Frankreich: Regierung greift Immigranten an

Der nachfolgende Artikel wurde am letzten Samstag auf einer Demonstration in Paris in Form eines Flugblatts verteilt.

Ein breites Bündnis von Antirassismus-Organisationen hat für heute zu einer Demonstration in Paris aufgerufen, die um 14 Uhr auf der Place de la République beginnt.

Die französische Regierung hat eine umfassende rassistische Offensive gegen Einwanderer gestartet. Erst kurz zuvor hatte der "Ersteinstellungsvertrag" (CPE), der den Unternehmern das Recht zur willkürlichen Entlassung junger Arbeiter geben sollte, eine breite und entschlossene Protestbewegung ausgelöst, die den ganzen Februar und März bis in den April hinein andauerte. Bis zu drei Millionen Studenten, Schüler und Arbeiter waren an mehreren Aktionstagen auf der Straße.

Dennoch setzt die Regierung mit dem neuen Einwanderungsgesetz ihr reaktionäres Programm fort. Dieses Gesetz, das Immigranten einen sicheren Arbeitsplatz und eine sichere soziale Stellung wesentlich erschwert, soll am 2. Mai ohne jede Zeitverzögerung im Parlament verhandelt werden.

Das neue Einwanderungsgesetz von Innenminister Nicolas Sarkozy zielt darauf ab, Immigranten weiter zu kriminalisieren. Zu diesem Zweck befürwortet er eine so genannte "selektive Immigration" im Gegensatz zu der bisher gültigen "geduldeten Einwanderung". Im Klartext bedeutet dies, dass Einwanderer, die seit zehn Jahren in Frankreich leben, nicht mehr automatisch Anspruch auf eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis haben.

Das Recht von Familienangehörigen, zu ihrer legal in Frankreich lebenden Familie zu kommen, wird drastisch beschnitten. Familien werden in Zukunft beweisen müssen, dass sie in der Lage sind, ihre Angehörigen angemessen unterzubringen, die sich ihrerseits einem Test unterziehen müssen, um zu beweisen, dass sie für eine "republikanische Integration in die französische Gesellschaft" geeignet sind. Diese Formulierung öffnet Tür und Tor für die willkürliche Interpretation durch die Staatsbehörden. Heiratet ein französischer Staatsbürger eine Person, die nicht aus einem EU-Land stammt, so kann er oder sie das Aufenthaltsrecht nicht mehr auf den Ehepartner übertragen. Letzterer muss in sein Heimatland zurückkehren, sich ein Langzeitvisum besorgen, das er nur erhält, wenn die Heirat vor den Augen der französischen Behörden Gnade und Billigung findet. Diese Bedingungen sind nicht nur mit großen Kosten verbunden, sondern - je nach politischer Situation im Herkunftsland - oft auch gefährlich.

Einjährige befristete Arbeitsverträge verlieren ihre Gültigkeit, wenn der Unternehmer den Arbeiter entlässt. Unter der Bezeichnung "Kompetenzen und Talente" wird eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis nur denen gewährt, die "voraussichtlich zur Entwicklung der französischen Wirtschaft oder dem Einfluss Frankreichs in der Welt beitragen" werden.

Das Projekt entspricht der EU-Einwanderungspolitik "Festung Europa", die jedes Jahr Tausende Wanderarbeiter in den Tod treibt, weil besonders diejenigen, die aus Afrika kommen, über Schleichwege versuchen, nach Europa zu gelangen. Das neue Gesetz wird die Zahl der illegal eingewanderten Menschen stark in die Höhe treiben und sie zu Opfern von Sarkozys angestrebten 25.000 Abschiebungen im Jahr machen.

Wie schon bei der Kampagne gegen das Tragen des muslimischen Kopftuchs an Schulen und während der Vorstadtrevolten vom vergangenen Herbst schürt die Regierung auch jetzt wieder bewusst Rassismus, um vom sozialen Niedergang während der letzten dreißig Jahren abzulenken. Während der Vorstadtrevolten hatten etliche Minister behauptet, viele Teilnehmer stammten aus afrikanischen, in Polygamie lebenden Familien. Die rassistische Hetze soll von verschärften Angriffe auf soziale Rechte ablenken.

In einer Rede vor 2.000 neuen Mitgliedern der Regierungspartei UMP appellierte Sarkozy am 22. April offen an rechtsradikale Wähler. Er warnte Einwanderer mit den Worten: "Wenn es Leute gibt, die sich in Frankreich nicht wohl fühlen, dann sollten sie nicht zögern, das Land, das sie nicht lieben, zu verlassen.... Man kann von einem Land nicht verlangen, seine Gesetze, Bräuche und Gewohnheiten zu ändern, nur weil sie einer kleinen Minderheit nicht passen. Wir haben mehr als genug davon, immer das Gefühl zu haben, uns entschuldigen zu müssen, weil wir Franzosen sind."

