New York Times -Bericht aus Ramadi: Beleg für US-Kriegsverbrechen im Irak

Ein Artikel auf der Titelseite der New York Times vom 5. Juli zeichnet ein erschütterndes und vernichtendes Bild der tagtäglichen mörderischen Gewalt, die von den amerikanischen Truppen im besetzten Irak ausgeübt wird. Der Artikel ist ein Vor-Ort-Bericht des Times -Korrespondenten Dexter Filkins über die Aktivitäten der US-Marines in Ramadi, der Hauptstadt der südlichsten sunnitischen Provinz Anbar.

Der Artikel beginnt: "Das Regierungszentrum in der Mitte dieser zerstörten Stadt ähnelt einer Festung am unwegsamsten Abschnitt einer Grenze..."

Filkins berichtet, dass ein erheblicher Teil der Umgebung des Regierungszentrums, des Hauptquartiers der Marines in der Stadt, in Trümmern liegt. Er schreibt: "Seit drei Jahren haben das Marine Corps und die Armee beinahe alles versucht, um diese Provinzhauptstadt mit ihren 400.000 Einwohnern unter Kontrolle zu bekommen. Nichts hat funktioniert.

Jetzt versuchen die amerikanischen Kommandeure etwas Neues. Anstatt zu versuchen, das Zentrum einzunehmen oder wieder aufzubauen, wollen sie es sich vom Halse schaffen, oder zumindest einen großen Teil davon.

Sie sagen, sie planten drei Straßenzüge in der Stadtmitte mit Baggern platt zu walzen und sie in eine Grüne Zone zu verwandeln. Ein Teil davon ist schon als Folge der Kämpfe nur noch ein Ruinenfeld..."

Die Methoden, die dabei angewendet werden, und der Geist, der die Truppe beherrscht, lassen folgende Zitate erahnen:

"’Wir gehen raus und töten diese Leute’, sagte Captain Del Gaudio, der Kommandeur vor Ort."

"Einer der ‚Merksätze’, die den Marines durch Poster an den Wänden eingeimpft werden, lautet: ‚Sei höflich, sei professionell und sei bereit, jeden zu töten, den du triffst.’"

"Auf ein Papier, das im Regierungszentrum hängt, schreiben Marines ihre Vorschläge für die T-Shirt-Aufschrift, mit der sie nach Hause fahren wollen. Die meisten Vorschläge kann man unmöglich wiedergeben, aber hier ist einer, über den viel gelacht wurde: ‚Kilo Company: Hat mehr getötet als Krebs.’"

Filkins berichtet, dass der entschlossene und nicht klein zu kriegende Widerstand der Guerilla viele amerikanische Opfer gekostet hat. Das 800 Mann starke Dritte Bataillon des Achten Marineregiments hat seit seiner Ankunft im März elf Marines verloren. Die US-Kommandeure weigern sich, die Zahl der Verwundeten bekannt zu geben, fügt er hinzu.

Über die Zahl irakischer Opfer sagt er quasi ganz nebenbei: "Die Zahl irakischer Opfer - Aufständische oder Zivilisten - ist nicht bekannt..."

Der Times -Artikel ist keineswegs als Kritik am amerikanischen Militär in Ramadi gemeint. Er hat eher den Charakter einer Rechtfertigung und wiederholt unkritisch die offizielle US-Linie, dass die Bevölkerung von Ramadi unglücklicherweise "ins Kreuzfeuer des Kampfs zwischen amerikanischen Truppen und Aufständischen geraten ist" - eine offensichtlich absurde Behauptung, wenn man die Hartnäckigkeit des Widerstands und den bekannten Grundsatz der Aufstandsbekämpfung bedenkt, wonach Partisanen, die gegen die gewaltige militärische Übermacht ausländischer Besatzer kämpfen, sich auf die Unterstützung und Sympathie der Bevölkerung verlassen.

Dessen ungeachtet machen schon die von der Times berichteten Fakten klar, dass die USA Kriegsverbrechen begehen, und zwar systematisch und in großem Umfang. Die übergroße Mehrheit dieser Verbrechen wird nie bekannt. So wird die amerikanische Bevölkerung im Dunkeln und im Unklaren über das volle Ausmaß des Grauens gelassen, das in ihrem Namen angerichtet wird.

In einem weiteren Artikel der New York Times vom 5. Juli über die militärische Untersuchung der Vergewaltigung und Ermordung eines irakischen Mädchens und ihrer Familie durch amerikanische Soldaten im vergangenen März trifft die Zeitung eine äußerst bemerkenswerte Feststellung. "Die Reaktion der Iraker war verhalten", stellt sie fest und fährt fort:

"Die Untersuchung der Ermordung von möglicherweise 24 irakischen Zivilisten in Haditha durch Marines hat ebenfalls nur eine lauwarme Reaktion provoziert. Nach mehr als drei Jahren Krieg sind Berichte über Übergriffe amerikanischer Truppen für viele Iraker keine Überraschung mehr [Hervorhebung hinzugefügt]."

