Bush setzt auf Eskalation im Irakkrieg und missachtet den Wählerwillen

In seiner landesweit übertragenen Fernsehrede gibt Präsident Bush am Mittwochabend bekannt, dass der verbrecherische Krieg im Irak noch einmal massiv ausgeweitet wird.

Kaum zwei Monate nach den Kongresswahlen, die allgemein als einhellige Ablehnung dieses Kriegs durch die amerikanische Bevölkerung verstanden wurden, ist Bush entschlossen, mindestens 20.000 zusätzliche amerikanische Soldaten in den Irak zu schicken.

Dieser dramatische Politikwechsel, den die Regierung verkündet, ist selbst in der amerikanischen Geschichte ohne Beispiel. Es stimmt zwar: Auch Woodrow Wilson führte die USA in den Ersten Weltkrieg, nachdem er nur ein Jahr zuvor im Wahlkampf versprochen hatte, das Land weiterhin aus dem Krieg herauszuhalten. Und Lyndon B. Johnson, der "Friedenskandidat" im Wahlkampf 1964, war letztlich für eine enorme Eskalation im Vietnamkrieg verantwortlich.

Dennoch ist das Verhalten dieses Präsidenten ohne Beispiel. Es geht hier nicht um eine mögliche Intervention, sondern um einen Krieg, der schon seit vier Jahren geführt und von der überwiegenden Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung ausdrücklich abgelehnt wird.

Die Begründung und die Ziele des Kriegs sind völlig in Misskredit geraten. Die ursprüngliche Begründung für die Entsendung amerikanischer Truppen zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein - nämlich die Existenz von Massenvernichtungswaffen und angebliche Verbindungen zwischen Bagdad und Al Qaida - sind längst als blanke Lügen entlarvt. Sie wurden von der Bush-Regierung fabriziert und mit Hilfe der Massenmedien verbreitet, um die amerikanische Bevölkerung einzuschüchtern, damit sie dem Krieg zustimmt.

Der Krieg - ein völkerrechtswidrige Angriff - hat eine gesellschaftliche und humanitäre Katastrophe ausgelöst und weltweit ebenso wie in den USA selbst Abscheu und Empörung hervorgerufen.

Abu Ghraib, das Massaker von Haditha, der Lynchmord an Saddam Hussein und zahllose andere Verbrechen, von denen die meisten wohl nicht öffentlich bekannt sind, entlarven diesen Krieg als brutale Unterdrückungsmaßnahme nach kolonialem Vorbild. Er hat Hunderttausende Iraker das Leben gekostet. 3.000 amerikanische Soldaten sind tot und mehr als 22.000 verwundet, viele von ihnen schwer.

Um ihre Entscheidung für die Fortsetzung und Ausweitung des Kriegs zu rechtfertigen, tischt die Bush-Regierung erneut die alten Lügen auf, die Besetzung des Irak diene dem "Krieg gegen den Terror" und letztlich dem ehrenvollen Ziel, den Irak zu demokratisieren.

Diese so genannte "Demokratie" stellt sich zurzeit folgendermaßen dar: Das Land steht unter der Kontrolle ausländischer Besatzungstruppen und wurde durch die US-Intervention und ihre Politik des Teile und Herrsche in einen katastrophalen, konfessionell motivierten Bürgerkrieg gestürzt. Dieser Bürgerkrieg fordert täglich mehr als hundert Menschenleben und zwingt buchstäblich Millionen Iraker, aus ihrem Land zu flüchten.

Sofern die Iraker überhaupt nach ihrer Meinung gefragt wurden, verlangte die übergroße Mehrheit von ihnen den Abzug der amerikanischen Truppen aus ihrem Land. Die Feindseligkeit gegenüber der amerikanischen Besatzung zeigte sich kürzlich in einer Umfrage, die im Bericht der Baker-Kommission zitiert wird. Danach unterstützen nicht weniger als 61 Prozent der irakischen Bevölkerung bewaffnete Angriffe auf amerikanische Truppen.

