Schweiz: Rechtspopulist Blocher abgewählt

Mit der Abwahl von Justizminister Christoph Blocher steht das seit 48 Jahren bestehende Schweizer Regierungssystem vor dem Ende.

Blocher war am Mittwoch bei der Neuwahl des siebenköpfigen Bundesrats überraschend nicht in seinem Amt bestätigt worden. An seiner Stelle wurde Eveline Widmer-Schlumpf gewählt, die wie Blocher der Schweizerischen Volkspartei (SVP) angehört, aber im Gegensatz zum Rechtspopulisten Blocher als liberal gilt. Die 51-jährige Finanzministerin des Kantons Graubünden hatte gar nicht für das Amt kandidiert. Sie wurde mit den Stimmen der Sozialdemokraten (SP), der Christdemokraten (CVP) und der Grünen gewählt, die sich heimlich zu ihrer Wahl verabredet hatten.

Trotz erheblichem Druck aus der eigenen Partei nahm Widmer-Schlumpf die Wahl nach einem Tag Bedenkzeit an. Die SVP schloss darauf Widmer-Schlumpf und den zweiten SVP-Bundesrat Samuel Schmid aus der Parlamentsfraktion aus und erklärte, sie werde in die Opposition gehen.

SVP-Fraktionschef Caspar Baader warf den versammelten Parlamentariern vor, sie hätten das bewährte Regierungssystem der Schweiz zerstört und einem "kurzsichtigem Machtrausch" geopfert. Die SVP werde nun eine konsequente Oppositionspolitik betreiben und mittels Initiativen und Referenden Druck auf Parlament und Regierung ausüben.

Blocher erklärte, er schwanke "zwischen Erleichterung, Enttäuschung und Empörung". Das Parlament könne Politiker aus der Regierung entfernen, nicht aber aus der Politik. "Ich scheide aus dem Bundesrat, aber nicht aus der Politik", rief er in den Ratssaal. Während seiner Amtszeit seien im Namen von Konkordanz, Kollegialität und Amtsgeheimnis "viel Dreck und Dinge zugedeckt worden, die niemand sehen durfte". Nun könne er endlich wieder ohne Einschränkung sagen, was er denke, drohte er.

Die Schweizer Regierung befindet sich damit in der merkwürdigen Situation, dass die SVP zwar zwei von sieben Ministern stellt, diese aber von der eigenen Fraktion nicht unterstützt werden und die Partei selbst sich in frontaler Opposition befindet. Die Folge wird wachsende politische Instabilität sein.

Die SVP hatte bei den Parlamentswahlen im Oktober fast 30 Prozent der Stimmen erhalten und stellt damit die größte Fraktion im Nationalrat, wo sie 62 der 200 Abgeordneten stellt. Selbst wenn sich der liberale Flügel von der Partei abspaltet und die beiden Bundesräte Schmid und Widmer-Schlumpf unterstützt, würde eine systematische Opposition durch die rechte Mehrheit um Blocher das Schweizer Konkordanzsystem sprengen.

Die sogenannte "Konkordanzdemokratie" ist die spezifisch schweizerische Form des sozialen Kompromisses, wie er in der Nachkriegsperiode in allen europäischen Ländern vorherrschte. Politische Entscheidungen werden nicht im offenen Kampf politischer Parteien getroffen, sondern in einem fein austarierten System der Konsenssuche. Zentraler Bestandteil ist die Allparteienregierung, die seit 1959 in nahezu unveränderter Form besteht. Nach der sogenannten "Zauberformel" stellten Freisinnige, Sozialdemokraten und Christdemokraten jeweils zwei, die SVP einen Minister. Die Zauberformel wurde erstmals 2003 geändert, als mit Blocher ein zweiter SVP-Mann in den Bundesrat einzog. Die CVP verlor damals einen Sitz.

Zu den ungeschriebenen Regeln der Konkordanzdemokratie gehört auch, dass Minister so lange wiedergewählt werden, bis sie freiwillig zurücktreten. Blocher ist erst der vierte Bundesrat in der 159-jährigen Geschichte der modernen Schweiz, der aus seinem Amt abgewählt wurde. Dass ein anderer als der von der eigenen Partei vorgeschlagene Kandidat gewählt wurde, kam in den letzten fünfzig Jahren nur drei Mal vor. Es betraf immer Sozialdemokraten, die sich dem Diktat der anderen Parteien jedes Mal beugten.

Mit dem Aufstieg Blochers zeigte das Konkordanzsystem erste Risse. Wachsende soziale Spannungen konnten in einem System, in dem alle großen Parteien, einschließlich der Sozialdemokratie, einhellig zusammenarbeiten, keinen politischen Ausdruck finden. Das machte sich Blocher zunutze.

Mit einer hemmungslosen populistischen Demagogie lenkte er soziale Ängste in chauvinistische Kanäle. Ausländerfeindlichkeit, Law and order und Ablehnung der EU sind die Kernpunkte seines Programms. Wirtschaftspolitisch vertritt der Multimilliardär ultraliberale Standpunkte: Steuersenkungen, harter Sparkurs, Reduzierung der Sozial- und sonstigen Staatsausgaben. Blocher baute die beschauliche, ländlich-protestantische SVP zu einer schlagkräftigen Partei aus, die mit großem finanziellen Aufwand auch in den Städten Stimmen gewann.

Blochers Abwahl löste in- und außerhalb des Parlaments Jubel aus. Vor dem Berner Bundeshaus jubelten etwa 1.500 Demonstranten über die Abwahl des Rechtspopulisten. Im Ratssaal fielen sich Grüne und Sozialdemokraten in die Arme. Doch diese Freude ist verfrüht.

Blocher verdankt seinen Aufstieg vor allem dem Bankrott der anderen Parteien, die es nicht wagen, ihm offen und wirksam entgegen zu treten. Dies ist derart offensichtlich, dass es während der Wahl vom Oktober zum Gegenstand zahlreicher Kommentare wurde.

Die Art und Weise, wie Blocher nun abgewählt wurde - durch heimliche Vereinbarungen hinter den Kulissen -, dürfte kaum dazu angetan sein, ihn zu schwächen. Sie verleiht ihm höchstens noch die Aura eines Märtyrers. Die Grünen, mit fast zehn Prozent der Stimmen bisher nicht in der Regierung vertreten, zogen sogar im letzten Moment ihren eigenen Kandidaten Luc Recordon zurück, um die Wahl Widmer-Schlumpfs sicher zu stellen.

Widmer-Schlumpf wiederum steht keineswegs links. Sie Tochter eines früheren Bundesrats gehört zwar nicht dem Blocher-Flügel der Partei an, sie wohnt aber in unmittelbarer Nähe zu dessen Chemiefabrik und unterhält gute Beziehungen zu ihm.

Selbst die konservative Neue Zürcher Zeitung betont, Widmer-Schlumpf sei keine Linke: "Finanz- und wirtschaftspolitisch verficht sie sonst einen stramm bürgerlichen Kurs, über den sich dereinst ein Teil jener, die sie nun gewählt haben, noch ärgern könnte."

Siehe auch:
Rechtsruck und Polarisierung bei Wahlen in der Schweiz
(23. Oktober 2007)
Schweiz: Wahlkampf deckt tiefe Brüche in der Gesellschaft auf
(19. Oktober 2007)
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