Er hatte nicht nur die Anhänger der Nationalen Front (FN) von Jean-Marie Le Pen im Auge, oder Philippe de Villiers’ fremdenfeindliche Bewegung für Frankreich (MPF), sondern wollte damit auch linke Wähler ködern, die seit Jahrzehnten unter Arbeitslosigkeit und sozialem Niedergang unter verschiedenen linken und rechten Regierungen leiden, was besonders in den früheren Hochburgen der Französischen Kommunistischen Partei und der Sozialistischen Partei in den Industrieregionen Frankreichs der Fall ist. "Ich möchte mich auch an einfache linke Wähler wenden, an die Leute, die an die Kommunistische Partei geglaubt haben", fuhr Sarkozy fort. "Einige Männer und Frauen auf der Linken könnten sich sagen, dass sich mit uns was ändern wird."

Auch Philippe de Villiers schürt ein Klima der Angst und Islam-Feindlichkeit, und steckt damit das Feld für seine Präsidentschaftskandidatur ab. Ein Buch von ihm mit dem Titel Les Mosquées de Roissy (Die Moscheen von Roissy), das diese Woche herauskam, geht in die Richtung, alle Muslime als Terroristen zu stigmatisieren. Laut der Zeitung Le Monde sagte er letzten Sonntag im Radio: "Der Islam ist mit der Republik nicht vereinbar. Die islamistische Präsenz ist keine Randerscheinung, sie ist reell, tief und gefährlich."

Der Führer der Sozialistischen Partei, François Hollande, reagierte auf diesen rassistischen Schund mit seiner eigenen Version von Patriotismus, indem er sagte: "Die Rechte hat kein Monopol auf die Liebe zu Frankreich."

Tatsächlich findet sich auf der Webseite der Sozialistischen Partei keine eingehende Kritik von Sarkozys Gesetz, nur ein kurzer Kommentar, der erklärt, die Sozialistische Partei wäre besser in der Lage, die Immigration zu kontrollieren, als die jetzige Regierung. Sie schlägt ein "neues Einwanderungsgesetz" vor, "das kohärent und effektiv ist und die Interessen unseres Landes wie des Ursprungslandes der Immigranten berücksichtigt".

Mehrere linke Regierungen haben seit 1981 mit Unterstützung der Kommunistischen Partei Einwanderungskontrollen beschlossen und Jagd auf illegale Immigranten gemacht. Und keine Kritik am aktuellen Einwanderungsgesetz aus dem Lager der linken Parteien kann darüber hinwegtäuschen, die sie die Regierung während der Krise der vergangenen Wochen an der Macht gehalten und so den erneuten rassistischen Angriff Sarkozys erst ermöglich haben. Er verfolgt das Ziel, die Arbeiterklasse zu spalten, um noch schärfere Angriffe durchzusetzen und die Konkurrenzfähigkeit des französischen und europäischen Kapitals am Weltmarkt zu erhöhen.

Vor nicht einmal einem Monat stand die Regierung de Villepin und Sarkozy unter dem Druck einer Massenbewegung von Studenten, Schülern und Arbeitern, die das Potential hatte, sie zu stürzen. Die Führer der linken Parteien und Gewerkschaften tragen die volle Verantwortung dafür, dass sie sich heute stark genug fühlt, ihren rechten Kurs fortzusetzen.

Während die Nationale Studentenkoordination, die aus gewählten Vertretern der kämpfenden Universitäten und Gymnasien bestand, die Arbeiter und Gewerkschaften aufforderte, einen Generalstreik zu organisieren und die Regierung zu stürzen, bestanden die in der Intersyndicale organisierten Gewerkschaften und Studentenorganisationen darauf, die Bewegung auf die Einzelfrage der Rücknahme des CPE zu beschränken. In Wirklichkeit war der CPE nur ein Element eines ganzen Katalogs von Angriffen auf die Arbeitsplatzsicherheit, sozialen Rechte und die Rechte von Einwanderern.

