Geistige Brandstifter

Innenminister Schäuble, die CDU und der Anschlag in Potsdam

Als der 37-jährige Deutsche äthiopischer Herkunft Ermyas M. am frühen Morgen des Ostersonntags an einer Bushaltestelle in Potsdam fast totgeschlagen wurde, lag die Vermutung nahe, dass es sich um einen Mordversuch mit fremdenfeindlichem, rechtsradikalem Hintergrund handelte.

Die Angreifer hatten ihrem Opfer offenbar mit einem wuchtigen Faustschlag den Schädelknochen am Auge zertrümmert. Die Ärzte stellten ein schweres Schädel-Hirn-Trauma fest. Der zweifache Familienvater, Doktorand und Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Agrartechnik in Potsdam liegt im künstlichen Koma und ringt weiter um sein Leben.

Da er kurz vor dem Überfall per Handy seine Frau angerufen hatte, sind auf deren Mailbox hasserfüllte Satzfetzen der Täter zu vernehmen. Unter anderem sind die Worte "Nigger" und "Scheiß-Nigger" mehrmals zu hören.

Der Mordanschlag auf einen Menschen schwarzer Hautfarbe hat eine Welle der Solidarität und der Proteste ausgelöst. Am Tatort stehen seither Kerzen und ein Blumenmeer. Am Karfreitag demonstrierten in der brandenburgischen Hauptstadt rund 4.000 Menschen unter der Parole "Potsdam bekennt Farbe" gegen Fremdenhass.

Ganz anders reagierten der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm und sein bundesdeutscher Amtskollege Wolfgang Schäuble, beide CDU. In zahlreichen Interviews und öffentlichen Auftritten führten sie eine regelrechte Kampagne, um die Tat zu bagatellisieren und Fremdenhass zu verharmlosen. Man kann ihre Äußerungen nur als geistige Brandstiftung bezeichnen. Sie sind dazu angetan, fremdenfeindliche Vorurteile zu stärken und rassistische Gewalttäter zu weiteren Straftaten zu ermutigen.

Es begann damit, dass beide den fremdenfeindlichen Hintergrund der Tat in Frage stellten.

Handelt es sich um ein Bagatelldelikt, begangen durch einen Einwanderer, oder um eine unerwünschte Gesinnung, fordern Schäuble und Schönbohm regelmäßig die sofortige Abschiebung ohne ordentliches Gerichtsverfahren und juristische Klärung des Sachverhalts. Bei einem fremdenfeindlichen Mordanschlag wie jetzt in Potsdam bestehen sie hingegen darauf, dass man sich jeder Stellungsnahme zu enthalten habe, bis auch die letzte Einzelheit des Tathergangs geklärt sei.

Schönbohm warnt bis heute vor voreiligen Schlüssen über das Tatmotiv. Und Schäuble erklärte vier Tage nach dem Anschlag im Deutschlandradio: "Wir wissen die Motive nicht, wir kennen die Täter nicht. Wir sollten ein wenig vorsichtig sein." Klar sei bisher nur, dass ein Mensch Opfer einer Gewalttat geworden sei.

Dann fügte Schäuble einen Satz hinzu, den man nur als Ermutigung zur Hetze gegen Ausländer interpretieren kann. "Es werden auch blonde, blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten", sagte er, "zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist auch nicht besser."

Nach derselben Logik könnte man die Übergriffe auf jüdische Geschäfte während der Nazizeit mit der Begründung bagatellisieren, es habe in den dreißiger Jahren schließlich auch Raubüberfälle auf arische Geschäfte gegeben, und das sei auch nicht besser. Der Innenminister, per Amt für die Innere Sicherheit zuständig, sieht keinen Unterschied zwischen einem normalen kriminellen Delikt und einer rassistisch motivierten Straftat.

Mit ähnlichen Argumenten griff Schönbohm drei Tage später Generalbundesanwalt Kay Nehm an, der die Ermittlungen im Fall Ermyas M. an sich gezogen hatte. Der Generalbundesanwalt ist laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2000 für die Ermittlungen zuständig, wenn eine schwere Gewalttat das verfassungsrechtliche Toleranzgebot gegen Minderheiten verletzt, das Erscheinungsbild der Bundesrepublik beeinträchtigt oder Signalwirkung für potentielle Gewalttäter haben könnte.

Schönbohm warf Nehm in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vor, er habe "aus der Sache ein Politikum gemacht" und das Land Brandenburg "stigmatisiert". Die Übernahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt wäre nicht erforderlich gewesen. Die Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund der Tat seien zumindest fragwürdig.

Am Sonntagabend wiederholte er dies in der ARD-Talkrunde von Sabine Christiansen: "Ob es einen rechtsradikalen Hintergrund gibt, müssen wir erst noch klären. Wir stehen erst am Anfang der Untersuchung." Unterstützung erhielt er von Wolfgang Bosbach, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag. "Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht unzweideutig klar, dass diese Tat einen rechtsradikalen Hintergrund hat", sagte er.