In Wirklichkeit hat der angebliche Krieg für Demokratie im Irak nur gezeigt, wie schlecht es um die Demokratie in den USA selbst bestellt ist. Der amerikanischen Bevölkerung wird im Rahmen der herrschenden politischen Verhältnisse effektiv jede Möglichkeit genommen, ihren Wunsch nach einer Beendigung dieses Kriegs durchzusetzen.

In den Anfangstagen seiner Präsidentschaft rechtfertigte Richard Nixon die Ausweitung des Vietnamkriegs mit der angeblichen Unterstützung einer "schweigenden breiten Mehrheit", auch wenn die Forderungen nach einem Ende des Kriegs zu diesem Zeitpunkt schon zunahmen. Die amerikanische Intervention sollte noch über fünf Jahre weitergehen, bis Nixon selbst durch ein Amtsenthebungsverfahren aus dem Amt gejagt wurde und die letzten amerikanischen Truppen in Hubschraubern vom Dach der amerikanischen Botschaft in Saigon flohen. Diese Verlängerung des Kriegs kostete noch einmal rund 20.000 amerikanischen Soldaten und über einer Million Vietnamesen das Leben.

Bush kann so etwas nicht behaupten. Die Mehrheit schweigt nicht. Sie hat sich an der Wahlurne unmissverständlich geäußert und sie will, dass der Krieg endet und die amerikanischen Truppen aus dem Irak zurückkehren. Bei einer jüngsten Umfrage von ABC News und der Washington Post erklärten sechzig Prozent der Befragten, der Krieg sei den Einsatz nicht wert. 75 Prozent sind gegen Bushs Politik im Irak und nur 17 Prozent unterstützen die vom Präsidenten beabsichtigte "Aufstockung der Truppen".

Trotzdem sieht es so aus, dass die Aufstockung beschlossene Sache ist und die Besatzungskräfte verstärkt werden. Das wird im Wesentlichen dadurch ermöglicht, dass bestimmte Kontingente von Soldaten und Marines früher als geplant in den Irak geschickt werden und andere später nach Hause zurückkehren. Weiter wird laut einem Bericht in der Los Angeles Times vom Dienstag in Erwägung gezogen, die Regeln des Pentagon zu lockern. Dies soll es möglich machen, "die Nationalgarde und Reserveeinheiten der Armee ein zweites Mal für längere Zeit in den Irak zu schicken."

Die Mediengruppe Military Times, die Wochenzeitungen für die Streitkräfte herausgibt, führte jüngst eine Umfrage durch, der zufolge der Krieg auch in den Reihen des Militärs selbst zunehmend auf Ablehnung stößt. Nur 35 Prozent äußerten Unterstützung für Bushs Kriegspolitik, und nur 41 Prozent waren einverstanden, dass der Krieg überhaupt begonnen wurde. Die von der Regierung geplante Eskalation wird die Moral in der US-Armee nur noch weiter sinken und die amerikanischen Verluste steigen lassen.

Es ist längst abzusehen, dass Bushs so genannte Truppenverstärkung die Gewalt im Irak noch einmal in entsetzlicher Weise verschärfen wird. Am Vorabend der Präsidentenrede führten die US-Armee und ihre irakischen Hilfstruppen einen größeren Angriff auf ein sunnitisches Wohngebiet entlang der Haifa-Straße in Bagdad durch. Dabei wurden zahlreiche Menschen getötet, darunter viele Frauen und Kinder.

Dicke Rauchwolken stiegen über dem Gebiet der Haifa-Straße gen Himmel, als US-Kampfhubschrauber und Düsenjets mehrere Luftschläge gegen das dicht besiedelte Viertel flogen.

