SPD und Grüne wollen Truppen in Afghanistan aufstocken

Obwohl inzwischen rund zwei Drittel aller Deutschen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan ablehnen, will die Bundesregierung das Mandat verlängern, die Zahl der Soldaten erhöhen und den Einsatz möglicherweise auf den heftig umkämpften Süden ausweiten. Besonders energisch setzen sich die SPD und die nicht an der Regierung beteiligten Grünen für die Ausweitung des größten deutschen Militäreinsatzes seit dem Zweiten Weltkrieg ein.

Der Bundestag muss im Herbst über die Fortführung der drei verschiedenen Bundeswehrmandate in Afghanistan entscheiden: Den Einsatz von rund 3.000 Soldaten als Teil der Isaf-Truppen (International Security Assistance Force), den Einsatz von Tornado-Kampfflugzeugen zur Luftüberwachung mit 500 Soldaten, sowie den Einsatz von etwa 100 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) im Rahmen des "Anti-Terror"-Mandats "Operation Enduring Freedom" (OEF).

Im Bundestag gibt es, mit Ausnahme der Fraktion der Linken, kaum Widerstand gegen die Verlängerung der Mandate. Von den Spitzen der Regierungsparteien CDU, CSU und SPD wird sie uneingeschränkt unterstützt. SPD-Chef Kurt Beck hat sich, ebenso wie SPD-Fraktionschef Peter Struck, für die Verlängerung aller drei Mandate ausgesprochen. "Die Tendenz der SPD, das deutsche Engagement in Afghanistan fortzuführen, ist ganz eindeutig und klar," sagte Beck.

Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sprach sich für die Ausweitung des Einsatzes auf den Süden Afghanistan aus, wo besonders heftige - und vor allem für die Zivilbevölkerung verlustreiche - Kämpfe mit Aufständischen und Taliban toben. Das bisherige Isaf-Mandat beschränkt die Bundeswehr auf den Norden. "Ich bin dafür, das generelle Verbot aufzuheben", erklärte Arnold der Frankfurter Rundschau.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Unions-Bundestagsfraktionschef Volker Kauder (CDU) haben sich für eine Ausweitung des deutschen Militäreinsatzes ausgesprochen. "Ich plädiere dafür, unsere Hilfe bei der Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Armee auszuweiten", sagte Steinmeier der Bild-Zeitung. Der Kommandeur der Isaf, US-General Dan McNeill, hatte zuvor in einem ARD- Hörfunkinterview angekündigt, er wünsche sich für die Isaf ungefähr 500 bis 1.000 Soldaten mehr, zum Großteil aus Deutschland.

In der Bevölkerung wächst inzwischen der Widerstand gegen den Afghanistan-Einsatz. Laut einer Umfrage des Deutschland-Trends sprechen sich rund zwei Drittel (64 Prozent) der deutschen Bevölkerung für einen Truppenrückzug aus. Das sind zehn Prozentpunkte mehr als vor zwei Monaten. Die meisten Gegner finden sich unter den Wählern der Linken (82 Prozent), gefolgt von der SPD (66 Prozent) und der Union (55 Prozent). Bei den Wählern der Grünen (53 Prozent) und der FDP (43 Prozent) ist die Ablehnung am geringsten.

Auch jedes zweite SPD-Mitglied lehnt einer Meinungsumfrage zufolge den Bundeswehreinsatz grundsätzlich ab. Dies spiegelt sich auch in der Bundestagsfraktion wieder. Als im März im Bundestag über die Entsendung der sechs Tornado-Aufklärungsflugzeuge abgestimmt wurde, votierten 69 der 222 SPD-Abgeordneten dagegen.

Die zunehmenden Angriffe auf die in Afghanistan stationierten Truppen, die hohe Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung, die wachsende Zahl gefallener deutscher Soldaten und die Häufung von Geiselnahmen haben die Mär durchlöchert, bei dem Einsatz handle es sich um eine "Friedenmission".

