Großbritannien

Terrorrazzien im August laut Observer von Washington ausgelöst

Am vergangenen Sonntag berichtete die britische Tageszeitung Observer, dass der Terroralarm am 10. August auf dem Flughafen Heathrow durch eine Entscheidung amerikanischer Nachrichtendienste ausgelöst wurde. Diese hätten vorgehabt, "den Hauptverdächtigen in der bislang größten britischen Antiterroroperation zu ergreifen und in ein geheimes Gefängnis zu fliegen, um ihn dort von amerikanischen Agenten verhören zu lassen".

Die Informationen stammen nach Angabe der Zeitung von "einem hochrangigen Geheimdienstmitarbeiter". Weiter heißt es in dem Artikel:

"Agenten des amerikanischen Geheimdienstes teilten ihren britischen Kollegen mit, dass Rashid Rauf - ein britischer Bürger mit angeblichen Al Qaida-Verbindungen nach Afghanistan, der in Pakistan unter Beobachtung stand - umgehend festzunehmen sei oder andernfalls von ihnen 'überstellt' werde."

Diese Forderung "bestürzte den britischen Geheimdienst, der befürchtete, Terrorzellen im Vereinigten Königreich könnten sich dadurch veranlasst fühlen, ihre eigenen Anschlagspläne zu verwirklichen oder in den Untergrund abzutauchen", behauptet der Observer und stellt weiter fest: "Großbritannien wollte Rauf noch längere Zeit überwachen."

Die USA seien jedoch entschlossen gewesen, auf der Stelle zu handeln, "auch wenn dies bedeutete, ihren engsten Verbündeten vor den Kopf zu stoßen", schreibt die Zeitung.

"Unmittelbar nach dem verhüllten US-Ultimatum an den [britischen Auslandsgeheimdienst] MI6, Rauf ‚hochgehen zu lassen’, wurde der [pakistanische Geheimdienst] ISI informiert, der Rauf daraufhin verhaftete. Diese Maßnahme zwang die britische Polizei, eine ganze Reihe von Personen zu verhaften, die angeblich mit ihm in Verbindung gestanden hatten."

Bei Razzien im Morgengrauen des 10. August wurden 24 Personen verhaftet. Über alle britische Flughäfen verhängte Notstandsmaßnahmen führten zu einem heillosen Chaos und langen Verspätungen. In dieser von Panik und Hysterie geprägten Atmosphäre mussten mehrere Maschinen wegen Bombendrohungen ihren Flug abbrechen und umdrehen.

Der Artikel im Observer ist nicht der erste Hinweis darauf, dass die Verhaftung von Rashid in Pakistan der Grund für die Notstandsmaßnahmen war. In der Presse wurde zu der Zeit berichtet, Rauf sei der Kopf hinter dem Plan, ein Dutzend Transatlantikflüge über dem Ozean durch Sprengstoffanschläge zum Absturz zu bringen, um einen "Massenmord von unvorstellbarem Ausmaß zu begehen".

Um diese Verschwörung zu vereiteln, hieß es damals, sei Rauf am 9. August vom ISI festgenommen worden. Ein Komplize habe dann "in Panik einen Verdächtigen in Großbritannien angerufen und ihn angewiesen, den Anschlag auf die Flugzeuge auszuführen". Auf dieser Grundlage hätten Regierung und Polizei entschieden, die Terrorwarnstufe anzuheben und eine Reihe von Verhaftungen vorzunehmen.

Wenn man der Quelle des Observer glauben kann, dann war Rauf für die Geheimdienste allerdings nur als Teil einer größeren Operation zur Informationsbeschaffung und nicht wegen eines unmittelbar bevorstehenden konkreten Terroranschlags von Interesse. Die Zeitung erklärt sogar: "Die Geheimdienstquelle sagte, die angebliche Verschwörung habe sich nicht im fortgeschrittenen Stadium der Planung befunden".

"Die US-Dienste fürchten seit vielen Jahren, dass Pakistans Geheimdienst ISI Al Qaida nicht entschieden genug bekämpft, und trugen sich deswegen mit der Sorge, Rauf könne entkommen", heißt es im Observer.

Und weiter: "US-Agenten hatten sich auf einen Plan verständigt, Rauf zu fassen und in ein geheimes Verhörzentrum zu schaffen, falls er auf freiem Fuß bliebe.

Aber die britischen Geheimdienste befürchteten, eine zu frühe Verhaftung Raufs werde ihren weiteren Ermittlungen schaden. Es lag zwar angeblich schon eine Menge Abhörmaterial vor, doch dieses konnte vor britischen Gerichten nicht verwendet werden. Daher kam es zu der Entscheidung, Rauf weiter zu überwachen."

