Münchner Sicherheitskonferenz

Imperialisten rücken näher zusammen

Angesichts des militärischen Debakels der USA im Irak und verschärften Auseinandersetzungen mit dem Iran rücken die USA und die europäischen Mächte enger zusammen. Das zeigte die diesjährige Konferenz für Sicherheitspolitik, die am vergangenen Wochenende in München stattfand.

Seit nunmehr vier Jahrzehnten versammeln sich jedes Jahr hochrangige Militärs, Regierungsmitglieder, Politiker, Militärexperten und Journalisten in der bayrischen Metropole, um über militär- und geostrategische Fragen zu diskutieren. Den Mittelpunkt bildet dabei die Nato, es sind aber auch Gäste aus anderen Ländern geladen.

War es vor drei Jahren noch zu heftigen Wortwechseln zwischen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und dem damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer über den unmittelbar bevorstehenden Irakkrieg gekommen, herrschte auf der diesjährigen Konferenz transatlantische Harmonie. Den Ton gab dabei die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die die Konferenz eröffnete.

Merkel vermied jeden Hinweis auf umstrittene Fragen - wie die Ursprünge des Irakkriegs, die völkerrechtswidrigen Entführungen und Gefangenenflüge durch die CIA oder das US-Gefangenenlager Gunatánamo - und pries stattdessen die transatlantische Partnerschaft in den höchsten Tönen.

Aus den "symmetrischen Bedrohungen des Kalten Krieges" seien "asymmetrische Bedrohungen völlig neuer Art geworden: Die Erosion staatlicher Strukturen, Terrorismus, Massenvernichtungswaffen in den Händen unzuverlässiger Regime", sagte die Kanzlerin ganz im Sinne der Bush-Administration. "Dieser Situation müssen wir uns stellen... Das wiedervereinte Deutschland ist bereit, in diesem Rahmen Verantwortung zu übernehmen und auch vermehrt Verantwortung zu übernehmen, und zwar über das eigentliche Bündnisgebiet hinaus."

Der Nato, betonte sie zum Entzücken ihrer amerikanischen Zuhörer, komme dabei "ein Primat" zu. Hier müssten "die notwendigen politischen Konsultationen" durchgeführt und "die notwendigen Maßnahmen" beschlossen werden. Insbesondere "die Situation im Nahen Osten oder im Iran" müsse hier besprochen werden. Dazu seien "politischer Wille" und, "um dann agieren zu können, natürlich auch die entsprechenden militärischen Fähigkeiten" erforderlich.

Merkel hat sich damit weit von der Haltung ihrer Vorgängerregierung entfernt, die noch den Standpunkt vertreten hatte, nach dem geltenden Völkerrecht stehe nur der UNO die Entscheidung über militärisches Handeln zu.

Sie bezog sich in ihrer Rede ausdrücklich auf die National Security Strategy der USA, die einseitige militärische Präventivschläge vorsieht und zur Rechtfertigung des Irakkriegs diente. Zusammen mit der Europäischen Sicherheitsstrategie und dem Strategischen Konzept der NATO bilde sie "eine geeignete Grundlage für einen vertieften Dialog über die weitere Gestaltung unserer gemeinsamen Sicherheitsagenda". Merkel betonte dabei das "erstaunliche Maß an Übereinstimmung" zwischen den drei Strategien. Es sei "hochinteressant, dass sich die Dinge in eine gemeinsame Richtung entwickeln".

Pressekommentare werteten Merkels Rede einhellig als Annäherung an die USA. "Die anwesenden amerikanischen Politiker, Republikaner wie Demokraten, waren begeistert von der deutschen Regierungschefin, von der man sich Pragmatismus und Verläßlichkeit erhofft", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "München 2006 könnte der Beginn eines neuen Miteinanders werden."

Und Die Zeit kommentierte: "Im Gegensatz zu ihrem Amtsvorgänger lässt die Kanzlerin wenig Zweifel daran, wo die Bundesrepublik hingehöre in der neuen Weltordnung. In den Westen. Ganz altmodisch."

Merkel beließ es nicht bei allgemeinen Bekenntnissen zur Nato. Mit scharfen Drohungen gegen Teheran stellte sie sich an die Spitze der Kriegshetze gegen den Iran.

