Kolumnist der New York Times ruft zum "guten Kreuzzug" auf

Der rechte Kolumnist David Brooks hat sich in der New York Times zum Streit über die muslimfeindlichen Karikaturen zu Wort gemeldet. Unter der Überschrift "Hitler zeichnen" präsentiert sich Brooks als Sprecher der westlichen Zivilisation gegen die muslimische Barbarei.

Er geht dabei zunächst auf reaktionäre, darunter auch offen antisemitische Karikaturen ein, die in der arabischen Welt in Folge der dänischen Provokation erschienen sind. Brooks wendet sich dann mit folgenden Worten direkt an die islamischen Fundamentalisten: "Wir im Westen wurden in eine Welt hineingeboren, die das Erbe Sokrates’ und der Agora widerspiegelt. [...] Wir glauben an den Fortschritt und an persönliches Wachstum. Indem wir in uns dieser Fülle von Perspektiven bewegen, indem wir uns unbequeme Tatsachen stellen, versuchen wir uns dem Verstehen immer weiter anzunähern. [...] Unsere Geisteshaltung ist fortschrittlich und rational. Eure Geisteshaltung stammt aus der Zeit vor der Aufklärung und ist mythologisch."

Brooks’ Selbstgefälligkeit und die Einbildung, mit der er sich selbst betrachtet, kann nur Abscheu hervorrufen. Man fühlt sich an Oscar Wildes Ausspruch erinnert: "Eigenliebe ist der Beginn einer lebenslangen Romanze".

Wem genau möchte Brooks eigentlich etwas vormachen? Dieser Mensch erhält ein hübsches Sümmchen dafür, dass er zweimal pro Woche in der Times schreibt und dabei die Interessen und Ansichten der habgierigsten Elemente in der amerikanischen Gesellschaft vertritt - und schickt sich nun an, seine Leser in Hinblick auf Wissenschaft, Fortschritt und Rationalität zu belehren.

Wenn Brooks über die westliche Zivilisation diskutieren möchte, so ist es - selbst in jüngerer Zeit - zu einigen nicht ganz so erhebenden Episoden gekommen, die man ansprechen könnte: Virulenter Nationalismus, Antisemitismus, Faschismus, Kolonialismus, Imperialismus. Diese ‚Makel’ haben unsagbares Leid und Verderben über Massen von Menschen gebracht.

Brooks, der früher für die rechten, an den Republikanern orientierten Tageszeitungen Weekly Standard und Wall Street Journal geschrieben hat, verschließt hiervor jedoch die Augen. Die Verteidigung vergangener Schweinereien rechtfertigt die heutigen. Der Kolumnist spricht für eine Welt arroganter, reicher Menschen, die der Überzeugung sind, dass die Verbrechen hinter ihrem Reichtum unbemerkt und ungesühnt bleiben werden.

Man kann ohne größere Schwierigkeiten nachweisen, dass Bush und Konsorten Kräfte und Vorstellungen verkörpern, gegen die sich das fortschrittliche Denken vom 15. bis zum 18. Jahrhundert und darüber hinaus mühsam durchsetzen musste. Brooks lässt sich über die Vernunft aus, aber er befindet sich auf einer Linie mit einer Regierung, die ‘Rationalismus’ als Schimpfwort betrachtet und sich stärker auf Rückständigkeit und Reaktion stützt als irgendeine andere Regierung in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Die größten Eiferer der Muslimbruderschaft sind nichts im Vergleich zum apokalyptischen Flügel der Republikanischen Partei.

Verschiedene christlich-fundamentalistische Sekten bilden den wohl treuesten Bestandteil der Republikanischen ‘Basis’. Einzelpersonen und Organisationen, die glauben, dass wir uns in der Endzeit befinden und die zweite Ankunft Christi bevorsteht, werden im Weißen Haus wohlwollend angehört.

John Hagee von der Cornerstone Church im texanischen San Antonio ist mit dem ehemaligen Führer der Republikanischen Mehrheitsfraktion im Senat, Tom DeLay, eng befreundet und predigt, dass bald der Tag naht, an dem "auf der ganzen Erde sich die Gräber öffnen werden, wenn die dort Liegenden in den Himmel fahren".

