Terrorverschwörung in Großbritannien: Was macht einen Arzt zum Selbstmordattentäter?

Die Verhaftung von mindestens sieben Ärzten im Zusammenhang mit den fehlgeschlagenen Terroranschlägen der vergangenen Woche hat die britische Öffentlichkeit zusätzlich schockiert. Dies umso mehr, als die angeblichen Täter in beiden Fällen zunächst als Ärzte desselben Glasgower Krankenhauses, des Royal Alexandra Hospital, identifiziert wurden.

Sie sollen zwei mit Benzin, Gasflaschen und Nägeln voll gepackte Mercedes-Limousinen im Londoner Westend geparkt haben, einen von ihnen in der Ladies Night vor einem belebten Nachtclub, und dann nach Schottland zurückgefahren sein, um einen Selbstmordanschlag auf den Flughafen von Glasgow zu verüben. Nur Zufälle verhinderten ein schlimmes Blutbad. Der Fahrer des mit Sprengstoff beladenen Jeeps in Glasgow überschüttete sich mit Benzin und erlitt Verbrennungen dritten Grades. Er befindet sich immer noch in kritischem Zustand.

Inzwischen ist klar, dass nur der Beifahrer des Jeeps, Bilal Talal Samad Abdullah, Arzt ist. Der Fahrer Kafeel Ahmed, ein Siebenundzwanzigjähriger aus dem indischen Bangalore, ist hoch qualifizierter Luftfahrtingenieur mit einem Doktorgrad. Aber auch so ist die Beteiligung zweier hoch gebildeter Männer an einer solchen Untat - wie auch die mögliche Beteiligung weiterer Ärzte - ein ausgesprochen beunruhigender Aspekt dieser erschreckenden Kette von Ereignissen. Viele fragen sich, wie jemand, der sich in seinem Beruf der Rettung von Menschenleben verschrieben hat, auch nur auf die Idee kommen kann, so vielen unschuldigen Menschen das Leben zu rauben.

Die Medien beantworten diese Frage höchst unzulänglich, ein Punkt fällt aber ins Auge. In einem Artikel im Observer vom 8. Juli heißt es: "Terrorexperten weisen darauf hin, dass alle Mitglieder der Hamburger Zelle, die den Anschlag vom 11. September planten, Technik oder Medizin studiert hatten. Abdullah Azzam, der ursprüngliche Mentor Osama bin Ladens, war ein palästinensischer Arzt. Ayman Al-Zawahiri, der geistige Führer von al-Qaida, stammt aus einer Familie von Ärzten und Fachleuten der Medizin... Professor Marc Sageman, Terrorismusberater der US-Regierung, stellt fest: ‚Terroristen werden üblicherweise für ignorant und unreif gehalten, aus armen Verhältnissen und Problemfamilien stammend, ohne Ausbildung, Familie und Verantwortung. Nur wenig davon trifft auf al-Qaida-Mitglieder und ihre Sympathisanten zu.’"

Die Feststellungen über die Hamburger Zelle sind nicht ganz zutreffend. Die meisten waren Techniker und nicht Mediziner. Aber das Argument, islamische Terrorgruppen fänden unter gebildeten Schichten wie z.B. Ärzten ein fruchtbares Rekrutierungsfeld, ist dennoch von Bedeutung.

Auch der Anführer der Anschläge vom 7. Juli 2005 in London, Mohammad Sidique Khan, hatte einen Sozialberuf. Er kümmerte sich als Sozialarbeiter und Schulmentor um Schüler, die besondere Unterstützung brauchten. In einem Selbstmordvideo erklärt er: "Ich habe, wie Tausende andere, alles aufgegeben, woran ich geglaubt hatte... Eure demokratisch gewählten Regierungen begehen ständig Gräueltaten gegen mein Volk in aller Welt. Weil ihr sie unterstützt, seid ihr direkt mitverantwortlich. Wir befinden uns im Krieg und ich bin Soldat."

