Israelische Kriegsverbrechen sollen Südlibanon "säubern"

Am Dienstag griffen israelische Kampfflugzeuge die südlibanesische Stadt Ghasijeh an und töteten dabei mindestens vierzehn Menschen. Mehrere Raketen schlugen in Wohnhäusern ein, als etwa 1.500 Menschen gerade an einem Trauerzug für ihre am Vortag getöteten Angehörigen und Nachbarn teilnahmen. Die Explosionen versetzten die Menge in Panik, die Menschen ließen die in Leinensäcke gehüllten Leichen auf der Straße liegen und rannten um ihr Leben.

Ghasijeh hat normalerweise 23.000 Einwohner, aber zurzeit sind es weit mehr, da Tausende Flüchtlinge hinzugekommen sind. Die Stadt nahe Sidon, in einer Region mit überwiegend sunnitischer Moslembevölkerung, ist selbst schiitisch geprägt. Viele Menschen sind aus dem Süden zu Freunden und Verwandten hierher geflüchtet.

Nichts deutet darauf hin, dass diese Stadt als Abschussort für Raketen gegen Israel benutzt wurde oder eine besondere strategische Bedeutung hat. Der Angriff diente einzig und allein dazu, Menschen in Angst und Schrecken zu halten, die bereits ihre Häuser verloren haben und deren Familienmitglieder oder Nachbarn im ständigen Bombenhagel im Südlibanon umgekommen sind. Sie sollen weiter nach Norden getrieben oder umgebracht werden.

Israelische Kampfflugzeuge haben Flugblätter über dem Südlibanon abgeworfen, auf denen eine unbefristete Ausgangssperre verkündet wurde. Bei Nichtbeachtung droht die Erschießung aus der Luft. Die israelischen Streitkräfte haben gedroht, jedes Fahrzeug auf der Straße unter Beschuss zu nehmen. Jeder, der diesen Anordnungen nicht Folge leistet, soll als Terrorist betrachtet und mit israelischen Bomben, Granaten und Raketen angegriffen werden.

Diese Drohung und der eskalierte Luftkrieg im Süden verhindern effektiv jegliche Versuche des Internationalen Roten Kreuzes und anderer Hilfsorganisationen, dringend benötigte Hilfslieferungen an Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten in den zerstörten Südlibanon zu bringen. Die Bombardierung von Straßen und die Zerstörung der letzten Brücke nach Tyros über den Fluss Litani haben die Region vom übrigen Libanon und der Welt abgeschnitten.

Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) Jakob Kellenberger wirft Israel vor, die Genfer Konventionen zu verletzen - d.h. Kriegsverbrechen zu begehen - da die israelische Armee damit droht, Hilfskonvois militärisch anzugreifen. Kellenberger wies Israels Behauptung zurück, der Abwurf von Flugblättern mit der Warnung vor bevorstehenden Luftangriffen rechtfertige Gewalt gegen Zivilisten. "Das Abwerfen von Flugblättern entbindet nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der internationalen Menschenrechte", sagte er.

Israel verhält sich wie ein Serienmörder, der die Menschen telefonisch mit dem Tod bedroht, ehe er sie umbringt, und dann den Opfer vorwirft, an ihrem Tod selbst schuld zu sein: "Sie waren ja gewarnt".

Vor diesem Hintergrund behandelt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) den amerikanisch-französische Resolutionsentwurf. Er soll die Kämpfe nicht beenden sondern Bedingungen für ihre Fortsetzung schaffen, bis die amerikanisch-israelischen Kriegsziele erreicht sind. Die Resolution verlangt die Entwaffnung der Hisbollah, während gleichzeitig zehntausend israelische Soldaten libanesisches Territorium besetzen und die Luftschläge und Bombenangriffe "zur Selbstverteidigung" fortsetzen dürfen.

Im Wesentlichen fordert dieser Resolutionsentwurf von der Hisbollah, einer Massenbewegung der verarmten libanesischen Schiitenbevölkerung, Selbstmord zu begehen. Darüber hinaus wird von der libanesischen Regierung erwartet, dass sie widerspruchslos die Verwandlung des Libanons in ein von fremden Mächten besetztes Protektorats akzeptiert. Die Vereinigten Staaten legen diesen vollkommen unakzeptablen Vorschlag vor, weil sie eine ablehnende Haltung der libanesischen Regierung provozieren und dies dann als angebliche "Friedensverweigerung" hinstellen wollen. Damit soll die Fortsetzung des bereits vier Wochen dauernden Kriegs gerechtfertigt werden.