Eine andere Spielart, die als "Dominionismus" bekannt ist, vertritt die Auffassung, dass Christus nur dann wieder erscheinen wird, wenn die Welt ihm einen Ort bereitet hat, und dass der erste Schritt hierzu in der Christianisierung Amerikas liegt. Einer ihrer Vertreter ist James Kennedy aus Fort Lauderdale in Florida. Bush hatte ihn konsultiert, bevor er als Kandidat für das Präsidentenamt antrat. James Kennedy selbst hat Folgendes erklärt: "Unsere Aufgabe besteht darin, Amerika für Christus zurück zu gewinnen, wie hoch der Preis auch sein mag. Als Stellvertreter Gottes müssen wir eine göttliche Herrschaft über und einen göttlichen Einfluss auf unsere Stadtviertel, unsere Schulen, unsere Regierung, unsere Literatur und Kunst, unsere Sportstätten, unsere Unterhaltungsmedien, unsere Nachrichtenmedien, unsere wissenschaftlichen Anstrengungen ausüben - kurz gesagt: über jeden Aspekt und jede Einrichtung der menschlichen Gesellschaft."

Ein anderer führender Dominionist, der Pfarrer Richard Land, der als Spitzenvertreter der 16 Millionen Mitglieder umfassenden Southern Baptist Convention auftritt, telefoniert wöchentlich mit hochrangigen Beratern von Präsident Bush, unter anderem mit Karl Rove.

Im März 2004 nahm sich der Verantwortliche im Nationalen Sicherheitsrat für Nahost und Nordafrika, Elliott Abrams, der in die verbrecherischen Machenschaften des Iran-Contra-Skandals vor zwei Jahrzehnten verstrickt war, außer der Reihe Zeit für ein Treffen mit einer Delegation des Apostolischen Kongresses. Diese christliche Pfingstler-Sekte glaubt daran, dass die Welt in einem feurigen Armageddon zugrunde gehen wird.

Wie viele so genannte christliche Zionisten sind die Apostoliker höchst besorgt über die israelische Abgabe des Gazastreifens an die palästinensische Autonomiebehörde. Solange Israel nicht vollständig und Salomons Tempel nicht wieder errichtet sei, so ihr Glaube, werde Christus nicht auf die Welt zurückkehren. (Sie glauben darüber hinaus, dass bei der nahenden Apokalypse nur 144.000 Juden gerettet werden.)

Nach Angaben des Magazins Village Voice, dass eine detaillierte Aufzeichnung dieses Treffen erhielt, versicherte Abrams der Gruppe, dass "der Gazastreifen keine solche biblische Bedeutung wie Josephs oder Rachels Grab hat und daher ein Stück Land darstellt, dass für den Frieden geopfert werden kann".

Die Bush-Regierung führt einen wahren Krieg gegen die Wissenschaft. Erst vor einem Jahr war die amerikanische Bevölkerung der reaktionären Kampagne um Terry Schiavo ausgesetzt, die einen schweren und irreversiblen Hirnschaden erlitten hatte. Stundenlang konnten die religiösen Fanatiker verschiedener Richtungen im Fernsehen auftreten und dort im Namen der ‘Kultur des Lebens’ ihre üblen und perversen Ansichten verbreiten.

Wie die World Socialist Web Site jüngst feststellte, führt die Republikanische Partei ihre Angriffe gegen die Wissenschaft auf zwei Ebenen: Sie unterstützt "den Versuch von Großkonzernen, die Wissenschaft gemäß ihren Interesse auszurichten und zurechtzustutzen, und greift sie an, wenn sie es nicht tut. Gleichzeitig stellt sie sich hinter das Streben religiöser Fundamentalisten, die Wissenschaft in Fragen wie Stammzellenforschung, Evolution und Empfängnisverhütung zu unterhöhlen". Die ‘Intelligent Design’-Bewegung, die die Evolutionstheorie scharf ablehnt und dem Schöpfungsglauben einen etwas seriöseren Anstrich verleihen will, wird von Bush und den Republikanern offen unterstützt.

Im vergangenen Juni wurde bekannt, dass einer von Bushs Mitarbeitern, der staatliche Klimaberichte im Interesse der Ölindustrie gefälscht haben soll, sein Amt in der Regierung niederlegte, um eine Stelle bei ExxonMobil anzutreten - dem größten Energiekonzern der Welt und einem der heftigsten Gegner von Emissionsregulierungen.