Alles, was man bisher über Bilal Abdullah weiß, deutet darauf hin, dass auch er solche Ansichten hegte. Betrachtet man die Biographie der einzigen Person, die bisher im Zusammenhang mit der Terrorverschwörung unter Anklage steht, kann man besser verstehen, wie es dazu kommen konnte. Außerdem widerlegt sie die ständigen Behauptungen der Labour-Regierung, die britische Außenpolitik und die Beteiligung an Krieg und Besetzung des Irak hätten nichts mit den Terroranschlägen der vergangenen Woche zu tun und leisteten der Zunahme des Terrorismus keinen Vorschub.

Unabhängig von dem schrecklichen Verbrechen, das Abdullah plante, hat sein Schicksal eine tragische Seite. Wie es scheint, hat die systematische Zerstörung seines Landes bei ihm eine mörderische und selbstmörderische Wut ausgelöst. Obwohl er wohl schon seit vielen Jahren tief gläubiger Moslem war, wurde die Saat für seine Teilnahme an der Verschwörung zur Ermordung Dutzender unschuldiger Männer, Frauen und Kinder durch die Invasion und Besetzung des Irak gelegt. Ausschlaggebend waren letztlich die Ermordung Hunderttausender Iraker durch amerikanische und britische Truppen, die Inhaftierung und Folterung Tausender Menschen und der Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten, der durch die Zerstörung des Landes und die Politik der Besatzer geschürt wird.

Geboren in Aylesbury, Buckinghamshire, zog Abdullah als Kind mit seinen Eltern in den Irak. Sein Vater Talal ist Arzt und ermutigte Abdullah, in seine Fußstapfen zu treten. Aber das Ende seiner medizinischen Ausbildung in Bagdad fiel mit der US-Invasion von 2003 zusammen. Im Jahr vor seinem Abschluss 2004 beschrieb sein Professor Achmed Ali die Wirkung des Krieges auf Abdullah.

Er sei nach dem Krieg einer der radikalsten Studenten gewesen, habe ständig an Protesten teilgenommen und sei aktiv am Aufbau von Widerstandsgruppen in der Universität beteiligt gewesen, sagte Professor Ali. Dem Professor zufolge soll Abdullah gesagt haben: "Wir sollten nicht Medizin studieren, sondern wir sollten lernen, gegen die Besatzung zu kämpfen."

Der Krieg und die Besatzung zerstörten Abdullahs persönliches Leben. Sein Vater war einer der besten orthopädischen Chirurgen des Irak und besaß in Bagdad eine Privatklinik, die infolge des Kriegs zerstört wurde. Der Daily Mirror berichtete, Talal habe 2005 aus Bagdad in den Nordirak fliehen müssen, um der schiitischen Mahdi-Armee zu entgehen.

Nach seinem Examen verließ Abdullah den Irak und nahm ein Studium in Cambridge auf. Es ist nicht bekannt, ob er schon damals mit einer bestimmten Gruppe politisch zusammenarbeitete, aber er war jedenfalls sehr zornig, stark anti-westlich eingestellt und sympathisierte sehr wahrscheinlich mit al-Qaida.

Die wichtigste Quelle für Informationen über Abdullah ist Shiraz Maher, damals Mitglied der radikalen islamischen Gruppe Hizb ut Tahrir, der den Auftrag hatte, ihn zu rekrutieren.

Er sagt über Abdullah: "Er erzählte mir, wie sehr er Saddam Hussein hasse und wie seine Familie auch nach der amerikanischen Invasion noch im Land blieb. Alle teilten die gleiche ideologische Richtung. Alle glaubten an die wahabitische Ideologie... Er entwickelte einen brennenden Hass auf die Schiiten, nachdem einer seiner besten Freunde an der Universität im Irak von einem schiitischen Milizionär getötet worden war. Er pflegte zu sagen, sie müssten alle niedergemacht werden."

Maher fuhr fort: "Bilal hielt den Dschihad und die Vertreibung der amerikanischen und britischen Truppen für gerechtfertigt. Er bezeichnete den Dschihad als höchsten Gipfel des Islam... Wir lachten und freuten uns, wenn wir über Bombenanschläge im Irak sprachen. Wir alle begrüßten sie."

