Beschäftigte der Gießener Uniklinik berichten

"Gesundheit gehört nicht in private Hände"

Korrespondenten der World Socialist Web Site haben mit Krankenschwestern, -schülerinnen und weiteren Beschäftigten des Gießener Uniklinikums über die Folgen der Privatisierung gesprochen. Die Einrichtung ist im Juli 2005 mit der Marburger Uniklinik zusammengelegt und im Januar 2006 von der Landesregierung an den bundesweit größten privaten Klinikbetreiber, die Rhön-Klinikum AG, verkauft worden.

Wenige Tage zuvor, am 30. November, hatte Ver.di zu einem zweistündigen Warnstreik aufgerufen. Obwohl dieser eine sehr gute Resonanz unter der Belegschaft fand und sich überraschend viele daran beteiligten, schloss die Gewerkschaft unmittelbar danach einen neuen Haustarifvertrag mit den Rhön-Kliniken ab.

Vor dem Wohnhaus der PflegeschülerInnen sprachen wir mit Klara, die eine Ausbildung im Bereich Gynäkologie macht. Sie berichtete uns: "Die Ausbildung ist für uns kostenlos, allerdings müssen wir zwanzig Stunden pro Woche und zusätzlich an einem Samstag im Monat im Klinikum arbeiten. Wir machen bei der Gynäkologie eine Menge mit. Manchmal fehlt Personal, statt vier Leute sind dann eben drei für die gleiche Arbeit zuständig.

Viele Auszubildende haben beim Warnstreik am 30. November mitgestreikt. Wir fühlen uns solidarisch mit den Physiotherapeuten, die durch den neuen Vertrag mit der Rhön-Klinik um zwei Lohnstufen heruntergesetzt werden."

Anne, eine weitere Schülerin, berichtet: "Ich finde die Privatisierung gar nicht gut. Ich verdiene 540 Euro brutto; auf die Stunde umgerechnet bekomme ich 2,80 Euro heraus. Ich bin im zweiten Lehrjahr und muss eine Vierzigstundenwoche machen. Als der Warnstreik kam, ging ein Brief durch die Abteilung, dem zufolge es nicht rechtens sei, zu streiken. Man musste sich extra austragen, wenn man sich beteiligte. Dabei war es ein offiziell angemeldeter Streik. Ich arbeite eigentlich beim Roten Kreuz, und dort hatte man uns ebenfalls offen gesagt, wir dürften nicht streiken - was gar nicht stimmte."

Eine weitere Krankenschwesternschülerin, die kurz vor dem Abschluss steht, will ungern vor der Kamera reden, weil sie um ihre Stelle fürchtet. Sie berichtet, dass viele Stationen mit sehr wenig Personal arbeiten; meist seien einer einzigen ausgebildeten Krankenschwester mehrere Schülerinnen zugeordnet. "In der allgemeinen Chirurgie ist eine Station ganz geschlossen worden. Viele Stationen kommen eigentlich gar nicht ohne die Schülerinnen aus. Dabei ist die Arbeit sehr anspruchsvoll", sagte sie.

Mehrere Beschäftigte, die wir auf ein Interview ansprechen, reagieren mit Zurückhaltung, da sie offensichtlich eingeschüchtert worden sind. Eine Krankenschwester sagt direkt: "Bei dem Arbeitgeber sage ich nichts..."

Immer wieder hören wir, dass das Klinikum einen großen Teil der Arbeitslast durch kostengünstiges Personal wie Schülerinnen, Zivildienstleistende, Praktikanten und befristete Arbeitskräfte auffängt.

In der Unfallchirurgie bestätigt uns eine examinierte Schwester, die ebenfalls ihren Namen nicht nennen möchte, die angespannte Personalsituation. Bereits vor der Privatisierung sei Personal reduziert worden, berichtet sie. Sie habe schon die Ausbildung hier gemacht, schon damals sei es personalmäßig schwach besetzt gewesen. Aber heute könne man von Qualität in der Pflege nicht mehr sprechen. "Seit der Privatisierung sind hier viele Kollegen weggegangen", berichtete sie. "Sechs examinierte Leute sind in unserer Abteilung gegangen, aber keiner kam nach."

Sie berichtet, dass sie zahlreiche sehr schwierige Patienten zu betreuen habe. "Wenn die Patienten zum Beispiel Wirbelsäulenverletzungen haben, dann muss man sie eigentlich zu zweit oder zu dritt umdrehen. Wie haben keine Aufstehpatienten, sondern Leute, die von Kopf bis Fuß kaputt sind. Für dreißig Patienten waren hier früher vier Examinierte, heute sind es nur noch zwei." Die Arbeit sei natürlich die gleiche geblieben. Hinzu kämen noch das ständige Einspringen an freien Tagen, die Überstunden und die fehlenden Pausen.

"Ich kann hier nicht eine halbe Stunde wegbleiben", sagt sie. "Das Telefon klingelt, die Angehörigen kommen und die Schüler wollen auch angelernt werden. Ich komme kaum dazu, mal einen Schluck Wasser zu trinken und eine Scheibe Brot zu essen. Ich habe keine Möglichkeit, in der Pause eine halbe Stunde in den Frühstücksraum zu gehen. Bei meiner Freundin ist es noch schlimmer: Sie arbeitet in einem anderen Krankenhaus, in der Neurologie. Dort arbeitet eine Schwester allein mit einem Praktikanten auf einer Station von dreißig Betten mit Schlaganfallpatienten."

