Murat Kurnaz und die zwielichtige Rolle deutscher Spezialeinheiten in Afghanistan

Offizielle deutsche Stellen sind weit stärker an den völkerrechtswidrigen Praktiken der USA im Rahmen des so genannten "Kriegs gegen den Terror" beteiligt, als dies öffentlich zugegeben wird.

Mit entsprechenden Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes beschäftigt sich seit längerem ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Er befasst sich unter anderem mit dem Fall des deutschen Staatbürgers Khalid al-Masri, der durch den US-Geheimdienst CIA nach Afghanistan entführt wurde, und mit Verhören in einem syrischen Foltergefängnis und auf Guantanamo, an denen BND-Beamte beteiligt waren. Im Januar war außerdem bekannt geworden, dass zwei BND-Agenten während des Irakkriegs in Bagdad Informationen gesammelt und an die US-Angreifer weitergereicht hatten.

Nun ist ans Licht gekommen, dass auch das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr aktiv das illegale Gefangenensystem der USA unterstützt. Soldaten des KSK haben im südafghanischen Kandahar Gefangene der US-Streitkräfte bewacht, die später nach Guantanamo ausgeflogen wurden. Unter ihnen befand sich auch der in Deutschland geborene und aufgewachsene türkische Staatsangehörige Murat Kurnaz.

Kurnaz war im Herbst 2001 in Pakistan festgenommen und gegen ein Kopfgeld an die US-Streitkräfte in Afghanistan verkauft worden. Im Januar 2002 wurde er nach Guantanamo gebracht, wo er viereinhalb Jahre gefangen blieb, obwohl ihn die deutsche und die amerikanische Regierung schon nach wenigen Monaten für unschuldig hielten. Inzwischen sind alle strafrechtlichen Ermittlungen gegen Kurnaz eingestellt worden.

Durch die Aussagen von Kurnaz, der im August nach Deutschland zurückgekehrt ist, sind die Aktivitäten des KSK in Kandahar überhaupt erst bekannt geworden.

Kurnaz berichtete, Soldaten mit perfekter deutscher Sprache und deutschen Flaggen an den Uniformen hätten ihn in dem Lager an den Haaren gezogen und mit dem Kopf auf den Boden geschlagen. Die deutschen Geheimdienste hätten ihn zudem als Informanten anwerben wollen. Schon bei den ersten Verhören sei er mit Details konfrontiert worden: Wo er vor seiner Pakistan-Reise die Digitalkamera gekauft, an wen er das Handy verkauft habe. "Ich hatte keinen Zweifel, dass sie mit deutschen Behörden zusammenarbeiteten", so Kurnaz.

Zwei Wochen später seien die Deutschen dann direkt zu ihm gekommen. "Es hieß, zwei deutsche Soldaten wollten mich sehen." Vermummte seien das gewesen. Er habe sich auf den Boden legen müssen, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Auf die Frage in einem Interview mit dem Stern, ob es sich um das KSK gehandelt habe, antwortete Kurnaz: "Kann sein. Er hat meinen Kopf auf den Boden geschlagen, und die Amerikaner fanden das lustig."

Das Bundesverteidigungsministerium bemühte sich wochenlang, Kurnaz als verwirrten Phantasten darzustellen, und leugnete jeden Kontakt zwischen ihm und deutschen Soldaten. Letzte Woche gab es dann überraschend zu, dass KSK-Einheiten das Lager in Kandahar tatsächlich auf Bitte der USA bewacht und Kurnaz dabei getroffen hätten.

Bei der "Einweisung zum Wachdienst" sei den Deutschen mitgeteilt worden, dass sich unter den Gefangenen ein Mann befinde, mit dem sie sich in deutscher Sprache unterhalten könnten. Daraufhin habe es "Kontakt zu einem deutschsprachigen Gefangenen" gegeben, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Bereits am 3. Januar 2002 hätten die Soldaten das Verteidigungsministerium darüber unterrichtet. Bis zum damaligen Minister Rudolf Scharping (SPD) sei die Meldung allerdings nie vorgedrungen.

