Albanische Regierung beschließt umfangreiche Steuersenkung

Mit der Einführung einer Einheitssteuer (Flat Tax) von 10 Prozent hat sich Albanien im Wettbewerb osteuropäischer Staaten, durch Steuersenkungen ausländisches Kapital anzuziehen, an die Spitze gesetzt. Die Regierung in Tirana ist dabei, den völlig verarmten Balkanstaat in ein Paradies für multinationale Konzerne und westliche Investoren zu verwandeln.

Ab Anfang kommenden Jahres müssen Unternehmen nur noch 10 statt bisher 20 Prozent ihrer Gewinne an den Fiskus abführen. Die Einkommenssteuer, die bisher für durchschnittliche Einkommen 5 und für Spitzenverdiener maximal 25 Prozent betrug, ist schon am 1. August auf einheitliche 10 Prozente festgesetzt worden.

Doch damit nicht genug. Im August hat Regierungschef Sali Berisha angekündigt, der Staat werde ausländischen Investoren Bauland zum symbolischen Preis von einem Euro zur Verfügung stellen. Auch Konzessionen für gesellschaftlich unverzichtbare Dienstleistungen -wie Gesundheitswesen, Bildung, Wasserver- und entsorgung, Müllentsorgung, Infrastruktur, Energie und Rohstoffförderung - sollen für einen Euro an Privatunternehmen verhökert werden.

Sollte ein potentieller Investor trotzdem noch durch drohende Zölle abgeschreckt werden, so will die albanische Regierung auch dem abhelfen. Ein Gesetz über Freihandelszonen ist in Vorbereitung und soll noch im Oktober vom Parlament verabschiedet werden.

Regierungsvertreter werden nicht müde zu behaupten, die Reform des Steuersystems habe ausschließlich Vorteile. Die angezogenen ausländischen Investoren würden das Steueraufkommen erhöhen, die Transparenz werde verbessert und die grassierende Schwarzarbeit bekämpft.

Tatsächlich trifft nichts davon zu. Die Halbierung der Unternehmenssteuern wird zu massiven Einbrüchen im Staatshaushalt führen, der aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der weit verbreiteten Schwarzarbeit ohnehin chronisch unterfinanziert ist. Der Staat hat sich bislang aus nahezu allen öffentlichen Aufgaben - wie Gesundheitsversorgung, Bildung oder Infrastruktur - zurückgezogen. Sinken die Einnahmen noch weiter, verschärft sich diese Situation.

Leidtragende der Reform sind vor allem die untersten Einkommen. Durch die Erhöhung der Steuern auf die niedrigsten Einkommen von derzeit 5 auf 10 Prozent finanzieren diese die Steuererleichterungen für Unternehmen und hohe Einkommen. Gleichzeitig sind sie von den Auswirkungen der sinkenden Steuereinnahmen am stärksten betroffen.

Bereits jetzt gleicht das Land nach 16 Jahren kapitalistischer "Reformen" einem wirtschaftlichen und sozialen Katastrophengebiet. Die wenigen profitablen staatlichen Industriebetriebe wurden verscherbelt. Soziale Leistungen existieren, wenn überhaupt, nur auf dem Papier.

Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt zwischen 10 und 15 Prozent. Diese Statistik ist allerdings völlig wertlos, weil darin nur jene erfasst sind, die die lächerlich geringe öffentliche Unterstützung erhalten, die ohnehin nur an einen Bruchteil der Bedürftigen ausgezahlt wird. Würde man die Arbeitslosigkeit nach Kriterien berechnen, wie sie in Westeuropa angewendet werden, käme man auf 45 bis 50 Prozent.

Viele Albaner sind gezwungen, sich mit Schwarzarbeit durchzuschlagen. Schätzungen zufolge liegt die Quote derer, die sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt finanzieren, bei rund 30 Prozent. Die Zahl der Auswanderer, die auf der Suche nach Arbeit ins Ausland gehen, steigt ständig. Mittlerweile arbeiten so viele Albaner im Ausland und unterstützen ihre daheim gebliebenen Angehörigen, dass die privaten Geldflüsse aus dem Ausland höher sind als die Erlöse aller albanischen Exporte.

