USA und Russland im Streit über Kosovos Unabhängigkeit

Schon auf dem G8-Gipfel kam es zu Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland. Jetzt sind sie über die Frage der Unabhängigkeit des Kosovos voll ausgebrochen. Der Streit spaltet auch Europa, ermutigt sezessionistische Bewegungen und droht den Balkan weiter zu destabilisieren. Neue Gewaltausbrüche werden befürchtet, gleichgültig, ob es zur Unabhängigkeit kommt oder nicht.

Die Vereinigten Staaten von Amerika drohen, die Vereinten Nationen links liegen zu lassen, um ein russisches Veto im Sicherheitsrat gegen die Unabhängigkeit zu unterlaufen. Am 18. Juli erklärte US-Außenstaatssekretär Nicholas Burns, dass der Kosovo bis Ende 2007 unabhängig sein werde. Damit bekräftigte er des Versprechen George W. Bushs gegenüber dem albanischen Ministerpräsidenten Sali Berisha bei seinem Besuch im vergangenen Monat.

Burns sagte der Tageszeitung Koha Ditore : "Die USA werden niemandem erlauben, der Unabhängigkeit des Kosovo im Wege zu stehen" und fügte hinzu: "Das wird entweder durch den UN-Sicherheitsrat oder durch andere Mechanismen geschehen."

Burns sagte, die USA hätten die Umsetzung der vom UN-Sondergesandten Martti Ahtisaari vorgeschlagenen endgültigen Statuslösung hinausgezögert, um Russland die Beteiligung an dem Prozess zu ermöglichen. "Aber Russland war nicht konstruktiv."

Später bekräftigte Außenministerin Condoleezza Rice die US-Position mit den Worten: "Wir stehen für einen unabhängigen Kosovo ein, und wir werden das so oder so erreichen."

Der Kosovo wird seit 1999 als Protektorat entsprechend der Sicherheitsratsresolution 1244 verwaltet, die die Souveränität Serbiens über die Provinz anerkennt, aber sie gleichzeitig unter die Besatzung ausländischer Truppen stellt und von einem ungewählten UN-Vizekönig verwalten lässt.

Formal gesehen, bedarf es einer neuen UN-Resolution, um den Weg für die Unabhängigkeit des Kosovo frei zu machen. In diesem Fall heißt "Unabhängigkeit", dass die Kontrolle de-facto auf die Westmächte übergeht, wobei der Hohe Vertreter der UN von einem Hohen Vertreter der Europäischen Union (EU) abgelöst wird. Der Hohe Vertreter wird das Recht haben, vom kosovarischen Parlament verabschiedete Gesetze zu kippen, Staatsbeamte zu entlassen und dafür zu sorgen, dass den Anweisungen der internationalen Finanzinstitutionen Folge geleistet wird.

Zu diesem Zweck haben die USA und die EU einen neuen Entwurf einer Sicherheitsratsresolution vorgelegt, die eine Periode von 120 Tagen für den Übergang vorsieht. Die Westmächte wollen Druck auf die albanische Mehrheit des Kosovo und auf die serbische Minderheit, die bei Serbien bleiben will, ausüben, um in diesem Zeitraum zu einer Einigung zu kommen. EU-Vertreter haben deutlich gemacht, dass sie eine neue Runde von "Assoziierungs-Gesprächen" befürworten, die im September beginnen könnten, oder eine internationale Konferenz nach dem Modell des Dayton-Abkommens von 1995, das den Bosnienkrieg beendete und das Land in drei ethnische Zonen aufspaltete.

Die USA und die EU haben Russland davor gewarnt, sein Veto gegen die Sicherheitsratsresolution einzulegen. Andernfalls werde die Unabhängigkeit des Kosovo über die informelle Kosovo-Kontaktgruppe betrieben, zu der die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Russland gehören, in der Russland aber kein Veto-Recht hat. Der EU-Außenpolitiker Javier Solana sagte: "Wenn es sich im Moment bei den Vereinten Nationen nicht durchsetzen lässt, bin ich doch sicher, dass es unter den Mitgliedern der Kontaktgruppe Einverständnis gibt, einen Verhandlungsprozess zu eröffnen."

Schließlich zogen die USA und die EU die Resolution doch noch zurück und beschlossen, die Frage am 25. Juli in Berlin zu diskutieren.