Das Verteidigungsministerium bestreitet, dass Kurnaz von den KSK-Soldaten misshandelt worden sei. Es habe nur einen verbalen, keinen "körperlichen" Kontakt gegeben, erklärte der parlamentarische Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt (CSU). Man habe "keine Anhaltspunkte" dafür, dass Kurnaz’ Behauptungen stimmten. Grund? Keiner der in Kandahar eingesetzten, schriftlich befragten Soldaten, habe sie bestätigt.

Inzwischen hat sich der Verteidigungsausschuss des Bundestags zu einem Untersuchungsausschuss umgewandelt, um Kurnaz’ Vorwürfe "rückhaltlos und unverzüglich" aufzuklären, wie es offiziell heißt. Der Ausschuss ist allerdings zu Geheimhaltung verpflichtet, so dass es mit der Aufklärung nicht weit her sein wird. Seine Aufgabe besteht eher darin sicherzustellen, dass das Mandat des KSK in Afghanistan, das im November ausläuft, vom Bundestag verlängert wird.

Die Arbeit des Ausschusses - wie auch die Aufmerksamkeit der Medien - konzentriert sich zudem auf die Fragen, ob Kurnaz physisch misshandelt oder nur "verbal" kontaktiert wurde und warum die Informationen nicht bis an die Spitze des Verteidigungsministeriums vordrangen. Diese sind zwar wichtig, aber zweitrangig gegenüber der grundlegenderen Frage, welche Rolle das KSK in Afghanistan insgesamt spielt.

Die Rolle des KSK

Die Eliteeinheit wurde vor zehn Jahren gegründet, um den "neuartigen Herausforderungen und Aufgaben" zu begegnen, "die mit herkömmlichen Kräften nicht oder nicht ausreichend zu erfüllen sind", wie es auf den Internet-Seiten der Bundeswehr heißt. Sie führe, brüstet sich die Bundeswehr, ihre weltweiten Einsätze "von der Öffentlichkeit meist unbemerkt" durch.

Im November 2001 schickte die damalige rot-grüne Bundestagsmehrheit das KSK mit einem Blanko-Mandat nach Afghanistan. Im Gegensatz zu den Bundeswehreinheiten, die im Rahmen der UN-sanktionierten ISAF-Truppe die Hauptstadt und den Norden des Landes sichern, jagt das KSK als Teil der US-geführten Operation Enduring Freedom im ganzen Land nach Kämpfern der Al Kaida und der Taliban.

Was genau die etwa hundert Mann starke Spezialeinheit dabei tut, unterliegt strikter Geheimhaltung. So beschwerte sich der FDP-Abgeordnete Werner Hoyer gegenüber der Zeitung Die Welt, der Auswärtige Ausschuss des Bundestages habe seit 13 Monaten keine Informationen mehr über das KSK erhalten. "Ich bin zutiefst über die Geheimniskrämerei des Verteidigungsministeriums verärgert. Ich weiß gar nicht, was die KSK in Afghanistan derzeit konkret macht, welchen Auftrag sie dort hat", fügte er hinzu.

Da die USA immer wieder triumphale Zahlen über "getötete Talibankämpfer" verbreiten - wobei es keine Zeugen über die Umstände ihres Todes und ihre Identität als "Kämpfer" gibt - ist zu vermuten, dass das KSK auch an solchen Aktionen beteiligt ist, mithin also über eine "Lizenz zum Töten" verfügt.

Bisher ist zwar nicht bewiesen, dass das KSK Kurnaz misshandelt hat. Die ersten Löcher haben aber die Dementis bereits. Ein hochrangiger Offizier des KSK gab gegenüber dem Stern zu: "Wir haben schon gesehen, wie die Amerikaner die Gefangenen da im Lager getreten und geschlagen haben. Das war einfach schäbig."

Dass das KSK in Afghanistan US-Gefangene bewacht hat, die unter Missachtung aller rechtsstaatlichen Normen festgehalten werden (und dies möglicherweise weiterhin tut), entlarvt die Verurteilung derartiger Lager durch die Bundesregierung als pure Heuchelei. Die Zeitung Die Welt zitiert einen ehemaligen KSK-Angehörigen mit der Aussage, der Befehl an das KSK zur Bewachung von Gefangenen der US-Streitkräfte in Kandahar sei direkt vom Verteidigungsministerium in Berlin gekommen.

