Französische Polizei nimmt Dutzende srilankische Tamilen fest

Razzien gegen LTTE

Bei mehreren Razzien in verschiedenen Pariser Stadtteilen hat die französische Polizei seit dem ersten April Dutzende angeblicher Sympathisanten der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) festgenommen. Computer, Korrespondenzen, Dokumente, Literatur und eine große Summe Geldes wurden im Verlauf der Aktion beschlagnahmt.

Die Polizeiübergriffe richteten sich gegen Einrichtungen der LTTE. Die LTTE führt seit über zwanzig Jahren im Norden und Osten der Insel Sri Lanka einen bewaffneten Kampf für einen separaten Tamilenstaat. Betroffen von den Pariser Razzien sind das Tamilische Koordinationskomitee (TCC - bekannt als Fontorganisation der LTTE in Frankreich) und Läden, Fahrzeuge und Wohnungen angeblicher LTTE-Aktivisten.

Während die meisten der Verhafteten nur ein paar Stunden festgehalten und nach einem Verhör wieder auf freien Fuß gesetzt wurden, befinden sich einige immer noch im Gewahrsam. Am 5. April wurden 19 Personen dem Gericht vorgeführt. Laut Presseberichten verblieben danach 14 überwiegend führende LTTE-Vertreter weiter in Haft, darunter der Chef der Pariser LTTE, Nadaraja Matheenthiran, alias Parithi, der politische Chef für Europa, Duraisamy Aravindhan, alias Metha, und der LTTE-Finanzsekretär für Frankreich, Thuraisamy Jeyamoorthy, alias Sinna Jeyan.

Die Polizeiaktion begann am ersten April mit einer Razzia im Morgengrauen, bei der 39 Personen festgenommen wurden. Darauf folgten am 2., 3. und 4. April weitere Razzien bei helllichtem Tag, die bewusst auch auf eine Einschüchterung der Öffentlichkeit abzielten. Die Polizei riegelte ganze Gebiete ab, zum Beispiel im Bereich des Gare du Nord und in La Chapelle, wo tamilische Geschäfte durchsucht wurden und wo Besitzer, Angestellte und Kunden verhört wurden. Mit der LTTE sympathisierende Zeitungen, Zeitschriften, CDs und Videos wurden beschlagnahmt. Sämtliche Personen, die verdächtigt wurden, mit dem Spendennetz der LTTE in Frankreich in Verbindung zu stehen, wurden verhört, photographiert und gefilmt.

Die Razzien wurden von Kräften des "Antiterroristischen Direktorats" (SDAT) auf der Grundlage einer gerichtlichen Anordnung durchgeführt, die Staatsanwalt Jean-Louis Bruguière, Frankreichs oberster Richter in Sachen Terrorismus, erlassen hatte. Bruguière verfügt über sämtliche Vollmachten für Fälle, die mit "Terrorismus" in Verbindung stehen könnten, und hat schon mit mehreren Regierungen eng zusammengearbeitet.

Auf Anordnung von Richter Bruguière wird die LTTE seit mehreren Jahren systematisch überwacht. Im Februar 2006 führte die französische Regierung erste Ermittlungen durch. Nachdem die Europäische Union sie offiziell auf den Index gesetzt hatte, wurde die Organisation im Mai 2006 verboten und eine Untersuchung gegen sie eingeleitet.

Bruguière hatte 2003 Gespräche mit führenden Justizbeamten in Sri Lanka geführt. In Colombo hielt er am Institut von Sri Lanka für Internationale Beziehungen einen Vortrag. Vor einem Publikum von Offizieren und Diplomaten referierte er über die LTTE.

Die offizielle Rechtfertigung für die Razzien in den wenigen, bisher in Frankreich erschienenen Berichten lautet, die LTTE erpresse Spendengelder aus der tamilischen Gemeinde in Frankreich und bediene sich dabei brutaler Methoden. Laut offiziellen Dokumenten soll sie zu "Erpressung, physischer Gewalt und illegaler Freiheitsberaubung" gegriffen haben.

