Hessenwahl:

Die Linkspartei bietet sich der SPD als Stütze an

Die SPD hat im gegenwärtigen Landtagswahlkampf in Hessen ein Problem. Obwohl viele Menschen die unsoziale Politik der CDU-Regierung unter Ministerpräsident Roland Koch ablehnen und einen Regierungswechsel in Wiesbaden anstreben, wird die SPD nicht als Alternative wahrgenommen.

Das liegt zum einen daran, dass sie in Berlin mit der CDU am Kabinettstisch der Großen Koalition sitzt und die SPD-Minister dort die Scharfmacher in Sachen Sozialabbau sind. Zum anderen ist in Frankfurt, Wiesbaden und Kassel sehr wohl bekannt, dass Koch seine reaktionäre Politik nicht hätte durchsetzten können, wenn ihm die SPD ernsthaft entgegengetreten wäre. In vielen Fragen gab es auch in der hessischen Landespolitik eine stillschweigende Koalition aus SPD und CDU.

Unter diesen Bedingungen wird die Linkspartei stärker als bisher in die politischen Planspiele mit einbezogen. Ein starker rechter Flügel der SPD steht einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei zwar ablehnend gegenüber, aber angesichts einer "starken linken Stimmung" (Frankfurter Rundschau) im Land, versucht die SPD herauszufinden, wie weit die Linkspartei zu einer Zusammenarbeit bereit ist.

Dazu diente unter anderem eine Einladung der Spitzenkandidaten der Linkspartei im Frankfurter Presse Club (FPC) am vergangenen Dienstag. Der FPC ist ein renommierter Verein für Journalisten und Medienschaffende im Rhein-Main-Gebiet. Er dient der Kontaktaufnahme von Politikern und Medien und organisiert in regelmäßigen Abständen Veranstaltungen und Diskussionsrunden zu unterschiedlichen politischen und kulturellen Themen.

Geleitet wurde die Veranstaltung am Dienstagabend von Gerhard Kneier, Vizepräsident des FPC und Koordinator für das Politikressort bei Associated Press. Als Gäste waren Willi van Ooyen, der Spitzenkandidat der Linkspartei in den Landtagswahlen, und Ulrich Wilken, der Landesvorsitzende, geladen. Van Ooyen betonte, dass er nicht Mitglied der Linkspartei sei, auch wenn er deren Landesliste anführe.

Der gelernte Elektroinstallateur und heutige pädagogische Leiter bei den Praunheimer Werkstätten engagierte sich bereits während seiner Lehrzeit in der Gewerkschaftsbewegung. Er trat der Eisenbahnergewerkschaft GdED, später der ÖTV bei und ist heute Verdi-Mitglied. Parallel dazu ist er seit den sechziger Jahren in der Friedensbewegung, den Sozialforen und diversen NGOs aktiv. Bekanntheit erreichte er als Organisator zahlreicher Ostermärsche.

Als Gründe seiner Kandidatur für die Linkspartei gab er an, diese solle zu einem "Ansprechpartner" für alle möglichen linken und außerparlamentarischen Organisationen aufgebaut werden. Ziel sei es, durch den Einzug ins Landesparlament Druck auf die anderen Parteien auszuüben und an deren "gesundes Sozialempfinden" zu appellieren.

Auf die anschließende Frage des Moderators, warum sich die Linkspartei für einen parteilosen Spitzenkandidaten entschieden habe, antwortete der Landesvorsitzende Wilken. Er war sichtlich bemüht, die Konflikte in der Partei über die Kandidatenwahl herunterzuspielen. Das undemokratische Vorgehen der Parteispitze hatte unter den Mitgliedern starken Unmut ausgelöst.

Bereits vor der Gründungskonferenz der hessischen Linkspartei hatte die Parteispitze einen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl auserkoren. Es handelte sich um den ehemaligen hessischen DGB-Vorsitzenden und langjährige SPD-Mitglied Dieter Hooge.

In Absprache mit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi ließ sich Hooge schon vor der offiziellen Wahl in den Medien als Spitzenkandidat feiern. Doch dann spielten die Parteitagsdelegierten nicht mit und ließen Hooge zwei Mal durchfallen. Statt seiner wurde der langjährige DKP-Funktionär Metz aus Marburg nominiert.

