und dieses Programms interveniert die Socialist Equality Party in den diesjährigen Wahlen. Wir kämpfen für einen unwiderruflichen Bruch mit der Demokratischen Partei, deren führende Prominenz, Leute wie Hillary Clinton, genauso wie die Republikaner die Interessen der Konzernspitzen verteidigen. Sowohl im Krieg im Irak wie auch im Krieg gegen die Interessen der Arbeiter im eignen Land haben sie mit der Bush-Regierung nur Meinungsverschiedenheiten über die beste Taktik.

Wir wollen durch unsere Wahlkampagne die politischen Grundlagen für den Aufbau einer neuen politischen Massenbewegung legen, die sich auf die Arbeiterklasse stützt und die mit einem sozialistischen Programm und sozialistischen Perspektiven ausgerüstet ist.

Es liegt auf der Hand, dass unser Wahlkampf nicht aus Quellen schöpfen kann, die mit denen von Hillary Clinton vergleichbar wären: Clinton hat zwanzig Millionen Dollar zur Finanzierung ihrer Wiederwahl gesammelt - darunter beträchtliche Unternehmerspenden und die den Nahverkehrsbeschäftigten abgeknöpften Beiträge. Wir setzen unser Vertrauen in die Fähigkeit der arbeitenden Bevölkerung, von Studenten, Angestellten und Jugendlichen, eine neue Bewegung von unten aufzubauen, die den Kampf auch fortsetzen wird, wenn die Wahlen vorbei sind.

Ich appelliere an alle Nahverkehrsbeschäftigten und arbeitenden Menschen von ganz New York, an diesem Kampf teilzunehmen, das von der SEP vorgelegte Programm ernsthaft in Betracht zu ziehen und die Bemühungen um eine Teilnahme unserer Partei an den Wahlen 2006 zu unterstützen.

Siehe auch:
Streik bei den New Yorker Verkehrsbetrieben: eine neue Stufe im Klassenkampf
(22. Dezember 2005)
Gewerkschaften würgen Streik der New Yorker Verkehrsbetriebe ab
( 28. Dezember 2005)
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