Israel, die UN und der Mord an Graf Bernadotte

Am 25. Juli führte die israelische Armee einen schweren Angriff auf einen UN-Beobachtungsposten im Südlibanon durch. Presseberichten zufolge wurde ein Posten der UNTSO (UN-Mission zur Überwachung des Waffenstillstands im Nahen Osten - gegründet 1948) im Laufe von sechs Stunden mindestens sechzehnmal beschossen, fünf Geschosse trafen den Stützpunkt direkt. Das unbewaffnete Team, offizielle Mitarbeiter der UNO, nahm mehrere Male Kontakt zur israelischen Armee auf und bat um Einstellung der Angriffe.

Die Los Angeles Times berichtet: "UN-Mitarbeiter, die auf die Fragen der Reporter antworteten, sagten, die Angriffe hätten um 13:20 Uhr begonnen. Der Funkkontakt mit der Station riss etwa um 19:30 Uhr ab. Während dieser Zeit, so ein hoher UN-Vertreter, riefen UN-Mitarbeiter mindestens ein halbes Dutzend mal bei der israelischen UN-Vertretung an, um die Angriffe zu stoppen. Zusätzlich kontaktierten UN-Generäle am Boden das israelische Militär und forderten ein Ende des israelischen Beschusses."

Die Appelle verhallten ungehört, und dann gelang es der israelischen Armee schließlich, das gut markierte Gebäude direkt zu treffen, es völlig zu zerstören und vier Beobachter kanadischer, finnischer, österreichischer und chinesischer Herkunft zu töten. Die Leichen von drei der Getöteten wurden schnell geborgen, die des vierten Beobachters blieb zunächst unter Trümmern begraben. Schweres Gerät konnte wegen anhaltender israelischer Bombenangriffe nicht vor Ort gebracht werden, berichtete die UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon - im Jahr 1978 eingerichtete Friedenstruppe der Vereinten Nationen, um den damaligen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem Libanon zu überwachen), die mit der UNTSO zusammenarbeitet.

Nach den tödlichen Angriffen und nachdem UN-Generalsekretär Kofi Annan ausgesprochen hatte, was auf der Hand lag - dass es sich um einen absichtlichen Angriff gehandelt habe - wies die israelische Regierung, nach routinemäßigen Äußerungen des Bedauerns, die Anschuldigungen Annans selbstgerecht zurück. Der Sprecher des israelischen Außenministeriums Yigal Palmor äußerte sich in bekannter Weise: "Weshalb um alles in der Welt sollten wir absichtlich UN-Beobachter angreifen? Welchen Nutzen hätte das auf militärischer oder politischer Ebene, wo doch klar ist, dass es nur Schaden anrichten könnte."

Die Jerusalem Post, die zu den übelsten Sprachrohren des politischen Establishments in Israel zählt, plapperte Palmors Worte nach: "Und warum, um Himmels willen, sollte Israel UNIFIL [tatsächlich: UNTSO] ins Visier nehmen? Will uns Annan irgendeine Art israelischen Anti-UN-Sadismus unterstellen oder andeuten, dass Israel in seinem Krieg gegen die Hisbollah einen Grund hätte, UNIFIL anzugreifen?"

Das Argument, ein derartiger Angriff würde Israel "nichts nützen", ist offensichtlich absurd. Der Angriff auf den Libanon, der Tod von hunderten Zivilisten, die tausende Verletzten, die Vertreibung von beinahe einer Million Menschen und die Zerstörung der Infrastruktur im Libanon haben Israel in den Augen der Weltöffentlichkeit ebenso "nichts genutzt", ohne dass dies das Regime in Tel Aviv und seine mörderische Armee zur Mäßigung bewegt hätte.

"Warum um alles in der Welt" das israelische Militär UNTSO bzw. UNIFIL angreifen sollte, dafür gibt es eine Reihe sehr guter Gründe.

Verteidiger des zionistischen Regimes überspannen den Bogen regelmäßig, wenn sie sich zu dieser Frage äußern. Während sie schon die Möglichkeit von sich weisen, Israel könnte sich eines derart schrecklichen Verbrechen überhaupt schuldig machen, stellen sie immer im gleichen Atemzug ihre völlige Feindschaft gegen die UN-Kräfte zur Schau, indem sie behaupten, die internationalen Beobachter seien mehr oder weniger ein Schutzschild, wenn nicht direkter Komplize der Hisbollah gewesen.

