3000 Ärzte der kommunalen Kliniken demonstrieren in Dortmund

Nach Angaben der Ärzte-Gewerkschaft Marburger Bund (MB) beteiligten sich am vergangenen Dienstag 13.000 Ärzte aus 113 Krankenhäusern in drei Bundesländern am Streik. Nachdem im Frühjahr 22.000 Ärzte der Universitätskrankenhäuser gestreikt hatten, sind nun auch 70.000 Ärzte in den kommunalen Krankenhäusern in den Streik getreten.

Zur regionalen Protestaktion in der Ruhrmetropole Dortmund mit Demonstration und anschließender Kundgebung kamen 3.000 Ärzte. Delegationen von zahlreichen kommunalen Krankenhäusern aus dem Ruhrgebiet, aber auch aus Städten der angrenzenden Länder wie Hannover, Bremen, und Frankfurt/Main waren vertreten.

Die Stimmung der Ärzte, die in sengender Hitze Spruchbänder und Plakate trugen, war sehr militant. Viele Demonstranten verstanden die Dortmunder Aktion als Teil einer Reihe von Streiks und Protestkundgebungen und waren entschlossen, den kommunalen Arbeitgebern, die bisher gegenüber den Forderungen der Ärzte unnachgiebig blieben, die Stirn zu bieten.

Auf Plakaten konnte man unter anderem lesen: "Unser Nachwuchs will auch gut versorgt werden", oder "Mehr Zeit für unsere Patienten, bessere Arbeitsbedingungen", "Für einen eigenen Tarifvertrag für Ärzte" oder auch "Geld Weg, Arzt weg!".

Mit dem Kampf für einen eigenen Tarifvertrag für Ärzte sind auch Forderungen nach einem Ende der unbegrenzten Arbeitsstunden und den Kurzverträgen für Ärzte verbunden, eine "angemessene Vergütung" der ärztlichen Arbeit und eine Anhebung des Grundgehalts für Ärzte. Viele Ärzte betonten, dass sie nicht mehr bereit seien, ihre Arbeitszeit mit einer überbordenden Verwaltungsarbeit zu verschwenden, damit mehr Zeit für die eigentliche medizinische Arbeit übrig bliebe.

Viele Teilnehmer drückten ihren Ärger darüber aus, dass mehr und mehr nach "Kassenlage" gehandelt werde und nicht mehr nach medizinischen Kriterien und Notwendigkeiten für die Patienten.

Mehrere Ärzte machten ihrem Unmut über die Haltung der Gewerkschaft Verdi Luft, die vor einigen Monaten einen separaten Tarifabschluss mit den kommunalen Arbeitgebern unterschrieben hatte und damit den Forderungen der Ärzte in den Rücken gefallen war. Eine Ärztin sagte, sie sei deswegen bei Verdi ausgetreten, obwohl sie jahrelang Mitglied war.

Auch die Haltung der Krankenhausleitungen wurde kritisiert, die auf den wachsenden Widerstand der Ärzte reagieren, indem sie mehr und mehr auf Mittel der Einschüchterung und Erpressung zurückgreifen. Im Gegensatz dazu sei in der Bevölkerung eine deutliche Unterstützung wahrzunehmen, berichteten Demonstranten und schilderten Sympathieäußerungen von Passanten in der Innenstadt während des Protestmarsches.

Auf der anschließenden Kundgebung auf dem Friedensplatz sprachen mehrere Redner des Marburger Bundes aus verschiedenen Krankenhäusern des Ruhrgebiets und anderer Regionen. Die Hauptrede hielt Frank Ulrich Montgomery, der Vorsitzende des Marburger Bunds. Er wandte sich scharf gegen die "unversöhnliche Haltung der kommunalen Arbeitgeber", die er als "Sturköpfe" bezeichnete und der "verantwortungslosen Fahrlässigkeit" bezichtigte. Er kündigte weitere Streiks und militante Protestaktionen an.