Vor allem die jüngsten Geiseldramen haben eine starke Diskussion ausgelöst. Das Schicksal der 23 koreanischen Geiseln, die sich in den Händen der Taliban befinden, wird in der deutschen Öffentlichkeit intensiv verfolgt. Von den beiden deutschen Ingenieuren, die vor drei Wochen als Geiseln genommen wurden, ist der eine laut Obduktionsberichten erschossen worden, während sich der zweite, der 62jährige Rudolf B., immer noch in der Hand der Entführer befindet.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes leben und arbeiten derzeit rund 500 deutsche Zivilisten in Afghanistan, zum Teil für Aufbaumaßnahmen und humanitäre Hilfe, zum Teil für Firmen, die an Afghanistan tätig sind. Auch Investoren-Beratung ist ein Tätigkeitsfeld für deutsche Zivilisten.

Die Mär von der Friedensmission

Trotz der breiten Ablehnung in der Bevölkerung sind die Spitzen von SPD und Grünen entschlossen, die Verlängerung und Ausdehnung des Mandats mit Brachialgewalt durchzusetzen.

Die Entscheidungen des Bundestags über die Afghanistan-Mandate fallen zeitlich mit dem SPD-Parteitag in Hamburg Ende Oktober zusammen. Isaf und Tornado-Mandat müssen kurz vorher entschieden werden, während über OEF (Operation Enduring Freedom) auch noch im November im Bundestag abgestimmt werden kann.

Um die Partei auf Linie zu bringen und eine Aufstockung durchzusetzen, wärmen die Spitzenpolitiker die Mär von der Friedensmission deutscher Soldaten auf. "Zivile Projekte können nur unter militärischem Schutz durchgeführt werden. Sonst gehen die Leute da nicht hin. Zivile und militärische Kräfte gehören in ihrer Verstärkung zusammen", sagte der SPD-Bundestagsabgeordneter Jörg Thießen.

SPD-Fraktionschef Peter Struck erklärt, die deutschen Soldaten seien in der Pflicht, den afghanischen Staat und dessen Sicherheitskräfte aufbauen zu helfen. "Ein Staat ohne Militär und ohne Polizei ist kein Staat."

Im Gegenzug, so wird innerhalb der SPD diskutiert, könne die Verlängerung des OEF-Mandats beschnitten oder sogar gänzlich abgelehnt werden.

Struck, der nach dem 11. September 2001 als Verteidigungsminister gemeinsam mit Kanzler Schröder der Bush-Regierung "uneingeschränkte Solidarität" versprochen hatte, lehnt dies zwar ab. Doch die so genannten "Linken" in der SPD haben die Operation Enduring Freedom (OEF) in den Mittelpunkt ihrer Kritik gestellt, um die Zustimmung zur Verlängerung des Isaf-Mandats zu erhalten. Die US-Soldaten seien rücksichtslos, unverhältnismäßig in ihrem Vorgehen und für die vielen zivilen Opfer sowie das Wiedererstarken der Taliban verantwortlich.

Die Spitze der Grünen ist mit ähnlichen Hürden konfrontiert. 44 grüne Kreisverbände haben einen Sonderparteitag durchgesetzt, der am 15. September alle drei Afghanistan-Mandate diskutieren soll. Am Ende wird eine Zustimmung wie bei der SPD stehen. Der Gelsenkirchener Robert Zion, Mitinitiator des Sonderparteitags, erklärte: "Ein Sofort-raus-aus-Afghanistan-Beschluss hätte keine Chance und wäre unverantwortlich." Er wünsche sich einen "Zeitplan für einen Friedensprozess".

"Am Ende wird es einen abgestimmten Antrag geben, der auch die Tornados anspricht", prophezeit Jürgen Trittin, für Außenpolitik zuständiger Bundestagsfraktionsvize der Grünen. Mit anderen Worten, ein "Kompromiss, der grüne Parlamentarier nicht in die Verlegenheit bringen wird, explizit gegen einen Parteitagsbeschluss zu verstoßen, wenn sie wieder für die Tornados stimmen", kommentiert Spiegel online.

Auch Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer geht davon aus, dass die Mehrheit seiner Partei weiter zum Isaf-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan steht. Bütikofer sprach sich, wie viele innerhalb der SPD, für eine Ausweitung des Isaf-Einsatzes aus und forderte zugleich ein Ende der Beteiligung an der Operation Enduring Freedom.