In Wirklichkeit hatten sich die Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund der Tat längst verdichtet.

Am Donnerstag, dem 20. April, hatte die Polizei zwei Tatverdächtige festgenommen, den 29-jährigen Björn L. aus Bergholz-Rehbrücke und den 30-jährigen Thomas M. aus Potsdam. Die Bundesanwaltschaft gab nach der Untersuchung der Stimmaufzeichnungen bekannt, dass Björn L. "wahrscheinlich einer der Sprecher" auf der Telefon-Mailbox der Ehefrau des Opfers sei. Zudem habe ein DNA-Test ergeben, dass Blutspuren an einer am Tatort gefundenen Flasche eindeutig von Thomas M. stammen. Zumindest einer der beiden Verdächtigen verkehrt nach Presseberichten in rechtsextremistischen Kreisen und ist mit einem Neonazi befreundet, den das Potsdamer Landgericht kürzlich wegen eines politisch motivierten Überfalls verurteilt hat.

Nicht nur inhaltlich, auch juristisch ist Schönbohms Behauptung abwegig, Nehm hätte den Fall nicht übernehmen dürfen, weil der rechtsradikale Hintergrund der Tat noch nicht eindeutig geklärt sei. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen auf einen bloßen Verdacht hin übernimmt. Schließlich ist er für die Aufklärung des Sachverhalts und nicht für das Urteil zuständig. Als Innenminister müsste Schönbohm das eigentlich wissen.

Was schließlich die "Stigmatisierung" Brandenburgs betrifft, so ist dazu kein Generalbundesanwalt erforderlich. Die Statistiken sprechen eine klare Sprache. Laut den jüngsten Angaben des Verfassungsschutzes nimmt Brandenburg, bezogen auf die Einwohnerzahl, bei rechtsextremistisch motivierten Straftaten den bundesweiten Spitzenplatz ein. Von bundesweit 959 registrierten derartigen Taten ereigneten sich 105 in Brandenburg.

Es ist an sich schon höchst außergewöhnlich, dass der Innenminister eines Bundeslandes den ranghöchsten Staatsanwalt der Bundesrepublik in einer Art und Weise öffentlich angreift, wie dies Schönbohm mit Nehm getan hat. In diesem Fall hat der Angriff aber noch einen zusätzlichen unheilvollen Hintergrund. Die rechte Szene in Brandenburg ist derart dicht mit V-Leuten der Polizei und des Verfassungsschutzes durchsetzt, dass das zuständige Innenministerium deshalb schon früher mit der Staatsanwaltschaft aneinander geraten ist.

Gerichtsbekannt wurde der Fall von Sven S.. Der brandenburgische Chef der Skinhead-Gruppe "Blood & Honor", die 2000 vom Bundesinnenminister verboten wurde, arbeitete als V-Mann für das Landeskriminalamt und entwickelte sich unter dessen Schutz zu Brandenburgs größtem Händler von rechtsextremer Musik und Nazi-Devotionalien. Dabei verdiente er ein mittleres Vermögen. So fielen den Ermittlern bei einer Razzia 150.000 Euro in die Hände.

Sven S. warnte die rechte Szene vor Polizeirazzien und vertrieb auch CDs mit Mordaufrufen, unter anderem gegen den Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg. Als Rautenberg öffentlich darauf hinwies, dass V-Leute unter keinen Umständen Straftaten begehen dürfen, wurde er deshalb aus den Reihen der CDU heftig angegriffen. Als ein Gericht schließlich Rautenbergs Standpunkt bestätigte, klagte der für die Überwachung der Geheimdienste zuständige CDU-Landtagsabgeordnete Dierk Homeyer, möglicherweise müssten nun V-Leute abgeschaltet werden, da sie nicht mehr szenetypisch agieren dürften und Gefahr liefen, enttarnt zu werden. Ein klarer Hinweis, dass es sich bei Sven S. nicht um einen Einzelfall handelte.

Während Schäuble und Schönbohm den Fremdenhass beschönigen und verharmlosen, greifen sie gleichzeitig jene an, die antifaschistische Initiativen gründen und den Neonazis mutig entgegentreten. Nach dem abgedroschenen Motto ‚Rechtsextremismus gleich Linksextremismus’ werfen sie die Nazis und deren Gegner in einen Topf.

So erklärte Schönbohm in der Sendung von Sabine Christiansen: "Wir wissen, dass wir in Ostdeutschland ein besonderes Problem mit dem Rechtsextremismus haben. Aber: Wir sind gegen jede Form von Extremismus." Und Schäuble sagte in der ARD: "Wir müssen mit aller Entschiedenheit jede Form von Extremismus, von Gewalttätigkeit, Fremdenhass bekämpfen."