Soweit schon eine amerikanische Strategie erkennbar ist, scheint sie in einer zweifachen Offensive zu bestehen: Zunächst unterstützen amerikanische Truppen offenbar vorwiegend schiitische irakische Kräfte bei ihren Bemühungen, die sunnitische Opposition zu unterdrücken, die schon begonnenen ethnischen Säuberungen in gemischt sunnitisch-schiitischen Stadtteilen zu vollenden und die sunnitischen Bewohner zu vertreiben.

Danach unterdrücken die USA die schiitischen Milizen, besonders die Mehdi-Armee des radikalen Klerikers Muktada al Sadr. Eine solche Operation würde ein Vorrücken der US-Truppen gegen Sadr City beinhalten, dieses schiitisch dominierte, dicht besiedelte Bagdader Armenviertel, in dem nicht weniger als zwei Millionen Menschen leben. Viele Tote und eine bedeutende Ausweitung des Kriegs wäre die unvermeidliche Folge.

Generalleutnant Raymond Odierno, der neue US-Kommandeur für die Bodenoperationen im Irak, fasste diese Strategie in einem Interview am Sonntag mit folgenden Worten zusammen: "Wir müssen sunnitische und schiitische Wohngebiete angreifen."

Die Mitverantwortung der Demokraten

Dieses Albtraum-Szenario spielt sich ab, während gleichzeitig die amerikanische Bevölkerung politisch entmündigt darsteht. Ihre Opposition gegen den Krieg wird ignoriert und mit Füßen getreten. Schuld daran sind nicht nur die arroganten und zunehmend diktatorischen Methoden des Weißen Hauses, sondern mitverantwortlich ist auch die Demokratische Partei, die bei den Wahlen im November hauptsächlich von der Antikriegsstimmung profitierte.

Sofern sich führende Demokraten überhaupt gegen den Vorschlag einer Truppenaufstockung ausgesprochen haben, dann fast immer in prinzipienloser und heuchlerischer Weise. Kein wichtiger Vertreter der Demokraten fordert den sofortigen, bedingungslosen Rückzug der US-Truppen aus dem Irak. Sie schlagen stattdessen verschiedene Arten von "Truppenverlegungen" vor und gehen dabei von einer anhaltenden Besetzung des ölreichen Landes über viele Jahre hinweg aus.

Die Mehrheitsposition in der Demokratischen Parteispitze kam am deutlichsten in einem Leitartikel der Washington Post vom Montag zum Ausdruck. Er formuliert trefflich, auf welcher Grundlage in den Reihen der Demokraten Vorbehalte gegen die Truppenaufstockung existieren.

"Die konstruktive Alternative zu einer Truppenaufstockung besteht nicht darin, den Irak aufzugeben", heißt es in der Post. "Sie besteht vielmehr in der Entwicklung einer Strategie, mit der die USA moderate Kräfte im Land langfristig unterstützen - nicht nur achtzehn Monate lang, sondern gegebenenfalls über Jahre hinweg, um das Land zu stabilisieren." Die Zeitung betonte die Notwendigkeit, "einen breiten Konsens in der Irakpolitik zu finden, der bitter nötig ist, wenn sich die USA weiter engagieren - und weiterhin der schmerzliche Verlust von amerikanischen Leben zu beklagen ist."

Die Demokratische Parteispitze kritisiert zwar die Truppenaufstockung in Worten, aber sie hat den Einsatz der beiden einzigen Mittel ausgeschlossen, die ihnen die Verfassung bietet, um die Erhöhung der Soldatenzahl im Irak tatsächlich zu verhindern: das Zudrehen des Geldhahns für den Irakkrieg und ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten.

Der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im Repräsentantenhaus Ike Skelton (Demokrat aus Missouri) erläuterte diese Haltung einmal mehr im Wall Street Journal am Dienstag. "Wir beabsichtigen nicht, die Finanzierung der Truppen zu kappen", sagte er.

In einigen Fällen erfinden Demokratische Vertreter Gründe, mit denen sie rechtfertigen wollen, warum sie den Krieg und seine Ausweitung nicht stoppen. Sie behaupten beispielsweise, der Präsident verfüge über die Befugnis, im Irak zu tun und zu lassen, was er will.