Die Bush-Regierung ist nicht bereit, in der Resolution Zugeständnisse an die libanesische Bevölkerung zu machen. Am Dienstag lehnte sie den Vorschlag aus dem Libanon ab, 15.000 libanesische Soldaten im Süden zu stationieren, um die Kontrolle über die Region von der israelischen Armee zu übernehmen. Ein Sprecher des US-Außenministers erklärte, die libanesische Armee sei "nicht robust genug, um aus eigener Kraft die alleinige Kontrolle über den Süden des Libanon ausüben zu können".

Der Ausdruck "robust" wird im Zusammenhang mit der angedachten UN-Truppe, die in die Region entsandt werden soll, endlos wiederholt. Er ist ein Euphemismus für eine Besatzungstruppe, die brutale Gewalt gegen die einheimische Bevölkerung anwendet, um amerikanische und israelische Kriegsziele zu erreichen.

Mit einer für eine UNO-Sitzung seltenen Klarheit erklärte der Außenminister von Katar am Dienstag vor dem Sicherheitsrat: "Es ist sehr betrüblich, dass der Rat untätig zuschaut und offenbar unfähig ist, das Blutbad zu stoppen, dem die wehrlose libanesische Bevölkerung täglich ausgesetzt ist."

Er warnte, eine Annahme der amerikanisch-französischen Resolution beinhalte "die Gefahr eines Bürgerkriegs im Libanon". Das sind keine leeren Worte. Die Zerschlagung der Hisbollah würde von der schiitischen Bevölkerung als Versuch aufgefasst, sie zu entmündigen und zu unterdrücken. Die Resolution würde die Ergebnisse des letzten Bürgerkriegs rückgängig machen und die Vormachtstellung der maronitisch-christlichen Rechten wieder herstellen. Die christlichen Maroniten sind die traditionellen Bündnispartner Israels im Libanon.

Eine solche Umgestaltung des Landes, wie sie George Bush mit seinen Schlagwörtern von der "Freiheit" und dem "neuen Nahen Osten" ins Auge fasst, würde zweifellos eine neue Welle erbitterter Kämpfe unter den verschiedenen Konfessionen im Libanon auslösen.

Das unmittelbare Ziel der amerikanisch-israelischen Offensive ist die umfassende ethnische Säuberung des Südlibanon.

Dies ist ein Begriff, der in den Mainstream-Medien im Zusammenhang mit dem aktuellen Libanonkrieg überhaupt nicht auftaucht. Er wird nur benutzt, wenn es um die anhaltenden Spannungen im ehemaligen Jugoslawien geht. 1999 gingen dort NATO-Truppen unter amerikanischer Führung mit heftigen Bombenangriffen gegen Serbien vor und rechtfertigten dies mit dem Vorwand, die ethnischen Säuberungen in der Provinz Kosovo stoppen zu müssen. Das Resultat war die vollständige ethnische Säuberung des Kosovo, wobei die Kosovo-Nationalisten mit Unterstützung Washingtons die serbische Bevölkerung vertrieben.

Bei der israelischen Offensive im Südlibanon bezeichnen die Medien die Zielobjekte der Luftschläge und Bodenattacken immer als "Hisbollah-Hochburgen". Damit wird die Tatsache verschleiert, dass das wahre Ziel die schiitische Bevölkerung als Ganze ist. In Wirklichkeit werden mit Hilfe von Raketen, Streubomben und Artilleriebeschuss Männer, Frauen und Kinder umgebracht, um die gesamte Bevölkerung zu terrorisieren und zur Flucht nach Norden zu veranlassen.

Im Kosovokrieg schürten die US-Medien eine Welle moralischer Empörung über angebliche ethnische Säuberungen, um damit die öffentliche Meinung zu beeinflussen und einen Vorwand für Washingtons Krieg gegen Serbien zu schaffen. Eine ähnliche Verurteilung Israels wegen der massenhaften Vertreibung der Zivilbevölkerung findet nicht statt.

Der Fernsehsender Fox News zeigt sogar größere Anteilnahme für herrenlose Hunde in Nordisrael, als für libanesische Frauen und Kinder, die nach israelischen Bombenangriffen unter den Trümmern ihrer zerstörten Häuser begraben wurden.