In der Urologie treffen wir Schwester Annette. Sie sagt: "Die Rhönkliniken wollen zwar nicht, dass dies nach außen dringt, aber hier ist die Personalsituation manchmal so eng, dass bei einer Krankmeldung eine andere Schwester eine zweite Schicht dranhängen muss. Das ist eigentlich absolut verboten." Das Personal sei etwa um ein Drittel reduziert worden.

Sie berichtet: "Hier wurde eine neue Station aufgemacht, die sogenannte Intermediate Care. Da kommen Leute vorübergehend rein, die unmittelbar von einer OP kommen. Es ist eine Halbintensivstation. In dem Zusammenhang wurde nach außen propagiert, es seien neue Stellen geschaffen worden. Dabei wurden nur von anderen Stationen Leute abgezogen, und [Geschäftsführer Gerald] Meder prahlt in der Presse, die Rhönkliniken hätten neue Stellen geschaffen."

Der Stress habe sich stark erhöht, berichtet Schwester Annette: "Wenn es früher noch möglich war, dass man im Privatleben etwas unternommen hat, muss man sich jetzt nur noch ausruhen. Auch viele Ärzte werden ganz schön ausgeblutet, bis hin zu ständigen Überstunden. Zeitweise herrscht hier natürlich schon eine spannungsgeladene Stimmung."

Auf der Straße treffen wir die Röntgenassistentin Gunhild Martels. Sie berichtet über die Folgen der Privatisierung, den Warnstreik von Ende November und den von Ver.di unterzeichneten Haustarifvertrag.

"Wir werden als MTRAs [Medizinisch-Technische Radiologie-Assistenten] durch den neuen Tarifvertrag schlechter eingruppiert als das, was wir bisher vom Land bekommen haben", sagt Frau Martels. Dabei werde zwischen so genannt "patienten-nahen" und "patienten-fernen" Berufen ein künstlicher Unterschied gemacht, um zahlreiche Berufsgruppen schlechter einzustufen. "Eine Berufsgruppe wird gegen die andere ausgespielt", sagt sie.

Wie Frau Martels erklärt, erhält sie zwar in Zukunft im Rahmen der "Besitzstandswahrung" die Differenz zur alten, höheren Eingruppierung ausbezahlt. Aber sollte es in Zukunft zu Lohnerhöhungen kommen, erhält sie davon nur fünfzig Prozent, und der Rest wird angerechnet, um den Differenzbetrag "abzuschmelzen".

Ein weiterer, gravierender Nachteil bestehe darin, dass der bisherige Kündigungsschutz für über Vierzigjährige nach fünfzehn Berufsjahren im neuen Haustarifvertrag gestrichen sei. Da könne niemand sicher sein, ob er in Zukunft noch beschäftigt werde. "Es ist doch heute allgemeine Politik in der Wirtschaft, egal in welchem Bereich, dass überall gestrichen sind, weil die Personalkosten zu hoch sind", sagt Frau Martels.

Über den Warnstreik vom 30. November berichtet sie: "Der Warnstreik war im Grunde genommen ein Witz. Wir durften nur zwei Stunden streiken. Die Geschäftsleitung hat irgendwelche Formfehler zum Anlass genommen, um dagegen vorzugehen, und dann hat sie sich mit der Gewerkschaft auf diese zwei Stunden geeinigt. Viele von uns standen in unserer Freizeit da. Ich habe von sieben bis acht in der Freizeit dagestanden und von acht bis neun Uhr echt gestreikt. Dennoch war die Beteiligung am Streik überraschend gut."

Die Gewerkschaft habe aber dann sehr schnell einen Abschluss unterzeichnet - nachdem zuvor zwei Jahre lang verhandelt worden sei. Man müsse sich dagegen die GDL anschauen, meinte Frau Martels: Die Lokführer hätten doch da ganz anders gekämpft.

Sie berichtet über massiven Arbeitsplatzabbau in den Abteilungen. "Viele sind freiwillig gegangen", sagte sie. "Wir machen jetzt ihre Arbeit mit. Besonders in der Chirurgie und in der medizinischen Klinik ist die Arbeitsbelastung gestiegen, was die Sauberkeit, Hygiene und Patiententherapie beeinträchtigt. Die Belastung in den einzelnen Abteilungen ist massiv angestiegen."

Geschäftsführer Gerald Meder habe sich in einem Beitrag an die Beschäftigten über den hohen Krankenstand beklagt. Er solle sich doch besser mal Gedanken darüber machen, woher das komme.

Zu dem langen Privatisierungsprozess des Uniklinikums sagte Gunhild Martels: "Zwar hat uns Herr Koch [hessischer Ministerpräsident Roland Koch] die Suppe hier eingebrockt. Aber die Vorgängerregierungen haben hier auch überhaupt nichts mehr investiert und das Ganze vor die Wand fahren lassen, so dass sie dann das Argument hatten, es zu verkaufen. Ein privater Investor am Markt muss sein Unternehmen gewinnorientiert führen. Deshalb gehört das Gesundheitswesen prinzipiell nicht in private Hände."

Siehe auch:
Nach der Privatisierung der Uniklinik Gießen-Marburg
(18. Dezember 2007)
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