So fordern die Herausgeber der Jerusalem Post in dem erwähnten Artikel eine Untersuchung, um festzustellen, ob "UNIFIL tatenlos zusah, wie eine terroristische Organisation einen Bestand von tausenden Raketen anhäufte, deren unprovozierter Einsatz Dutzende von Israelis tötete und verwundete und dem gegenwärtigen Krieg voranging. [...] Man schuldet uns noch mehr: Eine unabhängige, qualifizierte Untersuchung darüber, wie UNIFIL-Kräfte zu menschlichen Schutzschilden für die terroristische Armee wurden, die sie doch eigentlich auflösen sollten."

Dan Gillerman, der israelische UN-Botschafter, ging noch weiter und behauptete, die friedenserhaltenden UN-Kräfte "sind von den Hisbollah-Kämpfern manchmal als Schutz benutzt worden", wie Associated Press berichtete. "Sie konnten nie verhindern, dass Raketen auf Israel abgefeuert werden, dass terroristische Angriffe und Entführungen stattfanden", sagte er in New York. "Entweder sie sahen es nicht oder wussten es nicht oder wollten es nicht sehen, jedenfalls waren sie völlig nutzlos", erklärte Gillerman.

Weshalb sollte ein gezielter Angriff der israelischen Armee auf einen UN-Posten irgendjemanden überraschen, wenn ein führender israelischer Diplomat die UN-Beobachter beschuldigt, wissentlich oder unwissentlich mit der Hisbollah zusammenzuarbeiten? Nach Gillermans Logik wäre ein solcher Angriff völlig legitim. Solche Angriffe haben eine Geschichte. 1996 töteten die Israelis mehr als 100 Zivilisten, die in einem UNIFIL-Gebäude in Kana, südöstlich von Tyrus, Zuflucht gesucht hatten. Auch damals behauptete die israelische Armee, es habe sich um ein Versehen gehandelt.

Auf jeden Fall haben die Israelis sehr handfeste Gründe, die UN-Beobachter anzugreifen. Zum einen beseitigen sie damit Zeugen ihrer Invasion im Libanon und der Kriegsverbrechen, die sie gegen die libanesische Zivilbevölkerung begehen. Zum anderen machen sie damit deutlich, wie sie jedweder internationalen Einmischung in ihr Vorgehen gegenüberstehen. Die Israelis lehnen ab, dass das Opfer ihres Vorgehens, die UN, in irgendeiner Weise an der Untersuchung zur Zerstörung des UNTSO-Postens mitwirkt. Damit signalisieren sie, dass eine "friedenserhaltende" Truppe, die in die Region entsandt wird, ganz nach der Pfeife der Israelis zu tanzen hat.

Diese Haltung ist nichts Neues. Die Haltung Israels entspricht einer rücksichtslosen Missachtung nicht nur der Vereinten Nationen, sondern des Völkerrechts überhaupt. Die Zionisten haben immer wieder die Auffassung zurückgewiesen, dass der israelische Staat in der Wahl seiner Methoden zur Durchsetzung seiner Interessen irgendwelchen Einschränkungen unterworfen sein sollte - wie gewaltsam diese Methoden auch sein mögen. Auf der offiziellen Webseite der Ständigen Vertretung Israels bei der UNO findet sich ein Dokument mit dem Titel "Israel und die UNO - eine schwierige Beziehung", in dem die Generalversammlung der UNO "einer langen Tradition" bezichtigt wird, wegen der Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Palästinensern "immer nur Israel an den Pranger zu stellen". In der Tat haben die arabischen Regime in der Vergangenheit oft große Reden vor der UN geschwungen, bei denen sie die Verbrechen des zionistischen Regimes verurteilten, während sie gleichzeitig die fortgesetzte Unterdrückung des palästinensischen Volkes widerstandslos hinnahmen.

Obwohl die Unabhängigkeitserklärung Israels im Mai 1948 erst durch eine Resolution der UN-Generalversammlung vom November des Vorjahres offiziell erfolgen konnte, gerieten die zionistischen Führer von Beginn an in Konflikt mit ihren internationalen Schirmherren. Sie waren unzufrieden mit der von der UN vorgeschlagenen Gebietsaufteilung und von viel ehrgeizigeren Zielen getrieben, die in den vergangenen 60 Jahren für die Weltöffentlichkeit sichtbar wurden.

Der Mord an Graf Bernadotte

Sobald Vorhaben und Belange der UNO in Konflikt mit den Bestrebungen der Zionisten gerieten, waren Letztere bereit, Gewalt und Terror anzuwenden, um ihre Ziele zu verwirklichen. Eines der ersten Verbrechen der zionistischen Bewegung an der UNO war die Ermordung des Grafen Folke Bernadotte am 17. September 1948.

