Kritische Journalistin in Moskau ermordet

Die Ermordung der russischen Journalistin Anna Politkowskaja ist eine ernste Warnung an alle Arbeiter und Intellektuellen in Russland und auf der ganzen Welt: Die Regierung des russischen Präsidenten und ehemaligen KGB-Agenten Wladimir Putin schreckt vor nichts zurück, um Kritik und politische Opposition zu unterdrücken.

Politkowskaja, die bekannteste journalistische Kritikerin der Putin-Regierung und Autorin von zwei Büchern über den schmutzigen Tschetschenienkrieg, wurde im Eingang ihres Wohnhauses im Moskauer Zentrum niedergeschossen. Sie war 48 Jahre alt und hatte schon mehrere Mordanschläge sowie zahllose Todesdrohungen überlebt.

Der von Überwachungskameras gefilmte Mörder war ein junger Mann mit einem Kapuzenpullover. Er trat an die Journalistin heran, als sie das Haus verlassen wollte, und feuerte drei Kugeln in ihren Körper und eine in ihren Kopf. Dann ließ er die Waffe, eine 9mm Makarow, fallen. Diese Handfeuerwaffe wird in Russland vorzugsweise von Auftragskillern benutzt.

Politkowskaja schrieb für die zweimonatlich erscheinende Nowaja Gaseta, ein bürgerlich-demokratisches und gegenüber Putin kritisch eingestelltes Magazin, das teilweise von dem Milliardär Alexander Lebedew und dem ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow finanziert wird. Sie verbrachte die letzten sieben Jahre hauptsächlich damit, Hintergrundberichte über den Tschetschenienkrieg zu schreiben, für die sie mehr als 50 Reisen in die Kriegszone unternahm. Sie führte einfühlsame Interviews mit russischen Wehrpflichtigen, tschetschenischen Kämpfern und zwischen die Fronten geratenen Zivilisten.

Politkowskaja wurde in New York als Tochter eines russischen Ehepaares geboren, das für die sowjetische Vertretung bei den Vereinten Nationen arbeitete. Sie ist schon der dreizehnte Journalist bzw. Journalistin, die seit Putins Amtsübernahme im Jahre 2000 ermordet wurde. Sie alle waren entweder der Regierung oder mächtigen Wirtschaftsinteressen auf die eine oder andere Weise in die Quere gekommen. Fast keiner dieser Fälle wurde aufgeklärt.

Igor Jakowenko, der Generalsekretär der Russischen Journalistenunion, sagte: "Es steht außer Frage, dass sie wegen ihrer beruflichen Aktivitäten getötet wurde." Er meinte, dass der Zeitpunkt des Mordes - an Wladimir Putins Geburtstag und wenige Tage vor dem Geburtstag des tschetschenischen Potentaten Ramsan Kadirow - wohlmöglich eine grausige Anspielung war. "Scheinbar war das ein Geschenk für die beiden Führer", sagte er.

Die Internationale Journalistenföderation (IFJ) sagte, der Mord an Politkowskaja sei "eine schockierende Schandtat, die Journalisten in aller Welt erschüttert".

Politkowskaja hat mehrere Bücher geschrieben. Neben zwei Büchern über den Tschetschenienkrieg, darunter Tschetschenien - Die Wahrheit über den Krieg, ist von ihr auch In Putins Russland erschienen, in dem sie das korrupte russische Regime und seine Angriffe auf demokratische Rechte anprangert. Sie soll am Wochenende ihrer Ermordung an einem Artikel über Folter in Tschetschenien gearbeitet haben. Die Veröffentlichung war für Montag geplant, aber die Nowaja Gaseta hatte den Text nicht mehr erhalten.

Politkowskaja litt mit der tschetschenischen Bevölkerung und lehnte die militärische Besetzung Tschetscheniens durch Russland ab. Doch sie war auch eine Gegnerin des islamischen Fundamentalismus solcher tschetschenischer Terroristen wie Schamil Basajew, der im Jahre 2004 das Massaker an Schülern und Lehrern in Beslan organisiert hatte.

Eine oft zitierte Passage aus einem ihrer Tschetschenien-Berichte könnte ebenso gut über die USA im Irak oder zahllose andere Interventionen von Großmächten in kleineren Ländern geschrieben werden. "Die Armee und die Polizei, fast 100.000 Mann stark, streifen in einem Zustand völligen moralischen Verfalls durch Tschetschenien", schrieb sie. "Was kann man da anderes erwarten, als mehr Terrorismus und die Rekrutierung neuer Widerstandskämpfer?"

Wie einem Profil in der britischen Presse zu entnehmen ist, wurde Politkowskaja bei ihren Reportagen aus Tschetschenien mehrfach von russischen Spezialkräften festgenommen und mit Vergewaltigung und Mord bedroht. 2001 floh sie nach Österreich, nachdem sie eine besonders konkrete Todesdrohung eines Offiziers erhalten hatte. 2004 wurde sie auf dem Weg nach Beslan, wo sie über die Belagerung der Schule durch Sicherheitskräfte berichten wollte, offenbar vergiftet und entging nur knapp dem Tode.

Zwar hat der russische Generalstaatsanwalt Juri Tschaika erklärt, er werde persönlich die polizeiliche Untersuchung ihres Mordes leiten, weil der Fall "eine besondere Bedeutung hat und auf große Resonanz in der Gesellschaft stößt". Doch es ist mehr als wahrscheinlich, dass der Befehl zur Liquidierung Politkowskajas aus Putins Sicherheitsapparat, wenn nicht sogar aus der unmittelbaren Umgebung des Präsidenten kam.

Der Mord ist das zweite Attentat auf einen prominenten Moskowiter in weniger als einem Monat. Im September wurde Andrej Koslow erschossen, als er ein Fußballstadion verließ. Koslow bekämpfte im Auftrag der Zentralbank die Korruption und trat milliardenschweren Oligarchen und hohen Regierungsvertretern auf die Füße.

Putin selbst schweigt eisern zur Ermordung seiner entschiedenen Kritikerin, was nur als moralische Unterstützung für den Mord gewertet werden kann.

Damit bleibt Putin seinen Wurzeln treu. Er diente zwei Jahrzehnte im KGB und in dessen post-sowjetischer Nachfolgeorganisation, bevor er in höchste Ämter aufstieg. Ein ganzer Rattenschwanz ehemaliger Geheimpolizisten folgte ihm in den Kreml, die so genannten Solowiki. Diese verbinden die brutalen Unterdrückungsmethoden der stalinistischen Geheimpolizei - die für den Massenmord an den Trotzkisten und anderen Sozialisten verantwortlich war - mit der Korruption und der Gier der neuen russischen Elite.

Die so genannte "demokratischen Revolution", die in erheblichem Maße von den USA und anderen imperialistischen Mächten unterstützt und gelenkt wurde, ersetzte die dem Untergang geweihte stalinistische Herrschaft durch ein Regime, das die kapitalistische Restauration zu ihrem Programm erhoben hatte. Der Mord an Politkowskaja sagt alles über den Charakter dieses Regimes.

Siehe auch:
Putins Rede an die Nation: Spannungen zwischen USA und Russland nehmen zu
(17. Mai 2006)
Berlinale 2005: "Weiße Raben - Alptraum Tschetschenien"
( 18. Februar 2005)
Nach dem Geiseldrama von Beslan: Putin stärkt sein autoritäres Regime
( 16. September 2004)
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