Der deutsche Afghanistan-Beauftragte der Vereinten Nationen, Grünen-Mitglied Tom Koenigs, stieß im Interview mit Spiegel online ins gleiche Horn. Er plädierte für eine Ausweitung des deutschen Engagements in Afghanistan "Die meisten Afghanen wollen nicht weniger, sondern mehr westliche Truppen, um die Sicherheit zu verbessern", behauptete er. Wen er mit "die meisten Afghanen" meint, erklärte er nicht. Aber im Interview gestand er ein, dass er selbst aufgrund der Sicherheitslage keinen Kontakt mehr zur Bevölkerung habe. Er bewege sich nur noch schwer bewacht in gepanzerten Konvois. Koenigs erklärte: "Man muss sich der Herausforderung stellen und energisch Kurs halten."

Die Unterscheidung zwischen dem guten Isaf-Einsatz, der den zivilen Aufbau des Landes schütze und Frieden und Demokratie bringe, sowie dem bösen OEF-Mandat, das Tod und zivile Opfer verursache, ist grober Unfug und eine dreiste Lüge. UN-Sprecher Dan McNorton erklärte kürzlich: "Die afghanische Bevölkerung unterscheidet nicht, wer diese Operationen durchführt, wie einige von uns internationalen Kräften das tun."

In der Tat sind Isaf- und OEF-Mandat eng aufeinander abgestimmt. Isaf-Truppen werden immer wieder in Kampfeinsätze verwickelt, vor allem im Süden Afghanistans. Dabei kämpfen Isaf- und OEF-Soldaten nicht selten Seite an Seite.

Die Daten aus den Aufklärungsflügen der Tornados werden auch an das OEF-Kommando weitergeleitet und zu Bombenabwürfen genutzt, die zahlreiche zivile Opfer fordern. Und die an die OEF gebundenen 100 KSK-Soldaten werden praktisch seit zwei Jahren nicht mehr vom OEF-, dafür aber vom Isaf-Kommando angefordert.

Imperialistische Interessen

Die Skrupellosigkeit, mit der sich SPD, Grüne und Bundesregierung über die wachsende Opposition gegen den Einsatz der Bundeswehr zur weltweiten Verteidigung deutscher Interessen hinwegsetzen, erinnert zunehmend an die Bush-Administration.

Die strategische Bedeutung Afghanistans ist offenkundig. Im Westen grenzt das Land an den Iran mit seinen Ölressourcen. Es dient außerdem als Sprungbrett zum Kaspischen Meer mit seinen riesigen Öl- und Gasvorkommen sowie nach China. Der Afghanistankrieg bot den USA die einmalige Gelegenheit, in den ehemaligen zentralasiatischen Regionen der Sowjetunion Fuß zu fassen. Deutschland als größte wirtschaftliche Macht Europas darf da nicht außen vor stehen.

Deshalb stimmen die Regierungsparteien mit Grünen und FDP überein, dass der deutsche Kriegskurs fortgesetzt und intensiviert werden muss. Schon vor dreieinhalb Jahren erklärte Peter Struck, damals Verteidigungsminister (SPD), die deutsche Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt. CDU-Fraktionschef Kauder sagt heute: "Für unsere Sicherheit in Deutschland ist der Einsatz der Bundeswehr [in Afghanistan] sehr wichtig." SPD-Chef Beck sprach die Hoffnung aus, der Afghanistan-Einsatz des deutschen Militärs werde nicht länger als weitere zehn Jahre dauern.

Hinter der Formel von der friedensstiftenden und demokratiebringenden Mission deutscher Soldaten in aller Welt verbirgt sich die Wiedergeburt des deutschen Militarismus. Im Namen von "Freiheit" und "Demokratie" erhebt der deutsche Militarismus wieder sein Haupt - mit tatkräftiger Unterstützung der SPD und der Grünen.

Siehe auch:
Drei tote Bundeswehrsoldaten in Kundus
(23. Mai 2007)
Bundestag stimmt Tornado-Einsatz in Afghanistan zu
( 13. März 2007)
Die neue Rolle der Bundeswehr: Bundesregierung legt Weißbuch vor
( 10. November 2006)
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