Bernadotte (geb. 1895) war ein schwedischer Diplomat, der Neffe von König Gustav V., und hatte sich als Vizepräsident des Schwedischen Roten Kreuzes im Zweiten Weltkrieg Anerkennung erworben. Er nutzte diese Position, um mit Nazi-Führer Himmler zu verhandeln und 15.000 bis 20.000 Juden und andere Personen, vorwiegend Skandinavier, vor dem Konzentrationslager zu retten. Gegen Ende des Krieges erhielt Bernadotte von Himmler das Angebot, dass das Dritte Reich vor den USA und Großbritannien kapituliere, wenn es seinen Krieg gegen die Sowjetunion weiterführen dürfe.

Am 20.Mai 1948 (sechs Tage, nachdem Israel sich für unabhängig erklärte) wurde Bernadotte zum Vermittler der UNO in Palästina ernannt. Sein Auftrag war, "eine friedliche Entwicklung in Palästina zu fördern", und er erhielt die Befugnis, Verhandlungen zu führen, die über den Teilungsplan hinausgingen.

Im Sommer 1948 sollte er als UN-Gesandter einen Waffenstillstand zwischen Israel und den arabischen Ländern vermitteln, die Israel angegriffen hatten. Am 11. Juni erreichte er die Einigung auf einen 30-tägigen Waffenstillstand. Während der Feuerpause "legte Bernadotte seinen ersten Vorschlag zur Lösung des Konflikts vor. Doch sollte dies sein Schicksal besiegeln. In den Augen jüdischer Eiferer bestand Bernadottes Anmaßung darin, dass er in seinem Vorschlag vom 28. Juni anregte, Jerusalem unter jordanische Verwaltung zu stellen, da das gesamte Gebiet rund um die Stadt für den arabische Staat vorgesehen war." (Donald Neff: Washington Report on Middle East Affairs)

Weitere Vorschläge Bernadottes, die nach seinem Tod veröffentlicht wurden, sahen vor, die Negev-Wüste dem vorgesehenen arabischen Staat und Galiläa dem jüdischen Staat zuzuschlagen; den arabischen Staaten (genauer: Transjordanien) die Hoheit über die arabischen Teile Palästinas zu übertragen; sicher zu stellen, dass der Hafen in Haifa und der Flughafen in Lydda sowohl den arabischen wie auch jüdischen Teilen des wie auch den angrenzenden arabischen Staaten Landes zur Verfügung stünde; die arabischen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren zu lassen; und ein Versöhnungskomitees einzurichten, als ersten Schritt zur Erreichung eines dauerhaften Friedens in der Region.

Die Reaktion der zionistischen Organisationen auf Bernadottes Jerusalem-Vorschläge war vorhersehbar.

"Der UN-Teilungsplan hatte Jerusalem zur internationalen Stadt erklärt, die weder von den Arabern noch von den Juden regiert werden sollte. Doch die jüdischen Terroristen, darunter [der zukünftige Ministerpräsident Itzak] Shamir [Mitglied der LEHI, bekannt als Stern-Bande] und Menachem Begin, der Führer der größten terroristischen Gruppe Irgun Zvai Leumi - Nationale Militärische Organisation, auch bekannt unter der hebräischen Abkürzung 'Etzel' - hatten den Teilungsplan abgelehnt und ganz Palästina und Jordanien für den jüdischen Staat reklamiert. Diese jüdischen Extremisten waren außer sich über Bernadottes Vorschlag.

Anfang Juli drohten die Stern-Leute bereits mit der Ermordung Bernadottes. Der Kolumnist der New York Times C.L. Sulzberger berichtete über sein Treffen mit zwei Mitgliedern der Stern-Bande am 24. Juli, bei dem sie erklärten: 'Wir haben vor, Bernadotte zu töten, wie auch jeden anderen uniformierten UN-Beobachter, der nach Jerusalem kommt'. Nach dem Grund gefragt, 'antworteten sie, ihre Organisation sei entschlossen, ganz Jerusalem für den Staat Israel in Besitz zu nehmen und würde keinerlei Einmischung eines nationalen oder internationalen Gremiums dulden'." (Ebenda)

LEHI (Lohamei Herut Yisrael - Kämpfer für die Freiheit Israels) oder die Stern-Bande (benannt nach Avraham "Yair" Stern) war eine nationalistisch-faschistische Gruppierung, die die Errichtung eines "hebräischen Königreichs vom Euphrat bis zum Nil" forderte. Nach der Tötung Sterns durch die britische Polizei im Februar 1942 gab sich die Gruppe eine neue Kommandostruktur, doch "der Terrorismus blieb die wesentliche Ausrichtung der Organisation" (www.jewishvirtuallibrary.org). Sie überwarf sich mit gemäßigten Organisationen wie der Hagana, der militärische Organisation der Zionisten, die von 1920 bis 1948 im Untergrund arbeitete.