Montgomery wies das Argument der "leeren Kassen" zurück und prangerte die "Inkompetenz von kommunalen Managern" an, für die die Ärzte "nicht aufkommen" wollten. Aber er vermied jedes kritische Wort gegenüber der Regierung, deren sozialdemokratische Gesundheitsministerin Ulla Schmidt schon unter der rot-grünen Bundesregierung eine Politik verfolgte, die sich gegen die Interessen der Klinikbeschäftigten und der Patienten richtete.

Stattdessen behauptete der Vorsitzende des Marburger Bundes, dass "60 Prozent der Krankenhäuser in der Gewinnzone" stünden und durchaus in der Lage seien, die Forderungen seiner Gewerkschaft zu erfüllen.

Einige Teilnehmer der Demonstration sprachen mit Reportern der wsws. Die Namen wurden zum Teil geändert, da die Ärzte zunehmend Repressalien ihrer Arbeitgeber befürchten:

Helena, Ärztin an einer Klinik in Herford, sagte: "Unsere Arbeitsbedingungen sind unglaublich. Wir müssen zwischen 50 und 70 Mehrstunden pro Monat machen. Es werden keine neuen Ärzte eingestellt. Gleichzeitig haben wir viel zu viel bürokratische Arbeit zu leisten. Alles muss protokolliert, festgehalten und nachgewiesen werden, und wir Ärzte müssen diese oft unnütze Arbeit ausführen und die damit verbundene Mehrarbeit ausbaden. Jetzt muss endlich etwas unternommen werden. Die Bevölkerung muss wissen, wie die Situation in den Krankenhäusern wirklich ist. Was Verdi betrifft, so haben sie die Kluft zwischen Pflegern und Ärzten größer gemacht und darunter leiden jetzt die Patienten."

Joseph ist Arzt an der Rheinischen Klinik in Düsseldorf und sagte: "Überstunden, die nicht bezahlt werden, 24 Stunden-Dienste, die noch verlängert werden, generell weniger Geld als früher (wir kriegen zwischen 300 und 700 Euro weniger im Monat), Personal, das abgebaut wird, 2 Stationen werden von einem anstatt zwei Ärzten betreut, 60 Prozent unserer Zeit wird von Bürokratie in Anspruch genommen. Die Ärzte machen Sekretärsarbeit, eine medizinische Versorgung, die zusehends schlechter wird, sinkende Qualität. Das sind die Bedingungen an den Krankenhäusern, so wie wir sie tagtäglich erleben. Die Arbeitsbedingungen müssen insgesamt verbessert werden. Zum ersten Mal trauen sich jetzt Mediziner gegen ihre Vorgesetzten zu handeln. Das ist ein großer Fortschritt."

Sein Kollege Ingo fügte hinzu: "Die Streikziele sind nicht ausschließlich finanzieller Natur. Zeitverträge bei Ärzten müssen aufhören, das macht sie erpressbar. Die Haltung der kommunalen Arbeitgeber gegenüber den Streiks ist extrem hart und sie machen die Situation dadurch noch schlimmer. Der Marburger Bund hat kürzlich einen Vertrag vorgeschlagen, um die Notversorgung an allen kommunalen Krankenhäusern zu regeln, dies wurde aber abgelehnt."

Nicolas Ziemer, der am Bergmannsheil-Krankenhaus in Gelsenkirchen arbeitet, sagte: "Der TVöD von Verdi von 2005 sieht vor, dass nach einer Übergangszeit von 2 Jahren, die Gehälter neu definiert werden sollten. Der Marburger Bund hatte sein Verhandlungsmandat ursprünglich Verdi abgetreten, die Tarifgemeinschaft jedoch aufgekündigt. Der MB hat den TVöD nicht akzeptiert und das Mandat zurückgenommen. In der Übergangszeit wird der ursprüngliche Tarifvertrag BAT durch Zusatzzahlungen ergänzt, aber nach 2 Jahren werden wir von diesem Überleitungstarifvertrag zum TVöD übergehen, was einen Gehaltsverlust von 15 bis 20 Prozent bedeuten wird, für mich zum Beispiel 467 Euro im Monat weniger. Der TVöD sieht ein Verbleiben von 4 Jahren in derselben Lohngruppe vor, das heißt, dass für diese Zeit die Gehälter eingefroren sind. Für jemand wie mich, der unverheiratet ist und ohne Kinder, bedeutet das umgerechnet auf die gesamte Beschäftigungszeit ein Verlust von 170.000 Euro.