Das passte Lafontaine und der Berliner Parteispitze nicht ins Konzept. Lafontaine hatte mit Hooge weitergehende politische Pläne verbunden, die er nicht offen diskutieren wollte. Ähnlich wie einst die Grünen betrachtet er Hessen als Sprungbrett für eine spätere Beteiligung an der Bundesregierung. In der Partei machte sich hingegen die Sorge breit, durch einen Spitzenkandidaten wie Hooge schon im Vorfeld jede Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Schließlich zwang der Parteivorstand Pit Metz zum "freiwilligen" Rücktritt. An seiner Stelle wurde van Ooyen gewählt, der die Konflikte in der Partei überbrücken sollte. Wilken bezeichnete ihn im Presseclub als "Meister der Integration".

Regierungsverantwortung an der Seite der SPD

Die Diskussion im Presse-Club drehte sich um die Frage, ob die Linken bereit sind, an der Seite der SPD Regierungsverantwortung zu übernehmen. Gleich zu Beginn wies Gerhard Kneier in seiner Funktion als Moderator darauf hin, dass die Linkspartei laut aktuellen Umfragen mit bis zu 6 Prozent der Stimmen rechnen könne und ein Einzug in den hessischen Landtag wahrscheinlich sei. Rechnerisch würde sich eine Mehrheit für das "linke Lager" aus SPD, Grünen und Linkspartei ergeben.

Anfangs versuchten van Ooyen und Wilken eine klaren Antwort auf die Frage nach einer Regierungsbeteiligung auszuweichen. Sie verwiesen darauf, dass der Wähler noch nicht entschieden habe und sie eventuell nicht genügend Stimmen bekommen würden, um entscheidende Veränderungen einzuleiten. Außerdem sei die SPD noch immer die größere Partei und müsse, "wenn es soweit ist", auf die Linkspartei zukommen.

Beide Vertreter der Linken waren derart defensiv, dass der Moderator schließlich fragte, ob sie nicht zu bescheiden seien angesichts der Tatsache, dass sich eine starke Opposition gegen Ministerpräsident Roland Koch (CDU) gebildet habe.

Er verwies in diesem Zusammenhang auf einen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom selben Tag. Unter der Überschrift "Die Unzufriedenheit nimmt zu" zitiert die FAZ Statistiken, laut denen die Opposition gegen die wachsende soziale Ungleichheit ständig zunimmt. Auf die Frage, was der Staat vorrangig tun solle, antworteten 74 Prozent Kinderarmut verringern, 72 Prozent Geringverdiener steuerlich entlasten, 69 Prozent Mindesteinkommen sicherstellen und 67 Prozent Steuerschlupflöcher abschaffen. Der Artikel bezeichnet es als alarmierend, dass "nur noch 15 Prozent der Befragten die wirtschaftlichen Verhältnisse im Land als gerecht" empfinden.

Obwohl sich beide Vertreter der Linkspartei nach Kräften bemühten, konkrete Aussagen über eine Regierungs-Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten zu vermeiden, wurde im Laufe der Veranstaltung deutlich, dass sie sehr wohl auf eine Koalition mit der SPD hinarbeiten. Nur aus parteiinternen Gründen halten sie es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ratsam, darüber zu sprechen.

Wilken erklärte, "wenn es zu einem Gesprächsangebot der SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti kommen sollte", werde die Linkspartei dies "selbstverständlich annehmen". Eine Abwahl von Koch werde nicht an der Linkspartei scheitern. Van Ooyen betonte, dass er Ypsilanti persönlich gut kenne und ohnehin ein "offenes Verhältnis" zur SPD pflege.

"Wie glaubwürdig ist ihre Partei?"

Im Verlauf der Diskussion ergriff auch Ulrich Rippert als Redakteur der World Socialist Web Site das Wort und fragte, weshalb eine mögliche Regierung von SPD, Linkspartei und Grünen als Alternative zur Politik von Koch dargestellt werde. Rot-Grün habe in der Vergangenheit die schärfsten sozialen Angriffe durchgeführt und auch die Linkspartei mache dies dort, wo sie politische Entscheidungsmöglichkeiten habe.