Kollektivstrafen, exemplarische Strafen und die Zerstörung ganzer ziviler Zentren - Methoden, die von der Nazi-Barbarei im besetzten Europa aus dem letzten Jahrhundert bekannt sind - gehören zum Modus Operandi der amerikanischen Besatzung des Irak.

Der Times -Bericht - und man findet vereinzelt ähnliche in der ansonsten gesäuberten Berichterstattung der amerikanischen Presse - wirft ein Licht auf die Berichte über Gräueltaten amerikanischer Truppen gegen irakische Zivilisten und hilft, sie in den richtigen Zusammenhang zu stellen. Der Irakkrieg ist nicht nur eine militärische und politische Katastrophe, er ist auch ein moralisches Desaster.

Dem frommen, zynischen Anerkennung, die amerikanische Politiker beider Parteien "den Besten Amerikas" in Uniform zollen, müssen einige unangenehme Wahrheiten entgegengestellt werden.

Amerikas so genannte Freiwilligenarmee wird durch ihre Beteiligung an diesem schmutzigen Kolonialkrieg brutalisiert und entmenschlicht. Nach fast dreieinhalb Jahren gewalttätigem Vorgehen wird es für die jungen Männer und Frauen, die anfangs trotz Lügen und Propaganda moralisch einigermaßen auf Kurs blieben, immer schwieriger, dies weiter zu tun. Und nicht wenige, die wegen der Brutalität und der Gewalt des Kriegs vom Militär angezogen wurden, sind emotional und psychologisch bereits geschädigt.

Der Times -Bericht macht deutlich, dass die amerikanische Militärführung ein Ethos des Tötens und der Verachtung für irakisches Leben fördert. Wen wundert es da, dass einfache Iraker einen unermesslich tiefen Hass auf die amerikanischen Invasoren spüren?

Es gibt zum Beispiel Presseberichte, die besagen, dass das US-Militär die Möglichkeit untersucht, dass die Gefangennahme und Ermordung von drei amerikanischen Soldaten in Yusufija im vergangenen Monat eine Vergeltung für eine von Soldaten der gleichen Einheit begangene Vergewaltigung und Ermordung im nahe gelegenen Mahmudija war.

Einen Tag vor dem Times -Bericht über Ramadi wählte Präsident George Bush einen Auftritt vor einem militärischen Publikum im Quartier der 82. Luftlandedivision und des US Special Operations Command in Fort Bragg, North Carolina, für die Zelebrierung des Unabhängigkeitstags am 4. Juli. In einer trotzigen, provokativen Rede, die seine Missachtung der überwältigenden Anti-Kriegsstimmung in der amerikanischen Bevölkerung unterstreichen sollte, erklärte Bush zweimal: "Wir werden keinen künstlichen Zeitplan für einen Rückzug aus dem Irak vorlegen", und fügte hinzu: "Wir akzeptieren nur den vollständigen Sieg."

In seiner typischen, ungehobelten Arroganz - "von Bunker Hill bis Bagdad, von Concord bis Kabul" - vermischte er den revolutionären, demokratischen Ursprung der Vereinigten Staaten im Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft mit dem imperialistischen Bestreben der USA, das irakische Volk zu unterwerfen und eine koloniale Tyrannei zu errichten.

Es sollte daran erinnert werden, dass die Bush-Regierung mit Unterstützung des gesamten amerikanischen Establishments beim Prozess gegen Saddam Hussein Regie führt und für den Fall des sicher zu erwartenden Schuldspruchs die Todesstrafe fordert. Aber kein Politiker oder Meinungsmacher wagt es, eine nahe liegende Frage zu stellen.

Der gestürzte irakische Präsident wird beschuldigt, für die Tötung aufständischer Iraker verantwortlich zu sein. Bush, Cheney, Rice, Rumsfeld und das amerikanische Militärkommando organisieren in viel größerem Umfang die Tötung von Irakern, die gegen die gegenwärtige Regierung in Bagdad kämpfen. Dabei handelt es sich jedoch um ein Quisling-Regime, das von den USA ins Amt gehievt wurde und von etwa 130.000 amerikanischen Soldaten gestützt wird.

Wie können die Tötungen, für die Bush und Kumpane verantwortlich sind, legal sein, wenn Hussein schwerster Verbrechen schuldig ist?

Die Frage der Kriegsverbrechen im Irak und anderswo ist ungeheuer wichtig - langfristig kann ihr nicht ausgewichen werden.

Siehe auch:
Washington weitet Metzelei im Irak aus
(23. Juni 2006)
Der Lynchprozess gegen Saddam Hussein beginnt
( 22. Oktober 2005)
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