Am 5. April reichten französische Antiterrorrichter vorläufige Klagen gegen einige der Verhafteten ein. Sie werden der Erpressung, der Finanzierung des Terrorismus und der "kriminellen Beziehung zu einem terroristischen Unternehmen" beschuldigt. Diese Vorwürfe erlauben, Verdächtige auf der Grundlage von Terrorismusgesetzen zu verurteilen, ohne dass ihnen eine tatsächliche Beteiligung an terroristischen Akten nachgewiesen werden muss. Die Höchststrafe für diese Verbrechen beträgt zehn Jahren Gefängnis.

Die jüngsten französischen Antiterror-Gesetze, die 2005 vom Parlament verabschiedet wurden, machen es möglich, jeden, der des "Terrorismus" verdächtigt oder vage damit in Verbindung gebracht wird, willkürlich zu verhaften und - erst für 120 Tage, später durch Verlängerung unbefristet - in Haft zu halten.

Der LTTE wird bisher nicht vorgeworfen, in Frankreich "Terrorakte" begangen oder vorbereitet zu haben. Es gab auch noch keine staatliche Terrorwarnung.

Laut Presseberichten arbeitet die SDAT mit anderen Antiterrordiensten zusammen, z.B. in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland, Italien, Kanada und Australien. Zeigungen berichten, dass auch mit dem FBI und Scotland Yard der Austausch von Insiderwissen ausgezeichnet klappt. Dennoch gehen die französischen Behörden jetzt zum ersten Mal derart offen und rückhaltlos gegen die LTTE vor. Als die britische Regierung die LTTE im Februar 2001 verbot, verlegte diese ihre Aktivitäten teilweise nach Frankreich, das darauf zum europäischen Zentrum ihrer Operationen wurde.

Der jüngste polizeiliche Übergriff scheint Teil einer internationalen Aktion zu sein, deren Ziel darin besteht, die internationalen und speziell europäischen Operationen der LTTE zu neutralisieren. Nachdem die LTTE am 25. März einen Luftangriff auf den Flugplatz von Colombo durchgeführt hatte, ist es sehr wohl möglich, dass die srilankische Regierung ihre Bemühungen verstärkt, den Geldzufluss für die LTTE zu unterbinden, um die Organisation am Kauf von Waffen zu hindern.

Als Präsident Mahinda Rajapakse im November 2005 die Macht übernommen hatte, ließ die srilankische Regierung vorsätzlich den Waffenstillstand von 2002 platzen. Dies hat zu einer Ausweitung der brutalen Repression gegen Tamilen geführt. Rajapakse startete eine internationale Kampagne, um die LTTE als Terrororganisation zu isolieren. Im April 2006 verbot die kanadische Regierung die LTTE, und einen Monat später setzte auch die EU die LTTE wegen Terrorismus auf den Index. Der Übergriff von Paris ist mit der internationalen Kampagne der srilankischen Regierung auf einer Linie.

Die srilankische Regierung besteht aus einer Koalition chauvinistischer singhalesischer Parteien, zu denen die Janatha Vimukti Peramuna (JVP) und die Jathika Hela Urumaya (JHU) gehören. Die srilankische Armee eröffnete 2006 eine brutale Offensive und stellte im Norden und Osten der Insel ganze Regionen unter militärische Kontrolle. Sie verfolgte Tamilen im gesamten Land, verhaftete, tötete oder folterte wahllos Menschen tamilischen Ursprungs, die sie willkürlich beschuldigte, den Tamil Tigers anzugehören.

Die Reaktion der LTTE auf die Razzien und Verhaftungen in Paris bestand darin, Unterschriftenlisten zirkulieren zu lassen, auf denen ihre Spender bescheinigten, der LTTE alle Spenden freiwillig gegeben zu haben. Außerdem rief sie für den 9. April zu einer Demonstration am Trocadéro in Paris auf, um gegen die Polizeiübergriffe zu protestieren. LTTE-Sympathisanten aus ganz Europa wurden aufgefordert, daran teilzunehmen. Diese Demonstration war ursprünglich von der Pariser Präfektur genehmigt worden, wurde aber in der Folge verboten. Die Polizei schloss die Metrostation, um die Menschen daran zu hindern, sich der Kundgebung anzuschließen.