Bei uns muss eine 30-Betten-Station mit nur einer examinierten Kraft (kein Arzt) und einem Pflegehelfer auskommen. Und in der Unfallchirurgie gibt es einen Arzt für die Station plus einem weiterem, der operiert. Vormittags ist der operierende Arzt nur im OP telefonisch erreichbar. Das schafft mitunter große Schwierigkeiten und ist alles ein Ergebnis der Kosteneinsparungen. Unsere Dienste sind sehr lang, wobei wir nicht selten auch Arbeiten machen müssen, die das Pflegepersonal auch machen könnte, wenn da nicht auch in großem Umfang eingespart worden wäre.

Zwanzig Prozent der Ärzte gehen ins Ausland und nur 50 Prozent bleiben im eigentlichen Arztberuf, weil die Bedingungen so schlecht sind. Das Anfangsgrundgehalt beträgt nur 3060 Euro - brutto wohl gemerkt."

Cornelis Veraart aus der Nähe von Bremen meinte: "Es gibt zu wenig Ärzte pro Abteilung. Im Schnitt müssen wir 60 Dienste im Jahr machen und ein Dienst bedeutet 24 Stunden mit in der Regel 2-3 Stunden zusätzlich. Wie lange schlafen wir? Zweieinhalb Stunden etwa. Unsere Wochenstundenzahl liegt bei durchschnittlich 68 Stunden. Und das hat sich in letzter Zeit noch verschärft. Zudem verbringen wir 40 Prozent der Arbeitszeit mit Verwaltungsarbeit."

Sein Kollege Piet Luessen fügte hinzu: "Es werden immer mehr Patienten durch das System ‚geprügelt’. Wo ein Patient nach einem Herzinfarkt zum Beispiel etwa 6 Wochen bleiben müsste, wird er heute schon nach 7 Tagen nach Hause geschickt. Patienten werden viel zu schnell entlassen. Und unsere Arbeitslast vermehrt sich dadurch erheblich. Das bedeutet mehr Untersuchungen, mehr Analysen, mehr Nachweise und der ganze Abrechnungsunsinn. Dann kommt noch die Qualitätssicherung dazu (es wurde das DRG eingeführt - Diagnosis Related Groups - wurde in Australien entwickelt und hier eingeführt) an sich keine schlechte Sache. Dazu gehört aber eine dreijährige Ausbildungszeit, die es hier nicht gibt.

Insgesamt ist die Situation sehr bedenklich. Beispielsweise bringt eine zusätzliche Diagnose bei Komplikationen Geld. Man wird also bestraft, wenn man gute Arbeit leistet und Komplikationen vermeidet. Oder andersherum: ein Patient wird möglichst schnell entlassen, auch auf die Gefahr hin, dass es zu Komplikationen kommt. Dazu kommt noch die finanzielle Lage von Ärzten und Pflegepersonal, die sehr schlecht ist. Ein Arzt mit 4-5 Jahren Berufserfahrung bekommt 3400 Euro brutto im Monat, was netto 1729 Euro ergibt."

In vielen Gesprächen wurde deutlich, dass ein Großteil der Ärzte nicht nur über die unmittelbaren persönlichen Arbeitsbedingungen empört ist, sondern über die wachsenden Probleme des gesamten Gesundheitssystems besorgt ist.

Die wsws wird in wenigen Tagen einen ausführlichen Kommentar zum Streik der Ärzte veröffentlichen.

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