Die gleiche Haltung wurde von einem Zusammenschluss namens Riposte Collective von elf Parteien aus dem linken Lager eingenommen - zu ihnen gehörten die Sozialistische Partei (SP), die Kommunistische Partei (CP), die Grünen und die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR). Sie verzichteten auf einen Aufruf zum Rücktritt der Regierung und ermöglichten ihr so, ihren rechten Kurs fortzusetzen. Ein LCR-Dokument bringt die opportunistische Grundhaltung der gesamten ‚Linken’ bezüglich des gaullistischen Regimes auf den Punkt: "Eine große Mehrheit der nationalen Führung [der LCR] kam zum Schluss, dass die Perspektive einer Auflösung der Nationalversammlung und von Neuwahlen jetzt der aktuellen Phase der Bewegung nicht entsprechen würde."

Im Mai-Juni 1968 hatten die Kommunistische Partei und die Sozialistische Partei und ihre Leute in den Gewerkschaften verhindert, dass sich die Massenbewegung der Studenten und Arbeiter zu einer politischen Offensive entwickelte, die die Regierung De Gaulle aus dem Amt getrieben und durch eine Arbeiterregierung ersetzt hätte. De Gaulle war in der Lage, das Ruder wieder in die Hand zu nehmen, und die französische Arbeiterklasse war weitere dreizehn Jahre lang mit einer rechten Regierung konfrontiert.

Auch heute konnte sich die französische Regierung dank der Intersyndicale und dem Riposte -Bündnis im Amt halten, obwohl ihr die Massenbewegung zeitweise arg zusetzte. Der Beliebtheitsgrad von Präsident Chirac und Premierminister Villepin liegt laut der jüngsten IFOP-Umfrage bei 29, bzw. 24 Prozent. Er ist seit der offiziellen Rücknahme des CPE am 10. April um zehn, bzw. 13 Punkte gefallen.

Indem die Gewerkschaften das Angebot der Regierung, den CPE durch ein Programm von Billiglohnarbeit und finanziellen Anreizen für die Unternehmer zu ersetzen, sowie Nicolas Sarkozys Vorschlag für Gespräche mit Regierung und Unternehmern akzeptiert haben, überlassen sie den rechtesten Elementen in der Regierung die Initiative, an deren Spitze Sarkozy steht.

Sarkozy hat zurzeit die besten Aussichten auf die UMP-Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr. Er stützt sein Programm auf Rassismus und die Zerstörung aller sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse. Der Mann, der heute den so genannten "Dialog mit den Sozialpartnern", d.h. mit den Gewerkschaften und Unternehmern, koordiniert, ist entschlossen, die Arbeiter auf der Grundlage von Rassismus zu spalten.

Die Verteidigung der Einwanderer wie auch der sozialen und demokratischen Rechte wirft dringend die Frage nach einer neuen revolutionären Führung auf, die sich auf ein internationales, sozialistisches Programm stützt. Die World Socialist Web Site ist das entscheidende Instrument zum Aufbau einer solchen Führung. Die WSWS ist die Internetpublikation des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, das seit Jahrzehnten den Marxismus und das Erbe der trotzkistischen Bewegung verteidigt.

Die WSWS unterstützt das Recht jedes Arbeiters, im Land seiner Wahl zu leben, zu arbeiten und zu studieren und vollkommene Gleichberechtigung zu genießen. Dies ist Teil des Kampfs gegen den weltweiten Angriff auf Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter im Zeitalter der kapitalistischen Globalisierung. Er erfordert die Entwicklung einer internationalen Massenbewegung der Arbeiterklasse, gestützt auf eine sozialistische Perspektive, die die Arbeiter aller Nationalitäten, Rassen und Religionen zusammenschließt.

Wir bekämpfen den imperialistischen Krieg und fordern den sofortigen Rückzug aller ausländischen Truppen aus dem Irak und aus Afghanistan.

Die großen Finanz-, Industrie- und Handelsunternehmen müssen in demokratisch kontrolliertes, öffentliches Eigentum überführt und auf internationaler Grundlage rational reorganisiert werden, um die Armut auszurotten, sichere Arbeitsverhältnisse herzustellen und einen vernünftigen Lebensstandard für alle zu schaffen.

Die Arbeiterklasse Europas muss sich gegen die kapitalistische Politik der Europäischen Union auf der Grundlage ihres eigenen Programms zusammenschließen: Sie muss für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa kämpfen.

Wir laden alle Jugendlichen und Arbeiter ein, die WSWS zu lesen und am Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Frankreich und ganz Europa teilzunehmen.

Siehe auch:
Der Kampf gegen den "Erstarbeitsvertrag" und die Notwendigkeit einer neuen Führung der Arbeiterklasse
(29. März 2006)
Frankreich: Rassistische Hetze zur Rechtfertigung des Ausnahmezustands
( 25. November 2005)
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