Wer einen offiziellen Arbeitsplatz hat, muss von Hungerlöhnen leben. Ein Lehrer verdient im Durchschnitt 150 Euro, Fabrikarbeiter zwischen 80 und 120 Euro im Monat. Ein Rentner muss mit durchschnittlich 50 Euro pro Monat leben, bei Preisen, die nach den ständigen Steigerungen der letzten Jahre nur noch wenig unter denen Westeuropas liegen. In der vergangenen Woche kündigte Berisha beispielsweise eine Erhöhung der Strompreise um bis zu 57 Prozent an.

Die staatlichen Einrichtungen sind hoffnungslos veraltet und unterfinanziert. Ausreichende Bildung und Gesundheitsversorgung bleiben weiten Teilen der Bevölkerung verwehrt. Eine Krankenhausbehandlung ist in den meisten Fällen nur gegen Zahlung von Bestechungsgeldern möglich. Vor zwei Jahren lag das Land auf dem internationalen Korruptionsindex an vorletzter Stelle aller europäischen Staaten.

Auch die Landwirtschaft befindet sich in einem fürchterlichen Zustand. Die landwirtschaftlichen Reformen Anfang der neunziger Jahre hatten verheerende Auswirkungen. In den 80er Jahren betrug der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt rund 40 Prozent. Heute sind es nicht einmal mehr 4 Prozent. In den ländlichen Gegenden sind die Menschen heute weitgehend auf Selbstversorgung angewiesen.

Die Steuerpolitik der Regierung zieht internationale Firmen an, die durch die Ausbeutung von Rohstoffen und billigen Arbeitskräften das große Geld machen wollen. Die britische MedOil sowie die Steamoil Gas Limited wollen umfangreiche neue Erdölbohrungen durchführen. Offiziellen Gutachten nach liegen etwa 1,8 Milliarden Barrel unerschlossenes Erdöl auf albanischem Gebiet.

MedOil hat sich die Rechte an den Ölfeldern auf 20 Jahre hinaus gesichert. Dabei muss das Unternehmen gerade einmal 10 Prozent der Gewinne aus der Erdölförderung im Lande belassen. Weitere Konzerne, wie die kanadischen Bankers Petroleum oder Occidental Petroleum, sind bereits seit einigen Jahren im Lande aktiv. Darüber hinaus entdecken westeuropäische Unternehmen, vor allem aus Deutschland und Österreich, den Bau- und Bankensektor für sich entdeckt und investieren verstärkt in Albanien.

Rivalisierende Cliquen

Wie viele andere osteuropäische Ländern auch wird Albanien von kleinen, korrupten Cliquen regiert, die direkt aus der alten stalinistischen Herrscherschicht hervorgegangen sind, das ehemalige Staatseigentum unter sich aufgeteilt haben und sich erbitterte Fehden und Verteilungskämpfe liefern. Das gilt sowohl für die Sozialistische Partei, die 1991 aus der stalinistischen Staatspartei PAA hervorgegangen ist, als auch für die Demokratische Partei des gegenwärtigen Regierungschefs Sali Berisha.

Berisha verkörpert wie kaum ein anderer die verkommene Elite des Landes. Die albanische Bevölkerung hat nicht zum ersten Mal unter seiner Skrupellosigkeit und seiner rechten, marktradikalen Politik zu leiden.

Der ehemalige Leibarzt von Enver Hoxha, der das Land bis zu seinem Tod 1985 diktatorisch regiert hatte, war hochrangiger Funktionär der Staatspartei PAA. Während der Studentenunruhen 1990, die den Zusammenbruch des stalinistischen Regimes einleiteten, hatte er noch versucht, die Aufständischen in Gesprächen zu besänftigen. Wie so viele andere Bürokraten in Osteuropa wandelte er sich daraufhin zum glühenden Antikommunisten und Verfechter der freien Marktwirtschaft.

Die Demokratische Partei (PD) rief Berisha als Konkurrenzorganisation zur Sozialistischen Partei (SP) ins Leben. Trotz ihrer erbitterten Rivalität unterscheiden sich die beiden Parteien, die in Bündnissen mit mehreren kleinen Parteien das politische Leben Albaniens bestimmen, politisch kaum voneinander. Beide trieben nach 1991 die politischen und wirtschaftlichen "Reformen" voran.