Berichte, dass die britischen Geheimdienste Rauf nicht "zu früh" verhaften wollten, passen ganz offensichtlich nicht mit der Behauptung zusammen, dass ein Terroranschlag "unmittelbar bevorstand".

Doch Innenminister John Reid behauptete am 10. August, die Sicherheitsbehörden hätten gerade noch den Plan vereitelt, "mehrere Flugzeuge über dem Atlantik zur Explosion zu bringen". Der stellvertretende Polizeichef von London Paul Stephenson sagte gleichzeitig, ein "Massenmord von unvorstellbarem Ausmaß" habe bevorgestanden.

In den USA klangen die Warnungen gleichermaßen alarmierend. Heimatschutzminister Michael Chertoff erklärte, die Verschwörung sei "in Planung und Ausführung sehr ausgereift" gewesen, und die Verdächtigen hätten "die notwendigen Fertigkeiten erworben und waren ihrem Ziel schon nahe gekommen".

Es hieß zwar, dass die Nachrichtendienste die Aktion vorab geplant hätten und daher so schnell eingreifen konnten. Doch der britische Premierminister Tony Blair war trotz der angeblich drohenden Terrorkatastrophe am 8. August noch in den Karibikurlaub geflogen.

Schon wenige Tage nach dem Terroralarm wurde bekannt, dass keiner der angeblichen Verschwörer überhaupt ein Flugticket besaß und mehrere nicht einmal einen Reisepass hatten. Trotz der vielen Durchsuchungen wurden der Öffentlichkeit keinerlei Beweise präsentiert, die irgendeine Art von Bombenbau belegen würden.

Seither ist immer klarer geworden, dass es keinen drohenden, unmittelbar bevorstehenden Terroranschlag von der Größenordnung gab, wie die britische und die amerikanische Regierung behaupteten. Erkennbar ist stattdessen, dass der Terroralarm vom 10. August politisch motiviert war.

Angesichts der wachsenden Anti-Kriegsstimmung vor den Kongresswahlen im November nutzte das Weiße Haus die angebliche Verschwörung, um die Invasion im Irak und den "Krieg gegen den Terror" zu rechtfertigen.

Auch wenn die Blair-Regierung von Washington zu dieser Aktion getrieben wurde, nutzte sie die Gelegenheit zur eigenen Propagandaschlacht. Die Aktion bot darüber hinaus eine erste Gelegenheit, die neuen Gesetze anzuwenden, nach denen Menschen bis zu 28 Tage ohne Haftbefehl und Anklage festgehalten werden können.

Das Ereignis zeigt erneut, wie sehr sich die Blair-Regierung der Bush-Regierung politisch unterordnet. Diese Tatsache sorgt weiterhin für Unmut in herrschenden Kreisen und verursacht undichte Stellen wie jene, die den Observer informiert hat.

Der Observer macht sich zwar zum Sprachrohr der Unzufriedenheit im politischen Establishment und in Sicherheitskreisen, doch er spricht nicht die tiefere politische Bedeutung seiner Informationen an. Das überrascht auch nicht angesichts der Rolle, die die Medien während des Terroralarms gespielt haben, als sie sich als Propagandaabteilung der Regierung andienten.

Auffällig ist ebenfalls die Verachtung, die Washington für Pakistan übrig hat - und die selbst dann noch groß ist, wenn man sie an der unverschämten Drohung gegenüber Großbritannien misst, einen britischen Staatsbürger zu entführen und zu foltern.

Pakistans Präsident Musharaf machte erst kürzlich bekannt, dass die Bush-Regierung gedroht habe, sein Land in die Steinzeit zurückzubomben, wenn es im Krieg gegen den Terror nicht vollständig kooperiere.

Seine Version der Ereignisse wird untermauert durch Berichte, dass Washington dem pakistanischen Vorgehen gegen islamistische Extremisten nicht traute und eine CIA-Operation auf pakistanischem Staatsgebiet für den Fall vorbereitete, dass die Regierung nicht spuren würde. Bedenkt man Pakistans Ruf in Menschenrechtsangelegenheiten, so ist die Frage erlaubt, welche Behandlung Rauf erwartet hätte, wenn er in das von den USA für ihn vorgesehene Geheimgefängnis geschafft worden wäre.

Siehe auch:
Nach den Verhaftungen in Großbritannien: Was ist die Ursache für Terrorgefahr?
(15. August 2006)
Widersprüche Merkwürdigkeiten und offene Fragen um die britische Terrorhysterie
( 19. August 2006)
Ministertreffen der Europäischen Union: Terrorhysterie zur Rechtfertigung antidemokratischer Maßnahmen
( 22. August 2006)
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