Am 6. November 1944 ermordeten zwei Mitglieder der Stern-Bande Lord Moyne, den britischen Regierungsvertreter für Nahost-Angelegenheiten, in Kairo. LEHI verübte auch Bombenattentate gegen Eisenbahneinrichtungen in Haifa im Juni 1946. Im Dezember 1947 warf Begins Bewegung Etzel Bomben aus einem Auto in eine Menge von mehreren hundert Arabern. Es gab sechs Tote und 42 Verletzte. Bei den sich anschließenden ethnisch-religiösen Ausschreitungen wurden 42 jüdische Arbeiter in einer Raffinerie getötet und 49 verletzt. Am Tag darauf tat es die Hagana Etzel gleich und verübte in einer Stadt, in der arabische Raffineriearbeiter lebten, einen ähnlichen Anschlag, bei dem etwa 60 Männer, Frauen und Kinder umkamen.

Der Mord an Bernadotte wurde von drei Führern der Stern-Bande beschlossen und geplant. Zu ihnen gehörte Shamir, der 1983 israelischer Ministerpräsident wurde. LEHI hatte sich zwar offiziell Ende Mai 1948 aufgelöst und war in der israelischen Armee aufgegangen, jedoch blieb die Jerusalemer Stern-Gruppe eine unabhängige Organisation, die darauf beharrte, dass das Schicksal der Stadt noch nicht entschieden sei.

LEHI nannte Bernadotte einen britischen Agent und Kollaborateur der Nazis. (Ganz offensichtlich verschwiegen sie die Tatsache, dass die zionistischen Organisationen im Zweiten Weltkrieg intensive Kontakte mit den Nazis hatten, auch mit Nazi-Führer Adolf Eichmann.) "Die Organisation empfand seinen Plan als Bedrohung für ihr Ziel eines unabhängigen Israel mit Landzuwachs auf beiden Seiten des Jordan" (www.palestinefacts.org).

Am 17. September 1948 wurde Bernadottes Auto-Konvoi, der aus drei Wagen bestand, an einer Straßensperre im jüdisch kontrollierten Westteil Jerusalems angehalten. Zwei Bewaffnete zerschossen die Reifen seines Autos und ein dritter feuerte mit seiner Pistole Schüsse durch das geöffnete Rückfenster von Bernadottes Wagen. Der UN-Vermittler wurde von sechs Kugeln getroffen und starb noch am Tatort, ebenso ein französischer Offizier, der neben ihm saß.

Niemand wurde je wegen diesen Morden angeklagt und zur Rechenschaft gezogen, obwohl bekannt war, wer letztlich dahinter steckte. Natan Yellin-Mor und Mattiyahu Shmuelevitz, Führer der Stern-Bande, wurden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation angeklagt. Kaum waren sie schuldig gesprochen, wurden sie umgehend freigelassen und begnadigt. In der Zwischenzeit war Yellin-Mor ins israelische Parlament gewählt worden. Shamir kam wegen seiner Verwicklung in die Morde niemals vor Gericht.

Der eigentliche Mörder Bernadottes, Yehoshua Cohen, wurde dann Leibwächter des Ministerpräsidenten David Ben Gurion. Erst 1977 wurde erstmals öffentlich die Verwicklung der Stern-Bande in den Mord zugegeben.

Der jüngste Angriff auf den UN-Posten befand sich also völlig auf einer Linie mit den Ursprüngen und Traditionen des zionistischen Staates, dessen "Geburtswehen" mit Terrorismus und Missachtung des Völkerrechts einhergingen.

Siehe auch:
Taktieren und Appeasement: Europas Reaktion auf den amerikanisch-israelischen Krieg im Libanon
(4. August 2006)
Wie weiter im Kampf gegen den Krieg?
( 3. August 2006)
Das Massaker von Kana: Im Libanon werden völlig Unbeteiligte abgeschlachtet
( 1. August 2006)

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