1992 löste Berisha den Sozialisten Ramiz Alia als Staatspräsident ab. Zusammen mit Premierminister Aleksander Meksi (PD) ließ er das ohnehin wirtschaftlich und sozial rückständige Land völlig ausbluten. Seinen Höhepunkt fand dies, als Berisha Mitte der neunziger Jahre die zwielichtigen Finanzgesellschaften unterstützte, die mit den so genannten "Pyramidenfonds" einen Großteil der Ersparnisse der Bevölkerung in ihre eigenen Kassen umleiteten. Die hochriskanten Geldanlagen, die Anfang 1997 quasi wertlos wurden und umgerechnet ein- bis eineinhalb Milliarden Euro vernichteten, waren in den Jahren zuvor von der Regierung als Segen der Marktwirtschaft und Garantie auf Wohlstand gepriesen worden.

Als sie platzten, kam es zu Aufständen und Unruhen im ganzen Land. Rathäuser wurden in Brand gesteckt und Kasernen überfallen und geplündert. Im März 1997 verhängte Berisha den Ausnahmezustand und akzeptierte den Rücktritt der Regierung Meksi. Im selben Jahr verlor er das Präsidentenamt an den Sozialisten Rexhep Meidani. Mit Hilfe des italienischen Militärs gelang es schließlich, die Aufstände niederzuschlagen.

Acht Jahre später kehrten Berisha und die PD an die Macht zurück. Die Sozialisten hatten sich vollständig diskreditiert. Die hatten alles getan, um den Anforderungen von IWF und Weltbank Folge zu leisten, die wenigen profitablen Industriebetriebe des Landes privatisiert, soziale Leistung eingeschränkt oder aufgehoben und die Reallöhne gesenkt. Die Sozialisten strebten - wie die Demokraten - den Beitritt zur Nato und EU und die Erleichterung internationaler Investitionen an.

Die letzte Runde der Auseinandersetzung zwischen den beiden Parteien liegt erst wenige Wochen zurück. Bamir Topi, Berishas Stellvertreter im demokratischen Parteivorsitz, wurde Ende Juli vom Parlament im fünften Wahlgang zum neuen Präsidenten gewählt - mit den Stimmen von sechs abtrünnigen sozialistischen Abgeordneten, denen der SP-Vorsitzende Edi Rama prompt vorwarf, sie hätten sich korrumpieren lassen.

Berisha feierte den Wahlerfolg seines Kandidaten mit den Worten: "Es ist ein großer Sieg für jeden albanischen Bürger, der seine Zukunft in der Integration Albaniens in die Nato und die EU sieht." Glückwünsche kamen auch aus dem benachbarten Kosovo, dessen Präsident Fatmit Sejdiu den Wahlerfolg Topis als deutliches Signal für die - von der EU befürworteten - Unabhängigkeit des Kosovo wertete.

Steuerwettbewerb

Die weitgehende Befreiung der Unternehmen und Reichen von Steuern ist kein albanisches Phänomen. Sie ist die Konsequenz eines Steuerwettlaufs, der seit Jahren in ganz Ost- und verstärkt auch in Westeuropa stattfindet.

In der so genannten "ersten Runde" in den neunziger Jahren hatten die baltischen Staaten begonnen, die Unternehmens- und Einkommensteuern drastisch zu senken. Sie führten Steuersätze zwischen 25 und 29 Prozent ein. Mittlerweile verzeichnen diese Staaten mit Ausnahme einiger "Sonderwirtschaftszonen" einen leichten Abzug ausländischer Unternehmen, da diese Sätze vielen Konzernen zu hoch sind.

Die "zweite Runde" eröffnete Russland 2001 mit einer Senkung der Einkommens- und Unternehmenssteuer. 2003 folgte Serbien, wo eine Flat Tax von 14 Prozent eingeführt wurde. Bis 2005 zogen die Ukraine, die Slowakei, Georgien und Rumänien nach.

Die "neue Runde" wurde nun mit Steuersenkungen in Tschechien und Albanien begonnen. Weitere Pläne für radikale Steuersenkungen gibt es derzeit in Bulgarien, Kroatien und anderen Staaten.

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