Die Resolution fordert für den Fall, dass die Gespräche scheitern sollten, nicht offen die Unabhängigkeit. Aber Russland machte deutlich, dass sie zwischen den Zeilen immer noch ein Türchen für die Unabhängigkeit des Kosovo auflasse und damit internationales Recht verletze. Botschafter Vitali Churkin sagte über den Entwurf: "Fast der ganze Text und vielleicht noch stärker die Anhänge sind vom Geist der Unabhängigkeit des Kosovo durchdrungen."

Dass die Westmächte die Unabhängigkeit des Kosovo so hastig betreiben, hat zum Teil auch Gründe im Balkankrieg von 1999, der zum Sturz des serbischen Präsidenten Milosevic führte. Damals haben sie den Geist des albanischen Nationalismus aus der Flasche gelassen, als sie die Kosovo Befreiungsarmee (UCK) unterstützten. Anfang dieses Jahres demonstrierten Tausende Kosovo-Albaner gegen Verzögerungen beim Unabhängigkeitsprozess. Zwei Demonstranten wurden getötet, als die UNO-Polizei mit Gummigeschossen feuerte. Der UN-Polizeichef und der Innenminister des Kosovo traten daraufhin zurück.

Die UCK-Führung, die jetzt hohe Posten in der Provinzregierung bekleidet, droht mit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung. Der Ministerpräsident des Kosovo und ehemalige UCK-Kommandeur Agim Ceku erklärte am 14. Juli: "Jetzt ist die Zeit gekommen. Es braucht keine Diskussionen mehr. Es gibt nichts mehr zu verhandeln."

Nach dem Scheitern der UN-Resolution wiederholte Ceku die Forderung an das kosovarische Parlament, am 28. November, dem Unabhängigkeitstag im benachbarten Albanien, die einseitige Unabhängigkeit von Serbien zu erklären. Ceku sagte, das Parlament solle über den Vorschlag nach seiner Rückkehr von Gesprächen mit Conoleezza Rice in Washington am 23. Juli diskutieren, wo Gespräche über Wahlen im Kosovo geführt werden sollen.

Ceku kritisierte Überlegungen, den Kosovo nach ethnischen Gesichtspunkten zu teilen, wie einige Experten vorgeschlagen haben. Er sagte: "Teilung ist keine Lösung, sie ist einfach nicht möglich... Niemand wird dem zustimmen und es wird nicht akzeptiert werden."

Er ignorierte seine eigene Rolle bei der ethnischen Aufteilung des Balkans und die schrecklichen Bedingungen, unter denen die serbische Minderheit lebt (die Häuser von 20.000 serbischen Flüchtlingen sind von anderen Menschen bewohnt oder zerstört, und nur 600 wurden zurückgegeben). Er sagte: "Wenn man anfängt, Grenzen zu ziehen, wo auf dem Balkan will man dann aufhören?"

Dies ist immerhin eine Frage, die eine Antwort verdient. Auf jeden Fall geht ihre Bedeutung weit über den Balkan hinaus.

Der serbische Ministerpräsident Vojislav Koštunica wiederholte seine Forderung, die territoriale Integrität Serbiens zu erhalten, und sagte: "Wir werden die Amputation von 15 Prozent unseres Territoriums nicht akzeptieren. Nach unserer Verfassung ist die Provinz Kosovo ein integraler Bestandteil Serbiens."

Auf die Frage von Reportern, ob EU-Vertreter den Vorschlag gemacht hätten, eine EU-Mitgliedschaft gegen die Unabhängigkeit des Kosovo zu tauschen, antwortete er: "Das Angebot lautet so: Wenn ihr nach Europa wollt, dann vergesst den Kosovo. Wenn ihr den Kosovo wollt, dann vergesst Europa." Er kritisierte: "So geht das nicht. Das ist ein unanständiges Angebot."

Allerdings hat der französische Außenminister Bernard Kouchner verlauten lassen, dass Serbien Ende des Jahres ein vorläufiges Abkommen mit der EU unterzeichnen und in der zweiten Jahreshälfte 2008 während der Präsidentschaft Frankreichs Mitgliedskandidat werde. Er warnte Serbien: "Aber wir machen uns keine Illusionen - da ist noch die Kosovo-Frage, und die muss vorher gelöst werden."