Mit der Wiederaufnahme seines Nuklearprogramms habe der Iran "mutwillig die ihm bekannten ‚roten Linien’ überschritten", sagte sie, und zog indirekt einen Vergleich zum Nazi-Regime. "Ein Präsident, der das Existenzrecht von Israel in Frage stellt, ein Präsident, der die Existenz des Holocaust leugnet, kann nicht erwarten, dass Deutschland in dieser Frage auch nur die geringste Toleranz zeigt. Wir haben aus unserer Geschichte gelernt."

Die Zeitung Die Welt wertete dies als verklausulierte Kriegsdrohung. "Am Ende dieser Denklinie, die ‚Appeasement’ ablehnt, wie Merkel sagte, müßte folgerichtig die Bereitschaft zu militärischem Eingreifen stehen", schrieb sie. "Wer mit Blick auf das iranische Atomprogramm an Adolf Hitlers Weg durch die 30er Jahre warnend erinnert, wird am Ende womöglich seinen Worten Taten folgen lassen müssen."

Die Zeitung gelangte zum Schluss: "Mit Merkels Rede und Replik scheint sich Deutschland nun festgelegt zu haben - eng an der Seite der USA, deren Verteidigungsminister Donald Rumsfeld später die militärische Option ausdrücklich erwähnt und in Betracht zieht."

Ein ähnliches Fazit zog die FAZ : "Die klaren Worte, die die Bundeskanzlerin in München zu Iran und zu den antiisraelischen Äußerungen seines Präsidenten fand, hat bei den Amerikanern die Überzeugung gestärkt, daß diesmal die Deutschen bei einem robusten, nicht notwendigerweise militärischen Vorgehen an ihrer Seite sein werden."

Auch das zukünftige deutsche Verhältnis zu Russland machte Merkel von dessen Verhalten gegenüber dem Iran abhängig. Hatte die Regierung Schröder noch eine enge Beziehung zu Moskau als Gegengewicht zu Washington gesucht, erklärte Merkel nun Russlands Verhalten in der Iran-Frage zum Testfall für die weiteren Beziehungen. "Die strategische Partnerschaft, die Deutschland mit Russland hat, wird sich auch in der Frage der Lösung der Konflikte mit dem Iran bewähren müssen", betonte sie.

Noch stärker setzten einige amerikanische Delegierte Russland unter Druck. Der stellvertretende Außenminister Robert Zoellick warf Moskau vor, es betrachte seine Nachbarländer "auf Grundlage einer Weltanschauung des 19. Jahrhunderts" und wolle diese kontrollieren. Der republikanische Senator John McCain brachte sogar einen Boykott des nächsten G-8-Gipfels in St. Petersburg ins Gespräch.

Imperialistische Gegensätze

Das Zusammenrücken der europäischen Mächte und der USA, das auf der Münchener Sicherheitskonferenz sichtbar wurde, verringert nicht die Gegensätze, die dem Zerwürfnis über den Irakkrieg vor drei Jahren zugrunde lagen. Es rückt sie lediglich ins rechte Licht.

Die insbesondere in Berlin und Paris geäußerte Kritik am Irakkrieg richtete sich nicht gegen die neokoloniale Zielrichtung der amerikanischen Invasion. Vielmehr fürchteten Deutschland und Frankreich um ihre eigenen imperialistischen Interessen in der Golf-Region, sollten sich die USA dort militärisch festsetzen oder die gesamte Region destabilisieren - um den Zugang zu den knapper werdenden Energieressourcen und den lukrativen Absatzmärkten.

Nachdem der Krieg einmal begonnen hatte, taten sie alles, um den USA militärisch zum Erfolg zu verhelfen. Sie leisteten logistische Unterstützung, entlasteten die US-Streitkräfte in Afghanistan und die Geheimdienste arbeiteten - wie jüngste Enthüllungen zeigen - aufs engste zusammen.