Die New York Times berichtete am 8. Juni 2005, dass Philip Cooney in seinem Amt als Stabschefs des Umweltrates im Weißen Haus wiederholt vom Staat in Auftrag gegebene wissenschaftliche Berichte abgeändert hatte, um die Verbindung zwischen Kohlendioxidemissionen und der Erderwärmung herunterzuspielen oder zumindest die wissenschaftliche Feststellung des Klimawandels in Zweifel zu ziehen.

Erst jüngst warf einer der Spitzenwissenschaftler der NASA zu Klimafragen, James E. Hansen, der Bush-Regierung vor, sie würde versuchen, ihn von öffentlichen Auftritten abzuhalten, seit er sich im Dezember bei einer Vorlesung dafür ausgesprochen habe, den Ausstoß von Treibhausgasen zu begrenzen, die für die globale Erwärmung verantwortlich sind. Hansen sagte gegenüber der Presse: "Sie [die Bush-Regierung] meint, dass ihre Aufgabe darin besteht, die Informationen zu zensieren, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind."

So viel zum Thema Fortschritt, Rationalität und Wissenschaft. Worum geht es bei der Auseinandersetzung um die Karikaturen also tatsächlich?

Durch Brooks Kolumne schimmert etwas ziemlich Abstoßendes, das es schon früher gegeben hat: die "Gelbe Gefahr", die "Bürde des weißen Mannes". Wir haben es mit einer Neuauflage von Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes via Samuel Huntingtons Kampf der Kulturen zu tun.

Nach dem Golfkrieg 1991 behauptete Huntington, der Konflikt zwischen der islamischen Welt und dem Westen sei "nichts Geringeres als ein Kampf der Kulturen - die vielleicht irrationale, aber sicherlich historische Reaktion eines alten Rivalen gegen unser jüdisch-christliches Erbe, unsere säkulare Gegenwart und die weltweite Verbreitung von beidem".

Brooks benutzt sogar denselben Begriff und behauptet, die gegenwärtige Kontroverse erinnere "viele von uns im Westen daran, [...] wie tief die Kluft zwischen uns und euch ist. Nie wurde so viel vom Kampf der Kulturen gesprochen. Wir haben nicht nur unterschiedliche Ideen, wir haben eine unterschiedliche Beziehung zu Ideen."

Brooks tut so, als würde er sich nur auf die fundamentalistischen Elemente beziehen. Andere im rechten Lager sind nicht so zurückhaltend. Prediger Franklin Graham, Sohn des Evangelisten Billy Graham, nennt den Islam "eine sehr böse und schlimme Religion". Pat Robertson, der sich einst um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat in der Republikanischen Partei bemühte, vergleicht den Koran mit Hitlers Mein Kampf. Lange vor der derzeitigen Krise hatte der rechte Evangelist Jerry Falwell erklärt: "Ich denke, Mohammed war ein Terrorist."

Bestimmte Dinge sind klar in Hinblick auf die derzeitige Krise wegen der muslimfeindlichen Karikaturen. Was als Versuch begann, ausländerfeindliche Stimmungen zu schüren und in Jütland, dieser bekannten Bastion der westlichen Zivilisation, eine günstige Stimmung für rechte dänische Politik zu schaffen, ist zu einer internationalen Frage geworden.

Anfangs gab es einige Zweifel und Unstimmigkeiten innerhalb der Bush-Regierung darüber, wie mit dieser Sache umgegangen werden sollte. Einige waren der Ansicht, dass zu einem Zeitpunkt, wo 140.000 amerikanische Soldaten ein vorwiegend muslimisches Land besetzt halten, man besser nicht noch Öl ins Feuer gießen sollte.

Als sich die Krise jedoch entwickelte, merkten Mitglieder der Regierung, insbesondere wegen der Reaktion bestimmter liberaler Elemente auf die Ereignisse, dass sich hier eine Gelegenheit bot. Hier bot sich die Möglichkeit, eine Politik der kolonialen Aggression, das Bemühen, die Weltenergiereserven unter die eigene Kontrolle zu bringen und eine ganze Weltregion zu unterwerfen, neu darzustellen - als Verteidigung der Zivilisation, der Demokratie und der Meinungsfreiheit.