Abdullah pflegte keinerlei gesellschaftlichen Umgang mit Weißen und verachtete sogar einige Moslems, die er für verwestlicht hielt. Maher berichtet, wie Abdullah einen seiner Zimmergenossen bedrohte, weil er Gitarre spielte, und wie er ihm ein Video vorführte, in dem Abu Musab al-Sarkawi gezeigt wird (der al-Qaida-Führer im Irak, der 2006 von den USA getötet wurde), wie er eine Geisel köpft. Maher zufolge drohte Abdullah seinem Zimmergenossen mit den Worten: "Glaub’ nicht, dass wir Spaß machen, schau dir das an. So machen es unsere Leute: wir massakrieren."

Von Leuten, die die Bedeutung des Irakkriegs für die Zunahme des Terrorismus leugnen oder herunter spielen wollen, hört man immer öfter die Theorie, Terroristen seien islamische Fundamentalisten und somit ohnehin Anhänger einer dem Westen bedingungslos feindlichen Ideologie. Premierminister Gordon Brown hat diese Leier von seinem Vorgänger Tony Blair übernommen. Nach den fehlgeschlagenen Autobombenanschlägen betont er, der Terrorismus habe "nichts mit einem besonderen Konflikt im Weltgeschehen zu tun".

Die Medien beten dieses Thema sklavisch nach. Viele Publikationen zitieren die Anschauungen des ehemaligen islamischen Fundamentalisten Hassan Butt, der erklärt: "Was mich und viele andere dazu trieb, extreme Terrorakte in Großbritannien und im Ausland zu planen, war die Vorstellung, wir kämpften für die revolutionäre Errichtung eines weltweiten islamischen Staates, der das islamische Recht verbreitet." Die Frage wird dann auf angebliche Probleme der islamischen Lehre und auf die Unfähigkeit radikaler Islamisten beschränkt, sich mit der nicht-islamischen Welt zu arrangieren. In Butts Worten hört sich das so an: "Weil der Islam dem Unglauben den Krieg erklären muss, haben sie der ganzen Welt den Krieg erklärt."

Solche Erklärungen werden regelmäßig von noch durchsichtigen Rechtfertigungen für das provokative Vorgehen der Großmächte begleitet. Wut und Ressentiments gegenüber dem Westen, heißt es, nährten sich aus "mythischen" Quellen. Notwendig sei eine korrekte Anwendung von Browns Strategie, "die Herzen und Köpfe" zu gewinnen, Imame und Moslems für den Kampf gegen extremistische Lehren einzuspannen und Respekt vor den "britischen Werten" von Toleranz und Demokratie einzufordern.

Eine gefährlichere Mixtur aus Arroganz und Dummheit ist kaum vorstellbar.

Solche Behauptungen laufen auf einen politischen Blankoscheck für weitere Raubzüge des britischen Imperialismus und für Maßnahmen gegen britische Moslems hinaus, die unweigerlich elementare demokratische Rechte wie die Meinungsfreiheit einschränken. Sie tragen dazu bei, zornige und desorientierte Personen wie Abdullah fanatischen und reaktionären Formen des politischen Islam in die Arme zu treiben. Was soll sonst dabei herauskommen, wenn man jemandem "britische Werte" predigt, dessen Leben ruiniert wurde und der erleben musste, wie Hunderttausende seiner Landsleute und Glaubensbrüder im Namen der Demokratie getötet wurden?

Solche Rechtfertigungstheorien stellen die Frage noch nicht einmal, warum offensichtlich intelligente junge Menschen sich der reaktionären Ideologie des islamischen Fundamentalismus zuwenden und sich Terrorgruppen anschließen, oder warum ganz allgemein islamistische Parteien und Bewegungen auf dem Vormarsch sind.

Der islamische Fundamentalismus ist aus einer schrecklichen Tragödie erwachsen, die sich tagtäglich äußert und nicht nur die Wenigen trifft, die sich Terrorgruppen anschließen, sondern Millionen Menschen in der Welt. Die Hölle auf Erden im Irak ist nur das brutalste Beispiel für die Verwüstungen, die die Westmächte im Nahen Osten und in anderen Weltregionen anrichten. Damit schaffen sie die Bedingungen, unter denen islamistische Bewegungen ein offenes Ohr bei allen sozialen Schichten finden, auch bei politisch orientierungslosen Vertretern der Mittelschichten.

