Berliner Innensenator Körting greift Meinungsfreiheit an

Sympathiebekundungen für Hisbollah verboten

Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat jede Art von Sympathiebekundungen für die libanesische Organisation Hisbollah auf öffentlichen Veranstaltungen verboten und bereitet verschärfte Repressionen gegen Kritiker der israelischen Militäroffensive im Libanon vor.

Wie die Senatsverwaltung des Inneren in der Bundeshauptstadt vergangene Woche mitteilte, geht sie davon aus, dass jegliche Werbung für die Hisbollah bei Demonstrationen und anderen öffentlichen Veranstaltungen den Straftatbestand der Volksverhetzung erfülle.

Auf Nachfrage teilte ein Sprecher des Berliner Polizeipräsidenten mit, dass sich das Verbot nicht auf das Zeigen von Bildern des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah beschränke. Auch Plakate und Spruchbänder mit dem Namenszug oder Emblem der Partei oder Abzeichen und Aufkleber der Partei auf Kleidungsstücken seien verboten. Bei Zuwiderhandlung müsse mit Festnahme und Bestrafung gerechnet werden.

Außerdem sei es verboten, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen oder Personen des öffentlichen Lebens in Wort, Bild, oder Schrift zu beleidigen.

Diese Anweisungen und Auflagen des Berliner Innensenators sind ein eklatanter Verstoß gegen das grundlegende demokratische Recht auf freie Meinungsäußerung und müssen entschieden zurückgewiesen werden. Im Grundgesetz Artikel 5 heißt es ausdrücklich: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. ... Eine Zensur findet nicht statt."

Gegen dieses verfassungsmäßige Recht "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten" verstößt Innensenator Körting mit seinen Anweisungen. Als Volljurist ist er sich durchaus bewusst, dass seine Position juristisch nicht haltbar ist.

Die Hisbollah ist in Deutschland nicht verboten oder als terroristische Organisation eingestuft - noch nicht einmal ihr bewaffneter Arm steht auf der "EU-Terrorliste". Und selbst wenn dies der Fall wäre, würde das Zeigen eines Nasrallah-Bildes nicht automatisch und "erkennbar" eine Unterstützung des bewaffneten Arms der Hisbollah bedeuten. Hinzu kommt, dass nach vier Wochen brutalem Bombenterror der israelischen Luftwaffe im Südlibanon, durch den zehnmal mehr Zivilisten als Soldaten um Leben gekommen sind, klar ist, wer in diesem Krieg der Aggressor ist.

Auch die Behauptung, das Verbreiten oder Tragen von Symbolen der Hisbollah erfülle den Straftatbestand der Volksverhetzung, ist in juristischem Sinne absurd. Im Strafgesetzbuch heißt es in Paragraph 130 (Volksverhetzung) in Absatz 1: "Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt, oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert, oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."

Im Standardkommentar von Tröndle/Fischer zu diesem Paragraphen wird ausdrücklich auf die Beschimpfung des Staates Israel Bezug genommen. Es heißt dort: "Die Gruppe [Angriffsobjekt] muss Teil der inländischen Bevölkerung sein, dh tatsächlich in Deutschland leben. [...] Durch Beschimpfung fremder Staaten sind weder deren in Deutschland lebende Staatsangehörige (schon) als Teil der (hiesigen) Bevölkerung angegriffen noch Teile der deutschen Bevölkerung, die sich dem anderen Staat etwa durch politische oder religiöse Überzeugung besonders verbunden fühlen (also zB nicht die jüdischen Deutschen durch Beschimpfung des Staats Israel, wenn darin nicht zugleich eine Beschimpfung der in Deutschland lebenden Bevölkerungsgruppe zum Ausdruck kommt)." (Hervorhebungen im Original)

Aber Innensenator Körting geht es nicht darum, ob seine Anweisungen einer juristischen Überprüfung standhalten. Sein verfassungsfeindlicher Angriff auf die Meinungsfreiheit ist rein politisch motiviert. Er will die Gegner der amerikanisch-israelischen Kriegspolitik im Libanon einschüchtern und kriminalisieren. Er will keine andere Einschätzung des gegenwärtigen Kriegs im Libanon zulassen, als die feige und abstoßende Haltung der Bundesregierung, die sich uneingeschränkt auf die Seite Washingtons und Jerusalems gestellt hat und die Propaganda des Pentagon und des israelischen Kriegsministeriums nachplappert.