Rippert ging auf die Rolle der Linkspartei in Berlin ein, wo sie seit sechs Jahren mit der SPD die Regierung stellt. Er sagte: "Sie fordern in ihrem Hessen-Wahlprogramm sehr viele Sofortmaßnahmen gegen Lohnsenkung und Sozialabbau. Warum macht ihre Partei dort, wo sie an der Regierung ist und über Einfluss verfügt, genau das Gegenteil von dem, was sie hier in Hessen fordert? Sind Sie wirklich der Auffassung, ein Programm von Sozialreformen wie zu Zeiten von Willy Brandt könne heute noch durchgeführt werden, obwohl die Globalisierung der Produktion völlig andere Verhältnisse geschaffen hat?" An die Vertreter der Linkspartei gerichtet fragte er: "Wie glaubwürdig ist ihre Partei?"

Während das Hessen-Wahlprogramm der Linkspartei beispielsweise die Einführung von Ein-Euro-Jobs kritisiert und darauf hinweist, dass sie zu einem massenhaften Abbau regulärer Arbeitsplätze geführt haben, macht dieselbe Partei in der Hauptstadt von dieser "diskriminierenden Form der Arbeit" regen Gebrauch, um regulär Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu ersetzen. Über 34.000 Menschen sind in Berlin in solchen "Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung" tätig.

Besonders zynisch wirkt die Forderung der hessischen Linken nach einer Verkürzung der Arbeitszeiten und der Einhaltung tariflicher Standards. In Berlin ist der rot-rote Senat 2003 aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband ausgetreten. Die geltenden Tarifverträge für die Beschäftigten des Landes wurden dadurch unwirksam. Der Senat verlängerte die Arbeitszeit für Beamte von 40 auf 42 Wochenstunden und diktierte den öffentlich Beschäftigten Lohn- und Gehaltskürzungen von 12 Prozent, den Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie eine Verlängerung der Arbeitszeit von 38,5 auf 42 Wochenstunden.

Genauso verhält es sich mit der Forderung nach gebührenfreier Bildung. An den Berliner Schulen wurde die Lehrmittelfreiheit durch eine Selbstbeteiligung der Familien von bis zu 100 Euro pro Kind und Schuljahr abgelöst, es wurden 400 Referendariatsstellen für angehende Lehrkräfte gestrichen und den bereits beschäftigten Lehrkräften im Gegenzug zwei zusätzliche Unterrichtsstunden pro Woche verordnet.

Die Liste der sozialen Angriffe des rot-roten Berliner Senats lässt sich beliebig fortsetzen. Er senkte die Wohnungskosten für Empfänger von Arbeitslosengeld II, erhöhte drastisch die Hort- und Kita-Gebühren und kürzte die Hilfe zur Erziehung um über 130 Millionen Euro. Gleichzeitig schmeichelte er den Finanzinvestoren in der Hauptstadt. So leistete er eine Landesbürgschaft für die angeschlagene Berliner Bankgesellschaft, mit der die Bevölkerung für die Risiken von Finanzspekulationen haftbar gemacht wird.

In Mecklenburg-Vorpommern, wo bis zum letzten Jahr eine rot-rote Regierung im Amt war, sieht es nicht viel anders aus. Sie verwirklichte dort eine Privatisierungspolitik, die Roland Koch in Hessen in den Schatten stellt. In keinem anderen Bundesland wurden in den vergangenen vier Jahren so viele Krankenhäuser privatisiert wie in Mecklenburg-Vorpommern, meist gegen den heftigen Widerstand der Beschäftigten. Die wachsende Armut im Land drückt sich auch in der Zahl von Sozialhilfeempfängern aus, die sich während der rot-roten Regierungszeit um 6.000 auf 57.000 erhöhte.

Wilken konnte den aufgeworfenen Fragen nur mit Ausflüchten und glatten Unwahrheiten begegnen. Er erklärte, er sei zwar gegen den Ausstieg der Berliner Regierung aus dem Arbeitgeberverband gewesen, aber der neue Tarifvertrag habe den Beschäftigten "Verbesserungen" gebracht. Und das bei 12 Prozent Lohnsenkung und Arbeitszeitverlängerung!

Insgesamt machte die Diskussion im Frankfurter Presse-Club deutlich, dass die Linkspartei in Hessen ein zynisches Doppelspiel betreibt. Während sie mit linken Parolen auf Stimmenfang geht, bietet sie sich der SPD als Koalitionspartner an, um die bürgerlichen Verhältnisse zu stabilisieren.

Siehe auch:
Unterstützt den Wahlkampf der Partei für Soziale Gleichheit!
(11. Oktober 2007)
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