Dazu passt der Streit über die weitere Förderung von Programmen gegen den Rechtsextremismus, der auf Bundesebene entbrannt ist. CDU und CSU haben angekündigt, alle entsprechenden Förderprogramme zu "überprüfen" und mit den bislang vorgesehenen 19 Millionen Euro ab 2007 auch Programme gegen den Linksextremismus zu finanzieren. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl, konkretisierte in der Welt am Sonntag : "Ich habe Zweifel, ob wir alle Initiativen weiter fördern sollten." In den vergangenen sieben Jahren sei "teilweise ein rot-grünes Netzwerk mit staatlichen Geldern bedacht worden".

Laut der offiziellen Statistik des Verfassungsschutzes ist die Zahl der registrierten rechtsextremen Gewalttaten allein im letzten Jahr um 20 Prozent gestiegen, von bundesweit 776 im Jahr 2004 auf 959 im Jahr 2005. Die Zahl der rechtsextremen Straftaten (dazu zählen auch Propagandadelikte) stieg sogar von 12.051 auf 15.360.

Laut Statistiken von Opferverbänden ereignen sich allein in den neuen Bundesländern jeden Tag 28 rechtsradikale Straf- und zwei Gewalttaten. Es gibt dort Gegenden, die von rechten Gruppen regelrecht terrorisiert werden und wo sich nachts kein Ausländer allein auf die Straße wagen kann.

Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt bei der offiziellen Politik - bei den Schönbohms, Schäubles und Konsorten, aber auch bei der SPD, den Grünen und der PDS. Die Zunahme rechter Gewalttaten ist Ausfluss eines politischen Klimas, in dem die offiziellen Parteien immer näher zusammenrücken, um soziale Errungenschaften und demokratische Rechte abzubauen; sie ist das Ergebnis von Hartz IV und Großer Koalition.

Seit Monaten läuft eine öffentliche Kampagne gegen Immigranten, vor allem mit muslimischem Hintergrund. Innenminister Schäuble und viele andere führende Politiker verlangen pausenlos, Einwanderer müssten sich "integrieren" und eine "deutsche Leitkultur" akzeptieren - oder gehen. Während Massenarbeitslosigkeit und steigende Armut das Leben in Deutschland immer schwieriger gestalten, werden die ohnehin Benachteiligten, die Immigranten und ihre Nachkommen, zum Sündenbock für alle gesellschaftlichen Probleme gestempelt. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat dieser Entwicklung mit ihrem "Bündnis für Erziehung" die vorläufige Krone aufgesetzt. Es steht unter dem Motto "Unsere gesamte Kultur gründet sich auf die christliche Kultur" und schließt damit säkulare, muslimische, aber auch jüdische Traditionen per Definition aus.

In diesem Klima der Intoleranz spürt der rechte Abschaum der Gesellschaft Auftrieb. Die Hemmschwelle für rechte Gewalttaten sinkt. "Gerade in Potsdam kann man beobachten, dass die Neonazis einfach immer dreister auftreten. Zwanzig Überfälle in den letzten Monaten gehen auf ihr Konto. Die haben keine Angst mehr, vor gar nichts. Es ist ihnen inzwischen egal, ob sie ein Opfer am hellichten Tag mit Flaschen bedrohen oder ob sie das morgens um vier tun", berichtete ein Mitglied einer antifaschistischen Initiative der Jungen Welt.

Eine ähnliche Entwicklung ließ sich schon zu Beginn der neunziger Jahre beobachten. Damals schlossen Union und SPD eine faktische Große Koalition, um das Asylrecht aus der Verfassung zu streichen. Die tägliche Propaganda über "Asylmissbrauch" und "Asylantenschwemme" gab den Rechten Auftrieb und beseitigte alle Hemmungen. Die Folge war eine Welle rassistischer Pogrome mit zahlreichen Todesopfern. 1992 brannten in Solingen, Mölln und Rostock-Lichtenhagen Wohnhäuser von Ausländern und Asylsuchenden. In Rostock klatschten die Rechtsradikalen in aller Öffentlichkeit Beifall, während die Polizei tatenlos zusah.

Nun bereitet die Große Koalition von Union und SPD mit ihrer ausländerfeindlichen Politik und ihren Angriffen auf soziale Rechte einer ähnlichen Entwicklung den Weg. Sollten demnächst wieder Asylbewerber-Wohnheime in Flammen aufgehen oder Ausländer auf offener Straße erschlagen werden, dann tragen die Politiker der Großen Koalition - allen voran Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm - ein hohes Maß an politischer Verantwortung.

Siehe auch:
Biedermänner und Brandstifter
(23. Januar 1999)
Ist die Ausländerfeindlichkeit im Osten ein Erbe der DDR?
( 9. September 2000)
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