Mit der Ideologie des islamischen Fundamentalismus legitimieren breite Teile der arabischen Bourgeoisie ihre Herrschaft. Der Wahabismus, auch Salafismus genannt, ist die offizielle Lehre der saudischen herrschenden Elite aus der al-Qaida hervorging. Sie verbindet eine ultrakonservative Theologie mit fanatischem Antikommunismus, der Verteidigung des Privateigentums und der Klassenunterdrückung. Genau diesem Grund spielten die gleichen Westmächte, die jetzt am meisten gegen den islamischen Fundamentalismus wüten, die Vereinigten Staaten und Großbritannien, eine entscheidende Rolle dabei, diese Bewegungen in Afghanistan, Bosnien usw. heranzuzüchten.

Der wichtigste Grund aber, warum der islamische Fundamentalismus Masseneinfluss gewinnen kann, ist das Fehlen einer wirklich progressiven, anti-militaristischen und anti-imperialistischen Alternative.

In der Vergangenheit suchten Millionen Menschen - viele von ihnen mit einem ähnlichen Hintergrund wie Abdullah - einen progressiven und oft sogar sozialistischen Weg aus der imperialistischen Unterdrückung. Viele wandten sich den stalinistischen Kommunistischen Parteien zu, wurden aber wiederholt und blutig verraten. Die Kommunistische Partei des Irak, die früher über 25.000 Mitglieder und Masseneinfluss hatte, unterstützte die Militärregierung von Abd al-Karim Kassem und passte sich dann dem Baath-Regime an, das 1963 an die Macht kam. 1973 bildete sie sogar eine Nationale Front mit diesem. Als sich Saddam Hussein gegen seine stalinistischen Verbündeten wandte, zum Teil um seine Bereitschaft zu einem Deal mit Washington zu signalisieren, wurden viele Tausend militante Arbeiter und sozialistische Intellektuelle ins Gefängnis geworfen und hingerichtet. Seit 2003 ist die Kommunistische Partei des Irak an der von den USA eingesetzten Marionettenregierung beteiligt.

Der Aufstieg des Islamismus ist auch der Preis für die Degeneration und das Versagen der säkularen Nationalbewegungen, von denen sich viele sozialistisch gebärdeten, die aber entweder zusammenbrachen oder zu direkten Werkzeugen imperialistischer Herrschaft wurden und sich zu despotischen Regimes entwickelten.

In dieses politische Vakuum sind teilweise die Islamisten gestoßen, die den ganz realen und völlig gerechtfertigten Unmut über die imperialistische Vorherrschaft aufgreifen und in eine menschenfeindliche und rückschrittliche Richtung lenken. Im Kern ist der Islamismus eine Ideologie der politischen Verzweiflung von Leuten, die keinen anderen Weg und keine Massenbewegung sehen, die auch nur den Anschein einer konsequenten Opposition gegen solche historische Verbrechen wie die Zerstörung des Irak erwecken.

Der Bombenanschlag vom 7. Juli 2005 war der schreckliche Beweis, dass der islamistische Fundamentalismus auch in Großbritannien Anhänger finden kann, weil die Massenopposition gegen den Krieg und gegen die gesellschaftlich spaltende Sozialpolitik der Labour-Regierung im offiziellen Politikbetrieb keinen Ausdruck finden kann.

Daher ist es nur möglich, das Anwachsen von islamischem Extremismus zu bekämpfen, wenn in Großbritannien und international auf der Grundlage eines sozialistischen Programms eine neue politische und soziale Bewegung aufgebaut wird. Diese Bewegung muss eine vereinte Offensive der arbeitenden Bevölkerung für das sofortige Ende der Besetzung Afghanistans und des Iraks, gegen den Imperialismus und für die wirtschaftliche und kulturelle Emanzipation der Völker der Welt auf der Grundlage wirklicher Demokratie und sozialer Gleichheit organisieren.

Siehe auch:
Höchste Terrorwarnstufe in Großbritannien
(6. Juli 2007)
Widersprüche Merkwürdigkeiten und offene Fragen um die britische Terrorhysterie
(19. August 2006)
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