Den israelischen Streitkräften ist es bisher nicht gelungen, die Hisbollah zu besiegen oder auch nur ihre Raketenangriffe auf Israel zu stoppen, aber ihre Strategie gegen die Zivilbevölkerung hat sich als effektiv erwiesen. Bisher wurden über tausend Libanesen, zumeist Frauen und Kinder, getötet und annähernd 3.500 verletzt. Eine Million Libanesen, ein Viertel der Bevölkerung, sind zu Flüchtlingen gemacht worden. Aus den Häusern im Süden wurden fast alle vertrieben.

Ethnische Säuberungen sind für Israel nichts Neues. Die Gründung des Staates Israel selbst war mit der Massenvertreibung von Palästinensern aus ihren Häusern und Siedlungen verbunden. Die zionistischen Führer griffen zu Massakern und Terror, um die angestammte Bevölkerung zu vertreiben.

Der bekannte israelische Historiker Benny Morris bekannte 2004 in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Haaretz : "Ohne die Entwurzelung von 700.000 Palästinensern hätte ein jüdischer Staat niemals entstehen können. Deshalb war es notwendig, sie zu entwurzeln. Es gab keine andere Wahl, als die Bevölkerung zu vertreiben. Es war notwendig, das Hinterland zu säubern, die Grenzregionen zu säubern und die Hauptstraßen zu säubern."

Als 1967 das Westjordanland und der Gazastreifen besetzt wurden, griff Israel einmal mehr zu militärischem Terror, um Hunderttausende Palästinenser von ihrem Land zu vertreiben und den Weg für zionistische Siedlungen in den besetzten Gebieten und für Israels Anspruch auf ganz Jerusalem zu bereiten.

Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass dem Libanon ein anderes Schicksal zugedacht ist. Einmal mehr vertreibt Israel im Namen seiner "Sicherheit" die arabische Bevölkerung von ihrem Grund und Boden. Wo wird dieser Prozess enden?

Alles deutet darauf hin, dass die aktuelle Aufgabe der israelischen Streitkräfte jetzt darin besteht, das libanesische Gebiet zu erobern, das zwischen der israelischen Grenze und dem dreißig Kilometer nördlich gelegenen Fluss Litani liegt. Der stellvertretende Generalstabschef, Generalmajor Mosche Kaplinski, der viel weiter gehende Bodenangriffe befürwortet, hat jetzt die Verantwortung für die Libanon-Operation übernommen. Haaretz zufolge besteht sein Auftrag darin, "im Fall einer umfangreichen Offensive die Land-, Luft- und Seeoperationen zu koordinieren".

Im aktuellen Libanonkrieg geht es jedoch um mehr als nur um Israels Vorgehen gegen die schiitische Bevölkerung und die potentielle Annexion libanesischer Gebiete. Die Bush-Regierung stachelt die israelische Regierung an, ihre Angriffe zu verstärken. Sie betrachtet die Offensive der israelischen Armee als willkommene Gelegenheit, ihren eigenen Zielen näher zu kommen und neuen Angriffskriege im Nahen Osten den Weg zu bahnen. Letztlich will sie im Iran und in Syrien "Regimewechsel" herbeiführen und die großen Ölreserven der gesamten Region unter die unangefochtene Kontrolle der Vereinigten Staaten bringen.

Das steckt in Wirklichkeit hinter Bushs Rhetorik, wenn er den Konflikt als einen Kampf zwischen "Freiheit" und "Demokratie" auf der einen, und "islamischem Faschismus" auf der andern Seite bezeichnet.

Doch im aktuellen Krieg erinnern nicht die Libanesen an die Verbrechen des Faschismus. Schließlich kämpfen sie gegen die israelische Armee, die in ihr Land eingedrungen ist. Vielmehr sind die Regierungen in Washington und Israel dabei, ein unterdrücktes Land mit überwältigender militärischer Gewalt zu erobern.

Die Zerstörung des Libanon ist vergleichbar mit den einseitigen Kriegen faschistischer Regime in den 1930er Jahren, von der Vergewaltigung Äthiopiens bis zur Einäscherung Guernicas. Wie damals enthält sie auch heute den Keim einer weltweiten Katastrophe.

Siehe auch:
Bushs "Waffenstillstandsplan" soll den Nahostkrieg ausweiten
(9. August 2006)
UN-Resolution zum Libanon: Vorschlag zu Ausweitung des Kriegs und kolonialer Besatzung
( 8. August 2006)
Die Verantwortung der Merkel-Regierung für die Kriegsverbrechen im Libanon
( 4. August 2006)
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