Auch über den Fall Kurnaz scheint die Bundesregierung sehr viel mehr gewusst zu haben, als bisher zugegeben wird. So informierte der BND das Bundeskanzleramt bereits am 9. Januar 2002, dass der "in Deutschland geborene türkische Staatsangehörige M.K." im Gefangenenlager Kandahar sitze und demnächst nach Guantanamo abgeschoben werde. "Es bestehe für deutsche Stellen die Möglichkeit. M.K. - möglicherweise noch in Afghanistan - zu befragen." Das geht aus einem vertraulichen Bericht der Bundesregierung an das Parlamentarische Kontrollgremium für die Nachrichtendienste (PKG) hervor, der der Zeitung Die Zeit vorliegt.

Sechs Tage vorher hatte das Verteidigungsministerium den Bericht des KSK über Kurnaz erhalten. Es ist also wahrscheinlich, dass dieser Bericht die Quelle für die Informationen des BND war und so seinen Weg direkt ins Kanzleramt fand, das damals vom heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) geleitet wurde. Bekannt ist auch, dass die Bundesregierung im Oktober 2002 ein Angebot der USA ablehnte, Kurnaz freizulassen und nach Deutschland abzuschieben.

Gefahren des Militarismus

Der Fall Kurnaz deckt die enormen Gefahren des Militarismus auf. Mit der KSK ist eine geheime und außerhalb jeder wirksamen Kontrolle agierende Truppe entstanden, und der BND ist aufs Engste in die illegalen Machenschaften der US-Geheimdienste verstrickt. Die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD sind entschlossen, an diesem Kurs festzuhalten. Es ist nicht zu erwarten, dass die von ihnen dominierten parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zur Aufklärung beitragen.

So hat der BND-Untersuchungsausschuss die Verhöre in illegalen Gefangenenlagern ausdrücklich gerechtfertigt. In seinem Abschlussbericht heißt es beschönigend, die Bundesregierung habe "Angebote aus dem Ausland angenommen, Terrorismusverdächtige zu befragen, auch wenn Gefangennahme und Haftbedingungen unter rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Gesichtspunkten nicht immer zweifelsfrei waren". Daher sei auch die Befragung von Kurnaz in Guantanamo aufgrund von nicht näher substantiierten "Hinweisen" auf eine "Bremer Zelle" der Al Kaida "geboten" gewesen.

Und im Entwurf zum neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) wird der "Kampf gegen internationalen Terrorismus" zu einer zentralen Aufgabe der Bundeswehr erklärt. Zu den Aufgaben der KSK und anderen in der Division Spezielle Operationen zusammengefassten Spezialkräften heißt es im Weißbuch: "Das Einsatzspektrum der Spezialkräfte schließt die Gewinnung von Schlüsselinformationen, den Schutz eigener Kräfte auf Distanz, die Abwehr von und die Rettung aus terroristischer Bedrohung sowie Kampfeinsätze im gegnerischen Gebiet ein."

Im selben Papier wird die Bedeutung "eines ressortübergreifenden Ansatzes" für "sicherheitspolitische Entscheidungen auf nationaler wie internationaler Ebene" betont. Aus diesem Grund sei die Zusammenarbeit von BND und militärischen Nachrichtendiensten bereits intensiviert worden. Mit anderen Worten, die Militärs im Verteidigungsministerium betrachten sich immer mehr auch für die innere Sicherheit zuständig.

Der BND hat schon in der Vergangenheit Journalisten im Inland bespitzelt, obwohl er ausschließlich für die Auslandsaufklärung zuständig ist und dies einen massiven Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit darstellt. Das deckte im Frühjahr der so genannte Schäfer-Bericht auf.

Aber wie steht es mit dem KSK? Wenn es im Ausland unkontrolliert agiert, warum dann nicht auch im Inland - insbesondere nachdem der innere Einsatz der Bundeswehr unter dem Vorwand des Anti-Terrorkampfs immer lauter gefordert wird? Das mag gegenwärtig noch wie Spekulation klingen, doch die Entstehung einer schlagkräftigen Elitetruppe, die gewohnt ist, im Geheimen, außerhalb der Legalität und ohne öffentliche Kontrolle zu agieren, stellt eine offenkundige Bedrohung der Demokratie dar.

Siehe auch:
Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz ist frei
(29. August 2006)
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