Mit der Annäherung an Washington reagiert Merkel nun auf das militärische Debakel der USA im Irak und auf den wachsenden Unmut der Massen im gesamten Nahen Osten. Ihr neuer Kurs wird von der SPD, die in der Großen Koalition den Außenminister stellt, uneingeschränkt mitgetragen. Auch der französische Präsident Jacques Chirac hat sich in die Front gegen den Iran eingereiht und Teheran mit Atomschlägen gedroht.

Bisher haben vor allem reaktionäre islamistische Kräfte - Ahmadineschad im Iran und die Hamas in den Palästinensergebieten - von der wachsenden Unzufriedenheit der Massen profitiert. Diese Tendenzen vertreten einen Flügel der einheimischen Eliten und haben weder die Fähigkeit noch den Willen, dem Imperialismus ernsthaft entgegenzutreten. Dennoch betrachten die Großmächte die wachsende Instabilität als Bedrohung ihrer Interessen und bereiten sich darauf vor, diesen gewaltsam Geltung zu verschaffen.

Ihr Zusammenrücken weckt Erinnerungen an das Jahr 1900, als sich die rivalisierenden Großmächte zusammenschlossen, um den Boxeraufstand in China niederzuschlagen. Das britische Imperium hatte damals seinen Zenit längst überschritten und wurde von allen Seiten bedrängt. Russland, Japan und Deutschland drängten nach China, um einen Teil des riesigen Reichs unter ihre Kontrolle zu bringen. Doch als sich eine nationale Widerstandsbewegung gegen die koloniale Unterjochung erhob, zögerten die konkurrierenden Imperialisten keinen Moment, gemeinsame Sache zu machen und den Widerstand blutig zu ersticken.

In diesem Zusammenhang muss auch die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen durch die dänische Zeitung Jyllands-Posten gesehen werden. Es handelt sich um eine gezielte Provokation mit dem Ziel, die ideologische Grundlage für eine neue imperialistische Offensive gegen den Iran und andere muslimische Länder zu schaffen.

Nachdem sich die angeblichen "irakischen Massenvernichtungswaffen" als faustdicke Lüge und die Einführung von "Demokratie im Nahen Osten" als plumpe Propaganda entpuppt haben, wird nun der nächste Militärschlag im Namen des "Kampfs der Kulturen" vorbereitet.

Die rechte Jyllands-Posten, die durch ihre Hetze gegen Einwanderer maßgeblich zum Aufstieg der ausländerfeindlichen dänischen Volkspartei und zum Wahlerfolg des rechtsliberalen Regierungschefs Fogh Rasmussen beigetragen hat, veröffentlichte die Karikaturen bewusst, um heftige Reaktionen zu provozieren. Die Verunglimpfung des Propheten Mohammed wird von Millionen gläubigen Moslems als Beleidigung empfunden, und es war vorauszusehen, dass dies zu entsprechenden Reaktionen führen würde.

Die teilweise gewaltsamen Demonstrationen werden nun - auch von liberalen Blättern - als Beweis für die Intoleranz des Islam als solchem und die Unvereinbarkeit westlicher und islamischer Kultur angeführt. Im Namen von "Meinungsfreiheit" und "Aufklärung" trommeln Medien, die den Irakkrieg und alle damit verbundenen Angriffe auf demokratische Grundrechte vorbehaltlos unterstützt haben, zum nächsten Waffengang gegen den Iran.

Ein Kommentar der Süddeutschen Zeitung macht deutlich, dass diese verlogene Propaganda auch das Zusammenrücken der imperialistischen Mächte in München wesentlich erleichtert hat.

"Der islamische Zorn," schreibt die Süddeutsche, "führt auch zu einer demonstrativen Solidarisierung der sich zu recht attackiert fühlenden westlichen Welt. Die Münchener Sicherheitskonferenz bot den wohl augenfälligsten Beleg für diese neue Harmonie. Das transatlantische Sicherheitsgeflecht ist nicht mehr nur mit sich selbst beschäftigt, es sieht sich einer neuen Bedrohung gegenüber und justiert seine Aufmerksamkeit... Die irritierende Bedrohung durch den islamischen Fundamentalismus hat nun den Trend zur neuen Geschlossenheit beschleunigt."

Siehe auch:
Münchner Sicherheitskonferenz: Schröder fordert Weltmachtrolle für Deutschland
(16. Februar 2005)
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