Die ganze Frage der Meinungsfreiheit ist völlig verlogen. Niemand in der WSWS -Redaktion würde die Ansicht vertreten, dass die muslimfeindlichen Karikaturen unterdrückt werden sollten. Menschen haben das Recht, dummes und übles Zeug zu veröffentlichen.

Aber wir Sozialisten nehmen uns auch das Recht heraus zu sagen, was ist. Wir unterziehen Dinge einer Prüfung und verurteilen eine niederträchtige Provokation, wenn wir sie sehen. Faschisten haben das Recht durch ein jüdisches oder schwarzes Stadtviertel zu marschieren, aber wir erklären dies nicht zu einem Vorbild für die Ausübung von Meinungsfreiheit und würden auch nicht diejenigen verurteilen, die einer solchen Provokation einen dichten Steinhagel entgegensetzen.

Man muss auch nicht von der Unschuld der Motive all jener überzeugt sein, die derzeit in der islamischen Welt Protestdemonstrationen organisieren. Es gibt dort rechte, fundamentalistische und antisemitische Kräfte, die ihre eigenen Ziele verfolgen. Wir lehnen diese Kräfte und ihre Ziele rundweg ab. Doch das bringt uns noch lange nicht dazu, die Welt so zu sehen, wie Brooks es gerne hätte.

In der verkehrten Welt, die uns der Times- Kolumnist und andere in Bezug auf die Ereignisse vorsetzen, stellen die unterdrückten Menschen im Nahen und Mittleren Osten, denen von Seiten der Vereinigten Staaten und anderer westlicher Mächte schier endlose Gewalt und Erniedrigung angetan wurde, die brutale und blutrünstige Konfliktpartei dar.

Die Logik von Argumenten, wie Brooks und andere sie verbreiten, führt in eine Richtung, die wahrlich Böses erwarten lässt. Wie soll man mit dieser unverbesserlichen und beinahe unmenschlichen muslimischen Bevölkerung umgehen, die zufälligerweise auf einem Großteil der weltweiten Erdölreserven sitzt? Hat nicht die ‘Zivilisation’ in Form des amerikanischen Imperialismus das Recht, ihre effektivsten Methoden zum Einsatz zu bringen, darunter auch Atomwaffen und andere Völkermordtechnologien, um die Region zu säubern und zu einer sicheren Heimstatt der Demokratie zu machen?

Die Bush-Regierung bemüht sich, die Besetzung des Iraks und weitere zukünftige Angriffe - zum Beispiel auf den Iran oder Syrien - als ‘gute Kriege’ darzustellen. Es gibt aber immer noch Teile der liberalen und linken Mittelklasse, die das alte Schiff noch nicht verlassen haben und an Deck des neuen geklettert sind. Sie haben bereits zahlreiche Gelegenheiten hierfür verpasst.

Einzelne Schichten aus diesem Milieu sind schon übergelaufen, eine nach der anderen. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion schwenkte einen Gutteil von ihnen nach rechts, der Bürgerkrieg in Jugoslawien nahm, besonders in Europa, einen weiteren Teil von ihnen mit, der 11. September brachte in den Vereinigten Staaten ein neues Element ins Lager der Patrioten, und der Krieg zur ‘Befreiung’ des Iraks von Saddam Hussein überzeugte einen weiteren Teil der Liberalen.

Es gibt eine ganze Reihe übrig gebliebene ‘Linke’, die nur allzu bereit sind überzulaufen, ja die sich kaum zurückhalten können. Ihnen bietet sich nun die Gelegenheit, sich dem Krieg für westliche, säkulare Werte gegen den barbarischen, fanatischen Islam anzuschließen - und sich freiwillig für den ‘guten Kreuzzug’ zu melden.

Siehe auch:
Dänemark und die Jyllands-Posten : Die Hintergründe einer Provokation
(9. Februar 2006)
Immer mehr Tote bei weltweiten Protesten gegen moslemfeindliche Karikaturen
( 10. Februar 2006)
Münchner Sicherheitskonferenz: Imperialisten rücken näher zusammen
( 8. Februar 2006)
Europäische Medien veröffentlichen moslemfeindliche Karikaturen: Eine üble kalkulierte Provokation
( 7. Februar 2006)
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