Deshalb fordert er, dass alle Demonstrationsteilnehmer das Existenzrecht Israels anerkennen müssen. Als ob die seit vier Wochen anhaltende Bombardierung der Städte im Südlibanon, die systematische Zerstörung der Infrastruktur des Landes - Straßen, Brücken, Häfen, Flugplätze und Kraftwerke - etwas mit einer Verteidigung Israels zu tun hätten.

Wessen Existenzrecht ist in diesem ungleichen Krieg mit modernsten lasergesteuerten Präzisionswaffen auf der einen und primitiven Katjuscha-Raketen auf der anderen Seite bedroht?

Man muss kein Anhänger der Hisbollah sein, um den israelisch-amerikanischen Angriff auf den Libanon in aller Schärfe zu verurteilen und zurückzuweisen. Die libanesische Bevölkerung hat das uneingeschränkte Recht, sich mit allen Mitteln gegen diesen Angriffskrieg und militärischen Terror zur Wehr zu setzen, der darauf abzielt das Land in ein israelisch-amerikanisches Protektorat zu verwandeln.

Als Vorsitzender der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) und deren Spitzenkandidat in den Abgeordnetenhauswahlen im September bin ich kein Sympathisant der Hisbollah. Es ist sogar tragisch, dass der Widerstand der libanesischen Bevölkerung sich hinter einer Partei sammelt, deren Führung beschränkte, religiöse und rückwärtsgewandte Ziele vertritt. Die Verantwortung dafür trägt aber in hohem Maße die israelische Regierung selbst, die 1982 mit ihrem blutigen Einmarsch in den Südlibanon den furchtbaren Boden für das Anwachsen der Hisbollah schuf und in der Vergangenheit den Aufbau religiöser Organisationen wie der Hamas unterstützte, um säkulare Parteien wie die PLO zu schwächen und zu isolieren.

In seiner Verachtung gegenüber demokratischen Verhältnissen ignoriert Körting einfach, dass die Hisbollah eine der größten Parteien im Libanon ist, 14 von 128 Parlamentssitzen in Beirut innehat, zwei Minister der libanesischen Regierung stellt und in den vorwiegend von Schiiten bewohnten Gebieten des Libanon über große Unterstützung verfügt. In diesen Gebieten hat sie den größten Teil der staatlichen Infrastruktur - von Schulen, über Krankenhäuser bis zur Stadtreinigung - aufgebaut.

Der rein willkürliche Charakter von Körtings Zensurmaßnahmen wird deutlich, wenn man sich die wirklichen Ursachen und internationalen Zusammenhänge dieses Krieges vor Augen hält.

Die israelische Regierung rechtfertigte ihren Angriff anfangs damit, es handle sich um eine Militäroperation, um zwei entführte israelische Soldaten zu befreien. Diese Propagandalüge ist längst widerlegt. Sie macht rückblickend deutlich, wie bewusst und gezielt die Weltöffentlichkeit über die wahren Krieggründe getäuscht wurde. Als das israelische Sicherheits- bzw. Kriegskabinett am vergangenen Mittwoch beschloss, die Bodenoffensive im Libanon drastisch auszudehnen und das Land bis zum Fluss Litani zu besetzen, hieß es auch, diese Offensive erfordere 30 Tage Zeit und es sei mit bis zu 200 toten israelischen Soldaten zu rechnen. Mit andern Worten: Das Leben der eigenen Soldaten interessiert die Kriegsstrategen in Israel am wenigsten, von den über Tausend toten Zivilisten im Libanon ganz zu schweigen.

Nach vier Wochen beispielloser Bombardierung der Zivilbevölkerung, inklusive abscheulichen Massakern wie in Kana und gezielten Angriffen auf UN-Stützpunkte, ist klar, dass die militärisch Offensive gegen den Libanon und die Teilbesetzung des Landes seit langem geplant und vorbereitet waren. Die Verschleppung der israelischen Soldaten am Vorabend des G8-Gipfels in St. Petersburg kam wie auf Bestellung und diente als willkommener Vorwand.

Die israelische Regierung hat diesen Krieg in enger Zusammenarbeit mit der amerikanischen Regierung geplant und vorbereitet. Jeder Schritt wurde mit Washington abgesprochen. Selbst während der Tagung des Sicherheitskabinetts am Mittwoch rief Regierungschef Olmert US-Außenministerin Rice an, um das gemeinsame Vorgehen zu vereinbaren.