Um den Forderungen anderer Separatisten vorzubauen, ihre Unabhängigkeitsbestrebungen mit dem gleichen Maß zu messen, haben die USA und die EU mehrfach erklärt, dass der Kosovo ein "einmaliger Sonderfall" sei. Gleich welcher Status letztlich beschlossen werde, er könne nicht als Beispiel für andere Konflikte herangezogen werden. Aber der Sprecher der russischen Staatsduma, Boris Gryzlow, erklärte, eine Unabhängigkeit des Kosovo würde selbstverständlich den Separatismus in vielen Ländern in aller Welt stärken, "darunter in Abchasien, Nagorni-Karabach, Armenien, Aserbeidschan, Moldawien, Spanien, Großbritannien und vielen afrikanischen Staaten."

Der ehemalige stellvertretende Außenminister und Präsidentschaftskandidat von Nagorni-Karabach, Masis Mailyan, meinte: "Das Konfliktlösungsmodell für den Kosovo könnte ein Beispiel für die Lösung anderer Konflikte sein... In diesem Sinne ist das Modell Kosovo auch für uns interessant. Das heißt, auch wir könnten unter einem neuen Szenario Anerkennung gewinnen."

In anderen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion streben Separatisten in den georgischen Regionen Südossetien und Abchasien und in der moldawischen Region Transnistrien internationale Anerkennung an. Auch sie sagen, dass sie die Entwicklung im Kosovo genau beobachten.

Für Moskau haben diese Vorgänge in der Region, die es als sein Einflussgebiet versteht, einen besonderen Stellenwert. Dies ist an einem Kommentar des politischen Kommentators der Nachrichtenagentur Nowosti, Pyotr Romanov abzulesen. Er warnte: "Die alte Ordnung zerfällt vor unseren Augen. Russland hat entsprechend dem internationalen Recht immer die territoriale Integrität Georgiens und Moldawiens respektiert, obwohl seine Beziehungen mit diesen Staaten nicht gerade zum Besten stehen. Was soll es jetzt tun? Soll es separatistische Bewegungen an seinen Grenzen unterstützen? Oder sich aus der UNO zurückziehen? Das erinnert mich an das Scheitern des Völkerbunds und an die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg."

Der Balkan ist wieder zu einem Flickenteppich ethnisch zerrissener Staaten geworden, die den Machtspielen der Großmächte ausgeliefert sind.

Man muss gar nicht auf 1939 schauen, um die Gefahren zu verstehen, die hier lauern. Am Ende des Kosovo-Konflikts, im Juni 1999, besetzten 200 russische Soldaten kurzfristig den Flughafen von Pristina. Moskau war davon ausgegangen, in seinem Sektor des Kosovo die Polizeigewalt selbst auszuüben, unabhängig von der NATO.

Die Kfor-Friedenstruppen der NATO bereiteten für den 12. Juni einen Einmarsch in den Kosovo vor, trafen aber auf die russischen Truppen, die von Bosnien aus vorgerückt waren. In Abstimmung mit NATO-Generalsekretär Javier Solana befahl der NATO-Oberkommandierende, General Wesley Clark, 500 britische und französische Fallschirmjäger in Alarmbereitschaft für die Besetzung des Flughafens zu versetzen.

Die BBC berichtete später, General Sir Mike Jackson, der britische Kommandeur der Kfor-Truppen, habe sich geweigert, diesen Befehl auszuführen. Er habe Clark entgegengehalten: "Ich werde hier nicht für Sie den dritten Weltkrieg beginnen."

Die Russen nahmen den Flughafen ein und waren bereit, Tausende Truppen einzufliegen. General Leonid Iwashew sagte: "Ich will nur soviel sagen: wie hatten mehrere Stützpunkte in Bereitschaft. Wir hatten einige Bataillone Fallschirmspringer bei der Hand, die innerhalb von zwei Stunden hätten starten können."

Clark plante, die Landebahnen mit britischen Panzern und gepanzerten Fahrzeugen zu blockieren, wurde aber erneut durch ein britisches Veto daran gehindert. Es kam dann zu einer Vereinbarung über russische Truppenstationierungen, aber eine Zeitlang sah es so aus, als ob der Kosovo in einen serbischen Norden und einen ethnisch albanischen Süden geteilt würde. Der Unabhängigkeitsplan hat diese Befürchtungen wieder hochkommen lassen, und mit ihnen die ganz reale Gefahr eines Krieges.

Siehe auch:
Marxismus gegen Nationalismus - eine Podiumsdiskussion zum Kosovo
(28. November 2006)
Spannungen zwischen Nato und Russland eskalieren
( 18. Juli 2007)
Spannungen zwischen USA und Russland entladen sich in gegenseitigen Beschuldigungen
( 8. Juni 2007)
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