Trotz des Verbots versammelten sich 400 bis 500 Menschen am Eiffelturm, dem Trocadéro genau gegenüber. Sie ignorierten die Aufforderung der Polizei, nach Hause zu gehen. Daraufhin sprach ein grüner Abgeordneter aus dem Pariser Stadtteil La Courneuve, Anthony Russel, wie es heißt, auf Veranlassung der Polizei zu der Menge. Er überredete sie, ruhig auseinander zu gehen und die Kundgebung zu einem späteren Zeitpunkt abzuhalten.

Die LTTE ist eine separatistische Organisation, gestützt auf ethnische Identität und Kommunalismus. Die WSWS lehnt diese Perspektive ab. Sie kämpft in Sri Lanka für die Einheit der singhalesischen und tamilischen Massen. Obwohl sie mit der nationalistischen und separatistischen Perspektive der LTTE in keiner Weise übereinstimmt, verteidigt die WSWS jedoch das demokratische Recht dieser Organisation, eine politische Demonstration gegen solche staatlichen Übergriffe durchzuführen.

Ohne Zweifel bedient sich die LTTE brutaler Methoden, aber die Anschuldigungen der französischen Behörden sind eindeutig politisch motiviert. Sie stehen im Dienst der srilankischen Regierung und deren Armee, die für die systematische Massentötung ihrer politischen Gegner und unschuldiger Menschen verantwortlich ist. Diese Regierung führt schon fast dreißig Jahre lang einen blutigen Krieg gegen die tamilischen Separatisten und praktiziert staatlichen Terrorismus in weit größerem Ausmaß als die LTTE.

Die Armee und ihre paramilitärischen Helfer versuchen zur Zeit, ganze Schichten der srilankischen Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. In ganz Sri Lanka entführen und töten sie wahllos Tamilen, unabhängig von deren politischer Gesinnung.

Jeder, der den Krieg der srilankischen Armee gegen die Tamilen ablehnt, wird unterdrückt und läuft Gefahr, physisch liquidiert zu werden. Dies hat die Socialist Equality Party, die srilankische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, selbst erfahren. Vergangenen August wurde ein Sympathisant der SEP und bekannter Gegner des Kriegs und der LTTE in seinem eigenen Haus erschossen. Erst vor kurzem verschwand ein Mitglied der SEP in der Region Jaffna, nachdem er einen militärischen Checkpoint passiert hatte.

Die LTTE hat nach unserem Kenntnisstand zur Verhaftung ihrer Mitglieder in Frankreich bisher keinerlei offizielle Erklärung herausgegeben, weder in Frankreich noch in Sri Lanka, obwohl mittlerweile nicht nur in Sri Lanka und Frankreich, sondern in der ganzen tamilischen Weltgemeinde über die Razzien berichtet wurde.

Der Zeitpunkt der Razzien und das Vorgehen der Pariser Polizei sind ein Hinweis darauf, dass sie mehreren Zwecken gleichzeitig dienen. Sie sind Teil eines internationalen Schlages gegen die LTTE und nützen den Interessen der Regierung in Colombo. Sie dienen dem brutalen Krieg gegen die Tamilen, den die chauvinistische singhalesische Regierung in Colombo führt, und der außerdem die Unterstützung der Bush-Regierung genießt.

Ein weiteres wahrscheinliches Motiv für die Razzien besteht darin, dass sie die Glaubwürdigkeit von Richter Bruguière und Ex-Innenminister Nicolas Sarkozy im Kampf gegen den Terrorismus aufwerten sollen. Sarkozy ist Präsidentschaftskandidat der gaullistischen UMP (Union für eine Volksbewegung). Bruguière, der in ein paar Monaten aus seinem Amt ausscheiden will, hat vor zwei Wochen angekündigt, sich für die UMP um einen Abgeordnetensitz im Departement Lot et Garonne zu bewerben.

Siehe auch:
Präsidentenwahl in Frankreich: Vier von zehn Wählern unentschieden
(12. April 2007)
Prominente französische Intellektuelle unterstützen Präsidentschaftskandidatur von Nicolas Sarkozy
( 15. März 2007)
Frankreich: Sozialistische Partei bemüht sich um "linkes" Image für Ségolène Royal
( 6. März 2007)
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