Während Israel vor allem an einer Gebietserweiterung im Südlibanon interessiert ist, verfolgt Washington weitergehende Ziele. Für die Bush-Regierung waren der Irakkrieg und die Besetzung des Landes nur ein erster Schritt, um die Kontrolle über die wichtigsten Energieressourcen im Nahen Osten und der angrenzenden kaspischen Region zu errichten. Ungeachtet des wachsenden Widerstandes gegen die Besatzung im Irak, bereitet sich die US-Regierung daher darauf vor, auch gegen den Iran - notfalls militärisch - vorzugehen. Denn das Land verfügt über gewaltige Öl- und Gasreserven und hat eine direkte Grenze zum kaspischen Meer. Es bietet damit die Möglichkeit, die im kaspischen Becken eingeschlossenen Öl- und Gas-Vorkommen weitgehend problemlos und kostengünstig auf den Weltmarkt zu bringen.

Das Ausschalten der Hisbollah und Hamas betrachten die Militärstrategen im Pentagon als wichtige Voraussetzung für ein militärisches Vorgehen gegen den Iran. Das bedeutet, dass der gegenwärtige Krieg den Auftakt zu noch weitaus größeren militärischen Auseinandersetzungen bildet.

Die Entscheidung der Bundesregierung, sich auf die Seite der Kriegstreiber in Washington und Israel zu stellen, hat deren Position gestärkt. Damit trägt gerade auch die SPD ein hohes Maß an politischer Verantwortung für diesen Krieg und die Massaker an der Zivilbevölkerung, die er hervorgebracht hat und noch hervorbringen wird. Körtings Parteifreund, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, war am Mittwoch in Israel, als die Ausweitung der Bodenoffensive beschlossen wurde. Doch es war von ihm kein Wort des Protests oder der Opposition dagegen zu hören.

Steinmeier hat die Aufgabe übernommen, in Zusammenarbeit mit Washington und Jerusalem die Kriegsziele diplomatisch abzusichern. Während die israelische Armee die tagelangen Verhandlungen über eine UN-Resolution nutzt, um militärische Fakten zu schaffen, soll anschließend eine "internationale Friedenstruppe" die Besetzung des Libanon im israelisch-amerikanischen Interesse aufrechterhalten.

Körtings Angriff auf die Meinungsfreiheit macht deutlich, dass die Rechtswende der Großen Koalition unter Angela Merkel und Franz Müntefering nicht auf die Außenpolitik beschränkt ist. Diese Regierung ist entschlossen, auch in der Innenpolitik amerikanische Verhältnisse durchzusetzen, alle noch verbliebenen Reste sozialstaatlicher Versorgung zu zerschlagen und jeden Widerstand dagegen zu unterdrücken und zu kriminalisieren.

Und noch etwas zeigt Körtings Zensurmaßnahme: die Rolle der Linkspartei. Er sitzt als Innensenator am Kabinettstisch der Berliner Landesregierung, an der auch vier Minister der Linkspartei.PDS beteiligt sind. Nicht einer von ihnen wagte es, den sozialdemokratischen Minister in die Schranken zu weisen und die sofortige Rücknahme seines Angriffs auf die Meinungsfreiheit zu verlangen. Wie bei den Kürzungen und beim Sozialabbau, unterstützt die Linkspartei.PDS die SPD auch beim Angriff auf grundlegende demokratische Rechte. Als ehemaliger Staatspartei der DDR ist ihr die Verteidigung von Bürgerrechten ohnehin fremd.

Stattdessen meldete Oskar Lafontaine sein Interesse an, als Redner auf der nächsten Demonstration gegen den Krieg aufzutreten. Damit wäre dann die politische Farce komplett. Lafontaine spricht auf einer Antikriegkundgebung, deren Teilnehmer mit einem Maulkorb-Erlass konfrontiert sind, der von einem Minister erlassen wurde, der mit Lafontaines Partei in trauter Eintracht die Landesregierung bildet.

Als Kandidat der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) möchte ich jeden Leser bitten, diese Zusammenhänge ernsthaft zu durchdenken. Der Bombenterror gegen die libanesische Bevölkerung mit all den schrecklichen täglichen Bildern und der Angriff von Innenminister Körting auf die Meinungsfreiheit machen deutlich, dass die politische Situation weit fortgeschritten ist. Das Eintreten für eine sozialistische Perspektive, die sich der vorherrschenden Propaganda widersetzt und den Kampf gegen Sozialabbau mit dem Kampf gegen Krieg und Neo-Kolonialismus verbindet, wird immer dringlicher.

Siehe auch:
Wahlaufruf der Partei für Soziale Gleichheit zur Berliner Abgeordnetenhauswahl
(22. Juni 2006)
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