"Es ist eine Frage der Gewaltenteilung", sagte Senator Joseph Biden, der neue Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im Senat dem Magazin Newsweek. Biden sagte, er habe gegenüber Bush im vergangenen Monat erklärt: "Dies ist Ihr Krieg, Mr. Präsident, und wir können nichts tun, um Sie aufzuhalten."

Es gibt keinerlei Bestimmung in der amerikanischen Verfassung, die dem Präsidenten solche unbeschränkten Machtbefugnisse zuspricht. Der Kongress hat immer wieder eingegriffen, um Militäraktionen zu einzuschränken, zu verbieten oder zu beenden, vom Vietnamkrieg und der Verabschiedung des War Powers Act in den 1970er Jahren über die US-Interventionen in Nicaragua und Libanon in der 1980ern, bis hin zum ersten Golfkrieg und der Intervention in Somalia in den 1990ern.

Wenn sich die Demokraten heute solchen keineswegs verfassungsmäßig verankerten Befugnissen des Präsidenten beugen, so zeigt sich daran ihr mangelndes Interesse, den Krieg zu beenden. Sie unterstützen genauso wie die Republikaner die ursprünglichen Ziele der amerikanischen Elite in diesem Angriffskrieg - nämlich die Kontrolle über die zweitgrößten Ölreserven der Welt zu übernehmen und den amerikanischen Kapitalismus in seinem Streben nach globaler Hegemonie zu stärken. Wie die Republikaner fürchten auch sie, dass ein Rückzug aus dem Irak eine strategische Niederlage für den amerikanischen Imperialismus bedeuten und weltweit revolutionären Kräften Auftrieb verleihen würde.

Die Ausweitung des Irakkriegs wird begleitet von Washingtons Vorbereitungen auf neue und noch blutigere militaristische Aggressionen. Nur wenige Tage vor Bushs Rede haben amerikanische Kampfflugzeuge Dutzende Menschen in Somalia getötet, während das Pentagon einen möglichen Angriff auf den Iran mit der Entsendung einer weiteren Flugzeugträgergruppe in den Persischen Golf vorbereitet.

Aus der Wahl von November 2006, der kommenden Eskalation im Irak und den weiteren drohenden Militäraggressionen muss eine Lehre gezogen werden: Der Kampf gegen den Krieg ist nicht im Rahmen der bestehenden politischen Verhältnisse zu führen, indem man eine der zwei großen Parteien in den Vereinigten Staaten unterstützt oder versucht, Druck auf sie auszuüben und sie durch Proteste zu einem Kurswechsel zu bewegen.

Bushs Entscheidung, die Eskalation im Irak voranzutreiben und sich einen Dreck darum zu scheren, was die amerikanische Bevölkerung darüber denkt, wirft folgende Frage auf: Wessen Interessen vertritt seine Regierung im Namen der "nationalen Sicherheit" und des "Kriegs gegen den Terror"? Offensichtlich die der Finanz- und Wirtschaftsoligarchie, die beide große Parteien beherrscht. Diese Oligarchie will die Monopolisierung von Reichtum und Macht durch Krieg nach außen und Angriffe auf die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung im Innern noch weiter vorantreiben.

Bushs beispielloses Vorgehen stellt eine neuartige politische Herausforderung dar. Die Beendigung des Kriegs und die Verhinderung zukünftiger Kriege ist nur durch eine unabhängige politische Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung gegen das System möglich, das diese Kriege hervorbringt. Dafür sind nicht nur Massendemonstrationen nötig, sondern der Aufbau einer neuen sozialistischen Massenbewegung, die unbeirrbar dafür kämpft, alle US-Truppen sofort aus dem Irak zurückzuziehen und alle für diesen Krieg Verantwortlichen politisch und juristisch zur Verantwortung zu ziehen.

Siehe auch:
Bush-Regierung bereitet Regimewechsel im Iran vor
(10. Januar 2007)
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